Terrorakt gegen einen Mitarbeiter des VEB EKB Bitterfeld
26. September 1968
Einzelinformation Nr. 1083/68 über einen Terrorakt gegen einen Mitarbeiter des VEB EKB Bitterfeld am 12. September 1968
Am 13.9.1968, gegen 9.30 Uhr, wurde auf dem Betriebsgelände des VEB EKB Bitterfeld im demontierten Oberteil eines Kesselwagens der [Name 1, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1927, wohnhaft Jeßnitz, [Straße, Nr.], beschäftigt als Lohnabrechner in der Methanchlorierung des VEB EKB Bitterfeld, parteilos, mit lebensgefährlichen Verletzungen aufgefunden, die auf eine tätliche Auseinandersetzung hindeuteten. Sofort eingeleitete Ermittlungshandlungen führten noch am 13.9.1968 zur Festnahme der Täter:
[Name 2, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1945, wohnhaft Greppin/Bitterfeld, [Straße, Nr.], zuletzt beschäftigt als Maschinist in der Methanchlorierung des VEB EKB, seit August 1968 Mitglied der FDJ, Schulbildung 7. Klasse Grundschule, im Juni 1968 wegen verbrecherischer Trunkenheit zu 400 M Geldstrafe verurteilt, und [Name 3, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1947, wohnhaft Bitterfeld, [Straße] Ledigenheim, Beruf: Elektromonteur, zuletzt beschäftigt als Chemiearbeiter in der Methanchlorierung des VEB EKB, Schulbildung Abitur.
Gegen vorgenannte Personen wurden noch am gleichen Tage Ermittlungsverfahren mit Haft gemäß §§ 112 und 116 StGB (Mord bzw. schwere Körperverletzung) eingeleitet, die am 18.9.1968 aufgrund der bis dahin vorliegenden Untersuchungsergebnisse noch auf § 102 StGB (Terror)1 erweitert wurden. Bisher liegen folgende Untersuchungsergebnisse vor:
Am 12.9.1968 fand außerhalb des Werkgeländes des VEB EKB eine Versammlung der FDJ-Grundorganisation der Abteilung Methanchlorierung statt, in der organisatorische Fragen zur Aktivierung der FDJ-Arbeit beraten wurden.
An dieser Versammlung und der anschließenden Tanzveranstaltung nahmen auch [Name 2], der Mitglied der FDJ ist, [Name 3], der einen Antrag zur Aufnahme in die FDJ gestellt hat, und [Name 1], der als Mitglied der AGL für die Erwachsenenqualifizierung der Abteilung verantwortlich und auch aktiv tätig ist, teil.
Bis zum Schluss der Tanzveranstaltung gegen 23.00 Uhr nahmen vorgenannte Personen jeweils acht bis zehn Flaschen Bier zu sich. Gegen 23.00 Uhr verließen die Beschuldigten die Veranstaltung, um – wie zwischen ihnen vereinbart – in einer Bitterfelder Gaststätte weiter zu zechen. [Name 1], der sich ihnen angeblich gegen ihren Willen anschloss, sei auf dem Weg zur Gaststätte zunächst durch [Name 3] aufgefordert worden, allein weiterzugehen. Diese Aufforderung sei nach Angaben der Beschuldigten angeblich deshalb erfolgt, weil sie für [Name 1] in der Vergangenheit bereits mehrmals hätten die Zeche bezahlen müssen.
Da [Name 1] dieser Aufforderung nicht nachgekommen sei, wurde er von den Beschuldigten zunächst mit Schlägen bedroht, dann ohne vorherige Absprache zwischen [Name 2] und [Name 3] in der Nähe der Werkumzäunung des VEB EKB niedergeschlagen und durch Faustschläge sowie Fußtritte so lange misshandelt, bis er besinnungslos liegen blieb.
Während [Name 2], der besonders brutal handelte, auf [Name 1] einschlug, rief er mehrfach: »Das ist für die Tschechen« und »Du Kommunistenschwein«, was vom Beschuldigten [Name 3] bestätigt wird.
