Verhinderung der Reise einer Delegation der DDR nach München
22. Juni 1968
Einzelinformation Nr. 683/68 über die gewaltsame Verhinderung der Einreise einer Delegation der antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR zur Teilnahme an einer Kundgebung in Dachau durch die westdeutsche Grenzpolizei am 21. Juni 1968 am Westkontrollpunkt Rudolphstein
Am 21.6.1968 wurde die aus ca. 500 Personen bestehende DDR-Delegation antifaschistischer Widerstandskämpfer, die zur Teilnahme an einer Gedenkkundgebung im ehemaligen KZ Dachau eingeladen worden war, ohne Vorkommnisse an der Grenzübergangsstelle Hirschberg um 14.10 Uhr abgefertigt.
Der aus 16 Bussen, fünf DDR-Pkw sowie einem westdeutschen Pkw bestehende Konvoi passierte dann gegen 14.15 Uhr die Staatsgrenze in Richtung Westdeutschland. Am Westkontrollpunkt wurde der Konvoi sofort auf die äußerste rechte Fahrbahn der Lkw-Rampen gewiesen. Dort wurden alle 16 Omnibusse abgestellt, während die Pkw auf der Pkw-Fahrspur gegenüber dem Dienstgebäude gestoppt und abgestellt wurden.
Die Delegationsleitung wurde anschließend in eine Baracke der bayrischen Grenzpolizei gebeten, wo ihr mitgeteilt wurde, dass die Einreise der DDR-Delegation laut Artikel 5 des bayrischen Polizeigesetzes (unerwünschte Personen)1 nicht gestattet wird. Für diese Ablehnung wurde folgender Wortlaut des bayrischen Innenministeriums bekannt:
»München, 21.6.1968 | Das bayrische Staatsministerium des Innern hat angeordnet, dass zu dem Europatreffen gegen Neonazismus und Faschismus nur eine Delegation aus der Zone in dem bei solchen Veranstaltungen üblichen Umfang, das sind etwa 100 Personen, einreisen darf. Die Bevölkerung in beiden Teilen Deutschlands hat kein Verständnis dafür, dass nur im Sinne des Systems ausgesuchte Gruppen die Zone verlassen und in die Bundesrepublik reisen dürfen, während die große Mehrheit der Bewohner Mitteldeutschlands daran durch Minen, Mauern und Stacheldraht gewaltsam gehindert wird. Die widerrechtlichen Beschränkungen im Berlinverkehr unterstreichen die Absichten des Regimes in Mitteldeutschland. Um Provokationen und Auseinandersetzungen vorzubeugen, hat das Innenministerium die massierte Einreise von 700 Personen mit 16 Omnibussen aus der Zone untersagt.«
Die Delegationsleitung protestierte gegen diese Entscheidung und informierte die gesamte Delegation. Daraufhin kam es zu spontanen Protesten auch seitens der Delegationsmitglieder in Form von Absingen mehrerer Arbeiterlieder, Schwenken der DDR- und FDJ-Fahnen und Entrollen von Transparenten. Von der bayrischen Grenzpolizei wurde das Absingen der Arbeiterlieder verboten und in diesem Zusammenhang dem Angehörigen des Oktober-Clubs Hartmut König2 die zur Begleitung benutzte Gitarre entrissen.3 Nachdem von der Delegationsleitung zur Besonnenheit aufgerufen wurde, um eine weitere Verhandlungsbasis zu schaffen, wurden die Fahnen und Transparente wieder eingerollt. Aufgrund der Proteste der Delegationsleitung wurden seitens der bayrischen Grenzpolizei verschiedene Telefongespräche mit vorgesetzten Dienststellen, u. a. mit dem bayrischen Innenministerium geführt.
Im Ergebnis des letzteren Gespräches wurde der Delegationsleitung die Entscheidung des bayrischen Innenministeriums übermittelt, dass 100 Personen der DDR-Delegation einreisen könnten. Die anderen Personen hätten bis 18.30 Uhr das westdeutsche Territorium zu verlassen. Diese Entscheidung wurde nach Rücksprache mit dem Zentralkomitee – die durch die GÜSt Hirschberg vermittelt wurde – nicht akzeptiert. Die gesamte Delegation begab sich außer dem schon genannten West-Pkw (in dem sich die Frau des Genossen Quandt4 befand und der – da ihm die Weiterfahrt gestattet wurde – sich kurze Zeit nach Erkennen der Sachlage dieser Provokation nach München begab, wo die Genossin Quandt gegen diese Provokation protestieren wollte) geschlossen gegen 18.19 Uhr wieder in Richtung DDR zurück.
Beim Verlassen des westdeutschen Kontrollpunktes wurden wiederum Arbeiter- und Kampflieder gesungen und die Omnibusse mit Transparenten und Fahnen versehen. Der Aufforderung der bayrischen Grenzpolizei durch Lautsprecher, die Fahnen und Transparente zu entfernen, wurde dann nicht mehr nachgekommen.
Während des Aufenthaltes am westlichen KPP wurden im Zusammenhang mit dieser Provokation durch den westdeutschen Zoll, die bayrische Grenzpolizei und Landespolizei zusätzliche Kräfte herangeführt, um eine Weiterfahrt der Delegation zu verhindern und sie unter ständige Kontrolle zu nehmen. Diese Kräfte wurden mit Funkstreifenwagen Typ VW und VW-Kleinbussen in Abständen zugeführt. Mit der Dienstbesetzung der westdeutschen Kontrollstelle waren insgesamt ca. 50 bis 60 Angehörige der bayrischen Grenzpolizei, des westdeutschen Zolls und der Landespolizei eingesetzt. Gegen 17.00 Uhr kamen ca. 50 BGS-Angehörige mit einem Kübelwagen und drei MTW zur westdeutschen GÜSt. Alle Fahrzeuge der westlichen Sicherungsorgane parkten im westlichen Kontrollterritorium. Zum gleichen Zeitpunkt führte der westliche Zoll weitere Kräfte, die mit MPi bewaffnet und mit Hunden ausgerüstet waren, zu. Gegen 17.55 Uhr wurden die vorhandenen Kräfte zur Außenabsicherung des Konvois eingesetzt.
Der DDR-Konvoi wurde durch die Angehörigen der oben genannten westlichen Organe vollkommen umstellt. Der Postenabstand betrug ca. 10 m. Ein MTW des BGS sperrte an der vorhandenen Überfahrt hinter dem westlichen Kontrollterritorium die Fahrbahn DDR – WD. Dadurch sollte offensichtlich ein Durchbrechen des DDR-Konvois verhindert werden. Durch die Kübelwagen des BGS wurde die Fahrbahn WD – DDR gesperrt. Die gesamte Fahrtstrecke des Konvois bis zur Überfahrt und durch das westliche Kontrollterritorium auf der Fahrbahn WD – DDR wurde durch Angehörige der obengenannten Kräfte gesperrt.
Wie von Delegationsmitgliedern übereinstimmend zum Ausdruck gebracht wurde, war unter den eingesetzten westdeutschen Sicherungskräften eine große Unsicherheit und Unruhe festzustellen. Unter anderem wurde von den westlichen Kräften der Beobachtungspunkt der NVA-Grenze in Sparnberg ständig mit Feldstecher beobachtet.
Die am Westkontrollpunkt aus Dachau erschienene Delegation, die die DDR-Delegation auf ihrer Fahrt nach München begleiten wollte, äußerte sich ebenfalls empört über die Einreiseverweigerung und protestierte dagegen. Sie übernahm eine von der DDR-Delegation gefertigte Protestresolution und will diese auf der Tagung in Dachau verlesen.