Verlauf der Leipziger Herbstmesse 1968 (3. Bericht)
6. September 1968
Einzelinformation Nr. 933/68 über den Verlauf der Leipziger Herbstmesse 1968 (3. Bericht)
Der Verlauf der Leipziger Messe1 zeigt, dass die Geschäftstätigkeit völlig den Anforderungen entspricht. In den letzten Tagen hat sich die Anzahl der Messebesucher, vor allem aus dem kapitalistischen Ausland, stark erhöht. Es zeigt sich, dass die Maßnahmen, die in den ersten Tagen der Messe zur Popularisierung des Messebesuches in den westeuropäischen Ländern getroffen wurden, wirksam die feindliche Propaganda gegen den Besuch der Messe zurückdrängten. Das zeigen auch die Zahlen aus den Meldestellen.
[Herkunft der Besucher] | Gesamt | Vergleich 1967 |
---|---|---|
Sozialistische Staaten | 3 896 | 9 373 |
Kapitalistische Staaten | 3 278 | 3 996 |
Westberlin | 1 195 | 4 406 |
Westdeutschland | 8 400 | 12 778 |
Arbeiterkonferenz2 | 581 | 1 167 |
Gesamt | 17 350 | 31 720 |
Die meisten Außenhandelsbetriebe berichten über eine gleichbleibende oder stärkere Besucherfrequenz im Vergleich zur Herbstmesse des Vorjahres. Das betrifft insbesondere die AHB der metallverarbeitenden Industrie. In diesen AHB ist auch der Vertragsabschluss höher als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres. Nur bei wenigen AHB (Textil, Chemie, Glas/Keramik, Union und Demusa3) ist das bisher abgeschlossene Vertragsvolumen im Vergleich zum Vorjahr noch geringer.
Einen starken Anstieg haben die bereits abgeschlossenen Exportverträge in das nichtsozialistische Ausland zu verzeichnen. Insgesamt wird eingeschätzt, dass die Ergebnisse der Geschäftstätigkeit nicht unter den Erwartungen liegen werden. Eventuelle ungenügende Ergebnisse einzelner AHB zum Abschluss der Leipziger Herbstmesse sind kaum auf die politische Lage zurückzuführen. Es zeigt sich bereits jetzt, dass diejenigen Außenhandelsbetriebe, in denen es eine straffe und gut organisierte Führungstätigkeit gibt, ihre Zielstellungen unabhängig von der politischen Lage erreichen.
Im Einzelnen gibt es folgende Tendenzen:
Der Abschluss von Verträgen mit der Sowjetunion verläuft normal. Die Sowjetunion zeigt sich an einer Verstärkung des Bezugs von Konsumgütern aus der DDR interessiert.
Während seines Rundganges durch die Stände der VVB Leichtchemie brachte der sowjetische Außenhandelsminister Genosse Patolitschew4 sein Interesse an einer Erhöhung des Bezugs von Erzeugnissen der Haushaltschemie und der Kosmetik zum Ausdruck. Ihm wurde erklärt, dass die DDR sofort in der Lage ist, für 2 Mio. Rubel Produkte der Haushaltschemie zur Verfügung zu stellen, deren Lieferung durch Übererfüllung der Planaufgaben möglich ist.
Die in Leipzig anwesenden Vertreter der ČSSR treten in den letzten Tagen zurückhaltender und sachlicher auf. Falsche Gerüchte werden nicht mehr in Umlauf gesetzt, nachdem Aussprachen mit der Messeleitung der ČSSR stattgefunden haben.
Es wird eingeschätzt, dass sich die in Leipzig anwesenden Mitarbeiter des tschechoslowakischen Außenhandels bewusst niedergeschlagen geben und argumentierten, dass sie das Gefühl hätten, von den Genossen der DDR als Konterrevolutionäre angesehen zu werden. Diese Argumentation wird immer wieder mit dem Hinweis verbunden, dass die KSČ5 selbst in der Lage gewesen wäre, mit konterrevolutionären Elementen fertig zu werden.
