Meinungen und Verlautbarungen in ev. Kirchenkreisen zu Strukturfragen
27. November 1968
Einzelinformation Nr. 1299/68 über Meinungen und Verlautbarungen in leitenden evangelischen Kirchenkreisen der DDR im Zusammenhang mit Strukturfragen
Von den leitenden evangelischen Kirchenpersönlichkeiten wurden die Strukturfragen für die evangelischen Kirchen in der DDR erstmalig während der sogenannten Informationstagung aller Landeskirchen der DDR, die in der Zeit vom 2. bis 4.10.1968 in Halle stattfand, öffentlich in die Debatte gebracht. (Unter Strukturfragen wird die künftige Organisationsstruktur der Landeskirchen der evangelischen Kirchen der DDR verstanden. Mit dieser Thematik befasst sich eine sogenannte Strukturkommission der »EKD«, die nach Annahme der sozialistischen Verfassung der DDR durch die Konferenz der Kirchenleitungen in der DDR gebildet worden war.)
Von den reaktionären Kräften der »Evangelischen Kirche in Deutschland« war geplant, einen Entwurf einer »Ordnung des Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR« während dieser Tagung in Halle verabschieden zu lassen. Danach sollte mit dem zentralisierten Aufbau der evangelischen Kirchen in der DDR unter Leitung von Bischof Schönherr begonnen werden. (Schönherr1 ist nach seinen mehrmaligen persönlichen Unterredungen mit dem Westberliner Bischof Scharf2 offensichtlich auf die Position der reaktionären Kräfte eingeschwenkt. In diesem Zusammenhang ist einzuschätzen, dass sein nach außen hin »wohlwollendes« Auftreten gegenüber staatlichen Vertretern offensichtlich mit den reaktionären Kräften in der Kirchenleitung von Berlin-Brandenburg abgesprochen ist und lediglich zur Verhinderung einer Isolierung der Landeskirche dienen soll.)
Auf dieser Synode (»Informationstagung«) in Halle waren die Meinungsverschiedenheiten in der Strukturfrage jedoch so groß, dass sich die reaktionären Kräfte der Leitung der Tagung nicht entschließen konnten, über den Entwurf abstimmen zu lassen. Diese Meinungsverschiedenheiten wurden vor allem durch die staatliche Haltung zu dem westlichen Projekt der sogenannten Zwillingskirche hervorgerufen. In dieser Situation griffen Bischof Krummacher3 und die anderen Vertreter des Rates der »EKD« ein und verabschiedeten einen Beschluss, wonach alle Landeskirchen der DDR bis zum 15.11.1968 eine schriftliche Stellungnahme zur Strukturfrage überhaupt und zu dem Entwurf insbesondere abgeben sollten. Damit sollten die einzelnen Landeskirchen verpflichtet werden, sich einheitlich zur Strukturfrage festzulegen, um dann den nächsten Schritt – Beschlussfassung auf den kommenden Frühjahrssynoden 1969 – vollziehen zu können.
Der Beschluss des Rates über die schriftliche Berichterstattung der einzelnen Landeskirchen war so abgefasst, dass er als Beschluss des Rates nicht erkennbar war. Er ist so formuliert, als wäre er eine geschlossene Meinungsäußerung der Synodalen der »EKD« in der DDR.
Der Beschluss lautete wörtlich: »Die Informationstagung der EKD empfiehlt, an der Ordnung eines Bundes, wie sie vorgelegt wurde, weiterarbeiten zu lassen und zu prüfen, wie der Prozess der Bildung eines solchen Bundes eingeleitet werden kann, ohne dass darüber die Gemeinschaft der EKD aufgehoben wird.«
Lediglich aus den Anschreiben war für die Empfänger ersichtlich, dass es sich um eine »EKD«-Angelegenheit handelt. Der Absender war die Kirchenkanzlei der »EKD«, Oberkirchenrat Behm4/Hannover.
Inzwischen wurde der Entwurf der »Ordnung des Bundes der Evangelischen Kirchen der DDR« an die leitenden Geistlichen der evangelischen Kirchen in der DDR, die Mitglieder des Rates der »EKD« in der DDR und an die Mitglieder der Strukturkommission gesandt.
