Reaktion internationaler kirchlicher Gremien auf Ereignisse in ČSSR
16. September 1968
Einzelinformation Nr. 1021/68 über die Reaktion internationaler kirchlicher Gremien auf die Ereignisse in der ČSSR
Der Weltkirchenrat, der Lutherische und der Reformierte Weltbund sowie die »Konferenz Europäischer Kirchen« haben am 21.8.1968 in einem gemeinsamen Sympathietelegramm an die tschechoslowakischen Kirchen versichert, dass sie mit ihnen »im Gebet verbunden« seien. Darüber hinaus hat der Generalsekretär des Weltkirchenrates, Dr. Eugene Carson Blake1/Genf, alle osteuropäischen Kirchen um einen Lagebericht und um Stellungnahme zu den Ereignissen in der ČSSR2 gebeten.
Dr. Frederick O. Nolde,3 der Direktor der Kommission der Kirchen für Internationale Angelegenheiten (KKIA) des Weltkirchenrates in Genf, hat am 22.8.1968 ein Memorandum verfasst, das an die Mitglieder der KKIA und an die Nationalkommission des KKIA gesandt wurde. Es hat folgenden Inhalt:
»Das berichtete militärische Vorgehen der Sowjetunion, Bulgariens, Polens, Ungarns und der Deutschen Demokratischen Republik in der Tschechoslowakei schafft eine tragische Situation für das tschechoslowakische Volk und bedeutet eine Bedrohung für den Weltfrieden und den guten Willen aller Menschen. Im gegenwärtigen Anfangsstadium der Entwicklung könnte es hilfreich sein, wenn wir uns frühere Erklärungen des Ökumenischen Rates der Kirchen ins Gedächtnis rufen, die in dieser neuen Situation von Belang sein könnten. Ich zitiere Ihnen diese nach Absprache mit dem Generalsekretär des Ökumenischen Rates und meinen Kollegen in der KKIA.
- 1.
Jede Nation sollte das Recht jeder anderen Nation, die sich an diese Maßstäbe hält (d. h. die Würde, den Wert und die fundamentalen Rechte, die jedem Menschen wesentlich angehören), nach ihren politischen und sozialen Überzeugungen zu leben und sie zu verkünden, respektieren, vorausgesetzt, dass sie nicht versucht, diese mittels Zwang, Drohung, Infiltration oder Betrug anderen Nationen aufzuerlegen.
- 2.
Die Dritte Vollversammlung in Neu-Delhi 1961 bestätigte in einer Erklärung zur Religionsfreiheit die »Freiheit in der Wahl der gewünschten Regierungsform und zur freien Wahl der verantwortlichen Führer«.
- 3.
Alle Nationen haben die Pflicht, für ihre Bürger das Recht zu gewissenmäßiger Kritik oder Zustimmung zu sichern. Auch können Achtung und Vertrauen nicht an die Stelle von Furcht und Misstrauen treten, wenn mächtige Nationen nicht das Joch beseitigen, das jetzt andere Nationen und Völker daran hindert, ihre Regierungen und die Gestalt ihrer Gesellschaftsordnung frei zu bestimmen. (Ein Appell der II. Vollversammlung in Evanston 1954)
- 4.
Vor allem rufen wir die Nationen dazu auf sich zu verpflichten, von jeder Drohung mit und jedem Gebrauch von Wasserstoff-, Atom- und allen anderen Waffen der Massenvernichtung sowohl wie von dem Einsatz jeglicher anderer Machtmittel gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit irgend eines Staates Abstand zu nehmen. (»Christen im Ringen um die rechte Ordnung in der Welt«, Bericht der II. Vollversammlung in Evanston 1954)4
- 5.
Wir sollten umkehren vom Weg, der zum Krieg führt, zum Pfad des Friedens. Alle müssen auf Androhung von Gewalt verzichten. Das aber bedeutet, dem Nervenkrieg, dem Druck auf kleine Länder, dem Rasseln mit Bomben ein Ende zu machen … Geordnete Verfahren, Veränderungen herbeizuführen und Streitigkeiten zu lösen, sind dazu wesentlich. (Appell der III. Vollversammlung in Neu-Delhi an die Regierungen und Völker, Neu-Delhi 1961)5
- 6.
Wir Christen, die oft in Unfrieden miteinander gelebt haben, sehen, wie die Völker, um Kriege von unvorstellbaren Ausmaßen zu verhindern, Wege zu einer Koexistenz suchen. Das fordert uns heraus zu einer schöpferischen »Pro-Existenz«, in der wir das Wohl des anderen im Auge haben. (»Auf dem Wege zu Gerechtigkeit und Frieden in internationalen Angelegenheiten«, Bericht der IV. Vollversammlung in Uppsala 1968)6
Die Beachtung dieser und anderer Erklärungen des Ökumenischen Rates und seiner Kommission für Internationale Angelegenheiten zu diesen Fragen kann vielleicht Kirchen wie Regierungen Richtlinien für ihr Verhalten angesichts der gegenwärtigen Krise geben.«
Mitarbeiter des »Ökumenischen Rates der Kirchen« Genf seien von der »Besetzung« der ČSSR durch Truppen des Warschauer Paktes genauso überrascht worden, wie die internationale Öffentlichkeit.
