Probleme in der Landwirtschaft im Kreis Osterburg
1. April 1968
Einzelinformation Nr. 353/68 über einige Probleme der Landwirtschaft im Kreis Osterburg, [Bezirk] Magdeburg
Die dem MfS zu Problemen der Landwirtschaft im Kreis Osterburg, [Bezirk] Magdeburg, vorliegenden Hinweise beziehen sich im Wesentlichen auf
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Fragen der Leitungstätigkeit des Kreislandwirtschaftsrates, der Produktionsleitung bzw. der Arbeitsaktive der Produktionsleitung und
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Meinungen von Genossenschaftsbauern und Funktionären zu Entwicklungsproblemen der Landwirtschaft.
Bei der Einschätzung der Leitungstätigkeit der Kreisproduktionsleitung ist von der im Herbst 1965 erfolgten Zusammenlegung der Produktionsleitungen Osterburg und Seehausen auszugehen. Dabei gab es insbesondere in der ersten Zeit nach der Zusammenlegung Erscheinungen, dass durch die Produktionsleitung und ihre Mitarbeiter den LPG zu wenig praxisverbundene Hilfe und Anleitung gewährt wurde. Im Laufe der Zeit ist jedoch durch kritische Auseinandersetzungen in der Produktionsleitung, die durch die Initiative der Kreisleitung der Partei organisiert worden waren, eine Verbesserung der gesamten Leitungstätigkeit, der Anleitung und Kontrolle der LPG sowie die Klärung der perspektivischen Entwicklung der sozialistischen Landwirtschaft im Kreisgebiet erreicht worden. Insgesamt ist festzustellen, dass sich das Vertrauensverhältnis zwischen den LPG und der Produktionsleitung weiter gefestigt hat.
Die Leitungstätigkeit der Produktionsleitung und ihre Wirksamkeit wird insgesamt so eingeschätzt, dass
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die Anleitung der LPG nur zum Teil befriedigend sei;
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ein zu liberales Herangehen an die Fragen des Produktionszuwachses bestehe;
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die Entwicklung der kooperierten Arbeit nach dem Neuholländer Beispiel noch nicht gelungen sei;
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das Heranführen zurückgebliebener LPG an das Niveau der fortgeschritteneren LPG nicht konsequent betrieben werde.
Als eine der wesentlichsten Schwächen der Produktionsleitung wird die unzureichend entwickelte Kontrolle der gefassten Beschlüsse bezeichnet. So käme bereits der Sekretär der Produktionsleitung seinen Kontrollaufgaben nicht nach, was u. a. für den kampagnemäßigen Arbeitsstil mit ausschlaggebend sei. Obwohl im Rahmen der vier- bis sechswöchigen Beratungen mit LPG-Vorsitzenden der Inhalt von wichtigen Beschlüssen vermittelt wird, erfolgt nicht in jedem Fall eine Kontrolle in allen LPG auf Einhaltung und Realisierung der Empfehlungen. Dabei handelt es sich um so wichtige Probleme wie
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Entwicklung der landwirtschaftlichen Marktproduktion und deren Planerfüllung,
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Entwicklung der pflanzlichen und tierischen Produktion,
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Spezialisierungsmaßnahmen und Probleme der Kooperationsgemeinschaften,
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Qualifizierungsmaßnahmen u. a. m.
Die Mitarbeit einzelner Mitglieder der Produktionsleitung ist unterschiedlich. Während die meisten Mitglieder verständnisvoll und kritisch an die Probleme der einzelnen LPG herangehen und sie in ihrer Anleitungs- und Kontrollpflicht berücksichtigen, gibt es immer noch einzelne Mitglieder mit Spezialkenntnissen, die nur bei speziellen Problemen offen in den LPG auftreten.
Die Erhöhung der Wirksamkeit der Produktionsleitung ist bei der Vielzahl der vorhandenen LPG (91 LPG Typ III und 55 LPG Typ I)1 zurzeit noch relativ schwierig. Deshalb versucht man seit Herbst 1967, jeden Mitarbeiter der Produktionsleitung für mehrere LPG vollverantwortlich einzusetzen, ihm die Anleitung und Kontrolle für die Beschlüsse der Produktionsleitung zu übertragen und die Anregungen und Hinweise der LPG-Vorstände und Genossenschaftsbauern zu verallgemeinern. Diesen Aufgaben sind noch nicht alle Mitarbeiter der Produktionsleitung gewachsen.
Gegenwärtig gibt es Versuche, zur Erhöhung der Qualität der Führungstätigkeit 14tägige Abteilungsbesprechungen durchzuführen, in denen abrechenbare Aufgaben und Rechenschaftslegungen der Mitarbeiter in den Mittelpunkt der Beratung gestellt werden.
Außerdem wurden durch die Produktionsleitung ständige Rechenschaftslegungen in Verbindung mit LPG-Vorständen und Kooperationsräten in etwa vierwöchigen Abständen organisiert und finden allgemeine Zustimmung.
