Herbstsynoden evangelischer Landeskirchen der DDR
16. Januar 1968
Einzelinformation Nr. 33/68 über die Herbstsynoden evangelischer Landeskirchen der DDR
Ende 1967 fanden in folgenden evangelischen Landeskirchen der DDR Synoden statt:
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Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsen in Dresden vom 13. bis 18.11.1967
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Evangelische Landeskirche Anhalt in Dessau vom 16. bis 19.11.1967
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Konsistorialbezirk Greifswald1 in Züssow vom 17. bis 20.11.1967
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Evangelische-Lutherische Kirche Thüringen in Eisenach vom 18. bis 21.11.1967
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Evangelisch-Lutherische Landeskirche Mecklenburg in Schwerin vom 30.11. bis 3.12.1967
Im Verlaufe dieser Synoden wurden in allen Fällen – mit Ausnahme der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Thüringen – neben rein theologischen und innerkirchlichen Problemen auch sogenannte kirchenpolitische Fragen behandelt, wobei deren Aussage vielfach als politisch negativ einzuschätzen ist. Die Synode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburg wurde nur in Form einer Arbeitstagung durchgeführt und beschäftigte sich im Wesentlichen mit einer formalen Änderung der Kirchenverfassung, der Wahlordnung der Synode, Fragen des Hilfswerkes und der Inneren Mission sowie der Gemeindeordnung. Es gab weder einen Rechenschafts- noch einen Tätigkeitsbericht. Im Verlaufe der Tagung kam es zu keinen Angriffen gegen den Staat.
Im Allgemeinen wurden auf den übrigen vorher angeführten Synoden im Zusammenhang mit kirchenpolitischen Problemen folgende Fragen behandelt:
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450-Jahrfeiern der Reformation,
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Verhältnis zu »gesamtdeutschen« Organisationen wie »Evangelische Kirche in Deutschland« (EKD), »Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands« (VELKD) und »Evangelische Kirche der Union« (EKU),
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Verhältnis zwischen Staat und Kirche,
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kirchliche Jugendarbeit.
Innerhalb der einzelnen Synoden kam es u. a. zu folgenden Ausführungen und Auslegungen:
Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsen
In seinem Bericht vor der Synode stellte sich Bischof Noth/Dresden2 hinter die Beschlüsse von Fürstenwalde (»EKD-Synode« im April 1967)3 und bekannte sich erneut zur Einheit der sogenannten Evangelischen Kirche in Deutschland. Unter anderem erklärte er: »Mit gutem Gewissen können alle die Vorwürfe zurückgewiesen werden, die der Existenz und der Tätigkeit des Rates der EKD und der Synode der EKD politische Motive unterstellen.«
Er führte eine Anzahl von Beispielen der »Behinderung des kirchlichen Lebens durch staatliche Stellen« an, so u. a.:
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Behinderung des Bischofs in der Wahrnehmung ökumenischer Aufgaben (Noth war u. a. die Ausreise zur Teilnahme an der 5. Vollversammlung der »Konferenz Europäischer Kirchen«4 in Pörtschach/Österreich abgelehnt worden.)
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Die Zurückweisung der »Gottesdienste einmal anders«5 sei mit dem nicht zutreffenden Bemerken erfolgt, die Kirche würde den Bereich verlassen, der für sie vorbestimmt sei.
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Bei der Frage der Jugendweihe und Konfirmation6 handele es sich um eine ernste Gewissensfrage für die Kirche. Die Nichtteilnahme an der Jugendweihe habe trotz entgegengesetzter staatlicher Beteuerungen Nachteile mit sich gebracht.
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Zurücksetzung christlicher Kinder beim Besuch der Erweiterten Oberschule wegen angeblich mangelnden gesellschaftlichen Einsatzes.
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Maßnahmen (Inhaftierungen) von Wehrdienstverweigerern.
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Eingriffe staatlicher Stellen bei der Druckgenehmigung von Kirchengemeinde-Nachrichtenblättern.
