Verlauf der Leipziger Frühjahrsmesse 1968 (3. Bericht)
7. März 1968
Einzelinformation Nr. 235/68 über den Verlauf der Leipziger Frühjahrsmesse 1968 (3. Bericht)
1. Zur Einschätzung der Geschäftstätigkeit
Erste Einschätzungen der Geschäftstätigkeit der Außenhandelsbetriebe der DDR zeigen, dass insgesamt eine gute Atmosphäre auf der Messe1 herrscht. Die Anzahl der ausländischen Verhandlungspartner, insbesondere aus dem kapitalistischen Ausland und den Entwicklungsländern, entsprach etwa der des Vorjahres. Insgesamt überwogen dabei die echten Interessenten. Ein Großteil der Außenhandelsbetriebe rechnet damit, dass die Messezielstellung insgesamt erreicht wird. Eine besonders rege Geschäftstätigkeit melden die Außenhandelsbetriebe Nahrung, Invest-Export, Union, Unitechna und Glas-Keramik. Bei einer Reihe von Außenhandelsbetrieben übertreffen die Abschlüsse den Stand zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres.
Es kann eingeschätzt werden, dass der Anteil der metallverarbeitenden Industrie an den Exporten der DDR nach dem kapitalistischen Ausland insgesamt im Wachsen begriffen ist. Einige wichtige Außenhandelsbetriebe wie WMW-Export und Feinmechanik-Optik haben jedoch Schwierigkeiten bei der Erfüllung ihrer Messezielstellung.
Eine größere Rolle als bei früheren Messen spielen Verhandlungen über Lizenzvergabe. Zwar wurden bisher nur wenige Verträge abgeschlossen, jedoch gibt es eine Reihe von Vorverhandlungen mit britischen, westdeutschen und anderen Firmen. Hervorzuheben sind dabei insbesondere Verhandlungen über die Lizenzvergabe für Schaufelradbagger an die britische Firma Babcock & Wilcox und für Schiffstransportanlagen, Kaiausrüstungen und Großgeräte der Fördertechnik an die Firma Vickers.
Ein ernsthaftes Problem für die schnelle Entwicklung des Exports der DDR in kapitalistische Industrieländer ist nach wie vor die Tatsache, dass Erzeugnisse der DDR zum Teil mit unverhältnismäßig langen, international nicht üblichen Lieferfristen geliefert werden. Dadurch wird auch die Devisenrentabilität unserer Erzeugnisse ungünstig beeinflusst. Zwar gibt es in einer Reihe von Industriezweigen, insbesondere im Bereich des Ministeriums für Verarbeitungsmaschinen und Fahrzeugpark eine insgesamt positive Entwicklung, jedoch können die Ergebnisse noch nicht befriedigen. Zu lange Lieferfristen gibt es insbesondere bei Neuentwicklungen und bei Ersatzteilen. Besondere Schwächen gibt es bei den Erzeugnissen, die einen hohen Anteil kooperierter Teile haben. Das betrifft insbesondere den Bereich des Ministeriums für Elektrotechnik und Elektronik, darunter neuentwickelte Gleichstrommotoren, Schweißmaschinen, Funkanlagen, Buchungsmaschinen und andere. Hierbei sind Lieferfristen zu verzeichnen, die ca. dreimal länger sind, als bei Erzeugnissen der Konkurrenz.
