Versuche der Kirche mit »modernen Formen« der Jugendarbeit
23. Juli 1968
Einzelinformation Nr. 776/68 über verstärkte Versuche der Kirche, durch »moderne Formen« kirchlicher Jugendarbeit größeren Einfluss auf Jugendliche zu gewinnen
Nachdem 1966 insbesondere von jungen Pfarrern begonnen worden war, die Gewinnung neuer junger Mitglieder für die Kirche mit jugendgemäßen »Modernen Mitteln und Methoden« kirchlicher Jugendarbeit zu verbinden, hat diese Form des »Gottesdienstes einmal anders«1 in den verschiedenen Bezirken der DDR zugenommen. Das betrifft nicht nur die Zahl der Veranstaltungen, sondern auch die Teilnehmerzahl je Veranstaltung. So werden z. B. gegenwärtig in der Pauli-Kreuz-Kirche in Karl-Marx-Stadt moderne Jugendgottesdienste zum gleichen Thema durchgeführt, wobei an beiden Veranstaltungen durchschnittlich 1 200 Jugendliche teilnehmen. Zeitweilig wurden bis zu 1 800 Teilnehmer an beiden Veranstaltungen festgestellt. Neben der Jungen Gemeinde2 unterstützt auch die Evangelische Studentengemeinde aktiv die Werbung von Teilnehmern für diese »modernen« Gottesdienste der evangelischen Kirche.
Seit 1967 führt auch die katholische Kirche in Auswertung der Erfahrungen der »Gottesdienste einmal anders« kirchliche Jugendveranstaltungen in moderner Form durch.
So wird seit dem 26.4.1967 in der Propsteikirche in Karl-Marx-Stadt vierteljährlich durch den Kaplan Schäfer, Ulli3 ein sogenannter Wortgottesdienst, der dem »Gottesdienst einmal anders« entspricht, mit der »ausgeliehenen« Jazzband der evangelischen Kirche organisiert und durchgeführt. Diese Veranstaltung findet unter Jugendlichen ebenfalls großen Zuspruch.
Das Wesen dieser modernen Gottesdienste besteht in der Anpassung an die Interessen der Jugendlichen der verschiedenen Altersstufen unter Einbeziehung moderner Technik u. a. Mittel, um sie damit für die Kirche und ihre Veranstaltungen gewinnen und beeinflussen zu können.
Viele Jugendliche, die ansonsten kirchlich nicht gebunden sind, besuchen z. B. diese – wie sie selbst ausdrücken – als Show aufgemachten Veranstaltungen in der Pauli-Kreuz-Kirche in Karl-Marx-Stadt. Musikalisch werden diese Veranstaltungen durch eine Band umrahmt. Mitglieder dieser Band bzw. des Chores sind gleichzeitig Mitglieder des Singeklubs 67 Karl-Marx-Stadt. Geistiger Kopf der gesamten Vorbereitungshandlungen und der Durchführung des »Gottesdienstes einmal anders« ist der Jugendpfarrer Böhme, Helmut,4 der vom Landeskirchenamt Dresden als Verantwortlicher für Jugend- und Schülerarbeit im Raum des ehemaligen Landes Sachsen eingesetzt ist. Die Organisation erfolgt in enger Zusammenarbeit mit dem Pfarrer Mendt, Dieter,5 von der Pauli-Kreuz-Kirche Karl-Marx-Stadt und dem Pfarrer Dr. Lehmann, Theo,6 der aber in letzter Zeit nicht mehr so stark wie bisher in Erscheinung trat.
Einladungen für die Durchführung der Gottesdienste gehen an alle Superintendenturen des Bezirkes. Für die Anfahrt der Teilnehmer aus dem Bezirk und zum Teil auch von außerhalb des Bezirkes werden Sonderbusse organisiert, die mehrmals schon vom VEB Kraftverkehr zur Verfügung gestellt wurden.
Im »Gottesdienst einmal anders« erfolgte bis ca. Mitte des Jahres 1966 eine offene und oft provozierende Ablehnung von Maßnahmen von Partei und Regierung. Durch die Organisatoren wurden die Grenzsicherungsmaßnahmen der DDR abgelehnt und gegen diese sowie gegen die Sozialpolitik unseres Staates und die NVA gehetzt. Verschiedene Stellungnahmen innerhalb des Ablaufes des Gottesdienstes ließen sich so auslegen, dass man die DDR mit dem faschistischen Deutschland gleichsetzte.
