Notstandsübung des BGS
28. Juni 1968
Einzelinformation Nr. 703/68 über Notstandsübung des Bundesgrenzschutzes (BGS) im Bereich des Grenzschutzkommandos Süd
Vom 27.5.1968, 7.00 Uhr, bis 29.5.1968, 9.00 Uhr, fand eine Notstandsübung des BGS im Bereich des Grenzschutzkommandos Süd statt.
An der Übung nahmen Einheiten des 1. Gruppenstabes Deggendorf,
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die GSA II/1 Nabburg
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die GSA III/1 Schwandorf
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die GSA I/1 Deggendorf
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sowie des 2. Gruppenstabes Coburg,
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die GSA I/2 Bayreuth/Laineck
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die GSA IV/2 Coburg
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die GSA II/2 Coburg
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die GSA III/2 Oerlenbach
teil.
Beide Gruppenstäbe arbeiteten auf verschiedenen Frequenzen und organisierten das Zusammenwirken über Funk.
Die Übung umfasste den gesamten Bereich des Grenzschutzkommandos Süd, beginnend an der Staatsgrenze DDR/WD bzw. ČSSR/WD bis in eine Tiefe von ca. 120 km. Jeder Gruppenstab hatte entsprechend seines Verantwortungsbereiches die einzelnen Geländeabschnitte zu besetzen.
Im Bereich des 1. Gruppenstabes wurden nachfolgende Orte erkannt, die während der Übung ange- bzw. durchfahren worden sind:
Befehlsstelle: Neumarkt:
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GSA II/1: Weiden, Schirnding, Selb, Neustadt, Kemnath, B 85
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GSA III/1: Ursensollen, Grünsberg, Neumarkt
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GSA I/1: Kemnath, Parsberg
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Bereich des 2. Gruppenstabes:
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Befehlsstelle: Bamberg
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GSA I/2: Rehau, Großer Kornberg, Untersteinach, Kautendorf, Kulmbach, Bayreuth, Bamberg, Höhe 534, Ochsendorf
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GSA IV/2: Breitengüsbach, Staffelstein, Langenfeld, Scheßlitz, Wattendorf
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GSA II/2: Kronach, Bamberg, Forchheim, Ebrach, Schweinfurth
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GSA III/2: Raum Würzburg, Hofheim
Während der Übung wurden mehrmals die Kräfte des Gegners umgruppiert und zwar von der Grenze weg in Richtung Hinterland. Dies erfolgte immer dann, wenn ein angenommener Gegner (von den BGS-Angehörigen als Störer bezeichnet) in anderen Geländeabschnitten (im Hinterland) wirksam wurde.
Die Umgruppierung der Kräfte der beiden Gruppenstäbe erfolgte jeweils zum gleichen Zeitpunkt. So unter anderem wurde eine Umgruppierung am 27.5.1968, 23.45 Uhr, und am 28.5.1968, 19.30 Uhr, vollzogen. Am letztgenannten Tag wurden die einzelnen Einheiten beider Gruppenstäbe gegen 21.30 Uhr aufgefordert, ihre Fahrt zu stoppen, günstige Aufbaupunkte für die Befehlsstellen auszuwählen und Funkverkehr zu diesen aufzunehmen.
