Reaktionen zum geplanten Abriss der Leipziger Universitätskirche
28. Mai 1968
Einzelinformation Nr. 578/68 über Reaktionen kirchlicher Kreise und Angehöriger der Theologischen Fakultät der Karl-Marx-Universität Leipzig zum geplanten Abriss der Universitätskirche Leipzig
Seit der Veröffentlichung der Pläne und Vorstellungen im Jahre 1959 über die Neugestaltung der Westseite des Karl-Marx-Platzes in Leipzig, in dessen Bereich die Universitätskirche1 liegt, kam es in größeren Zeitintervallen (1959/60 – 1964 – 1967/68) zu spekulativen Diskussionen und Protesten in größerem Umfang.
Sie tragen im Wesentlichen folgenden Charakter:
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Kirchliche Leitungen und Würdenträger beider Konfessionen von der Ebene der Landeskirche bis zu den Amtsträgern der Kirchengemeinden nehmen gegen einen Abbruch der Universitätskirche in Kanzelabkündigungen und gezielten Predigten Stellung und forderten ihre Anhänger auf, durch Eingaben und persönliches Vorsprechen bei den Staatsorganen gegen den Abbruch Einspruch und »Protest« zu erheben.
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Westverbindungen der klerikalen Kreise in Westdeutschland werden zu einer Briefaktion ausgenutzt, bei der westdeutsche Bürger an die örtlichen Staatsorgane Protestschreiben sandten.
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Androhung demonstrativer Aktionen kirchlicher Kreise für den Fall des Abrisses und der Funktionsniederlegung durch CDU-Abgeordnete.
Mit der Fertigstellung des Projektes zur Neugestaltung des Karl-Marx-Platzes, das den Abriss der Universitätskirche einschließt, verstärkten sich die Diskussionen und Proteste bis zu demonstrativen Aktionen und Handlungen gegen den Abbruch dieses Bauwerkes.
Im Wesentlichen begründen die auftretenden Personenkreise ihre Forderungen mit folgenden »Argumenten«:
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Jeder Bürger der DDR habe laut Verfassung das Recht, seine Meinung frei zu äußern.
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Die Universitätskirche sei ein historisches Kulturdenkmal mit einem Alter von 450 Jahren und müsse als solches erhalten bleiben, zumal in Leipzig durch Kriegseinwirkungen viele Kulturdenkmäler zerstört wurden.
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Die Kirche sei eine Stätte von hoher geistiger Tradition, hohem kunstgeschichtlichen Wert und ein Gotteshaus für eine evangelische und eine katholische Gemeinde.
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In anderen sozialistischen Ländern wie in der UdSSR und der ČSSR habe man die historischen Kirchenbauten in das sozialistische Städtebild einbezogen. Dies müsste auch in Leipzig möglich sein, zumal das im Sinne der Kirchen- und Kulturpolitik der DDR liege.
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Der Abriss der Universitätskirche könnte im nationalen und internationalen Rahmen Auswirkungen haben.
Die Initiatoren dieser Diskussionen und der Protestbewegung sind vorwiegend Würdenträger der evangelischen und katholischen Landeskirche – u. a. Propst Pfeiffer2 –, Amtsträger und Pfarrer von Leipziger Kirchen, Lehrkräfte und Studenten der Theologischen Fakultät der Karl-Marx-Universität – u. a. der Dekan der Fakultät Prof. Amberg3 und Dr. Kretschmar,4 der gleichzeitig Vorsitzender des christlichen Arbeitskreises der Nationalen Front des Bezirkes Leipzig ist. Am stärksten treten, offensichtlich durch Kirchenleitungen inspiriert, Studenten der Theologischen Fakultät in Erscheinung. Kirchlich gebundene Kunsthistoriker und Denkmalpfleger unterstützen die Protestbewegung u. a. durch »Gutachten«, die die »Notwendigkeit« der Erhaltung der Universitätskirche begründen sollen. Auch einzelne CDU-Abgeordnete und Kulturschaffende wenden sich gegen den Abriss.
Die Protestbewegung zeigte sich in der letzten Zeit in folgenden Erscheinungen:
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Seit März 1968 wurden von Einzelpersonen und Personengruppen 240 Schreiben als Eingaben an den Rat der Stadt Leipzig und andere staatlichen Organe gesandt, worin sich über 500 Personen gegen den Abbruch der Kirche aussprechen. Es handelt sich hauptsächlich um Theologiestudenten und Hausfrauen. Darunter sind auch zwei Nationalpreisträger und sechs Professoren.
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25 Studenten versuchten zwei Tage vor der am 23.5.1968 stattfindenden Abgeordnetenversammlung im Abgeordnetenkabinett Namen und Abschriften von Abgeordneten in Erfahrung zu bringen, um sie offensichtlich beeinflussen zu können. Ein von Studenten geplanter Sitzstreik vor der Universitätskirche konnte durch vorbeugende Maßnahmen verhindert werden. Personenansammlung[en] kirchlich gebundener Studenten bis zu 200 Personen am 23. und 24.5.1968 vor der Universitätskirche und in kleinerem Umfang vor dem Neuen Rathaus konnten ohne Zwischenfälle aufgelöst werden.
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Am 25.5.1968 wurde an vier verschiedenen Stellen der Leipziger Innenstadt von unbekannten Tätern je eine selbstgefertigte Hetzschrift, deren Inhalt sich gegen den vorgesehenen Abbruch der Universitätskirche richtet, gefunden. Maßnahmen zur Täterermittlung wurden eingeleitet.
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Am 27.5.1968 legten ca. 50 Angehörige der »Jungen Gemeinde«5 demonstrativ Blumen am Abbruchgelände ab. Am Abend kam es in diesem Gebiet zur Konzentration von ca. 300 bis 400 vorwiegend jugendlichen Personen, die zu einem Teil der Aufforderung der VP, den Platz zu räumen, nicht Folge leisteten und erst durch den Einsatz von Polizeikräften zerstreut werden konnten. 37 Personen – davon fünf Studenten –, die sich stets von Neuem zusammenfanden, laut protestierten und passiven Widerstand leisteten, wurden von der VP zugeführt. Darunter befanden sich neben vorwiegend evangelischen Kirchenanhängern ein Superintendent, zwei Pfarrer und zwölf konfessionell nicht gebundene Personen. Der größte Teil dieser Personen wurde nach eingehender Belehrung entlassen. Gegen eine Person wurde von der VP ein EV mit Haft eingeleitet. MfS überprüft.