Situation an der Abgabenerhebungsstelle Unterschleuse Teltowkanal
30. September 1968
Einzelinformation Nr. 1088/68 über die Situation an der Abgabenerhebungsstelle Unterschleuse Teltowkanal des Wasserstraßenhauptamtes Berlin, Bezirk Tiergarten/Westberlin
Am 25.9.1968 wurde von Mitarbeitern des Westberliner Senators für Bau- und Wohnungswesen dem diensthabenden Schleusungsmeister der Unterschleuse Teltowkanal ein Schreiben des Westberliner Senators für Bau- und Wohnungswesen vom gleichen Tag übergeben. Dem Schreiben war eine Anordnung der Alliierten Kommandatura Berlin (BK/O 68/9 vom 11.9.1968, die sich mit der Verwaltung des Teltowkanals in den Westsektoren von Berlin beschäftigt) beigefügt. Einen Brief gleichen Inhalts erhielt das Wasserstraßenhauptamt Berlin über die Schleuse Charlottenburg zugestellt. In diesem Schreiben wird darauf hingewiesen, dass die Alliierten Kommandatura verboten habe, für das Befahren des in Westberlin gelegenen Teiles des Teltowkanals von oder im Namen einer anderen Gebührenerhebungsstelle als der Teltow-Kanal-AG Gebühren in Westberlin zu erheben. (Gegen die Gebührenerhebung für andere Teile des Kanals, die auf dem Gebiet der DDR liegen, gibt es keine Einwände.)1
Weiter werden in diesen Schreiben bei Verstößen gegen diese Anordnung Strafen auf der Grundlage der Verordnung Nr. 511 (Verordnung der Kommandanten des amerikanischen, britischen und französischen Sektors vom 15.11.1951) angedroht.
Die diensttuenden Schleusenmeister wurden über das Ministerium für Verkehrswesen der DDR angewiesen, neben den Abgaben für Schleusenbenutzung weiterhin auch Abgaben für das Befahren des Teltowkanals zu fordern.
Von den am 26.9.1968 die Unterschleuse Teltowkanal passierenden vier Schiffen bezahlte nur der Schiffsführer des westdeutschen Motorschiffs »Marianne« die Abgaben für die Kanalbenutzung in bar, während sich zwei Schiffsführer mit einer Stundung bereiterklärten. Der Schiffsführer eines im Transitverkehr eingesetzten Schiffes der Westfälischen-Transport-AG verweigerte sowohl die Zahlung der Abgaben als auch eine Stundung.
Von 13 am 27.9.1968 die Unterschleuse Tiergarten passierenden Fahrzeugen lehnten es neun Schiffsführer zwar ab, die Gebühren für die Kanalbenutzung in bar zu zahlen, erkannten aber eine Stundung durch Unterschriftsleistung an. Vier Schiffsführer zahlten weder Gebühr noch waren sie mit einer Stundung einverstanden.
Auch am 28.9.1968 ergab sich eine ähnliche Situation, während am 29.9.1968 die Unterschleuse Teltowkanal von keinem Schiff passiert wurde.
Am 27.9.1968, gegen 18.30 Uhr, erschienen auf der Unterschleuse Teltowkanal zwei Zivilisten, wovon sich einer als Angehöriger der Kripo auswies. Von Letzterem wurde der diensthabende Schleusenmeister [Name 1] u. a. nach seinen Personalien, nach der Zahl der die Unterschleuse passierenden Schiffe, nach der Dienstzeit usw. befragt.
Auf die meisten der Anfragen hat der Schleusenmeister [Name 1] die Antwort verweigert, womit sich der Angehörige der Westberliner Kriminalpolizei zufrieden gab.
Am 29.9., gegen 9.50 Uhr, erschienen auf der Schleuse drei Zivilisten, die sich als Angehörige des Westberliner Kriminalamtes vorstellten. Vom Wortführer dieser drei Personen wurde wiederum mit dem Schleusenmeister [Name 1] gesprochen. Unter anderem wurden auch die Gebührenbücher zur Einsichtnahme verlangt, was [Name 1] ablehnte. Nach Rücksprache mit seiner Dienststelle, die von einem Funkwagen aus geführt wurde, verzichteten die Kriminalpolizisten auf eine Einsichtnahme.
Der Wortführer dieser Personen, der sich [Name 2] nannte, forderte [Name 1] wiederum auf, seine Personalien mitzuteilen. Da dies von [Name 1] anfangs verweigert wurde, äußerte sich [Name 2] sinngemäß, dass er im Auftrage der Westberliner Staatsanwaltschaft Ermittlungen führe und befugt sei, [Name 1] zu seiner Polizeidienststelle mitzunehmen. Da [Name 2] seine Drohung wiederholte, nannte ihm [Name 1] seinen Namen, das Geburtsdatum sowie die Wohnanschrift. Dazu wurde der Betriebsausweis vorgelegt, womit sich [Name 2] zufrieden gab.
Der [Name 2] versuchte anschließend noch, ein Gespräch mit den auf der Schleuse tätigen Mitarbeitern zu beginnen. Er brachte dabei zum Ausdruck, dass er es sehr bedauere, diesen unangenehmen Auftrag ausführen zu müssen. Er wolle persönlich unter keinen Umständen, dass sich die Spannung verschärfe, aber »auf oberer Ebene habe man sich über solche Sachen noch nie den Kopf zerbrochen.«
Das Ermittlungsverfahren sei aufgrund einer Beschwerde eingeleitet worden, wahrscheinlich würde er noch öfters auf der Schleuse erscheinen müssen. (In der Abendschau des Westberliner Fernsehens vom 28.9.1968 sowie in der »Welt vom Sonntag« vom 29.9.1968 war mitgeteilt worden, dass die Westberliner Staatsanwaltschaft gegen den Schleusenmeister der Schleuse Tiergarten ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen eine Weisung der Alliierten Kommandatura eingeleitet habe. Namen wurden dabei nicht genannt.)