Die einzelnen Funksprüche beinhalteten in der Mehrzahl:
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das Erkennen und Liquidieren gegnerischer Gruppen
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Kraftfahrzeug-, Zug- und Personenkontrollen
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das Auffinden von Waffen, Munition, Sprengstoff und Lebensmittel
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Angsteinkäufe der Grenzbevölkerung
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das Vorbereiten zur Flucht aus dem Grenzgebiet seitens der Bevölkerung
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Grenzverletzungen durch Personen und Flugzeuge
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Demonstrationen gegen die Notstandsgesetzgebung
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Streiks in den Betrieben Plaste Rehau und Kugellagerfabrik Schweinfurt
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Angriffe auf BGS-Angehörige
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Beschädigung von Bahnkörpern durch Sprengungen
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Ausheben von Bandenschlupfwinkeln
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Durchsuchung von Waldgebieten nach Gegnern (Störern) und anderen verdächtigen Personen sowie versprengten Gruppen
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Verteilen von Flugblättern
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Großbrand in der Bayreuther Baumwollspinnerei – Löscharbeiten durch Kfz-Sperren im Fabrikgelände behindert
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Polizei zum Schutz der Regierung von Oberfranken eingesetzt
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Überfälle auf Bürgermeister
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Überfall auf Gefängnis Bayreuth und verstärkte Sicherung des Jugendgefängnisses Ebrach
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Abwehren eines Überfalles auf den Sender Ochsenkopf1
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Verhinderung eines Sprengstoffanschlages auf das Fernmeldeamt Bayreuth – FA-Verkehr behindert
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Ausfall der Stromversorgung in Nordoberfranken durch Ausfall eines Schalthauses in einem Umspannwerk
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Verhinderung des Eindringens von als Handwerker getarnten Störern bei der Bundeswehr in Breitengüsbach, die Sprengstoff bei sich hatten
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Absicherung der Mainbrücken Schweinfurth und Würzburg mit dem Ziel, Sprengstoffanschläge, Sabotageakte usw. zu verhindern
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Sabotageakte durch Fremdarbeiter2 in großer Kugellagerfabrik Schweinfurth
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Kraftfahrzeugsperren auf BAB
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Einschleusen von Personen in die Bundesrepublik
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Beobachtung der Eisenbahnverbindungen Süd – Nord
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Erkennen von Übungen auf dem Gebiet der ČSSR
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Festnahme von Überläufern der ČSSR-Armee sowie Feststellen bewaffneter Konflikte.
Von jeder GSA nahmen aber nicht alle BGS-Angehörigen an dieser Übung teil, da die Grenzüberwachung wie an anderen Tagen normal verlief. Die genaue Stärke der Übungsteilnehmer wurde nicht bekannt.
Verbindungsarten
Während der Übung wurde die Verbindung über UKW-Funk (Relais) und zum anderen über Kurzwellen-Funk sowie Telefon aufrechterhalten. Das Zusammenwirken der einzelnen Gruppenstäbe mit ihren Einheiten erfolgte durch UKW und Telefon. Ein Zusammenwirken zwischen dem Kommando Süd und den einzelnen Gruppenstäben konnte auf UKW-Basis nicht festgestellt werden. Das einheitliche Handeln der einzelnen Gruppenstäbe zu den gleichen Zeitpunkten deutet jedoch darauf hin, dass die gesamte Übung vom Kommando Süd geleitet und seine Verbindung zu den einzelnen Gruppenstäben nur durch Kurzwellen-Funk und Telefon aufrechterhalten wurde.
Besondere Bedeutung wurde während der Übung der Nachtsicherung der beiden Gruppenstäbe beigemessen. Die einzelnen Einheiten operierten während der Übung mit vorgefertigten Kartenblättern mit den Deckbezeichnungen »Libelle«, »Birne«, »Fichte« vom 1. Gruppenstab [sowie] »Titus«, »Birne«, »Fichte« vom 2. Gruppenstab.
Die Weisungen der einzelnen Gruppenstäbe an ihre Einheiten erfolgten nach Koordinaten unter Verwendung des jeweiligen Decknamens des Kartenblattes. Die an der Übung beteiligten Einheiten setzten ihre Funksprüche (vorgefertigte) nach dem gleichen Schema ab. Die einzelnen Funksprüche der Einheiten wurden von der Übungsleitung nachgesendet, aufgenommen und die Funkgespräche registriert. Zur Unterstützung der Übung wurden vom Grenzschutzkommando (GSK) Süd zwei Hubschrauber vom Typ »Alouette« eingesetzt.
Die einzelnen Einheiten waren verpflichtet, bis früh 6.00 Uhr eine Lagemeldung an die Befehlsstelle des Gruppenstabes abzusetzen, die u. a. beinhaltete:
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Tätigkeit des Gegners,
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Schwerpunkte der Abteilung für den Tag,
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Versorgungsfragen,
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eigene Verluste.
Die Übung des GSK Süd wurde am 29.5.1968, 9.00 Uhr, beendet. Der Rückmarsch der einzelnen Einheiten in ihre Standorte war nicht vor 12.00 Uhr angesetzt. Die taktischen Führer der einzelnen GSA waren für den Rückmarsch verantwortlich und hatten das Eintreffen in ihren Unterkünften dem GSK Süd zu melden.