[Name 2], der dem Geschädigten die ersten Faustschläge versetzte, sagte aus, im Verlaufe der tätlichen Auseinandersetzung sei ihm eine Unterredung mit [Name 1] über die Maßnahmen der fünf sozialistischen Staaten in der ČSSR in Erinnerung gekommen, in der [Name 1] diese Maßnahmen vorbehaltlos unterstützte, während sie von [Name 2] als Okkupation bezeichnet wurden.
Diese positive Stellungnahme [Name 1] veranlasste [Name 2], [Name 1] auf brutalste Weise zu misshandeln. Diese politische Motivierung dieses Vorgehens wird insbesondere durch die dabei gemachten Äußerungen bewiesen. [Name 3] bestreitet bisher, [Name 1] aus politischen Motiven geschlagen zu haben. Angeblich wollte er mit seinen Handlungen nur verhindern, dass [Name 1] sich ihnen weiter anschloss.
Nachdem die Beschuldigten [Name 1] bewusstlos geschlagen hatten, warfen sie ihn über die 2 m hohe Werkumzäunung auf das Gelände des VEB EKB, schleiften ihn bis zu den Gleisen der Werkbahn und legten ihn mit Tötungsabsichten mit dem Kopf auf eine Schiene, um einen Unfall vorzutäuschen. Da sie jedoch ein vorzeitiges Auffinden des [Name 1] befürchteten, schleppten sie ihn zu einem demontierten Oberteil eines Kesselwagens, warfen ihn kopfüber durch das Mannloch, um ein schnelles Auffinden des [Name 1] zu verhindern. Dabei zogen [Name 2] und [Name 3] in Erwägung, dass [Name 1] in diesem Behälter verstirbt.
Nach Tatausführung begaben sich beide Beschuldigte in die Wohnung des [Name 2] und besprachen beim weiteren Genuss von Alkohol ihre strafbare Handlung, wobei sie annahmen, dass [Name 1] an den Folgen seiner Verletzung verstorben ist.
[Name 1] wurde am 13.9.1968, gegen 9.30 Uhr, mit lebensgefährlichen Verletzungen (u. a. Schädelbruch, Brustbeinbruch, Prellungen, Quetschungen) zufällig gefunden und in das Kreiskrankenhaus Bitterfeld eingeliefert. Zurzeit besteht noch immer Lebensgefahr. [Name 1] ist nicht vernehmungsfähig.
Zur Person der Täter
Die Beschuldigten [Name 2] und [Name 3], die sich durch gemeinsame Arbeit in der Methanchlorierung des EKB kennenlernten, leisteten bisher eine gute fachliche Arbeit.
[Name 2] wurde im August 1968 nach einem Werbungsgespräch Mitglied der FDJ. Trotzdem informierte er sich über die politischen Ereignisse hauptsächlich durch Sendungen westdeutscher Rundfunk- und Fernsehstationen. Dadurch beeinflusst, lehnte er insbesondere die Maßnahmen der fünf Warschauer Vertragsstaaten in der ČSSR ab und äußerte gegenüber Arbeitskollegen mehrfach, diese Maßnahmen seien unrechtmäßig erfolgt. Er setzte die Hilfsmaßnahmen mit der Besetzung der Tschechoslowakei durch die faschistischen Truppen gleich.
[Name 3], der unter dem politischen Einfluss speziell eines Arbeitskollegen im Januar 1968 Freiwilliger Helfer der DVP wurde, begann sich seit diesem Zeitpunkt für politische Ereignisse zu interessieren und stellte Anfang August 1968 den Antrag um Aufnahme in die FDJ.
Es ist vorgesehen, die Ermittlungsverfahren beschleunigt zum Abschluss zu bringen. Aufgrund der brutalen verbrecherischen Handlungsweise erscheint es angebracht, gegen die Täter die gesetzlich zulässigen Höchststrafen zu beantragen.2
(Letzter Absatz nur auf der Information für Genossen Honecker3)