Über einen Angestellten des Instituts für Gesellschaftswiss. beim ZK
12. Juni 1968
Einzelinformation Nr. 640/68 über den Angestellten im Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED [Name 1, Vorname]
Am 24.5.1968 wurde bekannt, dass der [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1946 in Falkensee, wohnhaft 1542 Falkensee, [Straße, Nr.], und Berlin, Oberwallstraße [Nr.], tätig als Maschinenschreiber im Institut für Gesellschaftswissenschaften, seit dem 20.5.1968 von Arbeitsstelle und Elternhaus vermisst wird. Inzwischen hat sich [Name 1] am 6.6.1968 bei den Organen der VP gemeldet. Nach Klärung des Sachverhaltes kehrte er am 7.6.1968 zu seinen Eltern zurück.
Die Untersuchungen des MfS über seinen Verbleib vom 20.5.1968 bis 6.6.1968 ergaben im Wesentlichen Folgendes:
[Name 1] trug sich nach seinen Angaben in letzter Zeit mit Selbstmordabsichten, die sich aus seinen Frauenbekanntschaften ergeben hätten. So habe eine seiner Freundinnen, [Name 2, Vorname], wohnhaft Großschirma/Freiberg, im April 1968 ein Kind von ihm geboren. Gleichzeitig offenbarte ihm seine Verlobte [Vorname Name 3] aus Leipzig, dass sie von ihm schwanger ist. Mit seiner Verlobten und seinen Eltern kam es daher zu Differenzen, jedoch ohne eine ernsthafte Verschlechterung der Beziehungen. Nachdem er im Anschluss an den letzten Besuch bei seiner Verlobten in Leipzig am 19.5.1968 den Entschluss zum Selbstmord gefasst hatte, gab er am gleichen Tage von Leipzig aus ein Telegramm an sich selbst auf mit der Nachricht, seine Verlobte sei in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Bei seinem Abteilungsleiter, Genossen Dr. Steiger1 vom Institut für Gesellschaftswissenschaften, erreichte er damit am 20.5.1968 eine Arbeitsbefreiung. Im Institut für Gesellschaftswissenschaften schrieb er am gleichen Tage mit Schreibmaschine einen fingierten Brief über einen angeblichen Verkehrsunfall am 21.5.1968 auf der Strecke Berlin – Leipzig (km 102), bei dem er und zwei weitere Personen so verbrannt seien, dass selbst eine Überführung sterblicher Überreste nicht möglich wäre. Diesen Brief übersandte er unter dem Absender »VPKA Leipzig-Brehna« zusammen mit einigen Dokumenten (u. a. dem Dienstausweis des Instituts für Gesellschaftswissenschaften) am 22.5.1968 von Leipzig aus an seine Eltern. Nachdem er am 22.5.1968 nach Berlin in seine Wohnung zurückgekehrt war, fuhr er an den darauf folgenden Tagen auf der Autobahn per Anhalter nach Leipzig, Gera, Jena, Erfurt, Gotha, Dresden, Gransee/Potsdam und Stralsund. Er besuchte nach seinen Angaben in diesen Städten ehemalige Freunde und Studienkollegen.
Vom 28. bis 31.5.1968 hielt er sich auf Hiddensee auf, wo er in Strandkörben übernachtete. Hier wollte er seine Selbstmordabsichten verwirklichen. Um die spätere Identifizierung seiner Person zu verhindern, vernichtete er seinen Versicherungsausweis und seinen DPA.
Nach angeblich »reiflicher Überlegung« habe er dann doch vom Selbstmord Abstand genommen und sei am 1.6.1968 nach Berlin zurückgekehrt, wo er am Heinitzsee bei Rüdersdorf zwei Nächte am Strand schlief. Nachdem [Name 1] am 6.6.1968 durch seine Bekannte [Vorname Name 4], Studentin, erfuhr, dass er gesucht wird, meldete er sich bei der VP.
[Name 1] verfolgte nach unseren Feststellungen nicht das Ziel, die DDR illegal zu verlassen. Seine Handlungsweise muss auf seine fehlende charakterliche und moralische Festigkeit und Geradlinigkeit, wie sie auch aus den Kaderunterlagen ersichtlich ist, zurückgeführt werden. Offensichtlich wurde diese Widersprüchlichkeit bei seiner Einstellung in das Institut für Gesellschaftswissenschaften nicht genügend berücksichtigt.