Allgemein ist unter den evangelischen Christen in der DDR eine vielschichtige Auseinandersetzung über die geplanten Strukturveränderungen der evangelischen Kirchen in der DDR zu verzeichnen. Die Vertreter der Landeskirche Thüringen treten in allen Fragen zur Strukturdebatte für eine echte Selbstständigkeit und Unabhängigkeit der Landeskirchen in der DDR ein. Diese Position wird von der überwiegenden Mehrheit der evangelischen Christen in der DDR begrüßt.
Nach bisherigen Feststellungen zeigt die Reaktion in den einzelnen evangelischen Landeskirchen der DDR folgendes Bild:
Am 29.10.1968 fand zu diesem Beschluss der »EKD« eine Sitzung der Kirchenleitung der Landeskirche Thüringen statt. Auf dieser Sitzung wurde vom Landesbischof Mitzenheim5 ein Protestbrief an alle evangelischen Kirchen in der DDR zur Annahme vorgelegt. Dieser Protestbrief, der von allen Mitgliedern der Kirchenleitung gebilligt wurde, beinhaltet folgende Grundgedanken:
- 1.
Die Strukturfragen der evangelischen Kirchen der DDR sind ausschließlich eine Angelegenheit der evangelischen Kirchen der DDR und nicht des Rates der »EKD«;
- 2.
eine Berichterstattung an den und eine Zusammenarbeit mit dem Rat der »EKD« wird in jeder Form der Landeskirche Thüringen abgelehnt;
- 3.
sollte der Rat der »EKD« in irgendeiner Form Einfluss auf die Strukturdebatte in der DDR nehmen, dann wird die Landeskirche Thüringen jede weitere Zusammenarbeit in der Strukturfrage einstellen und ihre Vertreter aus den dafür zuständigen Ausschüssen zurückziehen.
Wie es in dem Protestbrief an die Landeskirchen weiter heißt, müssen von den Bischöfen der DDR als Voraussetzung für eine weitere positive Lösung der Strukturfrage in der DDR folgende Fragen geklärt werden:
- 1.
Die Bischöfe der DDR geben eine Erklärung ab, dass die Strukturfragen in der DDR ohne Einmischung der »EKD« behandelt werden;
- 2.
Auflösung aller Geschäftsstellen der »EKD« in der DDR;
- 3.
Niederlegung der Mandate der Ratsmitglieder, die ihren Wohnsitz in der DDR haben;
- 4.
Abschaffung aller sogenannten Synoden der »EKD« auf dem Gebiet der DDR;
- 5.
keine Wiederwahl von Bürgern der DDR in »gesamtdeutsche« kirchliche Funktionen wie Synoden und Rat (im nächsten Jahr);
- 6.
Ablehnung jeder Kollektensammlung im Rahmen der »EKD«.
In diesem Zusammenhang erklärte Landesbischof Mitzenheim, die Diskussionen über die Strukturfragen müssten in den evangelischen Kirchen der DDR dazu benutzt werden, um eine Auseinandersetzung mit der Alleinvertretungsanmaßung kirchlicher Kräfte in Westdeutschland zu führen.
Die Landeskirche Mecklenburg verfasste am 15.11.1968 eine schriftliche Stellungnahme. Darin wird sinngemäß zum Ausdruck gebracht, die Landeskirche Mecklenburg könne erst eine endgültige Erklärung zu den Strukturfragen abgeben, wenn das Verhältnis zwischen den evangelischen Kirchen in der DDR und der »EKD« grundsätzlich bestimmt worden sei. Es wäre nicht nötig, eine Strukturveränderung vorzunehmen, wie sie der Entwurf vorsehe. Der bisherige Zustand solle belassen werden, wobei der »Konferenz der Kirchenleitungen in der DDR« mehr Rechte eingeräumt werden müssten, sodass sie zu einem Leitungsgremium ausgebaut werden könnte.
Die Landeskirche Sachsen-Anhalt brachte in einer Stellungnahme lediglich zum Ausdruck, man müsse sich alles nochmals überlegen.
In kurzen Stellungnahmen der Landeskirchen Dresden und Magdeburg wird ebenfalls lediglich für eine Weiterführung der Diskussion über Strukturfragen plädiert.
Bezeichnend sind die Haltungen der Landeskirchen Görlitz, Greifswald und Berlin-Brandenburg, die sich grundsätzlich für eine Weiterführung der Diskussion über die Strukturfragen auf der Grundlage der »EKD«-Konzeption bei Betonung der Beibehaltung der Einheit der »EKD« einsetzen und progressive Kräfte, die gegen den Entwurf in dieser Form auftreten, zurückzudrängen versuchen.
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