Proteste aus kirchlichen Kreisen zum Abriss der Garnisonkirche
15. Mai 1968
Einzelinformation Nr. 533/68 über Proteste aus kirchlichen Kreisen zum geplanten Abriss der ehemaligen Garnisonkirche in Potsdam
Durch den Rat des Bezirkes Potsdam wurde entsprechend des am 26.4.1968 gefassten Beschlusses der Stadtverordnetenversammlung Potsdam im Zuge der städtebaulichen Planung der Abriss der Garnisonkirche1 verfügt.
Die evangelische Kirchenleitung hat von diesem Beschluss Kenntnis, da an der Stadtverordnetenversammlung verantwortliche Vertreter der Kirche teilnahmen (Generalsuperintendent Dr. Lahr,2 Superintendent Stubbe3 und zwei Vertreter des Gemeindekirchenrates.)
Am gleichen Tage – 26.4.1968 – wurde durch Vertreter des Staatsapparates mit dem für die Garnisonkirche zuständigen Pfarrer Dittmer4 über den Verkauf des Grundstückes an die Stadt Potsdam verhandelt. Dittmer verhielt sich dabei abweisend und übersandte dem Stadtrat für Finanzen beim Rat der Stadt Potsdam am 2.5.1968 eine schriftliche Ablehnung.
Daraufhin erfolgte auf der Grundlage des Aufbaugesetzes durch den Staatsapparat eine Inanspruchnahme des Grundstückes, die protokollarisch beim Stadtrat für Finanzen vorliegt. Über diese Maßnahme wurde die evangelische Kirche Potsdam in Kenntnis gesetzt mit dem Vermerk, dass ihr gleichzeitig 584 000 Mark auf ein Sperrkonto überwiesen werden. (Eine Klausel zur Übergabe des Sperrkontos besagt, dass dieses Geld nur für kirchenbauliche Zwecke innerhalb der Stadt Potsdam verwendet werden darf.)
Dem MfS wurde bekannt, dass im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Abriss der Garnisonkirche bei der evangelischen Kirchenleitung Berlin-Brandenburg vor längerer Zeit ein »Komitee für den Wiederaufbau der Garnisonkirche in Potsdam« gegründet wurde. Diesem »Komitee« gehören an:
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Bischof Schönherr5/Berlin,
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Generalsuperintendent Lahr/Potsdam,
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Oberkonsistorialrat Stolpe6/Potsdam (Jurist),
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Superintendent Schröder7/Zossen (von 1939–1946 erster Pfarrer an der Garnisonkirche).
Diese Personen befassten sich besonders seit Anfang 1968 in zunehmendem Maße mit dem Bauzustand der Kirche und verfolgten und analysierten ständig die im Zusammenhang mit der Garnisonkirche eingeleiteten staatlichen Maßnahmen wie Absperrungen, Vermessungen usw. Verstärkt wurde versucht, bei staatlichen und städtischen Institutionen einen Wiederaufbau der Kirche durchzusetzen. Zur Untermauerung der Forderungen der Kirche wurde durch dieses »Komitee« versucht, möglichst aus breiten Schichten der Bevölkerung sogenannte Eingaben an staatliche Stellen zu organisieren, wobei die Kirche bestrebt war, in der Öffentlichkeit nicht als Organisator in Erscheinung zu treten.
Insgesamt sind staatlichen Stellen in Potsdam bisher 19 Eingaben zugegangen, wobei einige Eingaben die Unterschrift mehrerer Personen tragen. Die Eingaben stammen ausnahmslos von kirchlich gebundenen Kräften (Superintendenten, Pfarrern, Gemeinderatsmitgliedern, Orgelbauern, Architekten, Denkmalspflegern und dergleichen). In drei Fällen liegen außerdem fernschriftliche Eingaben aus dem kapitalistischen Ausland vor, und zwar aus der Schweiz und aus Schweden (2 ×), wobei es sich bei den Absendern um Denkmalspfleger und Theologen (Universitätsprofessoren) handelt. (Vier der kompaktesten Eingaben werden in der Anlage abschriftlich beigefügt.)
Die kirchliche Argumentation gegen den Abriss der Garnisonkirche beinhaltet im Wesentlichen Folgendes:
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Der Beschluss über den Abriss müsse als Affront gegen die Kirche aufgefasst werden. Der Turm der Kirche sei architektonisch berühmt. In der Kapelle des Turmes hätten bis 1965 kirchliche Veranstaltungen stattgefunden.
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Einsturzgefahr als Begründung für die Sprengung sei ein Vorwand und werde von der Kirche nicht anerkannt. Über einen noch angeblich guten baulichen Zustand lägen der Kirchenleitung fachliche Gutachten vor.
