Reaktion der Bevölkerung auf die Ereignisse in der ČSSR und Polen
22. März 1968
Einzelinformation Nr. 330/68 über die Reaktion der Bevölkerung der DDR über die Ereignisse in der ČSSR und in der VR Polen und über damit im Zusammenhang zu sehende Vorkommnisse in der DDR
In den Bezirken der DDR wird gegenwärtig zu den Vorgängen in Warschau1 und in der ČSSR2 unter allen Bevölkerungsschichten diskutiert. Besonders die Meinungsäußerungen über die Erscheinungen in der ČSSR sind vom Umfang und der Intensität her ständig angewachsen. Dagegen wird der Umfang der Meinungsäußerungen über die Vorkommnisse in der VR Polen ständig geringer. Dabei muss in der Grundtendenz eingeschätzt werden, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung den Vorkommnissen wenig Sympathie entgegenbringt. Vor allem werden die Krawalle polnischer Studenten missbilligt.
Ein großer Teil der Äußerungen beinhaltet eine Verurteilung des Vorgehens »negativer opportunistischer und liberaler Kräfte« in beiden Ländern und stellt heraus, dass die Urheber und Hintermänner dieser Provokationen ihrer gerechten Strafe zugeführt werden müssten. Als Initiatoren werden mehrfach die USA und Westdeutschland genannt.
Häufig werden Vergleiche zur Situation in der DDR angestellt. Hervorgehoben wird, durch richtige Führung beim Aufbau des Sozialismus in der DDR und sichtbare ökonomische Erfolge seien Vorkommnisse wie in der VR Polen und in der ČSSR bei uns nicht denkbar.
In einer Reihe Meinungsäußerungen werden Überlegungen über den Charakter der Vorkommnisse in der VR Polen und in der ČSSR angestellt. Dabei wird die »Ernsthaftigkeit der besonders auf ideologischer Ebene liegenden Auseinandersetzungen« in der ČSSR, deren Auswirkungen noch nicht überblickt werden könnten, betont. Die Ausschreitungen in der VR Polen dagegen werden als »zeitweilige und z. T. bereits abgeschlossene Entwicklung« betrachtet, die seitens der Regierung der VR Polen bereits »unter Kontrolle« sei und keine größeren politischen Auswirkungen auf nationaler und internationaler Ebene nach sich ziehe.
Aus allen Bevölkerungsschichten wird das Argument bekannt, in der DDR sei man von den Ereignissen vollkommen überrascht worden, da über die Entwicklung unserer sozialistischen Nachbarländer bisher nichts in dieser Richtung veröffentlicht worden wäre. Man hätte derartige Vorkommnisse eher z. B. für die VR Rumänien3 aufgrund deren Haltung zu internationalen Fragen und gegenüber der SU und den anderen sozialistischen Ländern4 für möglich gehalten.
Einen größeren Umfang in der Reaktion der Bevölkerung der DDR nehmen »Feststellungen über eine angeblich ungenügende Informierung seitens der DDR-Publikationsorgane ein, wobei sich in den letzten Tagen z. T. eine solche Meinung abzuzeichnen beginnt, die Veröffentlichungen in unseren Presseorganen hätten sich verbessert. Obwohl von vielen Bürgern richtig erkannt wird, dass sich die DDR-Presse auf keine Sensationshascherei im Sinne westlicher Publizistik einlassen kann und über ein befreundetes Land keine Polemik zulässt, sind Argumente, in denen weitere Ausführlichkeit verlangt wird, in allen Bevölkerungsschichten vorhanden.
Übereinstimmend wird von den Bezirken eingeschätzt, dass bei interessierten Bürgern gegenwärtig überwiegend Meldungen westlicher Rundfunk- und Fernsehsender die Grundlage der Informierung bilden.
In zunehmendem Maße werden Hinweise bekannt, wonach Sendungen in deutscher Sprache von »Radio Prag«5 systematisch verfolgt werden. Dabei machen sich interessierte Bürger gegenseitig auf Sendezeiten und Wellenbereich aufmerksam. Diese Feststellungen treffen sowohl auf Personenkreise wie Studenten, Kulturschaffende und Intellektuelle zu als auch teilweise auf Angehörige von Betrieben, staatlichen Verwaltungen und gesellschaftlichen Einrichtungen (z. B. Mitarbeiter des Zentralvorstandes der DSF.)
In der Reaktion der Bevölkerung der DDR zeichnen sich weiter folgende Tendenzen ab: In allen Bevölkerungsschichten der DDR werden häufig Zweifel am Fortbestehen der Einheit und Geschlossenheit des sozialistischen Lagers geäußert, wobei zwischen Erscheinungen in der VR Rumänien, VR Polen und der ČSSR Zusammenhänge gesehen werden. Bei dieser Entwicklung wären eventuelle weitere Vorkommnisse z. B. in der VR Ungarn und der VR Bulgarien keine Überraschung mehr. Es wird bemerkt, bei der VR Polen und der ČSSR handele es sich um das sozialistische Hinterland der DDR; ginge die Entwicklung so weiter, wäre die DDR letzten Endes der »einzige Verbündete« mit der SU. Unter dem Eindruck solcher Argumente ist vereinzelt Unsicherheit und Angst festzustellen, die Vorkommnisse könnten entweder zu einer »Isolierung der DDR« – d. h. zu einer Abtrennung des sozialistischen Hinterlandes – führen oder sich auch auf die DDR ausdehnen und Unruhe und Unsicherheit bringen.