Vom »Ökumenischen Rat der Kirchen« in Genf/Schweiz wurde am 28.8.1968 eine »Erklärung zu den Ereignissen in der ČSSR« abgegeben, die folgenden Wortlaut hat:
»Die leitenden Amtsträger des Ökumenischen Rates der Kirchen haben den Rat von Mitgliedskirchen in den direkt von der jüngsten militärischen Intervention in der Tschechoslowakei betroffenen Ländern eingeholt; sie haben einschlägige Verlautbarungen geprüft, die die Kirchen gemeinsam auf vergangenen Vollversammlungen abgaben und die durch die Kommission der Kirchen für Internationale Angelegenheiten dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen übermittelt wurden, und richten nunmehr diese neue Erklärung an alle Mitgliedskirchen des Ökumenischen Rates mit der Bitte, sie ihren Mitgliedern und ihren Regierungen zur Kenntnis zu bringen. Wir sprechen nicht nur, weil es hier um die ernsten Fragen des Friedens, der menschlichen Freiheit und Menschenwürde geht, sondern auch als Antwort auf einen uns indirekt von einer unserer Mitgliedskirchen in der Tschechoslowakei übermittelten Appell.
Erstens bedauern wir die militärische Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Tschechoslowakei, eines kleinen, verbündeten, freundlich gesinnten Nachbarlandes, durch die Regierungen der UdSSR, Polens, Ostdeutschlands, Ungarns und Bulgariens.
Zweitens stellen wir fest, dass die neue Führung der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei bestrebt war, Partei und Staat mit legalen Mitteln, die in keiner Weise als Unfreundlichkeit gegenüber den östlichen Nachbarn ausgelegt werden konnten, zu reformieren, und dass es das Ziel dieser Reform war, mehr geistige und intellektuelle Freiheit zu gewähren. Diese Bemühungen wurden und werden von der überwältigenden Mehrheit des Volkes der Tschechoslowakei unterstützt.
Drittens befürchten wir die Auswirkungen dieser unbedachten Aktion der UdSSR und ihrer Nachbarn, weil sie das Vertrauen der friedliebenden Menschen überall erschüttert, ein Vertrauen, auf dem allein der Weltfrieden hergestellt werden kann.
Viertens appellieren wir an die Regierung der UdSSR, ihre Politik zu überprüfen, die zu der militärischen Intervention geführt hat, alle ihre Truppen zum frühestmöglichen Zeitpunkt aus der Tschechoslowakei zurückzuziehen, auf die Anwendung von Gewalt oder die Drohung mit Gewalt gegenüber ihren Verbündeten zu verzichten und sich bewusst zu sein, dass die Anwendung militärischer Gewalt, für welchen Zweck und durch welche Macht auch immer, besonders aber durch eine Großmacht, anderen Mächten den Vorwand oder Grund gibt, der Gewalt mit Gewalt zu begegnen. Die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen stellte in Neu-Delhi fest: »Alle müssen auf Androhung von Gewalt verzichten. Das aber bedeutet, dem Nervenkrieg, dem Druck auf kleine Länder, dem Rasseln mit Bomben ein Ende zu machen … Geordnete Verfahren, Veränderungen herbeizuführen und Streitigkeiten zu lösen, sind dazu wesentlich.