Aus Furcht vor staatlichen Maßnahmen bemüht man sich seit ca. Mitte des Jahres 1966 in den Predigten und Fürbittgebeten die krasse Form der Ablehnung und Verunglimpfung von Maßnahmen von Partei und Regierung zu umgehen. In versteckter Form wird seitdem versucht, die gleiche Wirkung zu erzielen. Besonders deutlich kommt das in der Haltung zu Fragen der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen, zum Vietnam-Krieg und zu politischen Maßnahmen bei innen- und außenpolitischen Ereignissen zum Ausdruck.
Entgegen der Ankündigung des Bischofs D. Noth,7 dass die Durchführung des »Gottesdienstes einmal anders« auf das Stadtgebiet Karl-Marx-Stadt beschränkt bleiben soll,8 treten jetzt auch ähnliche Erscheinungen in Plauen und Aue auf. Während in Plauen zzt. vorerst nur sogenannte Jugendstunden stattfinden, werden besonders durch die Aktivität der Pfarrer Lange und Vollbach in Aue Veranstaltungen unter dem Motto »Gottes Wort modern gehört« organisiert, die sehr großen Zuspruch finden.
Obwohl die Durchführung des Gottesdienstes »Gottes Wort modern gehört« im Inhalt und in der Ausführung den Veranstaltungen in Karl-Marx-Stadt gleicht, wird der Gottesdienst in Aue noch weit attraktiver gestaltet.
Neben diesen modernen Formen des Gottesdienstes werden auch andere Mittel und Methoden angewandt wie Tanz-, Schach- und Skatabende, Schieß- und Fotozirkel, Camping- und andere Fahrten und Reisen, interessante Feriengestaltung u. a. Auch Mittel des direkten und indirekten Druckes (z. B. entweder Konfirmation oder Jugendweihe, Nachkonfirmationen) besonders auf die Eltern der Kinder und Jugendlichen werden angewandt, um die christlichen Kreise enger an die Kirche zu binden und von gesellschaftlicher Aktivität für unseren Staat abzuhalten.
Vertreter der evangelisch-lutherischen Kirche verteilten vorwiegend in Hohenstein-Ernstthal auch Handzettel, in denen zur Nichtteilnahme an der Jugendweihe aufgefordert wurde. Diese Aktion wurde durch den Staatsapparat verboten. Bei Familien mit Schulabgängern wurden durch kirchliche Angestellte Hausbesuche durchgeführt und ebenfalls Handzettel verteilt, worauf vermerkt war, dass ein schriftliches Einverständnis der Eltern zur Konfirmation eine Teilnahme an der Jugendweihe ausschließe.
Es ist auch festzustellen, dass die Funktionäre der Kirche versuchen, bereits in sehr frühem Schulalter (1. und 2. Schuljahr) Kontakt zu den Kindern zu bekommen. Die Bildung von sogenannten Kinderkreisen soll dazu dienen, die Kinder für kirchliche Belange zu begeistern. Besondere Aufmerksamkeit widmet die Kirche auch der Gewinnung von Diakonen und Laienkräften, die es verstehen, durch eine interessante und abwechslungsreiche Jugendarbeit Einfluss auf die jungen Menschen zu nehmen. Eine differenzierte Gestaltung der Jugendstunden der »Jungen Gemeinde« und der »Evangelischen Studentengemeinde« entsprechend den Altersgruppen bewirkt eine zahlreiche Teilnahme.
Über die moderne Form der Durchführung des Gottesdienstes gibt es unter der Pfarrerschaft große Meinungsverschiedenheiten. Während bei Jugendpfarrern und anderen jugendlichen Geistlichen die im »Gottesdienst einmal anders« verwendete Form Zustimmung findet, stößt sie bei älteren, an konservative Formen gewöhnte Pfarrer auf Widerstand.
Zu den Personen, die diese neue Form ablehnen, gehört im Bezirk Karl-Marx-Stadt der bekannte Superintendent Fehlberg,9 der seine Ablehnung bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht hat. Schon im Dezember 1966 erklärte er, dass er den »Gottesdienst einmal anders« nicht mehr unterstützen kann, und dass er soweit sei, die Verantwortung abzulehnen. Seinen Namen könne er für so ein Unternehmen nicht mehr hergeben. Superintendent Fehlberg verurteilt die Verwendung von nur neuem Liedgut und Bildmaterial im Gottesdienst. Er begrüßt zwar neue Formen und ist auch bereit, Experimente zu unterstützen, bei seiner Kritik am »Gottesdienst einmal anders« würde es sich jedoch nicht um Geschmacks-, sondern um Grundsatzfragen handeln. In dieser Frage hatte Superintendent Fehlberg auch Auseinandersetzungen mit dem Landeskirchenamt in Dresden. Diese Auseinandersetzungen verliefen aber für Fehlberg negativ.
