Reaktion westlicher Personenkreise zu Maßnahmen v. 11.6.1968
13. Juni 1968
Einzelinformation Nr. 642/68 über die Reaktion Westdeutscher und Westberliner Personenkreise zu den Maßnahmen der Regierung der DDR vom 11. Juni 1968
Seit Bekanntwerden der Maßnahmen der Regierung der DDR sowie seit deren Inkrafttreten1 setzte ein großes Informationsbedürfnis der betroffenen westlichen Personenkreise ein. Im Wesentlichen wurden an die Grenzkontrollorgane der DDR an den Grenzübergangsstellen folgende Fragen gestellt bzw. Meinungen geäußert:
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Einzelheiten der Abfertigung, Reisefristen, finanzielle Bedingungen zur Erlangung der Visa und Tagesaufenthaltsgenehmigungen sowie Einreisemöglichkeiten in die DDR.
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Bürger nichtsozialistischer Staaten waren besonders daran interessiert zu erfahren, auf welche Weise sie Visa nach Westberlin erhalten, welche Formalitäten dabei zu erfüllen sind, wobei sie die Befürchtung hegten, dass, wenn die Visa in ihren Pass gestempelt werden, dieser bald voll sein wird.
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Weiter wurde zum Ausdruck gebracht, dass aufgrund der finanziellen Seite es sich viele Personen überlegen werden, ein- oder durchzureisen.
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In einer Reihe von Äußerungen kam zum Ausdruck, dass die Visapflicht eine Erleichterung im grenzüberschreitenden Verkehr ist, da solche Maßnahmen in anderen Ländern auch üblich seien.
Die durch die Grenzorgane der DDR zu diesen Problemen erteilten Auskünfte, wobei auf die Veröffentlichungen der DDR-Publikationsorgane hingewiesen wurde, führten im Wesentlichen zum Verständnis bei den Auskunftssuchenden.
Die aufgetretenen Argumente ablehnenden Charakters gegen die Maßnahmen der Regierung der DDR, die nur vereinzelt auftraten, beinhalteten im Wesentlichen solche Probleme wie:
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keine Gütertransporte mehr zu unternehmen;
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das Beschäftigungsverhältnis bei westdeutschen oder Westberliner Transportfirmen zu kündigen oder nur noch im Stadtverkehr fahren zu wollen.
Unter den Personenkreisen, die an den GÜSt der DDR um Auskunft über die Maßnahmen der Regierung der DDR ersuchten, befanden sich eine große Anzahl von westlichen Journalisten, die im Auftrage ihrer Redaktionen erschienen waren. Ein Journalist vom Verlag »Die Welt«, Hamburg, sagte an der GÜSt Heinrich-Heine-Straße, dass er die neuen Reisebestimmungen in gewisser Hinsicht befürwortet. Er betonte aber, dass er seine Meinung, wie er sie in der Unterhaltung zum Ausdruck brachte, in der Zeitung »Die Welt« nicht bringen kann, da es sonst für ihn Schwierigkeiten gibt. In diesem Zusammenhang betonte er, dass seine Meinung als Reporter der Zeitung »Die Welt« aber nicht im ND erscheinen dürfe, sonst bekäme er große Schwierigkeiten.
Außerdem erschienen am Westkontrollpunkt Dreilinden am 12.6.1968 gegen 13.30 Uhr ca. 20 Journalisten, die Reisende, die vorher den Grenzkontrollpunkt der DDR Drewitz passiert hatten, über die Maßnahmen der Regierung der DDR befragten.
Gegen 13.30 Uhr des gleichen Tages ersuchte der Leiter des Westkontrollpunktes Herleshausen um eine Unterredung mit den verantwortlichen Offizieren der GÜSt Wartha. Er erschien in Begleitung von zwei Angehörigen des Bundesgrenzschutz-Einzeldienstes. Einer dieser Angehörigen bat den Leiter der Passkontrolleinheit sowie den operativen Diensthabenden der NVA um Auskunft über solche Fragen wie:
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Wie geht der Verkehr weiter?
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Ab wann treten die Maßnahmen in Kraft?
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Erfolgt die Visaeintragung durch Visabüros?
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Wird Sichtvermerk angebracht?
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Wo wird der Sichtvermerk im West-West-Verkehr angebracht?
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Gibt es Visa als Einlage?
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Ab wann ist Reisepass-Zwang?
Die Fragestellung erfolgte in korrekter und sachlicher Form. Durch die Leiter der Grenzsicherungsorgane der DDR wurde auf die entsprechenden Veröffentlichungen der DDR-Publikationsorgane verwiesen.
Zu Provokationen bzw. Ausfällen von Reisenden oder Auskunftssuchenden im Zusammenhang mit den Maßnahmen der Regierung der DDR vom 11.6.1968 ist es bisher an den GÜSt der DDR nicht gekommen.