Einen großen Umfang in allen Bevölkerungsschichten nehmen Spekulationen über die Ursachen der Vorkommnisse ein, wobei in den Diskussionen vorwiegend auf die ČSSR eingegangen wird. In den Argumenten spiegelt sich mit großer Deutlichkeit der Einfluss der Zentren der politisch-ideologischen Diversion wider. Bei diesen Spekulationen herrschen folgende Tendenzen vor:
- –
»dogmatischer Kurs« durch Novotný6 und seine Verbündeten;
- –
völliger Zusammenbruch der Wirtschaftsführung (wobei diese »Argumente« durch Diskussionen von Touristen und in der DDR aufhältlichen ČSSR-Bürgern noch mit einer Reihe von »Beispielen« bekräftigt werden);
- –
Uneinheitlichkeit und Cliquenbildung in der Partei- und Staatsführung;
- –
erhebliche Toleranz gegenüber westlichen Einflüssen (Während einerseits ein »administrativer und dogmatischer Kurs« eingeschlagen worden sei, werde andererseits westlichen Einflüssen Tür und Tor geöffnet. Dabei wird besonders die offiziell gestattete Einflussnahme westdeutscher Touristen sowie eine offensichtliche Hervorhebung des Warenangebots aus westlichen Ländern betont. Touristen aus der DDR würden als Deutsche 2. Grades behandelt.);
- –
Lösung aus der »Umklammerung Moskaus« nach Beispielen Albaniens, Chinas und Rumäniens;
- –
Verrat und Einmischung ausländischer Geheimdienste;
- –
Ergebnis einer langberechneten und vorbereiteten feindlichen Strategie, Auswirkungen der westlichen »Ostpolitik«;
- –
Einmischung kirchlicher Führungsspitzen.
Mehrfach werden auch Meinungen von solchen Personen, die die ČSSR bereist haben, wiedergegeben und verbreitet: Die Bevölkerung der ČSSR sei politisch nicht so aufgeklärt wie in der DDR. Der Einfluss der Partei sei nicht spürbar. Unter der Bevölkerung der ČSSR herrsche eine allgemeine Unzufriedenheit über die politischen und ökonomischen Verhältnisse.
Weitere Vermutungen werden über mögliche Auswirkungen der Ereignisse in der ČSSR auf nationaler und internationaler Ebene angestellt. Vorwiegend treten dabei folgende Tendenzen in Erscheinung:
- –
Die Führung der KSČ7 unter Leitung des Genossen Dubček8 gebe immer mehr die Macht aus den Händen. Die führende Rolle der Partei und der Staatsmacht sei später nur mittels Gewaltanwendung bzw. Waffengewalt zurückzugewinnen.
- –
Die Unentschlossenheit führender positiver Kräfte und die Zwiespältigkeit der Beschlüsse der unterschiedlichen Gremien führen zu einer »nationalen Katastrophe«, die letzten Endes einem Abweichen vom Weg des Sozialismus gleichkäme.
- –
Die antisozialistischen Kräfte in der ČSSR würden langsam entsprechend den ihnen gemachten Zugeständnissen ihre Forderungen ausweiten. Damit vollziehe sich auf schleichendem Wege eine ähnliche konterrevolutionäre Entwicklung wie 1956 in Ungarn.
- –
Es sei eine Trennung der ČSSR in zwei Staaten: Tschechei und Slowakei vorgesehen.
- –
Die jetzige Generallinie der Partei der KSČ in Richtung einer »Demokratisierung auf allen Gebieten« übersteige die Linie des Sozialismus und bilde Grundlage für weitere Aktionen liberaler und oppositioneller Gruppierungen.
- –
Die ČSSR werde ihren »eigenen Sozialismus« aufbauen, ähnlich wie Jugoslawien. Die Entwicklung in der ČSSR beweise, dass »unterschiedliche Wege zum Aufbau des Sozialismus möglich« seien.
- –
Die Beziehungen der ČSSR zur DDR würden sich verschlechtern, da der Trend nach westdeutschen Erzeugnissen und der westdeutschen Mark stark ausgeprägt sei. Die ČSSR würde mit der Anlehnung an westdeutsche Interessen der DDR trotz bestehendem Freundschaftsvertrag in den Rücken fallen.
