Überfall auf einen VP-Meister in Hohen Neuendorf/Oranienburg (Zusatz)
7. Februar 1968
Einzelinformation Nr. 130/68 über einen Überfall auf einen VP-Meister in Hohen Neuendorf, [Kreis] Oranienburg, am 29. Januar 1968 (Ergänzung zur Einzelinformation Nr. 104/68)
Im Ergebnis der Maßnahmen zur Aufklärung der Täter des Überfalles auf den VP-Meister [Name 1], Streifenführer im VP-Revier Hohen Neuendorf, wurden am 2.2.1968 [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1941, wohnhaft Velten, [Straße, Nr.], Walzer im VEB Stahl- und Walzwerk »Wilhelm Florin« in Hennigsdorf [und] [Name 3, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1938, wohnhaft Hennigsdorf, [Straße, Nr.], Walzer im VEB Stahl- und Walzwerk »Wilhelm Florin« in Hennigsdorf, Mitglied der SED seit 1961, als Täter, und [Name 4, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1936, wohnhaft Hennigsdorf, [Straße, Nr.], Maschinenschlosser im VEB Baumechanik Nieder Neuendorf, wegen Nichtanzeige unbefugten Waffenbesitzes festgenommen.
Die durch das MfS bisher geführten Untersuchungen ergaben Folgendes:
[Name 3] hat seit Mai 1967 wiederholt ohne erforderliche Genehmigung das Grenzgebiet in Hohen Neuendorf aufgesucht, um zu der dort wohnenden [Name 5, Vorname] zu gelangen, zu der er intime Beziehungen unterhielt. Von diesem Verhältnis und der Möglichkeit des unkontrollierten Betretens des Grenzgebietes setzte er auch seinen Arbeitskollegen [Name 2] in Kenntnis. [Name 2] unterbreitete aufgrund dessen im Juni 1967 den Vorschlag, unter Ausnutzung der Kenntnisse der [Name 5] über das System der Grenzsicherung die Staatsgrenze der DDR nach Westberlin zu durchbrechen. In der Folgezeit versuchten sie in Gesprächen mit der [Name 5] Näheres über das Grenzsicherungssystem in Erfahrung zu bringen, ohne dass die [Name 5] über die Absicht eines Grenzdurchbruches informiert wurde.
Am Abend des 29.1.1967 trafen [Name 3] und [Name 2] in der Gaststätte »Bräustübl« in Hennigsdorf zusammen, wo sie beschlossen, in der bevorstehenden Nacht die Staatsgrenze nach Westberlin zu durchbrechen.
Dazu beabsichtigten sie, die [Name 5] aufzusuchen, um sich von ihr eine geeignete Durchbruchstelle zeigen zu lassen. Gleichzeitig kamen sie überein, bei einem Zusammentreffen mit Grenzsicherungskräften Gewalt gegen diese anzuwenden. Gegen 19.45 Uhr verließen beide die Gaststätte und fuhren mit dem Bus nach Hohen Neuendorf, wo sie die in das Grenzgebiet führende Scharfschwerdtstraße entlangliefen. Nach Passieren der auf das Sperrgebiet hinweisenden Grenzschilder wurden sie von einem VP-Streifenposten bemerkt und zum Vorzeigen der Personalausweise aufgefordert.
Während [Name 2] dem VP-Meister seinen Ausweis übergab, versetzte [Name 3] dem VP-Angehörigen einen Schlag in das Gesicht, sodass dieser zu Boden stürzte. Da die Täter weiter auf den VP-Meister einschlugen und ihn mit Füßen traten, versuchte er, seine Dienstwaffe in Anwendung zu bringen. Dies gelang ihm jedoch nicht mehr, da er durch die Misshandlungen bewusstlos wurde.
[Name 2] entwendete anschließend die Dienstwaffe des VP-Meisters und begab sich mit [Name 3] in Richtung des nahe der Staatsgrenze gelegenen Wohnhauses der [Name 5]. Da sie die [Name 5] jedoch nicht antrafen und den genauen Grenzverlauf in diesem Abschnitt nicht kannten, entschlossen sie sich, ihr Vorhaben abzubrechen. Um einer möglichen Festnahme wegen des Überfalls auf den VP-Angehörigen zu entgehen, entfernten sie sich unter Umgehung von Straßen durch Gärten und Höfe aus dem Grenzgebiet.
Gegen 22.30 Uhr fuhren sie mit dem Bus nach Hennigsdorf zurück, wo sie sich nach einem kurzen Gaststättenaufenthalt in ihre Wohnungen begaben. Unmittelbar nach Eintreffen in seiner Wohnung versteckte [Name 2] die entwendete Pistole auf dem Boden seines Wohnhauses. Am 30.1.1968 zeigte er seinem Freund [Name 4] die Pistole und informierte ihn von dem Überfall auf den VP-Angehörigen. (Die Pistole mit der dazugehörigen Munition wurde sichergestellt.)
Zur Person
Über [Name 3] und [Name 4] gab es bisher keine negativen Hinweise. Beide gingen regelmäßig einer beruflichen Tätigkeit nach. [Name 2] ist mehrfach vorbestraft. Er wurde 1959 wegen versuchter Notzucht fünf Monate und 1960 wegen versuchtem illegalen Verlassens der DDR und Devisenvergehen sechs Monate inhaftiert. Nach seiner Strafverbüßung verließ er am 8.4.1961 illegal die DDR nach Westberlin. Nach seiner Übersiedlung nach Westdeutschland wurde er am 4.1.1964 zum Ausbildungs-Regiment des Jagdgeschwaders 72 der Bundeswehr nach Budel/Holland einberufen. Anfang Dezember 1964 fügte er bei einer Schlägerei einem Offizier der Bundeswehr schwere Verletzungen zu und begab sich aus Angst vor einer Bestrafung am 28.12.1964 in die DDR.
Zur Ergreifung der Täter
Unmittelbar nach dem Überfall auf den VP-Meister [Name 1] wurden umfangreiche koordinierte Fahndungsmaßnahmen eingeleitet. Aufgrund der vom Überfallenen und von Zeugen gegebenen Personen- und Bekleidungsbeschreibung konnte eine erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit eingeleitet werden. Außer dem Einsatz von Lautsprecherwagen und der Verbreitung von Handzetteln wurden vor allem die Benutzer der Nahverkehrsmittel und die Bevölkerung im Tatortbereich zur Mitfahndung angesprochen. Durch eine gute Koordinierung und enge Zusammenarbeit aller an der Fahndung beteiligten Sicherheitsorgane – VP, MfS, Grenzsicherungskräfte und Trapo – gelang es, große Teile der Bevölkerung in die Fahndungsarbeit mit einzubeziehen und nähere Hinweise auf die Täter zu erhalten. Kurz nach der Tat wurden durch Benutzer der Nahverkehrsmittel erste konkrete Hinweise gegeben, die eine Präzisierung der vorhandenen Angaben und die Veröffentlichung eines Steckbriefes ermöglichten.
Aufgrund von zielgerichteten Hinweisen des Arbeiters [Name 6, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1948, wohnhaft Hennigsdorf, [Straße, Nr.], und drei weiterer Bürger konnten die Täter identifiziert und festgenommen werden. [Name 6] und die anderen drei Bürger wurden für ihre Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führten, prämiert.
Weitere Untersuchungen zu den Motiven der Täter und den näheren Zusammenhängen des beabsichtigten Grenzdurchbruches werden durch das MfS geführt.