Probleme mit Gastspielen im nichtsozialistischen Ausland
16. September 1968
Einzelinformation Nr. 1043/68 über einige Probleme im Zusammenhang mit Gastspielen von Ensembles der DDR im nichtsozialistischen Ausland
Im Zusammenhang mit der gegenwärtig in Vorbereitung befindlichen Ausarbeitung der Prinzipien für das Auftreten von Kulturensembles der DDR bei Gastspielen in nichtsozialistischen Ländern erachtet es das MfS für notwendig, auf folgende Probleme aufmerksam zu machen:
Trotz der zweifellos positiven politischen Wirksamkeit des Auftretens von Ensembles der DDR im nichtsozialistischen Ausland sind dem MfS eine Reihe Faktoren bekannt, wonach die kulturpolitischen Erfolge dieser Gruppen teilweise stark beeinträchtigt werden. Diese Beeinträchtigung erfolgt z. B. durch unverantwortliche politische Verhaltensweisen, durch ungenügende politisch-ideologische Festigkeit einiger Kulturschaffender und durch ungenügende Kenntnis der politischen und Klassenkampfsituation in andern Ländern.
Außerdem kam es in mehreren Fällen anlässlich dieser Gastspielreisen zu Republikfluchten von Ensemble-Mitgliedern (z. B. während der Gastspiele des Ensembles der Deutschen Staatsoper Berlin vom 16. bis 30.5.1968 in Lausanne/Schweiz, des Kreuzchores Dresden in Österreich und in der Schweiz vom 9.3. bis 20.3.1968,1 des Bachorchesters des Gewandhauses Leipzig in der Schweiz am 8.2.1968).
Besonders von westdeutschen, aber auch anderen westeuropäischen Presseorganen werden diese Vorkommnisse unmittelbar aufgegriffen und hochgespielt. Dominierend bei der »Auswertung« derartiger Vorkommnisse ist die Hetze gegen die Erfolge der Gastspiele der DDR, wobei der Republikverrat jeweils stark in den Vordergrund gestellt wird – mit dem offenkundigen Ziel der internationalen Schmälerung der kulturpolitischen Erfolge der DDR-Ensembles.
Bei der Auswertung von Gastspielen durch die Ensembleleitungen und zum Teil durch das Ministerium für Kultur ist festzustellen, dass vorwiegend die kulturellen Erfolge der Aufführungen im Ausland, die ausverkauften Häuser und die künstlerische Leistung Maßstab der Bewertungen sind. Dagegen werden Beeinträchtigungen der Erfolge durch unverantwortliche politische Handlungsweisen ungenügend berücksichtigt und nicht in notwendigem Maße ausgewertet. Auch wird bei der Berichterstattung nach erfolgten Gastspielreisen nicht ausreichend Wert auf konkrete Einschätzungen und Angaben hinsichtlich erfolgter oder versuchter politischer Provokationen gelegt, um daraus Maßnahmen für die weitere politisch-ideologische Erziehungsarbeit abzuleiten.
Aus diesen Erwägungen heraus wird vorgeschlagen, bei der Ausarbeitung der Prinzipien für das Auftreten von Kulturensembles der DDR bei Gastspielen in nichtsozialistischen Ländern folgende Fakten zu beachten:
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Bei der Beratung und Beschlussfassung zu Fragen der Gastspiele von Ensembles im nichtsozialistischen Ausland sollte die persönliche Verantwortung der Ensembleleitungen und der verantwortlichen Kader im Ministerium für Kultur weiter erhöht werden. Das trifft besonders zu für die exakte politische Auswahl der Reisekader und ihre politische Anleitung vor und während der Gastspiele.
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Die Verträge für Gastspiele sollten durch das Ministerium für Kultur rechtzeitig abgeschlossen werden, sodass ausreichend Zeit zur Verfügung steht, um das Gastspiel nicht nur vom künstlerischen Standpunkt, sondern auch von der politischen Wirksamkeit her vorzubereiten. Das müsste z. B. durch eine gründlichere Kaderauswahl und eine umfangreiche qualifizierte politisch-ideologische Vorbereitung der Ensemble-Mitglieder erfolgen, damit nicht nur der künstlerische, sondern in gleichem Maße der politische Erfolg gewährleistet wird.
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Durch das Ministerium für Kultur sollte der Einfluss auf die zentralen Kulturensembles – wie Deutsche Staatsoper u. a. – in der Form verstärkt werden, dass deren verantwortliche Leiter nicht ohne Zustimmung der Leitung des MfK Verträge über Gastspielreisen mit ausländischen Partnern abschließen bzw. solche mündlichen Vereinbarungen treffen, die einen Vertragsabschluss unumgänglich machen.
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Gastspielen von Ensembles im nichtsozialistischen Ausland sollte nicht zugestimmt werden, wenn nicht gewährleistet ist, dass geeignete staatliche Vertreter des MfK oder der Deutschen Künstleragentur als kulturpolitische Betreuer in die Vorbereitung und Durchführung der Gastspiele mit einbezogen werden. Als verantwortliche Funktionäre der Gastspiel-Ensembles und als staatliche Vertreter und kulturpolitische Betreuer sollten nur solche Personen zum Einsatz kommen, die ihr hohes politisches Verantwortungsbewusstsein und ihre Fähigkeit, auf die Ensemblemitglieder politisch richtig einzuwirken und mit ihnen entsprechend umzugehen, bei ihnen Verständnis und Autorität zu erlangen, bereits überzeugend unter Beweis gestellt haben.
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Es sollte eine Überprüfung der bisherigen Praxis der Auswertung der Gastspielreisen erfolgen, und zwar unter dem Aspekt einer verbesserten Einschätzung der politischen Wirksamkeit und der Herausarbeitung von Schlussfolgerungen für die weitere Verbesserung der Durchführung von Gastspielen im nichtsozialistischen Ausland.