Reaktion der Bevölkerung auf Maßnahmen der Warschauer Paktes
23. August 1968
Einzelinformation Nr. 892/68 über die Reaktion der Bevölkerung der DDR auf die Maßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten
Die von der Sowjetunion und den anderen Warschauer Vertragsstaaten zur Sicherung der sozialistischen Gesellschaftsordnung in der ČSSR eingeleiteten Maßnahmen1 lösten nach ihrem Bekanntwerden unter allen Teilen der Bevölkerung der DDR lebhaftes Interesse aus, das sich u. a. ausdrückt
- –
in einem starken Informationsbedürfnis über die weitere Entwicklung sowohl in der ČSSR als auch im internationalen Rahmen nach Einleitung der Maßnahmen;
- –
in anhaltenden Diskussionen in allen Bevölkerungsschichten, wobei vom Umfang und der Intensität her ein Höhepunkt im politischen Interesse und in der Argumentation der Bevölkerung erreicht wurde;
- –
in einem weitgehend offenen Darlegen der wahren politischen Ansichten, wobei auch bisher scheinbar zurückhaltende und sich loyal verhaltende Bürger verstärkt ihre tatsächlichen politischen Anschauungen offen bekunden.
Der größte Teil der Bürger der verschiedenen Schichten der Bevölkerung der DDR begrüßt und unterstützt diese Maßnahmen als notwendigen Beitrag zur Gewährleistung der Unantastbarkeit der Grundlagen des Sozialismus in der ČSSR und der anderen sozialistischen Länder und bringt dies in mündlichen und schriftlichen Zustimmungserklärungen2 zum Ausdruck. Die meisten Bürger erkennen richtig die historische Tragweite dieser Maßnahmen in der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit dem Weltimperialismus.
Durch die kurzfristig eingeleitete offensive agitatorische und propagandistische Tätigkeit der Partei- und Massenorganisationen und anderer gesellschaftlicher Kräfte wurden vor allem die Werktätigen in den Betrieben und Institutionen schnell informiert und mit den Zusammenhängen vertraut gemacht.
Vielfach werden spontan oder anlässlich durchgeführter Versammlungen Zustimmungserklärungen mit Verpflichtungen zur ökonomischen Stärkung der DDR, zu höherer Wachsamkeit und Einsatzbereitschaft sowie Aufnahmeersuchen in die SED und in die DSF verbunden. Wiederholt wurde von Reservisten betont, sie seien jederzeit zu einem Einsatz bereit.
Übereinstimmend wird berichtet, dass unter der Bevölkerung der DDR Besonnenheit und Ruhe bewahrt wurde. Kurzschlusshandlungen und Panikmacherei wurden bisher nicht bekannt.
Es ist einzuschätzen, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung der DDR hinter den Maßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten steht, diese Schritte befürwortet und deren Richtigkeit betont.
Dabei treten solche Diskussionsrichtungen in den Vordergrund:
- –
es war notwendig, mit den konterrevolutionären Kräften und ihren Absichten Schluss zu machen;
- –
die Maßnahmen kommen zum richtigen Zeitpunkt und werden ein größeres Blutvergießen wie in Ungarn 1956 verhindern;3
- –
Hoffnung auf schnelle und wirksame Klärung der Situation in der ČSSR;
- –
die Maßnahmen sind die richtige Antwort auf die Revanchistentreffen und das Manöver »Schwarzer Löwe«;4
- –
mit den Maßnahmen wurde eine ernste Gefahr für das sozialistische Lager und die sozialistische Entwicklung in der ČSSR abgewendet;
- –
die Übereinstimmung zwischen den beteiligten sozialistischen Staaten beweist die Einheit des sozialistischen Lagers.
Einen größeren Umfang nehmen Diskussionen ein, in denen die Verräterrolle Dubčeks5 verurteilt wird. Seine Gesinnung sei bereits aus seiner persönlichen Haltung während der Pressekonferenz in Karlovy Vary6 zu erkennen gewesen. Das Verhalten Dubčeks bestätigte auch die Richtigkeit der Feststellungen in der Erklärung des ZK der SED.
