Provokation Jugendlicher in Rathenow
4. September 1968
Einzelinformation Nr. 991/68 über eine Provokation Jugendlicher am 3. September 1968 in Rathenow, Bezirk Potsdam
Am 3.9.1968, gegen 21.30 Uhr, trat eine Gruppe von 16 Jugendlichen in der Rudolf-Breitscheid-Straße in Rathenow vor den Häusern sowjetischer Familien vorsätzlich mit ruhestörendem Lärm und provokatorischen Verhalten auf.
Die Ermittlungen zum Sachverhalt durch das MfS ergaben bisher Folgendes: Am 3.9.1968, gegen 20.00 Uhr, prügelten sich auf dem Rummelplatz in Rathenow zwei Jugendliche aus persönlichen Unstimmigkeiten heraus. Um diese zwei Jugendlichen bildete sich spontan eine Zuschauermenge von ca. 20 Jugendlichen, die Beifall spendete und die beiden Prügelnden mit Zurufen anfeuerte. Nachdem der Vergnügungspark programmgemäß geschlossen hatte, zogen diese Jugendlichen weiter durch das Stadtgebiet von Rathenow. Gegen 21.30 Uhr kam diese Gruppe, die zu diesem Zeitpunkt noch 16 Jugendliche umfasste und zu der auch die zwei Jugendlichen gehörten, die sich vorher geprügelt hatten, überein, zu den Objekten der sowjetischen Freunde am Nordbahnhof zu gehen und dort zu provozieren. Sie beabsichtigten, durch rowdyhaftes Verhalten die sowjetischen Armeeangehörigen zu veranlassen, gegen sie vorzugehen. Während die meisten Jugendlichen als Motiv für diesen Entschluss angaben, Freude am Anzetteln einer Schlägerei zu haben, liegen bei den zwei Initiatoren, Behrmann und Herholz, Hinweise vor, dass sie aus politischen Motiven heraus handelten. (Die näheren Untersuchungen dazu werden vom MfS geführt.) Anschließend zogen sie in das Wohnviertel der sowjetischen Armeeangehörigen und randalierten dort. Dabei riefen sie Schimpfworte in russischer und deutscher Sprache. Von einigen Jugendlichen wurde im Sprechchor gerufen: »Hoch lebe Dubček!1« Weiterhin forderten sie Offiziere auf, aus ihren Wohnungen herauszukommen. Kofferradios wurden auf volle Lautstärke gedreht. Ein Wachsoldat wurde mit kleinen Steinen beworfen. Diese Vorkommnisse ereigneten sich in der Zeit von 21.30 bis 22.15 Uhr, ohne dass sich die sowjetischen Bürger durch dieses Verhalten der Jugendlichen provozieren ließen.
Bei Erscheinen des Funkstreifenwagens der VP, der durch sowjetische Offiziere telefonisch angefordert worden war, begab sich ein Jugendlicher dieser Gruppe zur in der Nähe befindlichen Notrufsäule und teilte dem VPKA mit, dass eine Schlägerei unter Jugendlichen im Gange sei, wobei er als Tatort einen in entgegengesetzter Richtung der Stadt liegenden Punkt angab. Damit sollte erreicht werden, dass der Funkstreifenwagen durch die Zentrale abberufen und irregeleitet wird. Als der Funkstreifenwagen seinen Weg in Richtung der Provokateure fortsetzte, zerstreute sich die Gruppe sofort.
Durch die sofort eingeleiteten Maßnahmen der VP in Zusammenarbeit mit dem MfS wurden alle Beteiligten der Provokation ermittelt und in VP-Gewahrsam genommen.
Bei den 16 Jugendlichen handelt es sich um
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einen Jugendlichen – 14 Jahre alt,
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vier Jugendliche – 15 Jahre alt,
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drei Jugendliche – 16 Jahre alt,
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sechs Jugendliche – 17 Jahre alt,
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zwei Jugendliche – 19 Jahre alt.
Die Jugendlichen sind ausschließlich als Lehrlinge und Hilfsarbeiter in verschiedenen Betrieben beschäftigt. Der überwiegende Teil hat lediglich die 6. und 7. Schulklasse erreicht. Es handelt sich durchweg um asoziale Jugendliche, die zum Teil im Jugendwerkhof2 aufgewachsen sind. Von allen 16 Jugendlichen ist bekannt, dass sie aktive Westrundfunkhörer sind. Sie sind den örtlichen Organen zum Teil wegen Ruhestörung und anderen kriminellen Delikten bekannt. Es handelt sich bei ihnen aber um keine schon vorher existierende feste Gruppierung, sondern sie bildete sich aufgrund der vorher auf dem Rummelplatz stattgefundenen Schlägerei.
Gegen die als Initiatoren dieser Provokation ermittelten Behrmann, Günter, geboren [Tag, Monat] 1949 in Rathenow, Transportarbeiter HO-Möbelkaufhaus, wohnhaft Rathenow, [Straße, Nr.] [und] Herholz, Siegfried, geboren [Tag, Monat] 1951, Lehrling beim Hochbaukombinat, wohnhaft Blankenfelde, [Straße, Nr.], wurde ein Ermittlungsverfahren mit Haft eingeleitet. Die Untersuchungen werden vom MfS geführt.
Weitere sieben Jugendliche wurden nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit Haft beim VPKA Rathenow inhaftiert, wobei gegenwärtig noch überprüft wird, welche strafrechtlichen Maßnahmen in Anwendung kommen.
Weitere drei Jugendliche befanden sich bis zum 4.9.1968, 18.00 Uhr, in Gewahrsam beim VPKA Rathenow, von wo sie nach Überprüfung des Tatbestandes wegen geringer Beteiligung und aufgrund ihres jugendlichen Alters entlassen wurden.
Gegenwärtig werden noch Überprüfungen zur restlosen Klärung des Sachverhaltes geführt. Danach werden strafrechtliche Sanktionen gegen die nicht inhaftierten Jugendlichen entschieden.