Andererseits ist eine bestimmte Differenzierung im Auftreten der Mitarbeiter aus der ČSSR festzustellen. Einzelne Mitarbeiter, wie Genosse [Name 1] von Centrotex6 und Genosse [Name 2] von Ligna, sprachen sich positiv zu den Hilfsmaßnahmen der fünf Mitgliedsländer des Warschauer Paktes aus, baten jedoch gleichzeitig, dies gegenüber anderen tschechoslowakischen Vertretern nicht zu erwähnen.
Ursprünglich hatten sich sieben Generaldirektoren bzw. Stellvertreter der AHB der ČSSR angemeldet. Nach neuen Informationen werden nur noch vier Stellvertreter erscheinen. Im Übrigen werden nur Mitarbeiter der mittleren Ebene in Leipzig erscheinen, sodass nach Ansicht des Handelsrates der ČSSR in der DDR die ursprüngliche Messezielsetzung keinesfalls erreicht werde. Gleichzeitig sei damit zu rechnen, dass sie Verhandlungen über das Abkommen 1969 später als ursprünglich vorgesehen beginnen. Der Handelsrat ließ durchblicken, dass die ČSSR in diese Verhandlungen mit großen Forderungen, insbesondere auf dem Konsumgütersektor, gehen werden.
Andererseits gibt es nach wie vor Fälle, dass Außenhandelsunternehmen Telegramme provokatorischer Art an AHB der DDR senden. So hat Stroyexport in einem Telegramm ultimativ die Durchsetzung seiner Forderungen für die Reparatur eines von der DDR gelieferten Schaufelradbaggers durchzusetzen versucht mit der Drohung, dass andernfalls eine Presseveröffentlichung erfolgt.
Die Messedelegationen Rumäniens und Jugoslawiens verhalten sich auf der Messe korrekt. Sie bemühen sich, maximal Verträge abzuschließen, um eine gute Basis für die Abkommensverhandlungen zu haben. Politischen Gesprächen wird ausgewichen.
Der Handelsrat Jugoslawiens in Berlin, Drakulić,7 bezeichnete in einem Gespräch die Hilfsmaßnahmen der fünf Länder als unnötig. Er musste jedoch zugeben, dass ein Herausbrechen der ČSSR aus dem sozialistischen Lager nicht geduldet werden könne, glaubt jedoch, dass die Informationen über die Entwicklung in der ČSSR8 nicht objektiv wären.
Ungarische und polnische Genossen schätzten ein, dass das Eingreifen der fünf Länder notwendig und richtig gewesen sei. Sie äußerten, dass es noch sehr lange dauern würde, bis feindliche Ideologien aus den Köpfen der Parteimitglieder in der KSČ verschwinden und bezogen sich dabei auf eigene Erfahrungen.
Die Vertreter kapitalistischer Länder zeigen nach wie vor starke Zurückhaltung in den politischen Gesprächen. Teilweise wurde direkt darauf aufmerksam gemacht, dass man nicht bereit sei, über politische Probleme der Gegenwart zu sprechen. Dort, wo es trotzdem gelingt, die Kaufleute zu Äußerungen zu veranlassen, werden die Maßnahmen der fünf Länder im Allgemeinen abgelehnt. Das trifft auch auf diejenigen Geschäftsleute zu, die mit der kommunistischen Partei ihres Landes zusammenarbeiten. Solche Informationen liegen z. B. von Persönlichkeiten aus Österreich, Schweden, Dänemark und Zypern vor.
Ein die DDR diskriminierendes Auftreten von Partnern aus dem nichtsozialistischen Ausland in Gesprächen mit DDR-Vertretern wurde jedoch bisher nicht festgestellt. Es herrscht im Allgemeinen die Tendenz vor, Wirtschaft und Politik zu trennen und die Handelsbeziehungen möglichst wenig beeinflussen zu lassen.