Die Außenhandelsorgane der DDR sowie die Industrie werden auf der Leipziger Frühjahrsmesse mit einer sehr starken Tätigkeit der westlichen Konzerne auf dem Gebiet der Marktanalyse konfrontiert. Alle westlichen Konzerne interessieren sich in starkem Maße für die Marktsituation in der DDR und setzen dabei Mittel ein, die es ihnen erlauben sollen, Einzelheiten über technische Vorhaben, Investvorhaben und perspektivische Entwicklungen der Industrie der DDR zu erfahren. Eine besondere Rolle spielen dabei naturgemäß die westdeutschen Konzerne, die alle Möglichkeiten wahrnehmen, um von der internationalen Konkurrenz nicht vom DDR-Markt verdrängt zu werden. Die Konzerne konzentrieren sich dabei besonders auf Betriebe und Forschungsinstitutionen, von denen sie erwarten, dass von dort Druck für den Bezug bestimmter Produkte ausgeübt werden kann. Die Konzerne stützen sich dabei auf die offiziellen Stellungnahmen der Bonner Regierung und den Anspruch, dass Westdeutschland gegenüber den anderen kapitalistischen Industrieländern die Priorität im Handel mit der DDR haben müsse. Diese Linie der westlichen Konzerne stellt hohe Anforderungen an die ideologische Arbeit in den Institutionen der DDR. Es kann eingeschätzt werden, dass im Bereich des Ministeriums für Außenwirtschaft die damit im Zusammenhang stehenden ideologischen Probleme im Wesentlichen geklärt sind, wenn es auch hier noch Erscheinungen von versöhnlerischem Auftreten in einigen Einzelfällen gibt. Im Bereich der Industrie und der wissenschaftlich-technischen Forschung sind diese Probleme jedoch noch nicht gelöst. Abgesehen von subjektivem Fehlverhalten von Vertretern der betreffenden Institutionen ist festzustellen, dass Ingenieure und Wissenschaftler der DDR der Gesprächsführung durch Vertreter kapitalistischer Konzerne nicht immer gewachsen sind.
2. Zu Problemen des Handels mit sozialistischen Ländern
Insgesamt gesehen nehmen die Vertragsabschlüsse mit den sozialistischen Ländern, insbesondere mit der Sowjetunion einen positiven Verlauf.
Insbesondere mit der Sowjetunion wurden bereits wichtige Abschlüsse getätigt. Trotzdem gibt es eine Reihe von Schwierigkeiten im Handel mit der Sowjetunion.
Exportseitig sind dabei hauptsächlich folgende Schwierigkeiten festzustellen:
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ungenügende Abstimmung des Bedarfs mit den geplanten Abkommenskontingenten durch die sowjetischen Stellen;
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Fehlen perspektivischer Festlegungen in der Sowjetunion für die folgenden Jahre;
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Forderungen der Sowjetunion, bereits verbindlich abgeschlossene Verträge nochmals in ihren technischen Spezifikationen zu überprüfen;
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Fehlen wichtiger sowjetischer Kunden bzw. Ablehnung von Verhandlungen über einzelne Positionen.
Importseitig sind besonders folgende Schwierigkeiten hervorzuheben:
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ungenügendes Marktstudium der sowjetischen Partnergesellschaften auf dem DDR-Markt;
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mangelnde Lieferfähigkeit der sowjetischen Industrie in einigen Schlüsselpositionen (Plastverarbeitungsmaschinen, Bau- und Wegebaumaschinen).
Schwierigkeiten gibt es exportseitig mit der Volksrepublik Rumänien. Die Volksrepublik Rumänien weigert sich, im Abkommen vorgesehene Fischimporte aus der DDR im Werte von mehr als 2 Mio. VM vertraglich zu binden.
In Anbetracht der stark aktiven Handelsbilanz Jugoslawiens mit den übrigen sozialistischen Ländern hat die jugoslawische Regierung Maßnahmen eingeleitet, um den ökonomischen Anreiz für Importe aus den sozialistischen Ländern zu erhöhen. Insbesondere wurden den jugoslawischen Importeuren Krediterleichterungen eingeräumt. (Die Steigerung der Exporte der DDR nach Jugoslawien ist gegenwärtig eins der Schwerpunktprobleme unserer Außenwirtschaftspolitik.)
Einschätzungen der Messestände der asiatischen sozialistischen Länder und Kubas ergaben, dass der Stand der Demokratischen Republik Vietnam trotz der gegenwärtig eingeschränkten Handelsmöglichkeiten eine gute handelspolitische Aussage hat. Im Vordergrund stehen traditionelle Exporterzeugnisse Vietnams, wie Obstkonserven, Textilfertigwaren und kunstgewerbliche Erzeugnisse.
In der2 Ausstellung der Koreanischen Volksdemokratischen Republik, die unter anderem ein breites Sortiment von Werkzeugmaschinen enthält, ist die politische Aussage auf Äußerungen Kim Ir-sens3 ausgerichtet. Es wird auf das Stützen auf die eigenen Kräfte und die Selbstständigkeit in Ideologie, Politik, Ökonomie und Verteidigung orientiert.4
Die Ausstellung Kubas orientiert auf die Fortschritte Kubas auf einigen Gebieten, geht jedoch nicht auf die Zusammenarbeit Kubas mit den übrigen sozialistischen Ländern ein. Das ausgestellte Exportsortiment entspricht nur teilweise den Bezugsinteressen der DDR.
