Havarie der Bohranlage in Neuendorf/Usedom
23. Januar 1968
Einzelinformation Nr. 69/68 über eine Havarie auf der Bohranlage 122, Bohrung Lütow 14, in Neuendorf, [Kreis] Wolgast, [Bezirk] Rostock, am 15. Januar 1968
Über die am 15.1.1968 auf der Bohranlage 122, Bohrung Lütow 14, in Neuendorf, [Kreis] Wolgast, erfolgte Havarie liegen dem MfS bisher folgende Hinweise vor:
Nach erfolgreicher Suchbohrung auf Lütow 14 wurde beim Ausbau des Gestänges zur Vorbereitung der Förderbohrung am 4.12.1967 bei der Endteufe von 2 525 m der Meißel fest. Seit diesem Zeitpunkt werden auf der Bohrstelle nur Havariearbeiten durchgeführt. (Das Festwerden des Meißels beim Gestängeausbau ist ein durchaus normales Vorkommnis, das sich in der Regel ohne großen Aufwand beheben lässt.) Trotz aller Bemühungen gelang es im vorgenannten Fall jedoch nicht, den festgewordenen Meißel freizubekommen und das Bohrgestänge zu bergen. Aus diesem Grunde sollte am 15.1.1968 versucht werden, die festsitzende Bohrgarnitur durch Sprengung zu lösen. Mit dieser Aufgabe wurde der für derartige Arbeiten zuständige Bohrlochmessbetrieb, Stützpunkt Greifswald, des VEB Geophysik Leipzig beauftragt. Für die Leitung der vom Bohrlochmessbetrieb eingesetzten Arbeitsgruppe wurde der Schießzugleiter [Name 1] benannt. Beim Einlassen des Sprenggerätes (scharfer Torpedo) in das Bohrgestänge wurde dieses fest und detonierte.
Die Untersuchung ergab, dass der Torpedo beim Einfahren in das Bohrgestänge bei einer Teufe von 1 833 m aus bisher nicht völlig geklärter Ursache detoniert ist. Die Detonation geschah im Bereich der 8 5/8 Zoll Rohrtour und trennte das Bohrgestänge in dieser Teufe. Die Selbstentzündung des Torpedos ist aller Wahrscheinlichkeit nach durch Aufsitzen bzw. Verklemmen des Torpedos in der Bohrung erfolgt.
Der durch diese Havarie eingetretene Schaden wird vorerst auf ca. 130 000 M (bedingt durch 17 Tage Produktionsausfall, die notwendig sind, um über die tatsächliche Schädigung der Bohrung Auskunft zu erhalten) geschätzt. Es besteht allerdings die Möglichkeit, dass die Herstellung eines funktionstüchtigen Zustandes der Bohrung zur Erreichung der Endteufe nicht mehr möglich ist. Das würde bedeuten, dass die Bohrung aufgrund der Torpedierungshavarie bei der Teufe 1 835 m eingestellt werden müsste. (In diesem Falle würde der volkswirtschaftliche Schaden ca. 10 Millionen Mark betragen.)
Der jetzige Stand der Untersuchungen weist aus, dass von den Verantwortlichen für die Lütow 14 und des Bohrlochmessbetriebes Verstöße gegen gesetzliche Bestimmungen vorliegen (Arbeitsschutzanordnung sowie Bohrordnung der Bergbehörde Staßfurt vom 10.4.1967).
Diese Verstöße äußern sich darin, dass der Schießzugleiter [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1940, entgegen bestehenden Vorschriften und Weisungen zuließ, dass der zu torpedierende Gestängestrang nicht schabloniert (Kontrolle des freien Durchganges), sondern gleich mit einem scharfen Torpedo und ohne Zählwerk befahren wurde.
Außerdem war der Durchmesser dieses Torpedos im Widerspruch zur Bohrordnung nicht maßgerecht, sondern überdimensioniert bemessen. Dieser Umstand kann jederzeit zu einer Verklemmung mit nachfolgender Entstehung von Reibungswärme und daraus resultierender Selbstentzündung des Torpedos führen.
[Name 1] wurde durch den Leiter des Bohrlochmessbetriebes, [Name 2, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1926, ab Juli 1967 als Schießzugleiter eingesetzt, obwohl er nicht im Besitz eines entsprechenden Befähigungsnachweises ist. [Name 1] besitzt lediglich den für Sprengarbeiten notwendigen Sprengerlaubnisschein.
Aufgrund der durch die Untersuchung festgestellten Verstöße gegen gesetzliche Bestimmungen, der in der Leitungstätigkeit des Stützpunktes Greifswald des VEB Geophysik vorhandenen Mängel, der Höhe des zu erwartenden volkswirtschaftlichen Schadens und der durch die bisherigen Untersuchungen nicht eindeutig klärbaren Ursachen für die Zündung des Torpedos wird gegen den Schießzugleiter [Name 1] ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.