Die Meinung eines großen Teils der Pfarrerschaft brachte der Superintendent von Stollberg/Karl-Marx-Stadt Spitzner am 12.2.1967 in einer Predigt zum Ausdruck. Spitzner nahm sehr scharf gegen die Form der Durchführung des »Gottesdienstes einmal anders« Stellung und betonte, wenn man in Zukunft Mitglieder für die Kirche gewinnen wolle, so dürfe man das nicht mit weltlichen Dingen tun. Es stehe außer Zweifel, dass diese Art bei jüngeren Menschen natürlich Beifall finde und dadurch der Erfolg bei der Mitgliederwerbung größer als sonst sei. Eine solche Werbung wäre aber der Kirche unwürdig. Vor allem erkenne Gott diese zweifelhaften Erfolge niemals an.
Unter den Kirchenmusikdirektoren besteht ebenfalls eine ablehnende Haltung. Kirchenmusikdirektor Schwarz ist dabei als direkter Gegner dieser kirchlichen Veranstaltungen aufgetreten. Es wurde auch bekannt, dass Landeskirchenmusikdirektor Thomm,10 Leipzig, die Durchführung des »Gottesdienstes einmal anders« ablehnt.
Bischof D. Noth/Dresden und Oberlandeskirchenrat Kleemann11 vom Landeskirchenamt, die gute Verbindung zu den Pfarrern Mendt und Böhme unterhalten, dulden die moderne Form, soweit sie dieselbe nicht direkt unterstützen.
Aktive Werbungen für den »Gottesdienst einmal anders« leistet auch die »Evangelische Studentengemeinde« an der Technischen Hochschule Karl-Marx-Stadt mit ihren ca. 80 Mitgliedern und dem Leiter Pfarrer Ackermann.12 Vor den Mitgliedern der »Evangelischen Studentengemeinde« der TH Karl-Marx-Stadt trat Anfang dieses Jahres der Synodale der »Evangelischen Kirche in Deutschland« Teichmann voll und ganz für die Durchführung des »Gottesdienstes einmal anders« ein.
Es wäre unseres Erachtens zweckmäßig, die in diesem Zusammenhang vorhandenen Widersprüche unter den kirchlichen Würdenträgern, Kirchenmusikdirektoren, kirchlichen Leitungen und Kirchenanhängern über die zuständigen staatlichen Organe, vor allem die Kirchenreferenten und die Arbeitsgruppen Christen der Nationalen Front verstärkt und zielstrebig dazu auszunutzen, die progressiven und schwankenden Kräfte unter den Kirchenkreisen enger an unsere gesellschaftliche Entwicklung zu binden und den Einfluss der negativ-feindlichen Kräfte zurückzudrängen. Dabei müsste überprüft werden, inwieweit die Kirchenreferenten der Kreise und Städte für eine effektive Lösung ihrer Aufgaben befähigt sind oder durch qualifiziertere Kräfte ersetzt werden müssten (z. B. beim Rat der Stadt Karl-Marx-Stadt).
Die Arbeit mit den Superintendenten dürfte in Zukunft nicht auf routinemäßige Gespräche (z. B. anlässlich der quartalsweisen Übergabe des Geldschecks) und auf Kampagnen beschränkt bleiben, sondern vom Staatsapparat ausgehend müsste eine ständige und systematische Zusammenarbeit erfolgen.
Wesentlich zurückgedrängt werden könnte der kirchliche Einfluss ferner durch eine weitere Verbesserung der Jugendarbeit, insbesondere durch ihre noch vielseitigere und interessantere Gestaltung in den Schulen, Betrieben und im Freizeitbereich (FDJ, GST, Sportgemeinschaften, Clubs).
Da die Anziehungskraft der modernen kirchlichen Jugendarbeit durch Verpflichtung so bekannter Künstler wie Fred Frohberg13 u. a. erhöht wird, wäre zu prüfen, ob die Möglichkeit einer entsprechenden Einflussnahme über das Ministerium für Kultur wahrgenommen werden könnte.
Außerdem wäre zu prüfen, inwieweit über die VEB Kraftverkehr, die von der Kirche für den Transport ihrer Veranstaltungsteilnehmer herangezogen werden, Möglichkeiten zur Kontrolle und Einflussnahme und Zurückdrängung genutzt werden können.
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