Aus einer Vielzahl von Argumenten spiegeln sich bestehende Unklarheiten zu der Entwicklung in der ČSSR und zu politischen Grundfragen wider, z. B. über
- –
die Aufgabe bestimmter Positionen der sozialistischen Staatsführung in der ČSSR,
- –
die Ausübung der führenden Rolle der SU und der KPdSU im sozialistischen Lager,
- –
die mögliche Einflussnahme anderer sozialistischer Länder auf die Entwicklung in der ČSSR,
- –
die Rollen der Genossen Novotný und Dubček,
- –
mögliche notwendige Veränderungen ökonomischer Grundorientierungen in der ČSSR und anderen sozialistischen Staaten mit dem Ziel einer Beschleunigung in der Erhöhung des Lebensstandards der Bevölkerung,
- –
den Stand der »fortschreitenden Zersplitterung« des sozialistischen Lagers.
Die negativen und feindlichen Diskussionen nehmen einen geringen Umfang ein und beschränken sich überwiegend auf Meinungen einzelner Personen. Der Einfluss der politisch-ideologischen Diversion ist dabei offensichtlich. Folgende Grundrichtungen in der Diskussion sind festzustellen:
- –
Zustimmung zu den »Liberalisierungs- und Demokratisierungsbestrebungen« in der ČSSR, teilweise unter dem Tenor, in der DDR sei eine ähnliche Entwicklung wünschenswert;
- –
Forderung nach »mehr Freiheit«. Darunter wird u. a. verstanden:
- –
Freizügigkeit im Reiseverkehr nach Westdeutschland und bei Einreisen ins Sperrgebiet der Grenzkreise,
- –
Erhaltung des »Streikrechts« auch in der neuen Verfassung der DDR,9
- –
freizügigere Gestaltung der kulturellen Entwicklung (besonders unter Kulturschaffenden), Anlehnung an das Profil sogenannter westlicher Kultur,
- –
freie Meinungsäußerung bei Zusicherung von Straffreiheit,
- –
freier Informationsaustausch (Vertrieb von westlichen Zeitungen und Zeitschriften, Aufhebung der »Zensierung«),
- –
Abschaffung jeglicher »Einengung«,
- –
im sozialistischen Lager habe sich eine »permanente allgemeine Krise« herausgebildet und vertieft.
Die negativen Diskussionen werden in geringem Umfang mit der Verbreitung von Gerüchten verbunden:
- –
Die Ereignisse hätten Auswirkungen auf den Reiseverkehr von DDR-Bürgern in die ČSSR. Es seien erste Sperrungen der Touristenreisen von DDR-Bürgern in die ČSSR verfügt. Mit der Schließung der Grenze zur ČSSR sei in Kürze zu rechnen. (Die VR Polen habe die Grenze zur ČSSR bereits geschlossen).
- –
Novotný habe seinen Rücktritt als Staatspräsident erklärt;10 er habe den flüchtigen Šejna11 begünstigt.
- –
Die Situation in der ČSSR sei der in der DDR im Juni 1953 gleichzusetzen.
- –
Alle politischen Häftlinge würden freigelassen.
- –
In der ČSSR wäre eine »freie Demokratie« ausgerufen.
Aus den bisher vorliegenden Informationen und Hinweisen geht eindeutig hervor, dass besonders in Kreisen der Studenten, Kulturschaffenden und Intellektuellen die Diskussionen über die Ereignisse in der VR Polen und vor allem in der ČSSR einen großen Umfang angenommen haben.
Die bereits angeführte Tendenz der Zunahme des Abhörens der deutschsprachigen Sendungen im Radio Prag trifft auf diese Kreise besonders zu. Häufig macht man sich gegenseitig auf diese »Informationsmöglichkeit« aufmerksam. In diesem Zusammenhang ist eine Zunahme solcher Diskussionen festzustellen, in denen die Berichterstattung der DDR-Presse besonders über die Ereignisse in der ČSSR kritisiert wird (z. B. Studenten der Humboldt-Universität, der Pädagogischen Hochschule Potsdam, an Hochschulen im Bezirk Halle usw.). Darüber hinaus ist eine Reihe von Beispielen bekannt, wo sich Kulturschaffende und Intellektuelle, die als Vertreter negativer Auffassungen bekannt sind, durch Abhören der Westsender und durch Ausnutzung persönlicher Beziehungen zu ČSSR-Bürgern »informieren«.12
In der Reaktion dieser Kreise überwiegt zwar die Auffassung, dass solche Ereignisse wie in der ČSSR und in der VR Polen in der DDR nicht möglich seien (weil es in der DDR keine solchen fehlerhaften Zustände wie z. B. in der ČSSR gibt), aber Vertreter negativer Auffassungen verbinden diese Diskussionen mit dem »Argument«, dies werde durch die »unfreien« gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR verhindert. Mehrfach wurden von solchen Personen die Ereignisse in der ČSSR verherrlicht und mit Spekulationen über die »führende Rolle der Intelligenz« in Verbindung gebracht. In Einzelfällen wurde geäußert, dass die Schriftsteller und Intellektuellen in der DDR »zu feige und zu korrupt« seien, um es »ihren Kollegen nachzutun«.
