Situation im Kraftwerkskombinat Lübbenau/Vetschau
20. August 1968
Einzelinformation Nr. 873/68 über die Situation im Kraftwerkskombinat Lübbenau/Vetschau
Ergänzend zu unserer Information 846/68 vom 9.8.1968 wird nachstehend auf die ebenfalls angespannte Lage in der Energieerzeugung in den Betriebsteilen des Kraftwerkskombinates Lübbenau/Vetschau aufmerksam gemacht.
Bedingt durch planmäßige Generalreparaturen an einigen Blockeinheiten und unvorhergesehene Rohrschäden war beispielsweise am 14.8.1968 die Energieerzeugungsquote so niedrig, dass nach Mitteilung des Sicherheitsbeauftragten der VVB Energieversorgung für die Industrie der DDR eine äußerst angespannte Lage in der Energieversorgung eingetreten war.
Da die Beseitigung der zwischenzeitlich festgestellten Mängel an den Rohrsystemen längere Zeit und zusätzliche Kosten in Anspruch nehmen wird, möchte das MfS rechtzeitig auf Gefahren einer möglichen Einschränkung des Energieangebotes durch die verringerte Leistungsfähigkeit des Kraftwerkskombinates Lübbenau/Vetschau, speziell im kommenden Winterhalbjahr 1968/69, aufmerksam machen.
Die vom MfS eingeleiteten Untersuchungen ergaben nachfolgende Einzelheiten über die gegenwärtige Situation in beiden Betriebsteilen:
1. Kraftwerk Lübbenau
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Seit dem 11.5.1968 befindet sich der Block VIII in planmäßiger Generalreparatur, deren Zeitdauer auf 49 Tage veranschlagt worden war. Bei den Untersuchungen mit Ultraschall wurden zusätzliche Mängel festgestellt, sodass eine Reparatur an den Fallrohrbögen erforderlich wurde. Aus diesem Grunde wurde die geplante Reparaturzeit überschritten und erhöhte sich abermals, als bei einer Blockprobe Undichtigkeiten festgestellt wurden. Seit der Terminüberschreitung für die Beendigung der planmäßigen Generalreparatur entstand bis zum 14.8.1968 ein Energieausfall von 112 800 MWh (voraussichtlich am 22.8.1968 wieder ans Netz anschließbar).
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Seit dem 13.7.1968, 6.00 Uhr, befindet sich der Block XIV in planmäßiger Generalreparatur.
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Am 9.8.1968 (gegen 21.00 Uhr) musste der Block XV außer Betrieb gesetzt werden, da ein Rohrschaden im Rauchgasdurchtrittsgitter entstanden war. Der Energieausfall bis zum 14.8. (22.00 Uhr) betrug 11 300 MWh (seit 15.8. wieder in Betrieb).
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Am 13.8.1968 (22.46 Uhr) musste infolge eines Lagerschadens am Anwärmaggregat der Block IX abgeschaltet werden. Beim Anfahren dieser Blockeinheit am 14.8. wurde ein Rohrschaden am Strahlungsüberhitzer bemerkt, sodass die Blockeinheit nicht in Betrieb genommen werden konnte. Am 14.8. (bis 15.00 Uhr) fielen an dieser Blockeinheit 1 600 MWh Kraftwerksleistung aus. (Von der TÜ wurde die Blockeinheit wegen Spannungsrissen in den Rohren gesperrt. Am 16.9.1968 soll sie wieder ans Netz zugeschaltet werden.)
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Am 14.8. (11.00 Uhr) musste der Block V abgeschaltet werden, da ein Schaden am Berührungsüberhitzer B III eingetreten war. (Ursache noch nicht ermittelt; seit dem 16.8. wieder angefahren.)
2. Kraftwerk Vetschau
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Am 14.3.1968 musste der Block IX aus dem Netzbetrieb genommen werden, da eine Havarie am Ölkabel eingetreten war. Obwohl diese Blockeinheit am 4.5.1968 wieder ans Netz angeschlossen werden konnte, musste sie am 13.5.1968 erneut aus gleichem Grund vom Netzbetrieb getrennt werden. Seit diesem Zeitpunkt fielen bis zum 14.8.1968 124 600 MWh aus. (Termin der Inbetriebnahme: 30.9.1968.)
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Am 2.8.1968 wurde der Block XII wegen planmäßiger Generalreparatur außer Betrieb genommen.