An Umfang nehmen gegenwärtig solche Argumente zu, in denen der Erwartung Ausdruck gegeben wird, dass die progressiven Kräfte in der ČSSR so bald wie möglich an die Öffentlichkeit treten und unter ihrer Leitung die inneren Angelegenheiten geklärt werden.
In den Argumenten zeichnet sich jedoch weiterhin ab, dass nach den Beschlüssen von Bratislava und den Erklärungen von Karlovy Vary, die eine konsequentere Politik in der ČSSR erwarten ließen, große Teile der Bevölkerung der DDR von den neuen Maßnahmen überrascht wurden.
Man habe sich nach den Veröffentlichungen von Čierna,7 Bratislava8 und Karlovy Vary eine Verbesserung der Situation erhofft. Viele Bürger seien nach diesen Besprechungen der Auffassung gewesen, dass damit die Gefahr der Konterrevolution in der ČSSR abgewendet worden sei und sich die inneren Verhältnisse in der ČSSR stabilisieren würden. Gegenwärtig ist aber auch eine Zunahme solcher Diskussionen zu verzeichnen, in denen zwar die eingeleiteten Maßnahmen zum Schutz der sozialistischen Errungenschaften für richtig und notwendig befunden werden, jedoch wachsende Befürchtung über ein eventuelles militärisches Eingreifen der Westmächte oder Westdeutschlands zum Ausdruck gebracht wird. Wiederholt wird in diesem Zusammenhang die Befürchtung geäußert, dass sich ein bewaffneter Konflikt auf das Territorium der DDR ausdehnen könnte. Derartige Äußerungen kommen vor allem von weiblichen Personen, deren Angehörige ihren Dienst in der NVA versehen. Besorgnis wird besonders auch von solchen Eltern und Angehörigen geäußert, deren Kinder oder Verwandte sich gegenwärtig im Urlaub in der ČSSR aufhalten.
Während der politisch-aufgeklärte und interessierte Teil der Bevölkerung die neuen Maßnahmen begreift, treten bei politisch weniger interessierten Bürgern und solchen, die unter starkem Einfluss der westlichen Rundfunk- und Fernsehsender stehen, Unklarheiten und Fragen auf. So u. a.:
- –
Wurde die Lage in der ČSSR nicht überspitzt eingeschätzt; war der Einmarsch notwendig oder hätten nicht andere Mittel und Wege genügt?
- –
Die Tschechen sollen allein entscheiden, welche Staatsführung oder -ordnung sie haben wollen.
- –
Warum wurde in der ČSSR kein Volksentscheid darüber durchgeführt?
- –
Warum hat man nicht schon zu Novotnýs9 Zeiten eingegriffen, um die Fehler zu vermeiden?
- –
Befürchtungen, dass diese Maßnahmen zu einem erheblichen Prestigeverlust bei den progressiven Kräften der nichtsozialistischen Länder führen könnten und dadurch zum Abbruch bestehender Verbindungen und zur Beeinträchtigung der Friedensbewegung.
- –
Welche Personen haben die Hilfe angefordert, in welchem Maße sind sie legitimiert und warum treten sie nicht öffentlich auf?10 (Dieses Argument nimmt weiterhin an Umfang zu.)
- –
Welche Haltung nimmt die ČSSR-Bevölkerung, die Armee und nehmen führende Persönlichkeiten in der ČSSR zu den Maßnahmen ein? Gibt es noch progressive Kräfte und kann man ihnen vertrauen?
- –
Weshalb wurde Rumänien11 nicht einbezogen, und welche Haltung wird dieser Staat aufgrund des mit der ČSSR abgeschlossenen Freundschafts- und Beistandspaktes einnehmen?
- –
Musste sich die DDR in diese Angelegenheiten einmischen, hätte man das nicht der SU überlassen können? Die DDR verliere dadurch an Ansehen. Der Tatbestand könnte von den Westmächten zu propagandistischen Zwecken ausgenutzt werden.
- –
Vermutungen, dass die Konferenz der Kommunistischen und Arbeiterparteien im November 1968 in Moskau12 nicht zustande kommt, da die Parteien in der Frage ČSSR zu unterschiedliche Positionen einnehmen würden. In diesem Zusammenhang sind Argumente, in denen die Einheit und Geschlossenheit der kommunistischen Parteien und des sozialistischen Lagers angezweifelt werden, als Schwerpunkt einzuschätzen. Fragen nach der Haltung insbesondere der VR Rumänien, Jugoslawien, Albaniens und z. T. Chinas werden häufig gestellt.