Einige Studenten an der Ingenieurschule Köthen13 vertraten darüber hinaus den Standpunkt, dass die Ereignisse in der ČSSR als »eine politische Wende in Richtung der Haltung Rumäniens« und als Ausdruck des Vorhandenseins »mehrerer Wege zum Sozialismus« zu werten seien. Es gehe vor allem um die »Ablösung von Stalinisten«. Sie begrüßten in diesem Zusammenhang die Forderungen polnischer Studenten nach »Freiheit in der Literatur und Kunst«.14
Unter Studenten verschiedener Universitäten und Hochschulen kam es mehrfach zu Diskussionen und Äußerungen, in denen z. B. zum Ausdruck kam, dass der wahre Charakter der Studenten-Krawalle in Polen nicht erkannt wurde. Vereinzelt vertraten Studenten an der Humboldt-Universität die Auffassung, dass Studentendemonstrationen ein »legitimes Mittel der politischen Willensbildung« seien und dazu beitragen könnten, den Sozialismus weiterzuentwickeln. An der Pädagogisch-Philosophischen Fakultät15 wurde von Studenten kritisiert, dass die FDJ sich mit ihnen nicht über solche und ähnliche Probleme unterhalte. Vereinzelt wurde dabei »argumentiert«, dass sich die DDR »durch ihre dogmatische Politik immer mehr isolieren« würde.16
Studenten der Fachrichtung Metallhüttenwerke am Institut für Marxismus-Leninismus der Bergakademie17 Freiberg, 2. Studienjahr, verglichen u. a. die Maßnahmen gegen die Studentenausschreitungen in der VR Polen mit den Notstandsgesetzen18 in Westdeutschland. In ähnlicher Richtung verlief auch eine Diskussion zum Verfassungsentwurf im Seminar II/1 – Fachrichtung Mathe-Physik – der Berliner Humboldt-Universität am 29.2.1968.19 Im Wesentlichen ging es um zwei Probleme:
- –
In der DDR rede man immer soviel wider »die Meinungsfreiheit im Westen«. Dabei gäbe es bei uns auch keine. Unsere Meinungsfreiheit diene nur der Verwirklichung der von der Partei vorgefassten Verfassung, in anderen – auch sozialistischen Ländern wie z. B. in der ČSSR – werde freizügiger gehandelt,
- –
Wenn die Durchsetzung der Notstandsgesetze in Westdeutschland einem Staatsstreich gleichkomme, dann hätten bei uns – siehe Wehrpflichtgesetz –20 schon viele solcher Staatsstreiche stattgefunden.21
Von Medizinstudenten der Humboldt-Universität wurde »argumentiert«,22 dass sie »faktisch rechtlos« seien. Man würde ihnen [sic!] bei jeder Gelegenheit spüren lassen, dass sie ökonomisch abhängig seien. Einige Studenten der Philosophischen Fakultät behaupteten, dass man an der Fakultät über die Vorgänge in Polen und der ČSSR »nicht diskutieren« dürfe, weil sonst mit Konsequenzen zu rechnen sei.23
Unklarheiten und negative Auffassungen traten auch bei einigen Mitarbeitern von Publikationsorganen zutage. So bezeichneten z. B. mehrere Mitarbeiter der Abteilung Korrektur der »Märkischen Volksstimme«24 die Auseinandersetzungen in der ČSSR als einen »Triumphzug der Vernunft«. Mehrere Mitarbeiter von Radio DDR International25 zogen bei Diskussionen über mögliche Entwicklungen in der ČSSR auch eine »Rückkehr zur bürgerlichen Republik« in Betracht. Dagegen haben redaktionelle Mitarbeiter der Politischen Redaktion des Deutschen Fernsehfunks, nachdem sie zunächst zu einer gewissen Sensationshascherei neigten, die gegenwärtige Rolle der Publikationsorgane in der ČSSR abgelehnt.
Aus Äußerungen einiger prominenter Schriftsteller geht zwar keine direkte bzw. nicht immer eine unmittelbare Bezugnahme auf die Ereignisse in der ČSSR bzw. in Polen hervor, sie bewegen sich aber in ähnlicher Richtung. So wurde z. B. von den Schriftstellern Kurt26 und Jeanne Stern27 sowie Christa Wolf28 die Ansicht vertreten, dass die Arbeit im DSV erst dann interessant würde, wenn sich Gruppen mit unterschiedlichen ästhetischen Auffassungen bilden könnten. Der Schriftsteller Benno Pludra29 äußerte sich dahingehend, dass die Partei- und Staatsführung »zu wenig Vertrauen« zur Bevölkerung habe, was sich in der »einseitigen Informierung« über die Vorgänge in der Welt, sowie darin zeige, dass die Schriftsteller »nicht offen« schreiben dürften. Von Paul Wiens30 wurde bekannt, dass er der Meinung ist, Partei und Regierung werden in der ČSSR bald wieder Herr der Lage sein. Gleichzeitig brachte er aber auch zum Ausdruck, dass er es für zweckmäßig halte, die Kulturpolitik der DDR in Anlehnung an die Jugoslawiens zu gestalten.