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Am 10.8.1968 wurde der Block VI zur planmäßigen Wochenendreparatur abgefahren. Beim Anfahren am 12.8. trat ein Schaden am Strahlungsüberhitzer S 1 ein, sodass ein Energieausfall von 5 700 MWh bis 14.8.1968 zu verzeichnen war.
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Am 11.8. musste Block I um 30 % seiner Leistung gemindert werden, da ein Saugzugkreisel ausgefallen war, dessen Ursache noch nicht ermittelt werden konnte [sic!]. (Energieausfall bis 14.8. 2 040 MWh voraussichtlich am 20.8. wieder im Netzbetrieb.)
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Am 13.8. (0.30 Uhr) ließ sich der Eintrittsschieber links vom Block VIII nur geringfügig öffnen, sodass das Umschaltmanöver von 6-kV-Eigenbedarfsreserve auf Blockeigenbedarf nicht erfolgen konnte. Nach erfolgter Reparatur sprach bei der Zuschaltung der Buchholzschutz (Warnanlage für den elektrischen Teil der Blockeinheit) an, und eine erneute Netztrennung wurde erforderlich. Erst am 14.8. (gegen 9.00 Uhr) konnte der Block VIII wieder ans Netz angeschlossen werden. (Ausfall von 850 MWh)
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Am 13.8.1968 musste der Block XI mit Teillast gefahren werden, da eine Speiselastpumpe ausgefallen war. Bis zur Behebung des Schadens am 14.8. entstand ein Energieausfall von 480 MWh.
Die geschilderten Vorkommnisse weisen allgemein auf die Störanfälligkeit des Kraftwerksbetriebes im Kombinat Lübbenau/Vetschau hin, die u. a. durch Rohrschäden hervorgerufen wurde. Experten haben die Rohrschäden als eine der Ursachen für die laufenden Ausfälle von Blockeinheiten erkannt. Wie sie feststellten, weisen die eingebauten Rohre eine Ovalität auf, die über das zulässige Toleranzmaß von 2 % bis zu 7 % abweicht. Dadurch ergeben sich übermäßige Spannungen, und die erforderlichen Sicherheitswerte sind nicht mehr vorhanden.
Die Ovalität entsteht zum Teil bereits bei der Herstellung in den Rohrwalzwerken. Aufgrund des Kaltwalzverfahrens bilden sich im Rohrinneren sogenannte Zielriefen, die einen Gefahrenpunkt für das Metallgefüge darstellen können, da sie Ansatzpunkte für Haarrisse bilden. Bei Drücken von 150 atü und Temperaturen von 320°C, die auf die Haarrisse einwirken, entstehen echte Havariegefahren.
Wie bereits erwähnt, darf lt. TGL die Ovalität der Rohre nicht über 2 % vom normalen Wert abweichen. Durch eine Ausnahmegenehmigung der TÜ sind zurzeit Abweichungen bis zu 4 % zulässig. Untersuchungen der TÜ Cottbus an den Blöcken VII und IX (Kraftwerk Lübbenau) ergaben, dass bei 2 % Abweichungen die Spannungen im Rohr um 40 % angestiegen waren. Aus diesem Grund werden vonseiten der TÜ die Forderungen erhoben, die Blöcke außer Betrieb zu setzen und sämtliche Rohre mittels Ultraschall untersuchen zu lassen.
Da die TÜ auch an den Blöcken VIII und XIV (Kraftwerk Lübbenau) gleiche Erscheinungen feststellte, meinten Experten, dass an anderen Blöcken ähnliche Schäden vorhanden sind. Bei entsprechenden Auflagen der TÜ könnte das bedeuten, alle Blöcke stillzulegen und die Fallrohre auszuwechseln (pro Block sechs Wochen Reparaturzeit und 30 Tonnen Stahlrohrbedarf).
Nach einer Einschätzung des Werkleiters mussten bereits wegen der angespannten Energieerzeugungssituation die planmäßigen Instandsetzungen und Generalreparaturen verschoben werden, sodass bereits das laufende Stabilisierungsprogramm gefährdet ist. Bei eventuellen Auflagen der TÜ zur Mängelbeseitigung würde ein weiterer zeitlicher Verzug im Programm der Generalreparaturen und planmäßigen Instandhaltungen eintreten, was zu nachteiligen ökonomischen Folgen für das Kraftwerkskombinat führen würde.