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Erschwerung der Christenlehre dadurch, dass Lehrer, besonders jüngere, sich über Glaubensdinge Kindern gegenüber in verletzender Weise äußerten, Hortkinder nicht zur angesetzten Christenlehre freigeben würden und in einer unzumutbaren Weise auf die Einhaltung der Zweistundenpause zwischen Schulunterricht und Christenlehre bestanden würde.7
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Die Feiertagsregelung bei Einführung der 5-Tage-Arbeitswoche sei ohne vorherige Fühlungnahme mit den Kirchenleitungen erfolgt. Die Kirchen müssten darauf bestehen, dass die kirchlichen Feiertage auch künftig erhalten blieben und als echte Feiertage nicht einzuarbeiten wären.8
Bischof Noth informierte die Synode, dass sich das Landeskirchenamt an die Konferenz der Kirchenleitungen gewandt habe, um einen gemeinsamen Schritt bei der Regierung vorzubereiten, doch habe die Konferenz von einem gemeinsamen Protestschreiben abgesehen. Die Beschwernisse der Kirchen seien jedoch von den Bischöfen Noth und Jänicke/Magdeburg9 dem stellvertretenden Staatsratsvorsitzenden Götting10 und dem Staatssekretär für Kirchenfragen Seigewasser11 vorgetragen worden.
In der Diskussion stand erneut der Abbruch der Leipziger Universitätskirche12 zur Debatte. Hierzu wurde der Antrag gestellt, einen Protestbrief an den Oberbürgermeister der Stadt Leipzig zu richten und einen Durchschlag dieses Briefes dem Staatssekretär für Kirchenfragen zu übersenden.
Der Erziehungsausschuss beantragte, den Staatssekretär für Kirchenfragen schriftlich um eine Aussprache mit Vertretern des Landeskirchenamtes und der Synode über die Entwicklung und Erziehung der Jugend zu bitten.
Evangelische Landeskirche Anhalt
Zu den Fragen des Verhältnisses zur sogenannten Evangelischen Kirche in Deutschland heißt es im Bericht von Kirchenpräsident Müller:13
»In der Erklärung der Fürstenwalder Synode, die sich unsere Frühjahrssynode zu eigen gemacht hat, ist in überzeugender Weise ausgesprochen worden, warum wir beisammen bleiben und was die EKD in ihrem gegenwärtigen Stande ist.«
Die staatlichen Argumente, die »Evangelische Kirche in Deutschland« unterstütze den Alleinvertretungsanspruch Bonns auf kirchlichem Gebiet, wurden zurückgewiesen. Es wurde betont, die EKD besitze einen »echt kirchlichen Charakter«. In Bezug auf die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen heißt es: »Auch in den Punkten, wo eine Übereinstimmung nicht erzielt werden konnte, gab es ein geduldiges Anhören, das immer dem besseren gegenseitigen Verstehen diente … Ein Gespräch mit dem Rat des Bezirkes habe geholfen, den Weg zur Zusammenarbeit wieder freizumachen …«
In seinen weiteren Ausführungen bemängelte Kirchenpräsident Müller als »Erschwernisse« der kirchlichen Arbeit u. a. folgende Probleme:
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Nichtgenehmigung eines eigenen Sonntagsblattes zusammen mit der Kirchenprovinz Sachsen;
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Unterlassung der vorherigen Konsultation der Kirchen bei der Feiertagsregelung;
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Beschränkung der Einreisegenehmigung für ökumenische Besucher im Allgemeinen und im Besonderen zu den Reformationsfeierlichkeiten.
