Waffendiebstahl und beabsichtigte Fahnenflucht im Artillerieregiment 1
8. April 1968
Einzelinformation Nr. 389/68 über einen Waffendiebstahl und beabsichtigte Fahnenflucht durch drei Angehörige der 1. mot. Schützendivision der NVA, Artillerieregiment 1 Klietz
Die Kanoniere [Name 1, Vorname], geboren am [Tag, Monat] 1948 in Leipzig, ohne Beruf, zuletzt: Art. Rgt. 1 der 1. MSD Klietz, Grundwehrdienst seit dem 2.11.1967, wohnhaft Wiederitsch, Kreis Leipzig, [Straße, Nr.], [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1948 in Chemnitz, Beruf: Rundschleifer, Grundwehrdienst seit dem 2.11.1967, zuletzt: Art. Rgt. 1 der 1. MSD, wohnhaft Karl-Marx-Stadt, [Straße, Nr.], Kandidat der SED seit 25.10.1967 [und] [Name 3, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1948 in Magdeburg, ohne Beruf, zuletzt: Art. Rgt. 1 der 1. MSD Klietz, wohnhaft Magdeburg, [Straße, Nr.], drangen am 22.3.1968 und 26.3.1968 gemeinschaftlich handelnd in eine Waffenkammer des Objektes Klietz ein und entwendeten drei Pistolen, eine Maschinenpistole sowie 1 360 Patronen MPi-Munition.
Die bisherigen Untersuchungen ergaben Folgendes: [Name 1] und [Name 3] erwogen schon seit längerer Zeit, bis zum Zeitpunkt des Waffendiebstahls unabhängig voneinander, sich in den Besitz von Waffen zu setzen, um mit Waffengewalt einen Grenzdurchbruch zu verüben und fahnenflüchtig zu werden. Konkrete Festlegungen über Durchbruchsort, Mittel und Methoden zur Realisierung, außer der Waffenbeschaffung, erfolgten noch nicht. [Name 1] ist wegen versuchten Grenzdurchbruchs bereits vor seiner Einberufung zur Ableistung des Grundwehrdienstes in einem Ermittlungsverfahren bearbeitet worden, wurde jedoch aufgrund seines jugendlichen Alters von der Jugendkammer des Kreisgerichtes Leipzig freigelassen. [Name 2] war nach den bisherigen Untersuchungen lediglich aus Liebhaberei sowie aus einem von ihm allerdings nicht erklärbaren angeblichen Schutzbedürfnis am Besitz einer Waffe interessiert und nicht bereit, am geplanten bewaffneten Grenzdurchbruch mit dem Ziel der Fahnenflucht teilzunehmen. Motivierend für die Handlungen wirkten sich besonders bei [Name 1] das Abhören westlicher Hetzsender sowie ein negativer Umgangskreis bereits vor der Einberufung zur Ableistung des Grundwehrdienstes aus. Begünstigt wurde die Entschlussfassung zur Tatausführung durch erhebliche Mängel in der Führungs- und Leitungstätigkeit der Einheit, indem durch Offiziere und Unterführer in grober Art und Weise gegen bestehende Befehle und Anweisungen verstoßen wurde. So war es dem [Name 1] möglich, bei einer Arrestverbüßung die sich neben der Arrestzelle befindliche und nicht ordnungsgemäß gesicherte Waffenkammer eingehend aufzuklären, da die Arrestzelle vielfach nicht verschlossen wurde.
[Name 2] und [Name 3], die [Name 1] zu verpflegen hatten, konnten sich während dieser Zeit ungehindert und ohne Aufsicht bewegen, sodass der 1. Waffendiebstahl am 22.3.1968, bei dem zwei Pistolen entwendet wurden, noch während der Arrestverbüßung des [Name 1] erfolgte. Den zweiten Waffendiebstahl verübten dann am 26.3.1968 alle drei Beschuldigten gemeinschaftlich handelnd, indem sie unbemerkt durch ein Fenster eindrangen, sich in den Besitz der anderen Waffen setzten und unbemerkt das Objekt verlassen konnten, um die Waffen zu verstecken.
Die Beschuldigten verschossen auf einem in der Nähe des Objektes Klietz vorhandenen Schießplatz am folgenden Tage nach dem Diebstahl, trotzdem dieser ständig benutzt wird, 105 Patronen. Die entwendeten Waffen und 1 255 Schuss MPi-Munition sind im Laufe der Untersuchung wieder sichergestellt worden.
Weitere Mängel, die die Tatausübung begünstigten, waren: Entgegen bestehender Weisungen wurde die Waffenkammer von einer nicht mehr feststellbaren Anzahl Offizieren und Unteroffizieren ohne jegliche Kontrolle betreten, keine ordnungsgemäße Übergabe des Waffen- und Munitionsbestandes durchgeführt und keine tägliche Bestandskontrolle durchgeführt. Die letzte Vollzähligkeitskontrolle fand am 16.3.1968 statt.
Eine vom Ministerium für Nationale Verteidigung vom 20.3.1968 bis 28.3.1968 durchgeführte Inspektion, die u. a. die Sicherung und Lagerung der Waffen und Munition im Objekt überprüfte, schätzte jedoch den Zustand als gut ein, obwohl ohne Gewaltanwendung das Sicherheitsschloss entfernt werden konnte bzw. die aus Flaschenverschlüssen gefertigten Siegelnäpfe vom Türrahmen zu entfernen waren, ohne den Siegelaufdruck zu verletzen, wie das durch die Beschuldigten auch geschah.
Trotz der bestehenden grundsätzlichen Weisungen über die Absicherung und Bewachung von Waffenkammern fühlte sich die Objektwache dafür nicht verantwortlich, weil die konkrete Wach- und Postenanweisung durch den Stabschef Hauptmann Wilms nicht entsprechend ergänzt worden war. Hinzu kommt, dass für die Dauer der Inspektion Mannschaften und Zivilkraftfahrer der Inspektion im gleichen Objekt untergebracht wurden, in dem sich auch die Waffenkammer befindet.
Die Untersuchung besonders zur Aufklärung der Ursachen und Zusammenhänge sowie der tatbegünstigenden Umstände werden noch weitergeführt.