IV. westdeutsches Turnfest in Westberlin
[ohne Datum]
Einzelinformation Nr. 591/68 über das widerrechtlich in Westberlin stattfindende IV. westdeutsche Turnfest vom 28. Mai 1968 bis 2. Juni 1968
Das am 28.5.1968 durch den Vorsitzenden des westdeutschen Turnerbundes, Oberlandesgerichtspräsident Dr. Kregel,1 in der Westberliner Kongresshalle mit einem Festvortrag eingeleitete sogenannte IV. westdeutsche Turnfest2 wird – das lassen die bisherigen Hinweise bereits deutlich erkennen – dazu ausgenutzt, im Stil der »neuen Ostpolitik« Bonns
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den rechtswidrigen Anspruch der Bonner Regierung auf Westberlin zu erneuern,
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den Alleinvertretungsanspruch zu propagieren,
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den westdeutschen Turnerbund den Zielen der Bonner Regierung unterzuordnen.
Alle von Vertretern der westdeutschen Regierung, des Westberliner Senats und der westdeutschen Sportführung bisher gehaltenen Reden und Ansprachen hatten in mehr oder minder versteckter oder verbrämter Form diese Zielsetzung zum Inhalt.
Wenn auch gegenwärtig ein offenes Auftreten der Revanchistenverbände und Landsmannschaften oder anderer volksfeindlicher Organisationen im Zusammenhang mit dem IV. westdeutschen Turnfest nicht im Mittelpunkt steht, so lassen eine Reihe von Hinweisen darauf schließen, dass vonseiten dieser Organisationen in vielfältiger Art und Weise versucht wird, das Turnfest für revanchistische Zielsetzungen zu missbrauchen. So ist geplant, in der Zeit vom 27.5.1968 bis 17.6.1968 Tagungen der Revanchistenverbände abzuhalten. Im Zusammenhang damit ist beabsichtigt, im sogenannten Haus der ostdeutschen Heimat und in einigen Rathäusern und Lokalen vor Teilnehmern des IV. westdeutschen Turnfestes Referate zu halten. Im Anschluss an die Veranstaltungen der Revanchistenverbände soll die Tagung der Generalversammlung der Dachorganisationen stattfinden, auf der u. a. beabsichtigt ist, einen Vertreter der Bundeswehr auftreten zu lassen. Die Turnerverbände der revanchistischen Organisationen sind während der sogenannten Festtage im Aufgebot der jeweiligen Landesverbände eingegliedert. Wie Teilnehmer des sogenannten Sudetendeutschen Turnerverbandes jedoch äußerten, würden sie und die anderen Verbände aber beim abschließenden Festumzug am 2.6.1968, der nochmals ein »Höhepunkt« des IV. westdeutschen Turnfestes sein soll, unter ihrem eigentlichen Namen auftreten.
Weiter wird der politische Missbrauch des IV. westdeutschen Turnfestes dadurch charakterisiert, dass in dem für die Teilnehmer des Turnfestes vom Westberliner Senat und dem sogenannten Büro für Gesamtberliner Fragen herausgegebenen Informationsmaterial Hetze gegen die DDR betrieben wird. Darin werden besonders annexionistische Ansprüche Bonns auf Westberlin sichtbar.
Nicht zuletzt wird der Charakter des IV. westdeutschen Turnfestes durch die Tatsache gekennzeichnet, dass sich eine Reihe als intensive Verfechter der Bonner Politik bekannte westdeutsche Sportführer und Regierungsvertreter als Ehrengäste in Westberlin aufhalten bzw. noch eintreffen werden oder sich aufgehalten haben, wie z. B. der Bonner Innenminister Benda3 u. a. Am 31.5.1968 soll der Bonner Bundespräsident Lübke,4 der vom Leiter der Abteilung Sport im Bonner Innenministerium, Ministerialrat Dr. Hovora,5 begleitet wird, in Westberlin eintreffen.
Im Rahmen der »Außerparlamentarischen Opposition« sind durch eine Reihe Westberliner Jugendverbände, wie SDS,6 Republikanischer Club,7 Jungdemokraten8 u. a., Demonstrationen gegen die Verabschiedung der Notstandsgesetze durchgeführt worden, wobei beabsichtigt war, in großem Umfang Teilnehmer des IV. westdeutschen Turnfestes mit einzubeziehen. Die am 29.5. durchgeführten Demonstrationen haben unter diesen Kreisen jedoch nicht die erwartete Resonanz erzielt und den Verlauf der Veranstaltungen des IV. westdeutschen Turnfestes nicht beeinträchtigt. Für den 2.6.1968 sind im Zusammenhang mit der Abschlusskundgebung des IV. westdeutschen Turnfestes weitere Demonstrationen bzw. Aktionen geplant.
Die Einreise der westdeutschen Teilnehmer über die Verkehrswege der DDR verlief im Wesentlichen ohne Vorkommnisse. Der »Verein westdeutsches Turnfest 68«, der die gesamte Leitung des IV. Turnfestes ausübt und eigens zu diesem Zweck gegründet wurde, hat an die Landesverbände in Westdeutschland vor Beginn Richtlinien herausgegeben, dass sich die durch die DDR reisenden Teilnehmer korrekt und diszipliniert zu verhalten haben. So sind bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf den Verkehrswegen keine feindlichen oder provokatorischen Handlungen bekannt geworden. Die Besuchsreisen in die Hauptstadt der DDR von Teilnehmern des IV. westdeutschen Turnfestes belaufen sich zahlenmäßig bis zum 30.5.1968 auf ca. 3 000 Personen, die entsprechend den Besuchsprogrammen des Reisebüros der DDR in größeren Gruppen die Sehenswürdigkeiten besichtigen. Trotz ausliegender Hinweise an den Grenzübergangsstellen zum Besuch der Informationszentren in der Hauptstadt der DDR wurde von Teilnehmern des IV. westdeutschen Turnfestes im Verhältnis zur Anzahl der bisher eingereisten davon wenig Gebrauch gemacht. Bisher konnten keine feindlichen oder provokatorischen Handlungen solcher Besucher festgestellt werden.
Aus den verschiedensten Bevölkerungsschichten der DDR als auch der Hauptstadt der DDR sind keine wesentlichen Reaktionen zum IV. westdeutschen Turnfest festzustellen.
Zu der durch die Westpresse vom 28.5.19689 hochgespielten Teilnahme eines Altersturners aus der DDR wurde festgestellt, dass es sich um den Heuer, Otto, geboren [Tag, Monat] 1890, wohnhaft Wöllnau, Kreis Eilenburg, Bezirk Leipzig, Nachtwächter bei der GHG Eilenburg, Mitglied der SED, Mitglied der Gemeindevertretung Wöllnau, handelt. H. hält sich seit dem 27.5.1968 in Westberlin auf. Er beantragte eine Reisebescheinigung unter dem Vorwand, seine in Westberlin (Schöneberg) wohnende Schwester zu besuchen, und ist am 27.5.1968 über die Grenzübergangsstelle Bahnhof Friedrichstraße ausgereist. H. nahm bereits 1967 an einem Schauturnen in Westdeutschland teil. H. war vor 1945 Mitglied verschiedener Turnverbände und Ortsring- und Propagandaleiter der NSDAP. Er war selbstständiger Tischler und Fuhrunternehmer und ist zzt. trotz seiner SED-Zugehörigkeit aktiver Kirchenanhänger.