Die Synode befasste sich weiter mit der staatsrechtlichen Stellung der Kirchen in der DDR. Es wurde wörtlich ausgeführt: »Zurzeit befinden sich drei staatliche Gesetze in Vorbereitung, mit denen sich auch die Kirchen befassen müssen: das neue Zivilgesetzbuch,14 das neue Strafgesetzbuch15 und die neue Verfassung der DDR.16 Während sich zu den letzteren Gesetzen noch nichts sagen lässt, hätten die leitenden Juristen der Gliedkirchen in der DDR zum Zivilgesetzbuch, das an die Stelle des BGB trete, eine Eingabe an die Regierung weitergeleitet. Es gehe dabei besonders um die Stellung der Kirchen im Rechtsverkehr und ihre Anerkennung als eine Körperschaft besonderer Art. Dabei komme es den Kirchen nicht auf den Begriff der ›Körperschaft des öffentlichen Rechts‹, sondern auf die Anerkennung der Eigenständigkeit an.«
Der Synodalausschuss legte eine Erklärung »Politische Mitverantwortung der Christen« vor. In dieser Erklärung wird betont, die Mitverantwortung der Christen im öffentlichen Leben werde bejaht. In der Schule, am Arbeitsplatz und in den speziellen Formen politischer Arbeit – wie z. B. Parteien, Gewerkschaften, Volksvertretungen und Massenorganisationen – wäre die Mitverantwortung besonders wichtig. Weiter wird erklärt, die Kirche erstrebe nicht Macht, sondern die Verbesserung der politischen Verhältnisse und Humanisierung. Da keine Gesellschaft vollkommen sei, stehe die Aufgabe, der Gesellschaft in Verantwortung zu helfen, »mitmenschliche Gesellschaft« zu sein. Schweigende Abkehr und Passivität würden nicht helfen. Der drohenden Spannung und Spaltung müsste wirksam entgegengetreten werden. Auch dort, wo grundsätzliche Trennung von Staat und Kirche bestehe, müssten Christen an wichtigen Entscheidungen, wie z. B. an Gesetzentwürfen, mit beteiligt werden.
Konsistorialbezirk Greifswald
Zu Beginn seines Berichts verbot Bischof Krummacher17 ausdrücklich, über seine Ausführungen Notizen zu machen. Krummacher führte aus, dass man in der Öffentlichkeit mit den sachlichen Spannungen zwischen Staat und Kirche zugleich persönliche Angriffe gegen ihn verbunden habe, gegen die er sich nicht wehren könne. Seine ökumenischen Aufgaben im Rahmen der »Konferenz Europäischer Kirchen«, des »Lutherischen Weltbundes«,18 der »Kommission für Internationale Angelegenheiten«19 usw. könne er wegen der Verweigerung der Ausreisegenehmigung nicht wahrnehmen.
Krummacher stellte sein Auftreten auf der Teilsynode der »EKD« in Fürstenwalde im April 1967 als richtig hin und meinte, auch andere Kirchen in Westdeutschland und in der Ökumene stünden hinter ihm. Er erklärte, die Gesellschaftsordnung, so wichtig sie sei, dürfe nicht zur Herrin über den Christendienst gemacht werden. Diese klare Wegweisung habe die »EKD-Synode« im April 1967 einstimmig beschlossen. An dieser Gemeinschaft müsse man auch über Staatsgrenzen hinweg festhalten. Krummacher stellte die Entwicklung seit Frühjahr 1967 so dar, als sei er von staatlichen Stellen sehr zu Unrecht und verleumderisch angegriffen worden und sagte: »Ich möchte in dieser Stunde aber vor den Synodalen für viele Zeichen brüderlicher Verbundenheit danken, die ich gerade in den letzten nicht leichten Monaten von vielen treuen evangelischen Christen und kirchlichen Mitarbeitern als Stärkung und Tröstung erfahren habe.«
Als Erschwernisse für die Tätigkeit der Kirche brachte er Folgendes zum Ausdruck:
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Es werde versucht, die Kirche in ein »frommes Ghetto« abzudrängen, ihr alles, was nicht Kultus sei, als »nicht Aufgabe der Kirche« wegzunehmen.
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Die Kirche müsse zwar ständig aus ihrem Grundbesitz für Neubauvorhaben Gelände abtreten, ihre eigenen Bauwünsche würden ihr aber fast durchweg verweigert.
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Die Katecheten müssten sich immer wieder gegen ideologische Übergriffe und Verhöhnungen durch einzelne Lehrer wehren.
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In staatlichen Feierabendheimen würde die seelsorgerliche Betreuung verhindert.