Die Tätigkeit des landwirtschaftlichen Beratungsdienstes entwickelte sich im letzten Jahr positiv. Besondere Verdienste erwarben sich die Mitarbeiter bei der Konzipierung der Perspektivpläne. Die Mitarbeit wird von den LPG gut eingeschätzt. Gegenwärtig helfen sie einigen Kooperationsgemeinschaften, die gemeinschaftliche Feldarbeit zu organisieren.
Unter der Anleitung der Produktionsleitung arbeiten zurzeit 15 Arbeitsaktivs, in denen erfahrene Praktiker mitwirken. Ihre wesentlichen Aufgaben bestehen in
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der Vorbereitung von Vorlagen für Beratungen des Landwirtschaftsrates,
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der Erarbeitung von Konzeptionen der perspektivischen Entwicklung,
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der Vorbereitung zur Bestellung und zur Erntekampagne,
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der Anleitung der Kader in den LPG,
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Untersuchungen und Analysen einzelner LPG.
Während die meisten Arbeitsaktivs eine dem Leistungsniveau angemessene Zuarbeit leisten, wird von den Arbeitsaktivs für Planung und Ausbildung eine größere Aktivität bei der Lösung von übertragenen Aufgaben erwartet.
Unter den Genossenschaftsbauern bestehen gegenwärtig zu verschiedenen Problemen folgende erwähnenswerte Auffassungen: Eine Reihe von LPG erreichten im letzten Jahr nicht den Plan, sodass eine geringere Endauszahlung als erwartet eintrat. Dies führte vielfach zu unzufriedenen Äußerungen. Darunter befinden sich solche allgemein bereits bekannten Argumente wie
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Ursache der unbefriedigenden Situation läge in der sozialistischen Entwicklung der Landwirtschaft, die Richtigkeit dieses Entwicklungsweges sei zu bezweifeln;
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der Zusammenschluss zu Kooperationsgemeinschaften würde nicht dazu beitragen, dass sich die LPG in Zukunft finanziell stärken könnten.
Dem Gesamtkomplex »Bildung von Kooperationsgemeinschaften« stehen nach den dem MfS bekannt gewordenen Faktoren noch Fälle eines gewissen »inneren Widerstandes« und »passiven Verhaltens« entgegen. Obwohl sich leitende Kader und LPG-Mitglieder öffentlich zur Kooperation bekennen, werden von ihnen kaum Schritte zur praktischen Verwirklichung eingeleitet.
Vereinzelt zeichnet sich andererseits ab, dass LPG-Vorsitzende, die sich mit aller Kraft auf die Entwicklung von Kooperationsgemeinschaften konzentrieren, ihre eigene Arbeit in den LPG vernachlässigen und in diesen LPG sich dadurch rückläufige Tendenzen abzeichnen. Diese Mängel werden von verschiedenen Kräften innerhalb der LPG als Argument gegen eine fortschrittliche Entwicklung benutzt.
In den Jahreshauptversammlungen beriet man häufig nur ökonomische Probleme der LPG, ohne sie mit den politischen Tagesfragen (Verfassungsdiskussion,2 Wettbewerb zu Ehren des 20. Jahrestages der DDR usw.) in Verbindung zu bringen.
Gegenstand weiterer Diskussionen waren kritische bzw. skeptische Äußerungen zum Wettbewerbsprinzip nach der Neuholländer Methode,3 wobei die Behauptung aufgestellt wurde, diese Methode wäre nicht für den eigenen Kreis geeignet (LPG Heiligenfelde, Bretsch, Falkenberg) und die Prinzipien der sozialistischen Betriebsführung würden auch keinen größeren Nutzen erbringen. Selbst leitenden Kadern fehlt es noch an der notwendigen Einstellung zu diesen Entwicklungsfragen. Außerdem wird befürchtet, dass bei Eintritt in eine Kooperationsgemeinschaft mit geringerem Verdienst zu rechnen sei.
Unter LPG mit hohen Einnahmen ist mitunter eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber der weiteren Steigerung der Marktproduktion verbreitet. Mit den Argumenten, es würde alles »laufen« und man brauche nicht mehr viel »tun«, wird die Notwendigkeit verneint, neue herangereifte Probleme der Entwicklung und der Kooperation zu beraten (LPG Kossebau, Kerkühn, Ellingen).
Aus LPG Typ I wird in einigen Fällen eine solche Meinung bekannt, dass man sich mit der LPG-Bildung an sich noch nicht abgefunden hätte, sich jetzt aber bereits mit der Schaffung von Kooperationsgemeinschaften befassen solle.