Kaspar Klaus Riemschneider31 (Institut für Orientforschung an der DAW) führte ungenügende politisch-aktuelle Diskussionen in seinem Arbeitsgebiet darauf zurück, dass die »grundsätzliche politische Liberalisierung des politischen Lebens« in der DDR noch nicht hergestellt sei. (Die Namensnennung der in diesem Teil angeführten Personen ist im Falle einer Auswertung offiziellen Charakters wegen der Gefahr der Dekonspirierung der Quellen nicht zweckmäßig.)
Dem MfS ist aus internen Informationen bekannt, dass sich leitende kirchliche Kreise an den Vorkommnissen in der VR Polen und in der ČSSR, insbesondere an der weiteren Entwicklung in der ČSSR, außerordentlich interessiert zeigen.
Das Augenmerk dieser Kreise richtet sich dabei gegenwärtig darauf, Informationen aus kirchlichen Kreisen der ČSSR zu sammeln und – wie auch geäußert wurde – zu »sondieren«, um daraus Schlussfolgerungen zur Lage der Kirche in der ČSSR ziehen zu können.
Besonders leitende evangelische Kirchenführer sind bestrebt, Verbindungen zu kirchlich gebundenen Kräften, soweit sie sich gegenwärtig in der DDR aufhalten, zu Abschöpfungsgesprächen über die Entwicklung in der ČSSR auszunutzen. Solche Gespräche fanden u. a. statt
- –
zwischen dem leitenden Mitarbeiter der »Prager Christlichen Friedenskonferenz«, Žiak32/Prag, der in Vorbereitung der III. Allchristlichen Friedensversammlung (31.3.–5.4.1968 in Prag)33 ab 13.3.1968 zu Gesprächen in der DDR weilt und evangelischen Kirchenführern,
- –
zwischen vier Referenten aus der ČSSR (leitenden Kirchenpersönlichkeiten der ČSSR), die sich am 9./10.3.1968 in der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg/Stephanus-Stift zu planmäßigen Tagungen aufhielten und leitenden Mitgliedern der Leitung der Evangelischen Akademie, u. a.
Die Reaktion kirchlicher evangelischer Führungskräfte lässt gegenwärtig drei Richtungen erkennen:
- –
Man müsse die weitere Entwicklung sowie die Auswirkungen abwarten und sich zzt. noch zurückhalten.
- –
Befürwortung der »Liberalisierungsmaßnahmen« in der ČSSR mit dem Unterton, sie könnten sich auch »positiv« in der DDR hinsichtlich einer Lockerung der Beziehungen des Staates gegenüber der Kirche auswirken.
- –
Resignation und Befürchtungen, die Entwicklung in der ČSSR könne sich in der DDR nachhaltig in Form der Durchsetzung eines »harten Kurses« auswirken, um alle Nachahmungsbestrebungen »in den Griff« zu bekommen, sodass sich auch das Verhältnis Staat – Kirche noch weiter zuspitzen könne.
Der Geschäftsführer der »Gossner Mission«34 Bruno Schottstädt35/Berlin äußerte z. B. vor Funktionären des Laienkonvents der »Gossner Mission«, die Demokratisierung in der ČSSR müsse als ein »Modellfall« gesehen werden; auch in der DDR sei eine Liberalisierung möglich. Das starke Engagement eines bestimmten Teiles von Staatsfunktionären führe in kürzester Zeit zum Verschleiß, sodass sich eine Änderung im Verhalten gegenüber der Kirche anbahnen könne.
Von einigen führenden Funktionären der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg wurden in einer internen Unterhaltung die »Freiheits-« und Demokratisierungsbestrebungen begrüßt. In diesem Zusammenhang wurde die Person Havemann36 erwähnt, auf den man sich stützen müsse, falls in der DDR ähnliche Probleme stünden.
Prof. Schönherr37 äußerte während eines Predigerseminars in Leipzig im Zusammenhang mit den ČSSR-Ereignissen, wir müssten uns zunächst auf eine »harte Welle« gefasst machen.
Leitende katholische Kirchenkreise üben in ihren Äußerungen zzt. noch eine gewisse Zurückhaltung. Verbreitet ist jedoch eine umfassende Orientierung durch Westfunk festzustellen.
Im Ordinariat der Katholischen Kirche Berlin wurde mehrfach von leitenden Mitarbeitern geäußert, in der DDR wären derartige Vorkommnisse nicht möglich, da die Parteiführung »in sich geschlossen« sei.
Die Lage in der Katholischen Kirche der DDR sei auch »günstiger« als in der ČSSR, da sich die Regierung der DDR humaner im Verhalten gegenüber der Katholischen Kirche zeige.