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Die Argumente staatlicher Organe in Bezug auf die Geschichte der Kirche seien einseitig. Es wird in dem Zusammenhang darauf verwiesen, dass 1805 in der Garnisonkirche der Grundstein der deutsch-russischen Waffenbrüderschaft gegen Napoleon8 gelegt wurde (gemeinsamer Schwur des russischen Zaren Alexander I.9 und des Preußenkönigs Friedrich-Wilhelm III.10 mit seiner Frau, der Königin Luise,11 am Sarge Friedrichs II.12). Die Garnisonkirche sei als einzige Kirche in Potsdam nicht in der Hand der Deutschen Christen gewesen. Sie sei ein Zentrum der sogenannten Fremdarbeiter gewesen. Pfarrer Schröder habe sogar jüdischen Verfolgten in der Kirche Unterschlupf und Schutz gewährt. Weiterhin seien im Heizungsraum illegale Versammlungen von KPD-Mitgliedern mit Wissen des Pfarrers durchgeführt worden. Der Heizer soll Mitglied der KPD gewesen sein. Die Garnisonkirche habe sich als einzige Gemeinde um die Hinterbliebenen der Opfer der Bewegung des 20. Juli seelsorgerlich bemüht. So habe z. B. der damalige Pfarrer Schröder das Risiko auf sich genommen, die Tochter des Generals von Witzleben13 zu trauen. Pfarrer Schröder sei daraufhin vom Potsdamer Stadtkommandanten, General von Wulffen,14 seines Amtes als Garnisonspfarrer enthoben worden. Er verblieb an der Kirche als Zivilpfarrer.
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Die Gruft Friedrichs II. und seines Vaters sei nicht, wie oft angenommen würde, zur »Weihestätte des III. Reiches« erklärt worden. Hitler habe zwar diese Absicht geäußert, der damalige Gemeindekirchenrat mit Pfarrer Schröder habe dies jedoch verhindert. Schröder sei deshalb persönlich zum damaligen Innenminister beordert worden.
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Die Garnisonkirche sei Eigentum der Kirchengemeinde. Die Übergabe aus dem preußischen Staatsbesitz an die Gemeinde erfolgte 1946 oder 1947 und könne juristisch und dokumentarisch nachgewiesen werden. Alle Arten der Veränderung am Kirchengebäude müssten daher mit dem Eigentümer – der Kirchengemeinde – vertraglich geregelt werden. Die Abnahme der Läuteglocken sei seitens der Stadt Potsdam bereits eine Rechtsverletzung gewesen.
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Die Verfügung des Staatsapparates über den Abriss der Kirche ohne schriftliche Vereinbarungen stelle eine Verletzung aller demokratischen Prinzipien dar und sei ein grober Verstoß gegen die Verfassung der DDR.
Dem MfS wurde weiter bekannt, dass sich besonders Generalsuperintendent Lahr über die »Art und Weise der Übereignung des Grundstückes in Staatseigentum« ungehalten äußert. Er habe an der erwähnten Stadtverordnetenversammlung am 26.4.1968 mit dem Ziel teilgenommen, in einem vorbereiteten Diskussionsbeitrag seine Ablehnung zum Abriss vorzutragen, wobei er rechtzeitig eine schriftliche Anmeldung seiner Diskussion abgegeben habe. Die Diskussion sei jedoch »abgewürgt« worden, und er habe nicht das Wort ergreifen dürfen.
Lahr organisierte daraufhin am 28.4.1968 eine Gemeindeversammlung der Garnisonkirchengemeinde, die sehr gut besucht wurde. Er unterrichtete dabei die Anwesenden in provokatorischer Form über die Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung. In der Diskussion kam es zu Angriffen gegen die Beschlussfassung und die staatliche Kirchenpolitik.
Wie sich Lahr intern äußerte, will er erreichen, dass Mitglieder der Kirchenleitung Berlin-Brandenburg in dieser Sache beim Staatssekretär für Kirchenfragen vorstellig werden u. a. mit dem Ziel, das Problem eines »Enteignungsverfahrens durch den Staat« aufzuwerfen, sobald praktische Schritte zum Abriss der Garnisonkirche eingeleitet würden.
Vom Staatsapparat Potsdam wurde mit Wirkung vom 7.5.1968 ein Einsatzstab unter der Führung des Leiters der Staatlichen Bauaufsicht Potsdam gebildet, der für die Vorbereitung und Sprengung der Garnisonkirche verantwortlich zeichnet. Dem Einsatzstab gehören weiter Vertreter der Abteilung Innere Angelegenheiten, der VP sowie der Sprengmeister an.
