Verbreiten von Versen mit hetzerischem Inhalt über Feiertagsregelung
12. August 1968
Einzelinformation Nr. 855/68 über das Verbreiten von Versen mit hetzerischem Inhalt gegen die Feiertagsregelung in der DDR
In den letzten Wochen häuft sich das Auftauchen und Verbreiten von Versen mit hetzerischem Inhalt gegen die Feiertagsregelung1 in der DDR unter der Bevölkerung, besonders in den Bezirken Karl-Marx-Stadt, Cottbus und Dresden. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um ein »Gedicht«, das den Titel »Jahresfeier der Tiere« trägt. Das »Gedicht« hat im Wesentlichen folgenden Inhalt:
Jahresfeier der Tiere
Der Osterhase ist in Nöten, | der Ostermontag, der ging flöten. | Schon ruft der Kuckuck laut: | »Der 8. Mai ward uns geklaut!« | Die Lerche singt und tiriliert: |»Die Himmelfahrt ist auch kassiert«. | Gleich tut der Elefant trompeten: | »Pfingstmontag müsst ihr rausarbeten«. | Auf einmal kreischt der Reiher: | »Es gibt auch keine Reformationsfeier«. | Hämisch kommt der Fuchs geschlichen, | »Der Bußtag, der ist auch gestrichen«. | Der Ziegenbock, der meckert heiser: | »Was wollt ihr denn, ihr kleinen Scheißer, | Weihnacht und Neujahr bleiben euch doch«. | Der Uhu heult: »Wie lange noch, wie lange noch?«
Der Vers tritt verschiedentlich mit einigen textlichen Umstellungen in Erscheinung, hat aber jeweils die gleiche Aussage.
Diese »Gedichte« wurden bisher in Handschrift (Größe DIN A5), Maschinenschrift (Größe DIN A4) und gedruckt (verschiedene Größen) festgestellt. Die Vervielfältigung erfolgte mittels Handschrift und Schreibmaschine mit entsprechenden Durchschlägen sowie im Ormig- und Handsetzverfahren. Als Methode der Verteilung wurde das Weiterreichen durch Personen jeweils im Bekanntenkreis sowie in einigen Fällen durch Einwerfen in Briefkästen festgestellt.
Am Stärksten trat die Verbreitung bisher im Bezirk Karl-Marx-Stadt auf. Teilweise kursierten diese Verse in Arbeiterzügen, wo auch durch Mitfahrende Durchschriften des Textes verteilt wurden. Die Vervielfältigung erfolgte dann durch Arbeiter, Angestellte, Sekretärinnen, Schreibkräfte, Kraftfahrer und Mitarbeiter von Druckereien. An der Vervielfältigung und Verbreitung waren z. T. Mitglieder der SED beteiligt.
So fertigte z. B. ein Schriftsetzer der Firma [Vorname Name], Nachf., Buchdruckerei Karl-Marx-Stadt, im Auftrage seines Produktionsleiters/Mitglied der SED, der ihm den geschriebenen Text übergab, ca. 25 Abzüge mit der Handabzugsmaschine.
Davon übergab er ca. 20 Abzüge seinem Produktionsleiter. Die übrigen Exemplare behielt er ein und verteilte sie später an ihm bekannte Personen.
Der BGL-Vorsitzende/Mitglied der SED der Druckerei Lausitzdruck/Forst verbreitete in seinem Bekanntenkreis ca. sieben von ihm im Handsetzverfahren gedruckte Verse.
Als eine weitere Quelle der Vervielfältigung und Verbreitung wurde u. a. eine Angestellte der Druckerei der SDAG Wismut bekannt, die wiederum angab, dass diese Verse bereits seit Wochen im Kreise von Berufskollegen und anderen Bekannten kursieren und als »Volkswitz« weiterverbreitet würden.
Im Juli 1968 wurden in einigen Fällen in Karl-Marx-Stadt, Friedrich-Engels-Straße, diese auf Ormig abgezogenen Schriften in Hausbriefkästen eingeworfen.
In andere Fällen wurden die Verse von Kraftfahrern des Bezirkes Cottbus aus ihrem Bekanntenkreis aus dem Bezirk Dresden mitgebracht und im Bezirk Cottbus durch Sekretärinnen und andere Personen vervielfältigt und weiterverbreitet.
Die durch das MfS durchgeführten Ermittlungen und Befragungen von Personen, die derartige Verse vervielfältigten, verbreiteten bzw. im Besitz hatten, ergaben bisher keine nachweisbaren staatsverleumderischen Absichten. Übereinstimmend wird Unkenntnis über die versteckte staatsverleumderische Form des Textes angegeben, sodass bisher – zumal der eigentliche geistige Urheber des Textes nicht bekannt ist – keine strafrechtlichen Maßnahmen veranlasst wurden. In einigen Fällen wurden mit den Betreffenden angemessene Aussprachen durchgeführt. Die Ermittlungen nach den Urhebern werden vom MfS weitergeführt.