Republikflucht des Olympischer Attachés des NOK in Mexiko
3. September 1968
Einzelinformation Nr. 986/68 über die Republikflucht des [Name, Vorname], Olympischer Attaché der Delegation des NOK der DDR, in Mexiko-Stadt
Dem MfS wurde bekannt, dass der [Name, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1929, wohnhaft gewesen: Berlin, [Straße, Nr.], zuletzt beschäftigt als Leiter der Außenstelle Berlin des Instituts für Sprachintensivausbildung, Mitglied der SED seit 1951, am 14.8.1968 in Mexiko-Stadt republikflüchtig wurde.
[Name] reiste in der Funktion des Olympischen Attachés mit der Delegation des NOK aus der DDR am 29.7.1968 nach Mexiko-Stadt aus. (Der Delegation gehörten die Genossen Schöbel,1 Ewald2 und Behrend3 an.)
Der Vorschlag zur Einsetzung des [Name] in diese Funktion wurde vonseiten des DTSB unterbreitet, um dem MfAA eine Position in Mexiko zu schaffen, die entsprechend ausgenutzt werden sollte.
Am 20.8.1968 wurde dem NOK der DDR durch einen Mitarbeiter der Handelsvertretung der DDR in Mexiko telefonisch mitgeteilt, dass [Name] von einer Reise nach Avandero nicht nach Mexiko-Stadt zurückgekehrt sei. Diese Reise hatte [Name] am 14.8.1968 angetreten in der vorgegebenen Absicht, am gleichen Tage zurückzukehren. In Avandero waren Vorbereitungsarbeiten zur Austragung der Military-Wettbewerbe zu leisten.
Eine in der Wohnung von [Name] in Mexiko-Stadt durchgeführte Überprüfung durch einen Mitarbeiter der Handelsvertretung der DDR ergab, dass er sämtliche Privatsachen, einschließlich seiner Bekleidung, mitgenommen und lediglich einen Koffer mit Geschenken sowie drei Travel-Schecks über je 500 US-$ zurückgelassen hatte. [Name] müsste außerdem über etwa 2 000 US-$ verfügen. Der Wohnungsschlüssel war von [Name] trotz der Kürze der Reise hinterlegt worden.
Vom MfS durchgeführte Ermittlungen ergaben, dass [Name] während seines Aufenthaltes in Mexiko des Öfteren mit einer weiblichen Person, bei der es sich offensichtlich um eine Mitarbeiterin für die Vorbereitung der Reiterwettbewerbe im Olympischen Organisationsbüro handelte, Kontakt unterhielt, wobei jedoch keine Anzeichen zur Vorbereitung einer Republikflucht zu erkennen waren. Es besteht die Möglichkeit, dass [Name] durch seine Republikflucht versucht, mit seiner kubanischen Freundin zusammenzukommen. Diese Frau lernte er während seines neunmonatigen Aufenthaltes 1964 in Kuba kennen und hatte die Absicht, sie zu heiraten. Seit dieser Zeit bemüht sich [Name] um die Übersiedlung der Kubanerin in die DDR, wobei er den Übersiedlungstermin jedoch hinauszögerte, da er bisher keine eigene Wohnung hatte und noch bei seiner geschiedenen Ehefrau mit einwohnte.
Zur Person des [Name] ist Folgendes bekannt:
[Name] ist Sohn einer Arbeiterfamilie. Er studierte von 1948 bis 1950 an der ABF und von 1950 bis 1954 am Romanischen Institut der Humboldt-Universität, wo er das wissenschaftliche Staatsexamen mit »Sehr gut« ablegte. Nach einer vierteljährigen Tätigkeit 1954 im MfAA war er seit Dezember 1954 als Französisch-Lehrer an der Hochschule für Außenhandel in Staaken tätig. Durch den Zusammenschluss dieser Hochschule mit der Hochschule für Ökonomie wurde er in das Institut für Fremdsprachen an der Fakultät für Außenhandel übernommen, wo er bis Ende 1966 arbeitete. An der Hochschule für Ökonomie war er als Lektor, Fachrichtungsleiter und zuletzt als stellvertretender Leiter des Instituts für Fremdsprachen tätig. In der Zeit von Januar bis Februar 1958 war er als Dolmetscher einer DDR-Spezialistengruppe nach Vietnam delegiert. Er hielt sich mehrfach im Ausland auf und wurde verschiedene Male durch das ZK der SED zu Dolmetschereinsätzen herangezogen.
Aufgrund seiner sprachlichen Begabung eignete er sich ab 1961 durch zusätzliches Studium die spanische Sprache an.
Anfang 1967 übernahm [Name] eine planmäßige Aspirantur an der Humboldt-Universität, die er jedoch aus gesundheitlichen Gründen nicht zu Ende führen konnte. Danach wurde er im August 1967 als stellvertretender Leiter des Sprachintensivinstituts in Plaue und kurze Zeit später als Leiter der Außenstelle dieses Instituts in Berlin eingesetzt.
[Name] wurde zweimal mit der Medaille für ausgezeichnete Leistungen geehrt.
Zur politischen Entwicklung des [Name] ist bekannt, dass er im Mai 1948 in Westberlin – seinem damaligen Wohnort – der SPD beitrat, seinen Austritt aber bereits im Oktober 1948 erklärte.
Während des Studiums an der ABF beteiligte er sich aktiv an der Gewerkschafts- und FDJ-Arbeit, wurde im Juni 1949 Kandidat der SED und 1951 Mitglied der SED. [Name] übte verschiedene Funktionen, wie Mitglied der Parteileitung der Humboldt-Universität, Parteigruppenorganisator an der Hochschule für Außenhandel in Staaken und Mitglied der Fakultätsparteileitung, aus.
Gegen den Einsatz von [Name] als Olympischer Attaché gab es seitens des MfS keine Bedenken, da keine negativen Fakten vorlagen, die eine Ablehnung durch das MfS gerechtfertigt hätten.
Von den entsprechenden Organen – MfAA u. a. – wird gegenwärtig noch geprüft, welche internen Kenntnisse [Name] bei Einsätzen als Dolmetscher erlangt hat. Soweit es seinen Einsatz als Dolmetscher beim ZK der SED betrifft, müsste dies durch die verantwortliche Abteilung des ZK selbst erfolgen.