Der Empfang westlicher Rundfunk- und Fernsehanstalten, einschließlich des Empfangs des 2. Programms, ist stark verbreitet und macht sich allgemein hemmend bemerkbar. In Aussprachen wurde z. B. offen (LPG Lichterfelde, Heiligenfelde, Kleinau, Glachigau, Vielbaum u. a.) auf Argumente des Westfunks Bezug genommen und erklärt, die Kooperation würde zu landwirtschaftlichen Großbetrieben führen.
Häufig ist durch die ungenügende Klärung der Perspektive auch die Meinung anzutreffen, nur noch einige Jahre bis zur Erreichung des Rentenalters arbeiten zu wollen, und deshalb brauche man auch keine kooperative Arbeit mehr (LPG mit vorwiegend älteren Menschen, wie z. B. Degnede-Röthenberg, Krumke, Genzien, Glachigau, Bretsch, Stapel, Pollitz, Einwinkel).
In den LPG Groß- und Klein-Ellingen mit ehemals wirtschaftsstarken Bauern gibt es erhebliche Schwierigkeiten bei der Durchsetzung neuer Entwicklungstendenzen in der Landwirtschaft. Beispielsweise haben Kreisleitung und Produktionsleitung bisher erfolglos an der Bildung einer Kooperationsgemeinschaft gewirkt.
Zum Jahresende 1967 kündigten 16 LPG-Vorsitzende mit der Begründung, den Perspektivaufgaben aufgrund ungenügender fachlicher Eignung nicht nachkommen zu können. Einige Kündigungen wurden nach eingehenden Aussprachen zurückgezogen. In einigen LPG mussten jedoch Vorsitzende ohne genügende Qualifikation eingesetzt werden.
Massive Austrittserscheinungen wurden in der Vergangenheit nur in der LPG Wasmerslage festgestellt. Dort versuchten zehn LPG-Mitglieder zu kündigen, falls ihrer Forderung nach Anschluss der LPG an das VEG nicht nachgekommen werden sollte.
Weitere Diskussionen gibt es zu folgenden Problemen:
- 1.
Für die Entwicklung von Kooperationsgemeinschaften auf dem Gebiet der tierischen Produktion stünde im Kreis nicht genügend Baukapazität für die Schaffung von Großanlagen zur Verfügung. Genossenschaften mit der Hauptproduktionsrichtung tierische Marktproduktion sind der Auffassung, die kooperative Entwicklung wäre nur mit Großanlagen möglich.
- 2.
Die Leitungsstruktur, z. B. VEG (Z), VEG (B)4 und LPG, behindere die weitere Entwicklung der sozialistischen Landwirtschaft im Kreis. Diese Leitungsstruktur würde sich nachteilig auf die Planung der Kooperation auswirken, und es wurde die Forderung erhoben, alle Betriebsformen von kreismäßiger Ebene zu planen.
- 3.
Die Entwicklung der Jungviehaufzucht in einem Teil des Kreises werde gehemmt, da die Schlachtviehauflage Rind »ungerechtfertigt hoch« sei und die Umrechnung auf Getreideeinheiten nicht dem Aufwand entspräche.
- 4.
Unzufriedenheit herrscht über die jährliche Verteilung der Stickstoffdüngemittel. Behauptet wird, VEG erhalten meist den doppelten Anteil Düngemittel gegenüber dem Kontingent der LPG und würden auch noch 60–80 % des Jahreskontingents im 1. Halbjahr ausgeliefert erhalten, während die LPG etwa nur die Hälfte des Jahreskontingents im 1. Halbjahr erhalten.
- 5.
Die Ersatzteilversorgung sei durch die Vielzahl von Maschinentypen erschwert, wodurch die Stillstandszeiten sehr hoch seien und die LPG kostenmäßig außerordentlich belasten. Die planmäßige Ersatzteilzuführung für einige Maschinentypen wird als mangelhaft bezeichnet, und die Qualität der Ersatzteile soll sich außerdem auch noch verschlechtert haben. Manche LPG organisieren reguläre Republikrundfahrten, um Ersatzteile zu besorgen.
- 6.
Unverständnis besteht über die Einstellung des Wischeprogramms5 und die Streichung entsprechender Investitionsmittel. Man schlussfolgert teilweise, die Wische wäre »abgeschrieben« und keiner wüsste einen Weg der weiteren Perspektive.
- 7.
Besonders durch Bewohner der Wische wurden Forderungen an Funktionäre herangetragen, für die Beseitigung von Wegeschäden Sorge zu tragen, die durch Manöver verursacht würden6 und die ackerbauliche Maßnahmen erschwerten und den LPG unnötige Kosten brächten.
Feindliche Diskussionen und Erscheinungen der Feindtätigkeit wurden in der Durchführung der Jahreshauptversammlungen und in Vorbereitung der Kreisbauernkonferenz nicht bekannt.
Die Einschätzungen, die in diesem Bericht zu den verschiedenen Problemen gegeben werden, beruhen im Wesentlichen auf Auffassungen und Meinungen von Beschäftigten und Fachleuten in der sozialistischen Landwirtschaft und im Staatsapparat.