- –
Anwachsende Unklarheit darüber, warum der »Ausbruch« Rumäniens und Albaniens13 aus dem sozialistischen Lager angeblich zugelassen worden sei, während im Falle der ČSSR mit Streitkräften eingegriffen wurde.
In verschiedenen Bezirken sind vereinzelt Angsteinkäufe nicht verderblicher Lebensmittel festgestellt worden. Eine wesentliche Beeinträchtigung der Handelstätigkeit erfolgte bisher nicht.
Wie bei früheren Ereignissen wird auch im Zusammenhang mit den Maßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten die Informationstätigkeit der DDR-Publikationsorgane bemängelt, wodurch man angeblich gezwungen sei, Westsender zu empfangen. Übereinstimmend wird von den Bezirken eingeschätzt, dass das Abhören westlicher Sendestationen in allen Bevölkerungsschichten sprunghaft angestiegen ist. Dabei wird von einer großen Anzahl von Bürgern die »aktuelle und lückenlose« Berichterstattung dieser Sender als »beispielhaft« gewürdigt. Vielfach lassen die Äußerungen erkennen, dass die zielgerichtete Berichterstattung dieser Sender, vor allem die konterrevolutionären und feindlichen Tendenzen dieser Sendungen, nur teilweise erkannt werden.
Gegenwärtig liegen zahlreiche Beispiele vor, wonach mit Kofferradios direkt am Arbeitsplatz westliche Hetzsendungen – teilweise unter Einbeziehung eines größeren Mitarbeiterkreises – gehört und verbreitet werden.
Dieser verstärkte Empfang der Westsender spiegelt sich auch in verschiedenen Gerüchten und Spekulationen über die Lage in der ČSSR und in den negativ-feindlichen Argumenten wider, die vor allem von bereits bekannten negativen Personen aus den Reihen der wissenschaftlichen, technischen, künstlerischen und medizinischen Intelligenz sowie von Studenten vertreten werden.
Gegenwärtig im größeren Umfang kursierende Gerüchte und Spekulationen sind folgende:
- –
Die Regierung und Parteiführung der Sowjetunion habe sich gespalten, einige Funktionäre seien »abgetreten«. (Dabei werden verschiedene Namen genannt.)
- –
Leitende Funktionäre der ČSSR seien nach Moskau »verschleppt« worden.
- –
Der »Flüchtlingsstrom« aus der ČSSR nach Österreich sei ständig im Ansteigen.
Weitere derartige Äußerungen beziehen sich vor allem auf angebliche »Widerstandshandlungen« der tschechoslowakischen Bevölkerung gegen die Sowjetarmee, auf bewaffnete Zusammenstöße und auf den Verbleib führender Politiker der ČSSR.
Die nach anfänglich abwartender Haltung aufgetretenen negativ-feindlichen Argumente haben im Verhältnis zu den zustimmenden Äußerungen einen geringen, das Gesamtbild der Reaktion nicht wesentlich beeinflussenden Umfang. Übereinstimmend wird jedoch eingeschätzt, dass derartige Äußerungen gegenüber früheren politischen Höhepunkten zugenommen haben. Die negativ feindlichen Argumente, die häufig den Sendungen des Westrundfunks und -fernsehens entnommen sind, beinhalten im Wesentlichen folgende Tendenzen:
- –
Antikommunistische und besonders antisowjetische Äußerungen;
- –
Ablehnung der von den Warschauer Vertragsstaaten eingeleiteten Maßnahmen und deren Gleichsetzung mit der USA-Aggression in Vietnam;
- –
Gleichsetzung des Einrückens der verbündeten Streitkräfte mit dem Einmarsch der faschistischen Truppen 1938 in die ČSR,14 was besonders die NVA kompromittiere, die mit den »alten« Uniformen die ČSSR-Bürger schockieren würde. Außerdem widerspreche der Einmarsch in die ČSSR dem Treueeid der NVA.15
- –
Die Maßnahmen seien nicht im Interesse und auf Verlangen der tschechoslowakischen Bevölkerung und Regierung erfolgt und würden daher eine völkerrechtswidrige Einmischung in die inneren Angelegenheiten der ČSSR darstellen.