Nach dem Inkrafttreten der neuen Maßnahmen der Regierung der DDR am 13.6.1968, 0.00 Uhr, wurden bis 9.00 Uhr an den GÜSt der Staatsgrenze der DDR an 9 387 westdeutsche und Westberliner Bürger, die im Verkehr zwischen der westdeutschen Bundesrepublik und der besonderen politischen Einheit Westberlin reisten, Transitvisa erteilt. Die Abfertigung der Reisenden an den GÜSt verlief normal, und es kam bisher zu keinen größeren Stauungen im Reiseverkehr. Lediglich an der GÜSt Hirschberg kam es nach 1.00 Uhr aufgrund konzentrierter Anreise von fünf Bussen zu Wartezeiten bis zu zwei Stunden. Durch die Einzelabfertigung aller Reisenden in Bussen werden für die Abfertigung eines Busses bis zu 60 Minuten benötigt.
Im Verhalten der ab 13.6.1968, 0.00 Uhr, mit Transitvisa einreisenden westdeutschen und Westberliner Bürger gab es keine Provokationen oder anderweitige negative Erscheinungen. Sämtliche Reisenden waren über die Maßnahmen der Regierung der DDR informiert. Mehrere westdeutsche Bürger waren bereits im Besitz neuer Reisepässe. Ein großer Teil der Reisenden beantragte für ihre Transitreise nach Westdeutschland bzw. Westberlin ein zweimaliges Visum. An den GÜSt der DDR haben bisher keine westdeutschen oder Westberliner Bürger wegen der Visapflicht eine Reise durch die DDR abgelehnt.
Zu den Maßnahmen der Regierung der DDR gab es von diesen Kreisen bisher folgende Meinungen und Argumente:
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Die Maßnahmen der DDR seien ein harter Schlag gegen die Westdeutschen und Westberliner.
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Man solle mit solchen Maßnahmen die Trennung nicht ganz vollziehen.
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Man könne nicht verstehen, dass zwischen beiden deutschen Staaten eine Visapflicht eingeführt werde, während man in ganz Westeuropa die Visapflicht abschafft.
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Diese Maßnahmen träfen nur wieder die kleinen Leute.
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Man werde jetzt nicht mehr als Deutscher, sondern wie ein Ausländer behandelt.
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Eine Flugreise nach Westberlin sei jetzt nur noch 10,00 Westmark teurer als eine Bahnreise.
Wiederholt wurde von den Reisenden auch Verständnis für die Maßnahmen der Regierung der DDR zum Ausdruck gebracht, so u. a.:
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Die westdeutsche Regierung solle endlich davon ausgehen, dass die DDR existiert, zwischen zwei Staaten sei die Visapflicht ganz normal.
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Die Maßnahmen würden mit der Anerkennung der DDR zusammenhängen, und die Bonner Regierung solle endlich die Realitäten anerkennen.
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Wenn man in andere Staaten fährt, müsse man auch für ein Visum bezahlen, z. B. nach der ČSSR 12,00 und nach Norwegen 8,00 Westmark.
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Diese Maßnahmen seien u. a. auch eine reine Geldfrage, und sie seien aufgrund der ständigen Mahnungen der DDR an die westdeutsche Regierung, z. B. Bezahlung der Postgebühren, vorauszusehen gewesen.
Teilweise gab es unter den Reisenden noch Unklarheiten über die notwendigen Formalitäten bei der Beantragung von Visa. Diesbezügliche Anfragen konnten sofort geklärt werden. Von einigen Lkw-Fahrern, die fast täglich, zum Teil sogar zweimal am Tage, zwischen Westberlin und Westdeutschland fahren, wurde geäußert, dass sie alle zwei Wochen einen neuen Reisepass beantragen müssten, weil dieser von den vielen Sichtvermerken sehr schnell voll sei.
Busfahrer äußerten sich, dass sie zukünftig Fahrten mit Schülern ablehnen werden, da diese weder Pässe besitzen noch die geforderten Gebühren entrichten können.
An der GÜSt Drewitz erschien gegen 1.00 Uhr aus Westberlin kommend der Redakteur der DPA [Name, Vorname] und wollte Auskunft über die Form der neuen Abfertigung der Reisenden, um in Zeitungen darüber zu berichten. Es wurde ihm jegliche Auskunft verweigert.
Am Westkontrollpunkt Heerstraße konnte beobachtet werden, dass Kraftfahrer von der Westpolizei bzw. dem Westzoll befragt und die Transitvisa-Anträge eingesehen wurden. Am Westkontrollpunkt Helmstedt wurden Reisende von Angehörigen des Bundesgrenzschutzes befragt.
Insgesamt wird die Lage an den Westkontrollpunkten als normal eingeschätzt. Personelle Verstärkungen und andere Veränderungen wurden nicht beobachtet.