Nach Überprüfungen des MfS stützt sich die Gebührenregelung für das Befahren des Teltowkanals auf folgende Grundlagen:
Die im Jahre 1924 gegründete Teltow-Kanal-AG wurde 1945 der damaligen Generaldirektion Wasserstraßen, Schiffsbau und Schifffahrt (später GD Schifffahrt), die nachgeordnetes Organ der Deutschen Zentralverwaltung für Verkehr in der damaligen SBZ war, unterstellt.
Die Zuständigkeiten der GD Schifffahrt für den gesamten Teltowkanal beruhen auf dem Befehl Nr. 199 des Leiters der Transportabteilung der SMAD vom 7.9.1945 und dem Befehl des Obersten Chefs der SMAD Nr. 29 vom 7.2.1947.2
Auf Betreiben der amerikanischen Besatzungsmacht wurde durch die Einsetzung eines Treuhänders für die in Westberlin gelegenen Betriebsteile ab 28.4.1949 die einheitliche Kanalverwaltung gespalten.
Daraufhin wurde auf Beschluss der Deutschen Wirtschaftskommission für die ehemalige SBZ vom 27.7.1949 die Teltow-Kanal-AG in die Deutsche Schifffahrts- und Umschlagsbetriebszentrale (DSU) überführt. Der Kanal selbst einschließlich der Landanlagen wurde dem Wasserstraßenhauptamt (WSHA) Berlin übergeben. Die Wahrnehmung der Abgabenerhebung wurde darin einbezogen.
In Westberlin wurde die Liquidation der Teltow-Kanal-AG negiert. Durch eine widerrechtliche Eintragung in das Handelsregister des Amtsgerichts Charlottenburg wurde die alte AG als weiter existent betrachtet.
Bereits im Jahre 1949 wurden laut Beschluss des Westmagistrats Nr. 861 vom 7.12.1949 unter Bezugnahme auf einen Befehl des amerikanischen Stadtkommandanten vom 30.4.1949 die Kanalabgaben in DM/DBB für die unrechtmäßig bestehende Teltow-Kanal-AG gefordert. Die Weiterzahlung der Abgaben an das Wasserstraßenhauptamt Berlin durch die Nutzer wurde als Verstoß gegen die Westberliner Währungsumstellungsverordnung vom 4.7.1948 angesehen.
Im Dezember 1950 wurden Fahrzeuge der DDR, deren Besatzungen an den von Westberliner Seite eingerichteten Abgabenerhebungsstellen die Gebühren nicht zahlten, gewaltsam an der Weiterfahrt gehindert.
Der Verkehr nach Liegeplätzen am Teltowkanal durch Schiffe der DDR wurde aufgrund der genannten Vorkommnisse eingestellt.
Durch den Senat von Westberlin wurde zur Durchsetzung eigener Befugnisse auf den in Westberlin liegenden und den Organen der DDR unterstehenden Wasserstraßen im Laufe der vergangenen Jahre eine Reihe gesetzlicher Bestimmungen erlassen. (Besondere Bedeutung für die Nutzung des Teltowkanals besitzt das Berliner Wassergesetz vom 23.2.1960.)
Der Westschifffahrt werden für das Befahren des Teltowkanals die Kanalabgaben sowohl durch das WSHA als auch durch die widerrechtlich bestehende Westberliner Teltow-Kanal-AG abverlangt. Die Erhebung der Gebühren durch das WSHA erfolgt bei Fahrzeugen, die über den Neuköllner Kanal in den Teltowkanal einschwimmen, an der bereits mehrmals genannten Unterschleuse Teltowkanal, Bezirk Tiergarten.
Die Organe der Binnenschifffahrt der DDR unterhalten dabei keinerlei Kontakte zur Teltow-Kanal-AG.
Bei Prüfung geeigneter Gegenmaßnahmen gegen das eigenmächtige Vorgehen Westberliner Organe sollten folgende Überlegungen mit in Erwägung gezogen werden.
- –
Da es sich bei den Maßnahmen der Westberliner Seite nicht um das Gesamtproblem des West-West-Schiffverkehrs handelt, sollten sich entsprechende Gegenmaßnahmen nur gegen Bestrebungen der sogenannten Teltow-Kanal-AG richten.
- –
Die Erhebung der Teltowkanalabgaben durch das WSHA könnte zentral auf der Schleuse Brandenburg erfolgen, da dort die Erfassung aller Fahrzeuge von und nach Westberlin möglich ist. Die Registrierung aller Fahrzeuge nach Teltowkanalstationen könnte auf der Unterschleuse (Tiergartenschleuse) erfolgen und müsste über das WSHA mit der Schleuse Brandenburg abgestimmt werden.
- –
Eine Kontrolle aller Fahrzeuge hinsichtlich ordnungsgemäßer Bezahlung könnte auf der Mühlendammschleuse erfolgen. Alle festgestellten Unstimmigkeiten könnten auf der Rückfahrt auf der Schleuse Brandenburg geklärt werden. Ausstehende Gebühren sollten gleichfalls auf dieser Schleuse unter Androhung der Sperrung des Fahrzeuges für Transitverkehr erhoben werden.
- –
Für den innerstädtischen Westberlinverkehr könnte eine besondere Registrierung der Fahrzeuge sowie eine Stundung der Abgaben auf der Unterschleuse Teltowkanal erfolgen.
- –
Bei Sperrung der DDR-Schifffahrt nach Teltowkanalstationen bestände die Möglichkeit, etwa 70 % der Westschifffahrt nach Teltowkanalstationen über Mühlendammschleuse zu sperren.