- –
Die Maßnahmen seien ein »Aggressionsakt«, weil die Kräfte, die um Hilfe ersucht haben, nicht genannt werden, offensichtlich fingiert oder nicht legitimiert seien. Zweifel an der Richtigkeit des Hilfeersuchens.
- –
Da die Aktionen schon vor den Souveränitätserklärungen in Bratislava und Karlovy Vary vorbereitet gewesen sein müssten, habe man am tschechoslowakischen Vertragspartner hinterhältig gehandelt.
- –
Die »Russen« könnten scheinbar überall bestimmen, was gemacht wird. In China habe es sich die SU aufgrund der Stärke dieses Landes nicht getraut einzurücken.
- –
Die »Einmischung« zeige, dass der Kommunismus »Diktatur« sei. Das sozialistische Lager würde nur mit Gewalt aufrechterhalten. Die Aktion beweise die mangelhafte Lebenskraft des Sozialismus und des Marxismus-Leninismus.
- –
Was die Partei (SED) sagt, müsse nicht immer richtig sein. Man denke an die Stalin-Ära.
- –
Der proletarische Internationalismus sei auf Europa beschränkt. Nach Vietnam würde man keine Panzer schicken.
- –
Man könne von einer »Krise« im sozialistischen Lager sprechen, die offen zutage trete.
- –
Die »Nichteinmischung« Bonns bedeute die Anerkennung der Souveränität der ČSSR. Andererseits wird das Eingreifen der Westmächte erwartet und erwünscht.
- –
Den DDR-Publikationsorganen werden Falschinformationen unterstellt, besonders im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Lage in der ČSSR nach dem 21.8.1968. In Wirklichkeit würden diese Maßnahmen auf erheblichen »Widerstand« der ČSSR-Bevölkerung stoßen. (Bis zu 80 % der ČSSR-Bevölkerung würden sich gegen diese Maßnahmen wenden.)
- –
Verleumderische Ansichten im Zusammenhang mit den Maßnahmen an der Staatsgrenze Süd. Die DDR würde immer mehr einem »Zuchthaus« gleichen, in dem ständig weitere Wege »verriegelt« würden.
- –
Zzt. nehmen solche Tendenzen zu, Dubček als einen »Volkshelden der ČSSR« bzw. als Persönlichkeit, die Schritte gegen Moskau und das Regime unternommen habe, hervorzuheben. In diesem Zusammenhang gibt es Sympathiebekundungen für Dubček.
- –
Die »Übereinstimmung« während der Verhandlungen in Čierna, Bratislava und Karlovy Vary sei geheuchelt gewesen. Daran erkenne man die »Unglaubwürdigkeit« solcher Veröffentlichungen der SED. Im »Hinterhalt« hätten bereits Panzer bereitgestanden, deren Anwesenheit mit Manövern »getarnt« worden sei.
Zum Verhalten der gegenwärtig in der DDR weilenden ČSSR-Bürger ist einzuschätzen, dass diese sich zum größten Teil ruhig verhalten, für die durch die Maßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten eingetretene Verzögerung ihrer Rückreise (soweit es sich um Touristen handelt) Verständnis aufbringen und den Anweisungen und Hinweisen der DDR-Betreuer entsprechen. Trotzdem sorgen sich viele um ihre in der ČSSR lebenden Angehörigen, besonders ihrer Kinder, woraus auch der starke Wunsch nach schneller Rückkehr in die Heimat abgeleitet wird. Verschiedene ČSSR-Bürger setzten sich deswegen auch mit der ČSSR-Botschaft in der DDR in Verbindung. Verschiedentlich wurde die Bitte geäußert, dass der DDR-Rundfunk mehr über die gute Unterbringung und Betreuung der ČSSR-Bürger in der DDR bringen sollte, damit die Verwandten in der ČSSR beruhigt würden.
Die teilweise vorhandene Besorgnis wird noch gefördert durch die in breitem Umfang neben den DDR-Sendungen abgehörten Meldungen der verschiedensten tschechischen und westdeutschen Rundfunkstationen, die die wahren Zusammenhänge des Eingreifens der Warschauer Vertragsstaaten verdrehen, die Unterstützungsmaßnahmen verleumden und Gräuelmeldungen propagieren.