Das zeigte sich z. B. in Verhandlungen mit Vertretern der Firma Carl Zeiss London (Gemischte Gesellschaft des VEB Carl Zeiss Jena), dem Vertreter des Leipziger Messeamtes in Indien, Rao,9 und anderen indischen Ausstellern sowie mit Vertretern holländischer und griechischer Firmen.
Auch das Auftreten westdeutscher Firmen entspricht dieser Linie. Die Haltung westdeutscher Firmen lässt sich durch Äußerungen einzelner Vertreter charakterisieren, die erklärten, es gehe im Handel nicht nach Sympathien, entscheidend sei das Geschäft. Wer heute abwarte, sei schnell ausgebotet. Bei Vertragsabschlüssen mit der DDR gerate man schnell ins Hintertreffen, da die DDR bereits Verträge bis 1970 abschließe.
Verschiedentlich versuchen jedoch Firmen, insbesondere Vertreter der Kaufhauskonzerne, die Ereignisse in der ČSSR auszunutzen, um die DDR mit einer Art politisch-moralischem Druck zu Preisreduzierungen zu veranlassen.
In dem Auftreten westdeutscher Vertreter, von denen bekannt ist, dass sie Verbindungen zu Regierungskreisen unterhalten und von diesen genutzt werden, um bestimme Vorstellungen in die DDR zu lancieren, lässt sich deutlich erkennen, dass die Bonner Regierung trotz der Absage von Arndt10 zur Leipziger Messe keineswegs die Fäden abreißen lassen will. So wurde aus sozialdemokratischen Kreisen, die Arndt und Schiller11 nahestehen, herangetragen, dass der Besuch von Ministerialrat Kleindienst12 in Leipzig dokumentieren soll, dass die Bundesregierung sich mit der Entwicklung in der ČSSR abgefunden habe und ihrerseits an einer Fortsetzung des Dialogs mit der DDR interessiert sei. Schiller habe angeblich die Vollmacht erhalten, selbstständig zu entscheiden, wann er das Gespräch mit Genossen Sölle13 führen wolle. Arndt habe angekündigt, dass er um einen Gesprächstermin bei Genossen Behrendt14 nachsuchen wolle, um das Treffen zwischen Schiller und Genossen Sölle vorzubereiten.
In seinem Gespräch mit Genossen Behrendt äußerte Ministerialrat Kleindienst, dass er zu diesem Gespräch von Arndt beauftragt worden sei. Mit diesem Gespräch solle der DDR übermittelt werden, dass die westdeutsche Bundesrepublik weiter an den Vorschlägen der DDR interessiert sei. Kleindienst sondierte, ob der Vorschlag für ein Gespräch zwischen Genossen Sölle und Schiller noch aktuell sei. Genosse Behrendt verwies dabei auf den Gesamtzusammenhang dieses Vorschlages mit den Beschlüssen der 10. Tagung der Volkskammer und forderte außerdem, dass Bonn zunächst die Haupthindernisse im Handel beseitigen müsse. Trotz der wiederholten Bekräftigung dieser Fragen durch Genossen Behrendt gab sich Kleindienst betont optimistisch.
Kleindienst stellte die Frage, welche Kompensationen die westdeutsche Seite für die Lösung der Handelsfrage erhalte und deutete Forderungen nach Passierscheinen und Verkehrsregelungen an. Genosse Behrendt wies diese Forderungen strikt zurück. Er erklärte, dass er den Eindruck habe, auf westdeutscher Seite bestehe die Absicht, neue Verzögerungen zu konstruieren. Er wies darauf hin, dass insbesondere die Mineralölfrage gelöst werden müsse. Kleindienst erkannte das an, wiederholte jedoch, dass die Lösung dieser Frage besonders schwierig sei. Über das Gespräch wurde zwischen beiden Seiten Vertraulichkeit vereinbart.