Kardinal Bengsch38 charakterisierte gegenüber anderen Personen die Lage in der ČSSR mit dem Ausdruck: »Der Laie ist los.« Das, was in der ČSSR geschehe, sei nicht die Sorge der Katholischen Kirche in der DDR. Das Ordinariat müsse es weiterhin als Hauptaufgabe betrachten, die nachkonziliaren Beschlüsse durchzusetzen.
Inoffiziell wurde dem MfS bekannt, dass die bestehenden Verbindungen zwischen Bürgern der ČSSR und der DDR verstärkt dazu ausgenutzt werden, die Bürger der DDR über die Ereignisse in der ČSSR zu »informieren«. In den Diskussionen wird vor allem auf die Ursachen und die gegenwärtige Situation eingegangen. Nach bisher vorliegenden Informationen ist einzuschätzen, dass sich die Meinungsäußerungen der ČSSR-Bürger vorwiegend auf in der ČSSR vertriebene Kommunikationsmittel stützen, wobei sogenannte Liberalisierungsbestrebungen unterstützt werden. Bemerkenswert ist, dass dabei mehrfach versucht wird, diese Bestrebungen zu kolportieren und die DDR-Bürger dahingehend zu beeinflussen, dass in der DDR eine Änderung auf der gleichen Linie erfolgen müsse.
Im Wesentlichen haben die Auffassungen von ČSSR-Bürgern folgende Probleme und Spekulationen zum Inhalt:
- –
Der »Sturz von Staatspräsident Novotný« werde in Kürze erwartet.
- –
Präsident Novotný sei schuld an den derzeitigen Vorkommnissen, da die »Parteispitze keine Ahnung über die wirkliche Volksmeinung gehabt habe.
- –
Genosse Novotný hätte eine sture und dogmatische Politik betrieben, die sich auch gegen die Slowaken gerichtet und zur Forderung nach seiner Ablösung geführt hätte.
- –
Die alte Parteiführung hätte nicht erkannt, dass eine derartige Unruhe im Volk der ČSSR, hervorgerufen durch »Unterdrückung von Demokratie und Freiheit«, vorhanden war.
- –
Genosse Novotný habe mit der Armee einen Umsturz geplant, um zu verhindern, dass im Lande eine neue Linie durchgesetzt würde.
- –
Der Fall Šejna wird in diesem Zusammenhang mit den aufgezeigten Fehlern von Genossen Novotný in Verbindung gebracht.
- –
Über den zzt. eingeschlagenen Weg wird »größte Hoffnung und Freude« zum Ausdruck gebracht. Endlich gäbe es Pressefreiheit; die Menschen würden aufatmen.
- –
Wenige Stimmen (vermutlich Genossen der KSČ) warnen vor Überspitzungen.
Im Einzelnen wird dabei u. a. zum Ausdruck gebracht, dass seit einiger Zeit in der ČSSR eine Situation bestehe, wo man nie wisse, woher der Wind wehe. Zeitungen und Rundfunk brächten Dinge, wie: in der »alten Republik« und in der Partei würden sich die »Demokraten« zusehends vermehren. Alle hätten nur gegen ihren eigenen Willen das »Polizeiregime« unterstützt. Die Partei gäbe laufend ihre Fehler bekannt und politische Losungen wie »Die SU – unser Vorbild« seien gänzlich verschwunden.
Weiter wird die Meinung vertreten, dass die große »Volksaussprache« sehr nötig sei. Im Lande hätte seit Jahren eine Spannung zwischen Regierung und Volk geherrscht und man hätte keinen Fortschritt in der Wirtschaft gesehen. Die Flucht Šejnas habe offenbar das Signal für einen innerpolitischen Kurswechsel gegeben.
Weiter werden Spekulationen angestellt, es würden noch viele Staatsmänner »abgesägt« werden, »weil sie den neuen, fortschrittlichen Anforderungen, demokratisch zu regieren«, nicht entsprächen. Viele der »Übeltäter« liefen schon mit gesenktem Kopf herum.
In weiteren Diskussionen wird die »Demokratisierung« begrüßt, weil man »endlich alles frei äußern« könne. Im Allgemeinen rechnet man mit größerer persönlicher Freiheit und Gerechtigkeit, ohne sich, wie bisher, »fürchten zu müssen«. Bestimmt ginge alles einer Besserung zu und die, die bisher »zu leiden« hatten und das »große Nichts« waren, wären über diese Wendung sehr zufrieden.
Es gäbe auch solche Tendenzen, dass in der Regierung nur noch »Fachmänner« arbeiten können und sollen. Man habe gemerkt, dass Partei- und Wirtschaftsfunktionäre durchaus nicht identisch seien.
Breiten Raum nehmen die Diskussionen zur »Liberalisierung der Information« ein. Die Menschen könnten kaum begreifen, wieviel »Freiheit und Demokratie« ihnen gegeben würde. Alles dürfe veröffentlicht werden. Die Zeitungen wären sehr interessant und immer schnell ausverkauft. Es gäbe so viel zu berichten und vor der eigenen Tür zu kehren, dass für Artikel gegen die Revanchisten gar kein Platz mehr übrig sei.
