Republikflucht des Chefkonstrukteurs des VEB Kranbau Eberswalde
6. April 1968
Einzelinformation Nr. 383/68 über die Republikflucht des Chefkonstrukteurs Werth vom VEB Kranbau Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt/O.
Am 21.3.1968 teilte der Chefkonstrukteur des VEB Kranbau Eberswalde, [Bezirk] Frankfurt/O., Werth, Hermann, geboren am [Tag, Monat] 1924, wohnhaft Eberswalde, [Straße, Nr.], parteilos, bestätigter Reisekader für das nichtsozialistische Ausland, telegrafisch der Werkleitung mit, er würde von seiner Dienstreise nach Westdeutschland nicht mehr in die DDR zurückkehren. (Bereits am 20.3.1968 teilte Werth seinen Entschluss, nicht mehr in die DDR zurückkehren zu wollen, der Mitinhaberin der Firma EMA, [Name], mit.)
Werth befand sich seit dem 13.3.1968 auf einer Dienstreise bei der Firma EMA Eisen- und Maschinenhandel GmbH, Essen, und der Firma Schrotthandel Sonnenberg, um im Auftrage der VVB Takraf mit diesen Firmen Verhandlungen zu führen.
Aufgrund der telegrafischen Mitteilung des Werth fuhr der Werkleiter des VEB Kranbau Eberswalde, Weckener, am 22.3.1968 mit einem Pkw nach Westdeutschland und führte am 23.3. und 24.3.1968 längere Aussprachen mit Werth in Düsseldorf und Essen durch, in deren Ergebnis Werth seine Motive für die Republikflucht darlegte, ohne von seiner Absicht zurückzutreten.1
Nach seinen Angaben seien ihm im VEB Kranbau Eberswalde ständig persönliche Schwierigkeiten bereitet worden. Er sei darüber hinaus der Auffassung, kaum noch eine Perspektive im Betrieb zu haben. Auch sei seine Arbeitsleistung im Betrieb kaum gewürdigt worden. Tatsache ist, so wird von zuständiger Seite erklärt, dass Werth mit seinen Spezialkenntnissen in der Schweißtechnik und auf dem Gebiet der Technologie des Maschinenbaus auf betrieblicher Ebene kaum weitere Aufstiegsmöglichkeiten besaß, jedoch wird darauf hingewiesen, dass sowohl im Industriezweig als auch im Maschinenbau der DDR durchaus noch Entwicklungsmöglichkeiten für Werth vorhanden gewesen wären.
Da Werth sehr oft allein ins kapitalistische Ausland und nach Westdeutschland reiste und dabei wiederholt eigenmächtige Entscheidungen traf, wurden mit ihm in letzter Zeit Auseinandersetzungen im Betrieb geführt.
Durch seine betriebliche Funktion besitzt Werth einen umfassenden Einblick in perspektivische Vorhaben, die etwa bis zum Jahre 1972 vorgesehen sind und bei deren Offenbarung beträchtlicher volkswirtschaftlicher Schaden für die DDR eintreten kann.
Werth hat sich bei der Aussprache mit dem Werkleiter des VEB Kranbau Eberswalde in Westdeutschland schriftlich zur Verschwiegenheit verpflichtet.
Seine Kenntnisse beziehen sich im Einzelnen auf
- –
Entwicklungsziele des Betriebes bis 1972; z. B. Entwicklung von Container-Kranen, zu denen er eigene Patente eingereicht hat;
- –
Kenntnisse der Planziele und der wesentlichsten Kunden;
- –
Kenntnisse über Beziehungen zwischen den Kunden des VEB Kranbau Eberswalde, deren Bedeutung darin besteht, bei gezielten Informationen eine Beeinflussung entscheidungsbefugter Personen zu erreichen. So könnte eine Gefährdung des Brasilien-Geschäftes eintreten und das beabsichtigte Geschäft mit Mexiko nicht möglich werden. Seine Kenntnisse beziehen sich auch auf die Beziehungen des Betriebes zum Libanon, zu Marokko und Pakistan.2
Werths politische Haltung wird als stark ausgeprägte Loyalität eingeschätzt und durch Ausweichen vor politischen Auseinandersetzungen charakterisiert. Obwohl er in seinem Kollektiv die gesellschaftliche Mitarbeit durch andere förderte, sonderte er sich von dieser Aufgabe ab und bezog eine Position des »Nur-Fachmanns«.3
Während seiner Dienstreisen im nichtsozialistischen Ausland traf sich W. mehrmals mit republikflüchtigen Personen aus dem VEB Kranbau Eberswalde. Über den Charakter dieser Zusammenkünfte konnten jedoch keine näheren Hinweise erarbeitet werden.
Seine dienstlichen Aufgaben hat W. sachlich richtig und diszipliniert gelöst. Dies war auch anlässlich der letzten Dienstreise der Fall.
Seine Familienverhältnisse werden als gefestigt bezeichnet. Eine besonders starke Zuneigung besteht zu seiner Tochter (12 Jahre alt). Von der beabsichtigten Republikflucht hatte die Ehefrau des W. angeblich keine Kenntnis.
Nach den vorliegenden Informationen hat Werth mit Wirkung vom 23.3.1968 eine Stellung als Technischer Direktor der Firma Spenner KG, Düsseldorf (vier Betriebsteile, 20 Betriebsangehörige, 1 Mio. Westmark Jahresumsatz) – mit einem monatlichen Einkommen in Höhe von 3 000 Westmark angetreten. Ihm wurde sofort eine betriebseigene Wohnung zur Verfügung gestellt. W. konnte sich auf Betriebskosten einen neuen Pkw – Opel – kaufen.
Werth hatte vor und während der Leipziger Frühjahrsmesse 1968 bereits in Westdeutschland bzw. in Leipzig mehrfache Besprechungen bei o. g. Firma4 sowie mit dem Unternehmen Schlüter aus Westdeutschland, der in die Firma Spenner KG Kapital investiert hat, geführt. An die Firma Spenner KG hat der VEB Kranbau Eberswalde 1968 einen Kran zu liefern.