Die Befehlsstelle des 1. Gruppenstabes bedankte sich bei allen Einheiten für das Mitwirken an der Übung. Für den 29.5.1968, 12.00 Uhr, wurde eine Übungsbesprechung (wahrscheinlich Abschlussbesprechung) in der neuen Unterkunft der Bayrischen Bereitschaftspolizei in Nürnberg, Kornburger Straße 60, (Nürnberg-Süd) angesetzt. Die Befehlsstelle des GSK Süd war bis 12.00 [Uhr] besetzt und fernmündlich zu erreichen. Die Übungsleitung befand sich bereits ab 11.00 Uhr am Ort der Besprechung.
Einschätzung des geführten Funkverkehrs während der Übung
Das Zusammenwirken zwischen dem jeweiligen Gruppenstab und den einzelnen Einheiten über Funk erfolgte entsprechend der Funkvorschrift. Von den Übungsteilnehmern des BGS und den einzelnen Befehlsstellen konnten keinerlei Funkverstöße festgestellt werden. Der Funkverkehr wurde kurz, exakt und entsprechend dem Charakter der Übung abgewickelt.
Besonders konspirativ wurde der Funkverkehr im grenznahen Raum an der Staatsgrenze WD/ČSSR sowie WD/DDR geführt. Offener gestaltete sich der Funkverkehr beim Operieren der Einheiten im Hinterland. Die einzelnen Befehlsstellen versuchten auf dem Marsch ihre Standortangabe unter Verwendung von Kfz-Kennzeichen (Anfangsbuchstaben) sowie Anfangsbuchstaben des Ortes zu verschleiern. Die Funkverbindung war während der gesamten Übung stabil.
Kleine Differenzen zwischen der Befehlsstelle des 1. Gruppenstabes und einer ihr unterstellten Einheit gab es hinsichtlich des Absetzens des Spruchkopfes, die aber nach kurzer Zeit auf Befehlsbasis geklärt wurden.
Versorgungsschwierigkeiten wurden nicht bekannt.
Am 10.6. und 11.6.1968 führten die Kräfte des BGS Kommando Mitte eine Übung durch. An dieser Übung nahmen mehrere Hundertschaften sowie Angehörige der Fliegerstaffel des BGS teil. Die Übung fand im Raum zwischen Witzenhausen und Göttingen statt. Dies konnte aus den in den Meldungen genannten Ortsnamen erkannt werden. Nachfolgende Orte3 wurden genannt: Berlepsch, Ellerode, Gertenbach, Deiderode, Mollenfelde, Gieseberg [und] Witzenhausen.
Charakteristisch für diese Übung war, dass der Abmarsch aus Bereitschaftsräumen zu bestimmten Orten erfolgte, um dort gegnerische »rote Kräfte« zu bekämpfen. Es ist anzunehmen, dass diese Übung einen ähnlichen Charakter trug, wie die des BGS Süd in der Zeit vom 17.5. bis 29.5.1968.
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Der Funkverkehr wurde auf folgende Frequenzen durchgeführt:
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76,725 MHz4 – 77,4 MHz
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86,6 MHz – 86,625 MHz
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86,725 MHz – 77,5 MHz
Es ist zu vermuten, dass ein genauer Plan vorhanden war, aus dem hervorging, wann die Frequenzen gewechselt werden sollten. Der Frequenzwechsel wurde ohne vorausgegangenen Anruf vollzogen.
Bei der Aufklärung bestimmter Räume stützte man sich auch auf Wahrnehmungen der Bevölkerung.
Nach Beendigung der Übung erfolgte der Rückmarsch über die BAB-Raststätte Göttingen. Die Übungsteilnehmer erhielten anschließend einen Tag dienstfrei, während die Angehörigen der Standorte Hangelar und Fulda je zwei Tage dienstfrei erhielten.
Während der Dauer der Übung wurde die normale Streifentätigkeit der Kräfte des BGS aufrechterhalten.
Die Korrespondenten wurden von der Zentrale aufgefordert, nur wichtige Meldungen über Funk durchzugeben, um die Übung nicht zu gefährden.