In einzelnen Meinungen kommt zum Ausdruck, dass man auch der DDR wünschte, diesen Weg zu beschreiten, obzwar es in der DDR nicht so straff und diktatorisch zugegangen sei wie in der ČSSR. Von einem großen Personenkreis wird dabei bedauert, dass es so langer Zeit bedurfte, ehe es zu einer »Wende zum Besseren« kam.
Von einzelnen ČSSR-Bürgern, auch von Mitgliedern der KSČ, wird die Meinung vertreten, dass Präsident Novotný und Verteidigungsminister Lomsky39 wegen begangener Fehler unbedingt abgelöst werden müssten. Innerhalb der Partei habe in der letzten Zeit keine offene und ehrliche Atmosphäre geherrscht und die Genossen, die gegen den »Novotný-Kurs«40 auftraten, seien mit Repressalien belegt worden. Es hätte keine Diskussion zu bestimmten Maßnahmen gegeben. Die Partei hätte nur angewiesen und befohlen. Bevölkerung und Parteimitglieder seien darüber empört gewesen, dass sich die führenden Repräsentanten auf »Kosten des ganzen Volkes ein luxuriöses Leben« geleistet hätten. Präsident Novotný habe gegenüber dem slowakischen Volk eine negative Haltung eingenommen und nur Leute um sich geduldet, die ihn und seine Politik unterstützen.
Weiter wird von diesem Kreis eingeschätzt, dass die Ablösung einiger Funktionäre eine gewisse Unruhe mit sich brächte, dass sich aber an der Zusammenarbeit mit der Sowjetunion, der DDR und den anderen sozialistischen Ländern nichts ändern würde. Die Haltung gegenüber den herrschenden Kreisen in Westdeutschland würde ebenfalls keine Änderung erfahren. In diesem Zusammenhang wird zum Ausdruck gebracht, dass die Partei die Geschicke noch fester in die Hand nehmen müsse, um den Kräften, die unter Ausnutzung der gegenwärtigen Ereignisse in der ČSSR die führende Rolle der Partei und der Arbeiterklasse schwächen wollen, eine Chance zu bieten.
Im Zusammenhang mit den Ereignissen in der VR Polen und in der ČSSR sind bisher folgende Vorkommnisse und feindliche Handlungen auf dem Gebiet der DDR festgestellt worden:
Der Student [Vorname Name 1]41 aus dem 1. Studienjahr der Ingenieurschule für Anlagenbau42 Glauchau machte gegenüber Klassenkameraden folgende Bemerkung: »In Glauchau gibt es montags kein Brot zu kauen, man müsste es wie in Warschau machen, ein Schild malen mit der Aufschrift ›Hunger‹ und damit durch die Stadt gehen«. An dieser Ingenieurschule wurde ein Protestschreiben mit folgendem Text verfasst: »Wiederholt wurde von der Mehrzahl der Studenten das Gericht Saure Kartoffelstückchen mit Flecke bemängelt. Leider wurde dem bisher kein Gehör geschenkt. Wir bitten die Küchenleitung, dieses Gericht nicht mehr in den Speiseplan aufzunehmen«. Unter dem Text standen 94 Namen von Studenten aller drei Studienjahre. Das Protestschreiben war im Schulhaus an der Wandtafel für Mitteilungen angebracht.43
Am 7.3.1968 fand in Karl-Marx-Stadt ein durch den Kulturbund organisierter Farblichtbildervortrag über Picasso44 statt, an dem ca. 220 Personen – meist Jugendliche45 – teilnahmen. Der Redner, Dr. Diether Schmidt46 aus Dresden, erklärte im Verlaufe seines Vortrages u. a. sinngemäß: In der DDR müsse man schon heute alles »historisch« sehen, erst später würde sich herausstellen, ob wir nach 1945 alles richtig gemacht hätten. Das Errichten vieler Denkmäler sei nicht gut, das Stalindenkmal47 sei auch über Nacht wieder verschwunden. Er vertrat weiter die Meinung, die Kunst solle von Künstlern und die Politik von Politikern gemacht werden, ansonsten entständen viele Fehler.
Im Postamt bzw. verschiedenen Straßen von Aschersleben, [Bezirk] Halle, wurden am 11. und 13.3.1968 insgesamt acht mit Schreibmaschine gefertigte Hetzzettel ausgelegt (10×12 bzw. 10,5×10 cm). Der Text lautete u. a.: »Polens Studenten kämpfen in Warschau, Gomułka48 im Kreml. Novotný von Dubček kaltgestellt. ›Information die Brücke‹ – unterzeichnet mit W. Gr. – Tod + Teufel. (Auf der Rückseite steht: »Lesen und wegwerfen!«)
Am 17.3.1968 wurden an der Autobahnbrücke Lübben (Autobahn Berlin – Dresden, am km 35) drei von unbekannten Tätern angeschmierte Hetzlosungen »Es lebe der 17. Juni« festgestellt. Die Hetzlosungen wurden mit weißer Ölfarbe angeschmiert und sind 7 m lang (Buchstabenhöhe 70 cm). Je eine Hetzlosung befindet sich an der Brückenseite in Richtung Dresden, in Richtung Berlin und an der Innenfläche der Brücke.