Im Zusammenhang mit diesem Gespräch erklärte Kleindienst zu Postfragen, dass es inoffizielle Kontakte gebe, in denen bereits ausgehandelt würde, wie viel die westdeutsche Post jährlich zu bezahlen habe und in welcher Weise das Geld zu verwenden wäre. Deshalb seien offizielle Verhandlungen wahrscheinlich gar nicht notwendig. Behrendt verwahrte sich in aller Form dagegen, diese Dinge zur Kenntnis zu nehmen.
Auch der ehemalige Leiter der Treuhandstelle für den Interzonenhandel,15 Dr. Leopold,16 hält sich wie üblich in Leipzig auf. In einer Unterhaltung mit Behrendt versuchte Leopold, seine »positive Einflussnahme« auf die Regelung von Fragen im Handel zwischen beiden deutschen Staaten herauszustellen. Er erwähnte besonders sein Wirken im Westberliner Bürgerkomitee, in dem auch der ehemalige Westberliner Bürgermeister Albertz17 eine sehr positive Rolle spiele.
Nach dem Stand vom 3.9.1968 sind von den westdeutschen Warenhaus- und Versandhauskonzernen insgesamt 29 Einkäufer anwesend. Bis zum Abschluss der Messe werden 63 Einkäufer die Messe besucht haben.
Den Boykottaufruf des Präsidenten der Außenhandelsvereinigung des westdeutschen Einzelhandels, Schulz-Klingauf, haben nur die Konzerne Kaufhof, Kaufhalle und Otto-Versand befolgt. Inzwischen ist jedoch ein Vertreter der Kaufhalle für den Besuch der der Messe am 7. und 8. September angekündigt worden, nachdem über eine Vertreterfirma die Kaufhalle aufmerksam gemacht wurde, dass durch die starken Warennachfragen bei den Außenhandelsbetrieben keine Sicherheit für Vertragsabschlüsse nach der Messe gegeben ist.
Am 3.9.1968 ist erstmalig der Handelsverein Deutsche Demokratische Republik – Bundesrepublik mit einem Empfang an die Öffentlichkeit getreten. Der Handelsverein wurde anstelle des bisher existierenden Ausschusses zur Förderung des deutschen Handels gebildet. An der Veranstaltung nahmen 150 Kaufleute und Wirtschaftler aus Westdeutschland teil.
Die Außenhandelsbetriebe und die Industrie leisten bei der Realisierung der vor ihnen bei der Messe stehenden Aufgaben im Allgemeinen gute Arbeit. Es gibt in einigen Außenhandelsbetrieben gute Initiativen zur Realisierung von Zusatzexporten insbesondere in das nichtsozialistische Ausland. In den Außenhandelsbetrieben des Maschinenbaus werden bereits die ersten Tage der Messe genutzt, um in der Ausspezifizierung des Planes 1969 weitere Fortschritte zu erzielen. Es zeigt sich jedoch, dass vielfach die ökonomischen Ergebnisse des Industriebetriebes gegenüber der staatlichen Planauflage für den Außenhandel überbewertet werden: Bereits zur Frühjahrsmesse 1968 war die heute noch fortwirkende Tendenz zu verzeichnen, dass Betriebe dann Exporte ablehnen, wenn die ökonomischen Ergebnisse beim Absatz auf dem Binnenmarkt höher sind.
Von der Parteileitung des Außenhandels wird eingeschätzt, dass der Plan 1969 nochmals einer inhaltlichen Analyse unterzogen werden muss, um Ökonomie und Plan in Übereinstimmung zu bringen.
Schwerpunkte in der Planerfüllung sind gegenwärtig die Außenhandelsbetriebe Feinmechanik/Optik, Elektrotechnik, Polygraph-Export, Union, Invest-Export und Büromaschinen-Export. Diese Außenhandelbetriebe haben noch die größten Differenzen bei der Planerfüllung insbesondere ins nichtsozialistische Ausland.