Fünftens: Wir fühlen uns eins mit den Kirchen und dem Volk der Tschechoslowakei und drücken ihnen unsere Anteilnahme in dieser schweren Prüfung aus. Wir unterstützen ihren gewaltlosen Widerstand gegen die erzwungene Wiedereinführung geistiger, intellektueller und sozialer Kontrollen, die für eine tapfere und mutige Nation unannehmbar sind. Wir rufen alle unsere Kirchen auf, für das Volk der Tschechoslowakei und für seine Führer zu beten, damit durch Mut, Weisheit und Mäßigung der Friede und die Freiheit in Gerechtigkeit in ihrem Land und in der Welt hergestellt werden mögen.«
gez. M. M. Thomas,7 Vorsitzender des Zentralausschusses
Eugene Carson Blake, Generalsekretär
Metropolit Meliton von Chalcedon8, stellvertretender Vorsitzender des Zentralausschusses
Pauline M. Webb,9 stellvertretende Vorsitzende des Zentralausschusses
Der Präsident des Lutherischen Weltbundes, Dr. Fredrik A. Schiotz,10 und der Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes, Dr. André Appel,11 haben anlässlich der Jahressitzung des Exekutiv-Komitees in Genf ein persönliches Grußwort an die beiden lutherischen Kirchen der Tschechoslowakei gerichtet. (Zwei der sechs nichtkatholischen Kirchen der ČSSR sind lutherisch.) Das Grußwort hat folgenden Wortlaut:
»Die Kirchen des Lutherischen Weltbundes grüßen Euch, Eure beiden Kirchen und alle christlichen Brüder in der Tschechoslowakei. Wir schließen Euch und Euer geliebtes Land in unsere Fürbitte ein und beten dafür, dass die gegenwärtigen Verhandlungen in Moskau zu Ergebnissen kommen, die der Freiheit Eures Volkes Ehre machen und den Gesprächen der Regierungen der Völker über den Frieden die Glaubwürdigkeit bewahren.«
Der Vorstand des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes hat am 29.8.1968 in Zürich folgende Erklärung herausgegeben:
»Die Besetzung der Tschechoslowakei durch Truppen des Warschauer Paktes hat bei allen Gliedern unserer Kirchen Gefühle der Trauer, des Schmerzes und des berechtigten Zornes ausgelöst. Wir erheben unseren Protest gegen die gewaltsame Unterdrückung eines kleinen Volkes. Wir erklären uns solidarisch mit allen Menschen in und außerhalb der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, welche auf dem Wege sind, echte Menschlichkeit zu verwirklichen. Wir sind der festen Hoffnung, dass keine gewaltsame Intervention letztlich den Durchbruch der Freiheit verhindern kann. Wir rufen auf zum Gebet für das ganze tschechoslowakische Volk, aber auch für eine besonnene und evangelische Haltung der Christen in der Tschechoslowakei und in der Schweiz.«
Im Namen des Regionalausschusses Westdeutschland der »Prager Christlichen Friedenskonferenz« erklärte der stellvertretende Vorsitzende, Pfarrer Martin Schröter12/Dortmund, am 21.8.1968 gegenüber der Presse:
»Die Mitarbeiter der Prager Christlichen Friedenskonferenz in der Bundesrepublik beobachten die durch das Eingreifen der Truppen des Warschauer Paktes in der Tschechoslowakei entstandene Lage mit großer Sorge.«
Schröter wies weiter darauf hin, dass auch die Kirchen in der ČSSR von den innenpolitischen Ereignissen, gegen die sich die Intervention richtet, »mit berührt« waren. Sobald Klarheit darüber bestehe, was in Prag vor sich gegangen ist, werden sich nach Meinung Schröters die Gremien der Prager Christlichen Friedenskonferenz mit den Vorgängen beschäftigen müssen.
Der Präsident der »Prager Christlichen Friedenskonferenz«, Prof. Josef L. Hromádka13/Prag, hatte bei der letzten »Allchristlichen Friedensversammlung« in Prag im April 1968 und auch bei der Weltkirchenkonferenz im Juli dieses Jahres in Uppsala/Schweden die »Demokratisierungsbewegung« in der ČSSR lebhaft begrüßt.
In jedem System sei es Aufgabe der Christen, dazu zu helfen, dass die Macht kontrolliert wird. Auf diese während der letzten »Allchristlichen Friedensversammlung« in Prag getroffene Festlegung wies Oberkirchenrat Karl Immer14/Düsseldorf in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst hin. Nach Meinung Immers muss sich die »Prager Christliche Friedenskonferenz« angesichts der jüngsten Ereignisse hinter diesen Satz stellen.
Am 9.9.1968 trat der Regionalausschuss der DDR der »Prager Christlichen Friedenskonferenz« in der Hauptstadt der DDR zu einer Sitzung zusammen. Unter Vorsitz von Carl Ordnung15 (Vorsitzender des Regionalausschusses der DDR der Prager Christlichen Friedenskonferenz) und Teilnahme von Prof. Bassarak16 (Internationaler Sekretär der Prager Christlichen Friedenskonferenz) war vorgesehen, eine positive Stellungnahme zu den Maßnahmen der Warschauer Paktstaaten zu beschließen. (Eine entsprechende Absprache hatte am 2.9.1968 im Staatssekretariat für Kirchenfragen mit Ordnung und Bassarak stattgefunden.)
Das Ergebnis dieser Sitzung ist wie vorgesehen als positiv einzuschätzen. (Bei Vorliegen weiterer Einzelheiten wird nachberichtet.)
Bekannt wurde in diesem Zusammenhang, dass der Generalsekretär der »Prager Christlichen Friedenskonferenz«, Ondra17/Prag, an alle Regionalausschüsse die dringende Bitte gerichtet hat, gegen die »Besetzung« der ČSSR zu protestieren und den Abzug der Truppen des Warschauer Vertrages zu fordern.
Die katholische Kirche der ČSSR hat am 1.9.1968 eine Kanzelabkündigung veröffentlicht, die von dem Apostolischen Administrator Erzbischof Tomášek18/Prag verfasst wurde. Hierin versichert die katholische Kirche der ČSSR, dass sie weiterhin die legale Regierung der ČSSR unterstützen wird.