Protestkundgebung Westberliner Studenten zu Maßnahmen v. 11.6.1968
14. Juni 1968
Einzelinformation Nr. 648/68 über eine Protestdemonstration mit anschließender Kundgebung im Vorfeld der GÜSt Heinrich-Heine-Straße durch Studenten der Westberliner Bau- und Ingenieurakademie am 13. Juni 1968 im Zusammenhang mit den neuen Maßnahmen der Regierung der DDR vom 11. Juni 1968
Wie dem MfS bekannt wurde, begann am 13.6.1968 gegen 13.00 Uhr vor dem Urania-Gebäude in Westberlin eine sogenannte Protestdemonstration der Studentenschaft und des AStA der staatlichen Ingenieurakademien Westberlins, die sich gegen die neuen Maßnahmen der Regierung der DDR1 richtete. Der sogenannte Demonstrationszug, an dem ca. 1 000 Personen beteiligt waren, traf gegen 14.25 Uhr auf dem Moritzplatz im Vorfeld der GÜSt Heinrich-Heine-Straße ein, wo eine Hetzkundgebung stattfand.
Im sogenannten Demonstrationszug wurden 13 Hetzlosungen2 mitgeführt, die folgenden Inhalt hatten:
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»Notstand Ostberlin«
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»Kapital-Gesellschaft DDR«
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»5 Mark«3
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»Visa«
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»Abbau der Grenzen in Europa und in Deutschland«
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»Reden ist Silber, Handeln ist Gold«
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»Ulbricht, Walter4 – Deutschlands Spalter«
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»DM – rollt für den Sozialismus«
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»Wie lange noch bis Blockade?«
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»Keine schönen Reden«
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»Alliierte, wahrt den 4-Mächte-Status«
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»Gute Sozialisten – Gute Stalinisten«
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»Haut den Stalinisten ihre Passgesetze um die Ohren«
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»Ulbricht raus, Dubček5 rein«
Während der sogenannten Demonstration wurden gleiche bzw. ähnlich lautende Losungen von einem Teil der Jugendlichen in Sprechchören gerufen. Ein namentlich unbekannter Sprecher verlas auf der Kundgebung ein »Schreiben« an den Innenminister der DDR (siehe Anlage) und forderte die Kundgebungsteilnehmer auf, sich am 14.6.1968 um 14.00 Uhr am Bahnhof Zoo erneut zu versammeln.
Die »Demonstration« und die Kundgebung war durch die Westberliner Polizei bereits am Vormittag aktiv mit vorbereitet worden, indem durch Polizeiangehörige ca. 50 Leitgitter im westlichen Vorfeld aufgestellt worden waren und das vom Sprecher der Kundgebung benutzte Megaphon durch die Polizei zur Verfügung gestellt worden war. Der Anmarsch und die Kundgebung selbst wurden vom SFB gefilmt. Zur Behinderung des grenzüberschreitenden Verkehrs kam es nicht. Gegen 17.00 Uhr war die normale Lage wiederhergestellt.
Anlage zur Information Nr. 648/68
Wortlaut des Schreibens an den Innenminister der DDR
Sehr geehrter Herr Innenminister!
Seit heute gelten im Reise- und Güterverkehr von und nach Berlin neue Bestimmungen, die unserer Ansicht nach eine unerträgliche Belastung der ohnehin minimalen Beziehungen zwischen der DDR und der BRD darstellen. Sie haben sich in der Begründung dieser neuen Regelung auf die Verabschiedung der Notstandsgesetze durch das Parlament der BRD berufen. Wenn uns diese Begründung auch schon an sich höchst fragwürdig erscheint, so wollen wir doch hier auch einmal unterstellen, Ihre Anordnung betreffs des Reise- und Güterverkehrs von und nach Berlin sei einer tiefen Sorge um ganz Deutschland entsprungen. In diesem Falle können wir Ihnen zwei Dinge sagen:
- 1)
Auch wir haben mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Notstandsgesetze protestiert, und wir werden auch weiterhin unsere Ablehnung dieser Grundgesetzänderung artikulieren.
- 2)
Ihre Maßnahmen treffen in erster Linie jene Bürger der Bundesrepublik und West-Berlins, die durch Ihre Aktionen ohnehin schon Nachteile in Kauf genommen haben. Weiterhin erreichen Sie durch die starken Erschwernisse des Verkehrs zwischen Berlin und der BRD in keinem Fall eine Änderung des Bewusstseinsstandes unserer Mitbürger. Sie sollten wissen, dass in einem demokratischen Staat sinnvolle Entscheidungen nicht durch Zwangsmaßnahmen von außen begünstigt werden. Zusammengefasst: Ihre Maßnahmen dienen allem möglichem, schaden aber dem von ihnen vorgegebenen Ziele, Protestaktionen gegen Notstandsgesetze, auf das Entschiedenste. Wir fordern Sie deshalb auf, Ihre Entscheidung noch einmal zu überlegen und Ihre Anordnung betreffs des Reise- und Güterverkehrs sofort zurückzunehmen!
Studentenschaft und AStA der Staatlichen Ingenieurakademien | [Name 1] und [Name 2]