In der Haltung der ČSSR-Bürger zu den Maßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten gibt es unterschiedliche Auffassungen, die aber stark beeinflusst sind von der in den letzten Monaten in der ČSSR betriebenen ideologischen Aufweichung und Zersetzung durch die revisionistischen und konterrevolutionären Kräfte. Die von den ČSSR-Bürgern vertretenen Auffassungen und die bestehenden Unklarheiten sind auch z. T. durch den Empfang von Westsendern und der illegal arbeitenden »ČSSR-Sender« hervorgerufen.
Neben einem großen Teil der ČSSR-Bürger, die ruhig und vertrauensvoll, wenn auch mit verschiedenen Bedenken, einer positiven Entwicklung in der ČSSR entgegensehen, gibt es verbreitet noch falsche Auffassungen und Unklarheiten. Sie bestehen im Wesentlichen darin,
- –
dass die Maßnahmen der vereinten Streitkräfte als »unberechtigte Einmischung« und »Okkupation« bezeichnet und mit der faschistischen Besetzung von 1938 verglichen werden;
- –
dass die verräterische Rolle einiger ČSSR-Politiker, die sich in führende Positionen eingeschlichen hatten, nicht erkannt und nach wie vor den heuchlerischen Erklärungen Dubčeks und damit seiner Person Vertrauen und Sympathien entgegengebracht wird;
- –
dass die Freundschaft der sozialistischen Länder zur ČSSR angezweifelt und der Sowjetunion und der DDR Misstrauen und Zurückhaltung entgegengebracht wird;
- –
dass sich ein Teil der ČSSR-Bürger in der DDR »interniert« und »gefangen« fühlt und
- –
dass sie die Nachrichten der DDR-Sender als unvollständig, einseitig und »sowjetisch orientiert« einschätzen, daher auch die Sendungen der westlichen Rundfunkstationen und illegalen »ČSSR-Sender« empfangen und deren Meldungen Glauben schenken.
Ein Teil dieser ČSSR-Bürger tritt daher auch den Argumenten der DDR-Betreuer voreingenommen und skeptisch gegenüber.
Ein kleiner Teil der ČSSR-Bürger, vor allem Jugendliche und Studenten, tritt an den Aufenthaltsorten offen, mitunter demonstrativ und provokatorisch gegen die Maßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten auf, wobei auch konkrete Forderungen vorgebracht werden. Dabei kommt es auch zu hetzerischen Ausfällen. So haben jugendliche ČSSR-Touristen in verschiedenen Unterkünften und ČSSR-Binnenschiffer in Magdeburg im Zusammenhang mit »Protesten« gegen die Maßnahmen der Warschauer Vertragsstaaten ČSSR-Fahnen auf Halbmast gesetzt. 15 ČSSR-Studenten, die im Sachsenwerk Niedersedlitz arbeiten, trugen beim Betreten des Betriebes schwarze Armbinden, weil »ihr Vaterland tot« sei.
Verschiedene gastronomische Facharbeiter und Studenten, die in der DDR Arbeitseinsätze durchführen, nahmen aus »Protest« am 21.8.1968 nicht die Arbeit auf. Die 48 Besatzungsmitglieder der in Magdeburg liegenden 16 ČSSR-Schiffe führten am 22.8.1968 von 12.00 bis 13.00 Uhr einen »Warnstreik« durch und forderten die Freilassung Dubčeks und anderer revisionistischer ČSSR-Politiker. Auch der Gastdirigent des Leipziger Gewandhausorchesters Václav Neumann,16 drohte mit Amtsniederlegung, wenn sich die Situation in der ČSSR zuspitzen würde.
In zwei Leipziger Sammelpunkten für Bürger aus dem sozialistischen Ausland verfassten ČSSR-Bürger »Protestresolutionen« und sammelten dafür 66 bzw. 90 Unterschriften. Entsprechend diesen Resolutionen solidarisieren sich die Unterzeichner mit Dubček, fordern seine sofortige Freilassung, protestieren gegen den Einmarsch der Streitkräfte der sozialistischen Länder und fordern deren sofortigen Abzug.