Nach bisherigen Einschätzungen von Experten sind sieben große Sprengungen unumgänglich. Aus Sicherheitsgründen müssen zu den Sprengungen jeweils eine Vielzahl von Polstern angebracht werden, um Schäden in der näheren Umgebung des Objekts zu vermeiden. Im Umkreis von 150 m sind alle Grundstücke gefährdet und müssen zeitweilig geräumt werden.
Seit dem 12.5.1968 befinden sich Beauftragte des Rates der Stadt Potsdam im Einsatz, die die zeitweilige Evakuierung der in den 40 betreffenden Objekten wohnenden Personen vorbereiten. Aus diesem Personenkreis sind bisher keine ernsthaften Argumente gegen die Sprengung bekannt geworden.
Die erste Sprengung der vier Hauptsäulen mit einem Durchmesser von je 7×8 m sollte am 15. Mai 1968 erfolgen.
Um weiteren Protestschreiben vorzubeugen, wurde die erste Sprengung – eine sogenannte Testsprengung, bei der nur die acht Pfeiler innerhalb der Garnisonkirche gesprengt werden, um die Staubentwicklung und besonders die Schwingungen im Erdreich festzustellen – bereits am 14.5.1968 in der Zeit von 14.00 bis 15.00 Uhr durchgeführt. Diese Sprengung verlief ohne besondere Vorkommnisse.
Anlage 1 zur Information Nr. 533/68
[Brief an die Stadtverordnetenversammlung Potsdam]
An die Stadtverordnetenversammlung | Zu Händen der Tagungsleitung | Potsdam | Stadthaus Potsdam, am 26. April 1968
Wir unterzeichneten Bürger der Stadt Potsdam protestieren hiermit gegen das Verfahren bei der Behandlung der Frage des Abrisses der ehemaligen Garnisonkirche in der heutigen Stadtverordnetenversammlung. Zu Beginn der Sitzung wurde aufgrund eines Geschäftsordnungsantrages beschlossen, dass in dieser Sitzung nur Abgeordnete zu Wort kommen. Dabei wurde den Abgeordneten verschwiegen, dass seit dem 29.3.1968 ein Antrag des Kreiskirchenrates Potsdam vorliegt, in dieser Sache vor der Stadtverordnetenversammlung gehört zu werden. Eine diesbezügliche Mitteilung erfolgte erst während der Nachmittagsdebatte.
Infolge dieses Verfahrens wurde der Beschluss über den Abriss der Kirche gefasst, ohne dass die Stadtverordneten über die Gründe, die die Eigentümer der Kirche gegen den Abriss vorzubringen hatten, informiert wurden. Wir halten auch fest, dass die Eingabe von Herrn Schuke15 trotz seiner dringenden Bitte der Stadtverordnetenversammlung nicht zur Kenntnis gegeben worden ist. So ist der Beschluss der Abgeordneten zustande gekommen, ohne dass diese über die wichtigen Hinweise in der Eingabe auf die Pflege kulturhistorischer Bauten in der Sowjetunion und anderer sozialistischer Länder informiert wurden.
Wir sehen in diesem Verfahren, das wichtige Stimmen der Bürger von der Urteilsbildung ausschloss, einen Verstoß gegen den Grundsatz in Artikel 21, Absatz 1 der Verfassung: »Arbeite mit, plane mit, regiere mit«.16
gez. Briesemann | Dietrich Gülzow | [Name 1] | H. S. Schuke| Unterschrift17 | Dr. Lahr
Anlage 2 zur Information Nr. 533/68
[Brief an den Rat der Stadt Potsdam/Oberbürgermeisterin]
Hans-Joachim Schuke | Orgelbauer | 15 Potsdam, 23. April 1968 | [Straße, Nr., Telefonnr.]
An den | Rat der Stadt Potsdam | Der Oberbürgermeister | 15 Potsdam | Friedrich-Ebert-Straße 79/81
Barock-Turm der ehemaligen Garnisonkirche in Potsdam
Auf mein an Sie gerichtetes Schreiben vom 31.3.1968 habe ich entgegen den üblichen Gepflogenheiten bis heute noch keinerlei Antwort und Stellungnahme erhalten.
Es handelt sich hier um eine für die Baugeschichte unserer Stadt und für die Kunstgeschichte schlechthin so hochwichtige Angelegenheit, dass ich im Interesse unserer Potsdamer Bürgerschaft noch vor der am 26. April dieses Jahres stattfindenden öffentlichen Stadtverordnetenversammlung um eine offizielle schriftliche Stellungnahme des Rates der Stadt Potsdam zu meinen Ausführungen bitten muss.