3. Zum Auftreten der kapitalistischen Länder
Auf der Messe trat klar hervor, dass die VVB und die Betriebe ungenügend über die Auswirkungen der imperialistischen Gruppierungen auf dem Weltmarkt informiert sind. Das betrifft insbesondere die Auswirkungen der Kennedy5-Runde6 und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten für Preisverbesserungen der einzelnen Märkte.
Die Betriebe wurden deshalb während der Messe kurzfristig über diese Aspekte informiert. Schwierigkeiten gibt es für das laufende Jahr im Export von Fleisch in die Länder der EWG. Bedingt durch verschiedene EWG-Zusatzabschöpfungen kann das Exportziel der DDR im kommenden Jahr nicht annähernd erreicht werden. Polen, Rumänien, die ČSSR, Jugoslawien und Finnland haben es im Ergebnis von Einzelverhandlungen mit der EWG-Kommission erreicht, dass sie von diesen Zusatzabschöpfungen befreit werden.
In zahlreichen Gesprächen mit Partnern aus den führenden kapitalistischen Ländern wurden von unserer Seite offensive Argumentationen über die Haltung der beiden deutschen Staaten zu den wichtigsten politischen Fragen übermittelt. Am 4.3.1968 wurden in einem Gespräch mit britischen Abgeordneten durch den Stellvertreter des Außenministers, Genossen Hertzfeldt,7 die Notwendigkeit der Zurückweisung der Bonner Alleinvertretungsanmaßung und der Haltung der DDR zur europäischen Entspannung unterstrichen. Die britischen Abgeordneten bezeichneten den Standpunkt der DDR als realistisch. Nach Meinung der Abgeordneten sei der Zeitpunkt zur Normalisierung der Lage in Europa herangereift. Eine ähnliche Haltung – wenn auch mit graduellen Unterschieden – wurde auch von kapitalistischen Vertretern aus Frankreich, Großbritannien, Italien und den Niederlanden in einem Gespräch mit Genossen Hertzfeldt am 5.3.1968 zum Ausdruck gebracht. In einigen Fällen versuchen kapitalistische Vertreter den Kernfragen auszuweichen und auf Teilregelungen (Reiseverkehr, Abkommensebene u. a.) zu orientieren.
Französische Vertreter boten eine langfristige Zusammenarbeit mit der DDR auf dem Gebiet der elektronischen Datenverarbeitungsanlagen und Kredite zu Sonderbedingungen an. Vertreter japanischer Firmen (Itoh und Ataka) verhandeln gegenwärtig mit der DDR über Bezüge von Rohstoffen und Anlagen für die chemische Industrie sowie von Textilmaschinen. Sie kündigten den Besuch einer Delegation des Verbandes der japanischen chemischen Industrie unter Leitung prominenter Persönlichkeiten an. Mitglied der Delegation wird auch der erste Vizepräsident der Firma Itoh Echigo sein. Ähnliche Gespräche werden auch mit zahlreichen Vertretern anderer Länder geführt.
Zum politischen Auftreten der Geschäftsleute des kapitalistischen Auslandes ist festzustellen, dass eine nahezu eindeutige Verurteilung der amerikanischen Aggression gegen Vietnam vorliegt. Fast alle vorliegenden Materialien, selbst über Gespräche mit amerikanischen Kaufleuten bestätigen diese Linie. Bisher liegen lediglich eine westdeutsche und eine amerikanische Befürwortung der amerikanischen Aggression vor.
Bemerkenswert ist eine starke Aktivität griechischer Vertreter zur Fortsetzung und zum Ausbau der Handelsbeziehungen mit der DDR. Von griechischen Partnern wird starkes Interesse am Abschluss von Anlageverträgen mit der DDR geäußert. Journalisten und offizielle Persönlichkeiten bieten Erleichterungen für DDR-Bürger beim Aufenthalt in Griechenland und Gespräche mit Regierungsvertretern an, um über die Erweiterung des Handels zu beraten. Sie verweisen dabei auf die Aktivität anderer sozialistischer Länder, insbesondere der ČSSR und Rumäniens.