Der Berichtsausschuss der Synode erarbeitete eine Schlusserklärung, in der folgende Forderungen an den Staat gestellt wurden:
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Der ökumenische Austausch sei unerlässlich. Die Reisebeschränkungen für den Bischof sollten deshalb aufgehoben werden.
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Die Verbundenheit innerhalb der sogenannten Evangelischen Kirche in Deutschland müsse als Ausdruck kirchlicher Gemeinschaft toleriert werden.
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Die Art und Weise der Angriffe gegen die Einheit der »Evangelischen Kirche in Deutschland«, die jegliche Sachlichkeit vermissen lasse, sei zu beklagen.
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Es sei unerträglich, dass Kinder und junge Menschen einseitig ideologisch im Geist der marxistischen Weltanschauung erzogen würden.
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Die Kirche müsse es als Behinderung verstehen, wenn kirchliche Räume nicht zu ihrer Benutzung freigegeben und immer wieder kirchliche Bauvorhaben abgelehnt würden.
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Die Kirche könne sich nicht auf den Kultus beschränken. Geistliche Musiken und Verkündungsspiele seien keine »kulturellen Veranstaltungen«.
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Mit Befremden werde die Behinderung der Seelsorge in Krankenhäusern und Altersheimen registriert.
Mit Berufung auf die Artikel 119, 120 und 121 der Verfassung20 wurde unterstrichen:
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Der Bischof habe das Recht, das Zeugnis des Evangeliums auch in bedeutsamen Fragen des öffentlichen Lebens zu verkünden. Der Bischof vertrete die »Pommersche Evangelische Kirche« in der Öffentlichkeit der Welt.
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In der Wahrnehmung dieses seines Auftrages seien die Worte des Bischofs auf der Synode in Fürstenwalde zu verstehen.
Diese Vorlage des Berichtsausschusses wurde einstimmig angenommen.
Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen
In seinem Bericht erneuerte Bischof Mitzenheim21 die bereits auf der Frühjahrssynode ausgesprochene Distanzierung von der sogenannten Evangelischen Kirche in Deutschland und erklärte: »Wenn auf der Teilsynode der EKD in Fürstenwalde gesagt worden ist, es müsse um Jesu willen, um der Ökumene willen und um des Bekenntnisses willen aus Glaubensgehorsam an der institutionellen Verwaltungseinheit der ›EKD‹ festgehalten werden, so konnten wir als die Vertreter unserer Thüringer Kirche nicht zustimmen. Wir sind für eine größere Selbstständigkeit des östlichen Teils der ›EKD‹ eingetreten.«
Zum Verhältnis Staat – Kirche führte Bischof Mitzenheim aus: Nach Luther gibt es also weder einen christlichen Staat noch einen atheistischen Staat, sondern es gibt den Staat, zu dem Christen und Nichtchristen gehören und der von Christen und Nichtchristen geleitet wird. Und dieser Staat ist eine Ordnung Gottes.«
Weiter trat Mitzenheim Angriffen gegen die sozialistische Schule entgegen und äußerte, dass beim Auftreten von Schwierigkeiten eine Kontaktaufnahme mit den zuständigen staatlichen Stellen regelmäßig zu befriedigenden Lösungen geführt habe.
In seinen weiteren Ausführungen lehnte er die Einführung dekadenter Elemente in einen sogenannten »Gottesdienst einmal anders« ab, wie er z. B. in Karl-Marx-Stadt praktiziert wird und würdigte die Einführung der 5-Tage-Arbeitswoche und der Karfreitagsregelung.
In der Diskussion gab es vereinzelt seitens einiger Pfarrer solche Meinungen wie
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das Leben im Grenzgebiet werde besonders erschwert durch die Ablehnung von Einreisen aus der DDR und aus Westdeutschland;
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die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen auf der Orts- und Kreisebene sei nicht immer gut. Vor allem in Fragen der Volksbildung seien die Schwierigkeiten sehr groß;
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es sei zu bedauern, dass die Regierung der DDR keine Missionare mehr ausreisen lasse.