Ich bin hierzu besonders dadurch veranlasst, dass – wie ich feststellten musste, im Auftrage des Rates der Stadt bereits am Montag, dem 22. dieses Monats, die Glocken des Kirchenturms ausgebaut worden sind, ohne dass die Potsdamer Bevölkerung über das Vorhaben der Stadtverwaltung durch die Presse unterrichtet worden ist.
gez. Hans-Joachim Schuke | Anerkannter Kunstschaffender | Aktivist des Siebenjahrplanes
Anlage 3 zur Information Nr. 533/68
[Brief an den Rat der Stadt Potsdam]
Heilig-Kreuz-Gemeinde | 15 Potsdam, am 2. Mai 1968 | Bauhofstraße 10 | T. 22298
An den Rat der Stadt Potsdam | 15 Potsdam | Friedrich-Ebert-Straße 79/81
Heilig-Kreuz-Kirche18
Bescheid über die Inanspruchnahme des Grundstückes der Heilig-Kreuz-Kirche und die damit verbundene Enteignung der Kirche mit Wirkung vom 3. Mai 1968.
Unter Berufung auf Artikel 16 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik19 legen wir hierdurch Beschwerde ein gegen die vom Rat der Stadt, Abteilung Finanzen, mit Wirkung vom 3. Mai 1968 verfügte Enteignung der Heilig-Kreuz-Kirche.
Der Gemeindekirchenrat ist der Auffassung, dass der vom Rat der Stadt angestrebte gemeinnützige Zweck nicht nur auf andere Weise, sondern auch günstiger und billiger erreicht werden kann.
Darüber hinaus ist kein ernsthafter Versuch gemacht worden, das bedeutende Kulturdenkmal, das die Heilig-Kreuz-Kirche als Bestandteil unseres nationalen Kulturerbes darstellt, (Artikel 18 der Verfassung der DDR)20, zu erhalten.
Der Gemeindekirchenrat der Heilig-Kreuz-Gemeinde ist wie der Kreiskirchenrat des Kirchenkreises Potsdam nach wie vor bereit, seine Auffassung zu begründen, zumal seine Bitte, vor den Stadtverordneten in ihrer Versammlung am 26.4.1968 gehört zu werden, abgelehnt worden ist.
gez. Briesemann, gez. [Vorname Name 2], gez. Unterschrift21 | gez. [Name 3], gez. [Name 4]
Verteiler
- 1.
An den Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Berlin,
- 2.
An den Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, Berlin,
- 3.
An den Staatssekretär für Kirchenfragen, Berlin,
- 4.
An den Vorsitzenden des Rates des Bezirkes, Potsdam.
Anlage 4 zur Information Nr. 533/68
[Brief an die Oberbürgermeisterin]
Potsdam, 26.4.1968 | An die | Oberbürgermeisterin | Frau Brunhilde Hanke22
Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin!
Ein Wahrzeichen Potsdams, die Garnisonkirche, soll der Spitzhacke zum Opfer fallen! Können Sie einen solchen Entschluss mit Ihrem Gewissen vereinbaren?
Ein Kunstwerk barocken Stils soll kaltblütig gesprengt werden, ohne dass mit der Bevölkerung dieser Stadt darüber eine Aussprache geführt wird. Wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat, in dem wir mit planen, arbeiten und regieren sollen, so steht es jedenfalls auf Hunderten von Transparenten, wenn aber ein schwerwiegender Entschluss gefasst wird, werden wir nicht gefragt.
Das Märchen von der Einsturzgefahr der Garnisonkirche glaubt längst kein Mensch mehr, diese Mauern werden noch einige Jahrzehnte fest auf ihrem Fundament stehen. Die Sowjetunion, die ČSSR und viele andere Länder im Osten und Westen pflegen ihre Kulturdenkmäler und erhalten und bauen wieder auf, um die Individualität ihrer Städte zu erhalten, soll denn Potsdam eine Ausnahme sein und ein Barockbau fallen, um dem so weit verbreiteten und hässlichen »Barock-Stil« Platz zu machen? Dann brauchen wir in Zukunft keine Touristen mehr hierher zu locken, alle Städte werden sich bald wie ein Ei dem anderen gleichen und an Schönheit immer mehr verlieren.
Sehr verehrte Frau Oberbürgermeisterin, verhindern Sie den Abriss der Garnisonkirche, die Potsdamer werden Ihnen dankbar sein.
Hochachtungsvoll | gez. [Vorname Name 5] | Potsdam, [Straße, Nr.]