Am 15.3.1968 wurden erstmalig Flugblätter »Frischer Wind« (Herausgeber: Bundeswehr) per Post in die DDR eingeschleust, die an die Situation in der ČSSR anknüpfen und in diesem Zusammenhang Hetze gegen die Verhältnisse in der DDR und seine führenden Funktionäre beinhalten.
Am 11.3.1968 verweigerten 49 Lehrlinge aus dem Lehrlingswohnheim des VEB49 Holzverarbeitungswerk Klosterfelde, [Kreis] Bernau, das Essen, nachdem trotz mehrfacher Beschwerden an die BGL wegen mangelhafter Qualität der Verpflegung bzw. schlechter hygienischer Verhältnisse keine Veränderung der Situation erfolgt war. Die Lehrlinge änderten ihr Verhalten erst, nachdem am 12.3.1968 durch die Betriebsleitung entsprechende Auseinandersetzungen geführt wurden. Durch das MfS gemeinsam mit der VP eingeleitete Maßnahmen erbrachten eine Bestätigung der von den Lehrlingen kritisierten Verhältnisse. Mit ihrem Verhalten hätten sie lediglich eine Veränderung der Zustände erreichen wollen. (Verdacht auf feindliche bzw. kriminelle Handlungen liegt nicht vor, die Lehrlinge sind in der Vergangenheit nicht negativ in Erscheinung getreten.)50
Im VEB Ermafa, Betriebsteil Borna, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, wurde in der Toilette des Verwaltungsgebäudes die Losung angeschmiert: »In Polen ging es schon los, auch wir sind bald wieder da!«
Am 13.3.1968 wurde in der Toilette im 1. Stock des Verwaltungsgebäudes der Charité eine von unbekannten Tätern geschmierte Losung »Die ČSSR geht voran« entdeckt. (Die Losung wurde sofort entfernt und erst danach die Sicherheitsorgane benachrichtigt.)
Von bisher unbekannten Tätern wurde am 12.3.1968 am Ortseingangsschild der Gemeinde Neurüdnitz, [Bezirk] Frankfurt/O., mit roter Kreide die Losung »Für die Freiheit das Leben« angeschmiert.
Am 21.3.1968 wurde festgestellt, dass im Institut für Deutsche Geschichte51 bzw. im Vorraum der Mensa der Humboldt-Universität Berlin zwei Plakate, die anlässlich des 3. Studententages an entsprechenden Anschlagtafeln angebracht waren und u. a. das Bildnis von Marx zeigen, mit dem Text »Prag – Vorbild« überklebt waren. Die dazu verwandten Klebestreifen waren genau in Mundform ausgeschnitten und wurden in dieser Form auf den Mund der Marxabbildung geklebt.52
Die notwendigen Maßnahmen zur Aufklärung vorgenannter Vorkommnisse wurden vom MfS eingeleitet.
In einem anonymen Hetzbrief an den Deutschen Fernsehfunk wird neben der Verherrlichung der Ereignisse in Warschau übelste Hetze gegen den Staatsratsvorsitzenden der DDR betrieben. Weiter werden in diesem Brief Sendungen über den »Aufstand« in Warschau gefordert.
Am 14.3.1968 wurden im Schnellzug D 28 von Berlin nach Leipzig in Jüterbog bzw. Wittenberg die polnischen Bürger [Name 2, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1944, wohnhaft Leipzig, Student der Polygrafie am Polygrafischen Institut Leipzig, [Name 3, Vorname] und [Name 4, Vorname], beide ebenfalls zzt. als Studenten am Polygrafischen Institut Leipzig tätig, wegen Beschimpfung des Zugführers von der Trapo festgenommen. Zwei der Studenten gaben zu, an den Krawallen in Warschau beteiligt gewesen zu sein. Diese Studenten waren bereits am 13.3. auf der Fahrt von Frankfurt/O. nach Berlin aus Polen einreisend negativ angefallen. Sie äußerten gegenüber dem Kontrolleur, dass die DDR-Presse nicht umfassend über die Ereignisse in Polen berichtet hätte. Der [Name 2] gab weiter an, am 5.3.1968 in Leipzig von den Ereignissen in Warschau gehört zu haben und daraufhin sofort nach dort gefahren [zu] sei[n], um an den Demonstrationen teilzunehmen. [Name 2] äußerte u. a., dass »Deutschland in einem Monat auch frei sein werde«. In Leipzig und anderen Städten würden in vier bis sechs Wochen ebenfalls Studentendemonstrationen stattfinden, um den Studenten und der Bevölkerung der DDR auch »die persönliche Freiheit zu erkämpfen«.53
(Weitere Untersuchungen zur näheren Aufklärung der Zusammenhänge werden gegenwärtig noch geführt.)