4. Zum Auftreten westdeutscher und Westberliner Aussteller und Messebesucher in Leipzig
Bemerkenswert ist, dass die westdeutsche Regierung neben der Entsendung halboffizieller Delegationen (Möller8/Arndt9) und der Stationierung der TSI10 in Leipzig nach vorliegenden Angaben auch eine Reihe von Regierungsbeamten inoffiziell nach Leipzig zur Beobachtung der Lage entsandt hat. Westdeutsche Firmen berichteten, dass sich solche Vertreter bereits zu Standbesuchen angesagt hätten.
Westdeutsche Vertreter teilten ferner mit, dass der Leiter der Treuhandstelle für den Interzonenhandel, Pollak,11 ihnen gegenüber erklärt habe, es gebe keinerlei Schwierigkeiten bei der Genehmigung von Lieferungen und Bezügen. Pollak behauptete gegenüber den Kaufleuten weiter, er verfüge über die Vollmacht, dem Stellvertreter des Ministers für Außenwirtschaft der DDR, Behrendt, mitzuteilen, dass der Handel mit Westdeutschland sofort liberalisiert werden könne, wenn Behrendt12 dem westdeutschen Paketvorschlag zustimme.
Genosse Behrendt stellte in zahlreichen Gesprächen mit leitenden westdeutschen Wirtschaftlern die Forderung der DDR nach Normalisierung der Situation im Handel zwischen beiden deutschen Staaten in den Vordergrund. Er führte unter anderem Gespräche mit sechs leitenden Vorstandsmitgliedern der Eisen- und Stahlindustrie (Vertreter von Thyssen, Krupp, Klöckner, Mannesmann, Bochumer Verein und Ferrostaal). Genosse Behrendt wies darauf hin, dass die sogenannten Erleichterungen der Bonner Regierung keine Veränderungen in der Situation im Handel gebracht haben. Dieses Problem stand auch im Mittelpunkt des Empfangs des Präsidiums der Kammer für Außenhandel der DDR und des Vorstandes der Gruppe DDR im Ausschuss zur Förderung des deutschen Handels e.V. am 5.3.1968. An diesem Empfang nahmen ca. 450 Gäste aus der westdeutschen Industrie und dem Handel teil. Erstmalig folgten Vorstandsmitglieder westdeutscher Industriekonzerne der Einladung zu dieser Veranstaltung.
Die Einkäufer der Versand- und Warenhauskonzerne zeigen zur diesjährigen Frühjahrsmesse wesentlich größeres Einkaufsinteresse als im Vorjahr. Den Hauptanteil stellen die Versandhäuser Neckermann und Quelle. Die bisherigen Verhandlungen tragen ernsthaften Charakter und dienen nicht nur Informationszwecken. Besonderer Andrang herrscht bei den AHB Wiratex und Textil.
Bis zum 6.3.1968 wurden von den Waren- und Versandhäusern bereits Verträge in Höhe von 52,7 Mio. VE abgeschlossen. Weitere 15,7 Mio. VE stehen kurz vor dem Abschluss.
Grundsatzgespräche über Probleme des Handels und der Export-Import-Koordinierung wurden auch mit führenden Westberliner Firmen, darunter mit der Borsig-AG und den Deutschen Waggon- und Maschinenfabriken GmbH geführt.
In den letzten Tagen wird von einigen westdeutschen Vertretern, darunter insbesondere Journalisten, das Gerücht verbreitet, die DDR verbiete ihren Wissenschaftlern und Technikern den Besuch von Ständen westdeutscher und Schweizer Firmen. Diese Gerüchte sind bereits in die Presse gelangt. Westdeutsche Journalisten bezogen sich dabei auf Konzerne der metallurgischen Industrie (Krupp, Mannesmann, Gute-Hoffnungshütte) und der chemischen Industrie (BASF, Farbwerke Hoechst, Bayer Leverkusen).
5. Anzahl der Besucher der Leipziger Frühjahrsmesse 1968
[Herkunft der Besucher] | LFM 1968 | LFM 1967 |
---|---|---|
Sozialistische Staaten | 18 653 | 16 985 |
Kapitalistische Staaten | 8 916 | 9 198 |
Westberlin | 3 327 | 5 346 |
Westdeutschland | 21 400 | 21 450 |
Arbeiterkonferenz13 | 1 974 | 2 071 |
Gesamt | 54 270 | 54 960 |
Stand vom 7.3.1968, 22.00 Uhr