Westdeutsche Versuche, Eiskunstläufer der DDR abzuwerben
1. Februar 1968
Einzelinformation Nr. 108/68 über verstärkte Versuche westdeutscher und österreichischer Funktionäre des Eiskunstlaufsports, Eiskunstläufer der DDR zu kontaktieren und abzuwerben
Dem MfS wurden durch eine zuverlässige Quelle Pläne und Absichten seitens der westdeutschen Sportführung, insbesondere der westdeutschen Eislauf-Union,1 sowie des Vorsitzenden des Wiener Eislaufvereins und Direktors der Wiener Eisrevue bekannt, die Kontaktaufnahmen zu namhaften Eiskunstläufern und perspektivvollen Nachwuchskräften der DDR zu forcieren. Durch die Kontaktaufnahmen sollen solche Bedingungen und Voraussetzungen geschaffen werden, die eine spätere Abwerbung von Spitzenkräften und perspektivvollen Nachwuchskräften des DDR-Eiskunstlaufsports ermöglichen.
Diese Pläne sind unverkennbar auf ein systematisches Vorgehen über Jahre hinaus – konkret bis zu den Olympischen Spielen 1972 – ausgerichtet. Der Plan der westdeutschen Seite sieht vor, zunächst in Westdeutschland speziell organisierte Schaulaufen unter Beteiligung von DDR-Aktiven durchzuführen, um sie dort zu kontaktieren und für eine Abwerbung vorzubereiten.
Im Einzelnen wurde bekannt, dass zur Realisierung dieser Pläne von der westdeutschen Eislauf-Union der ehemalige Schatzmeister und spätere Geschäftsführer Roth, Karl, wohnhaft in Frankfurt/M., [Straße, Nr.], Inhaber eines Textil- und Transportunternehmens in Frankfurt/M., vorgeschickt wurde. Roth zeigte während der Europameisterschaften im Eiskunstlauf in Västerås/Schweden2 starkes Interesse an den DDR-Eiskunstläufern. (Obwohl Roth seit Frühjahr 1966 keine offizielle Funktion mehr innerhalb der westdeutschen Eislauf-Union bekleidet, gehörte er in Västerås offiziell der Leitung der westdeutschen Mannschaft an, war jedoch bestrebt, in der Öffentlichkeit als von der westdeutschen Mannschaft »unabhängig« aufzutreten, offensichtlich mit dem Ziel, hinsichtlich der angestrebten Kontaktaufnahmen zur DDR-Mannschaft beweglicher zu sein. Roth ist bereits anlässlich früherer Eiskunstlauf-Wettbewerbe im internationalen Maßstab und der aus diesem Anlass erfolgten Zusammentreffen westdeutscher und DDR-Sportler in Erscheinung getreten. Er versuchte z. B. bereits anlässlich der Eiskunstlauf-Weltmeisterschaften 1966 in Davos/Schweiz3 durch gezielte individuelle Kontaktgespräche mit einzelnen Aktiven und Trainern der DDR-Mannschaft, Unsicherheit und Nervosität in der DDR-Mannschaft zu erzeugen.)
Aus vertraulichen Gesprächen des Roth in Västerås ist dem MfS bekannt, dass seitens der westdeutschen Eislauf-Union starkes Interesse an jungen DDR-Eiskunstläufern besteht, wobei von Roth namentlich Jan Hoffmann,4 Sonja Morgenstern,5 Michael Brychy und Brigitte Weise6 genannt wurden. Es werde von dieser Seite eine solche Möglichkeit ins Auge gefasst, junge DDR-Eiskunstläufer dieses Formats zunächst in Schaulaufveranstaltungen in Westdeutschland attraktiv vorzustellen. Damit sollen Voraussetzungen geschaffen werden, die Abwerbung zu verwirklichen, mit dem Ziel, die DDR-Aktiven zu den Olympischen Spielen 1972 für Westdeutschland starten zu lassen.
Roth versuchte zur Realisierung seiner Pläne Mittelspersonen aus der DDR zu gewinnen, denen er bei Unterstützung seiner Vorhaben entsprechend hohe finanzielle Angebote unterbreitete.
7Wie bereits in der Information Nr. 13/68 vom 5.1.1968 mitgeteilt, hatte sich der Direktor der Wiener Eisrevue und Vorsitzende des Wiener Eislaufvereins, Dr. Eigel,8 bereits 1966 offiziell an Vertreter des Generalsekretariats des DELV gewandt mit dem Ansinnen, die DDR-Eiskunstläuferin G. Seyfert9 für die Wiener Eisrevue zu gewinnen. (Bei allen Kontaktversuchen, die in jüngster Vergangenheit verstärkt worden waren, bemühte sich Dr. Eigel nach außen, als korrekter und sachlich erscheinender Verhandlungspartner aufzutreten, wobei er eine loyale Einstellung zur DDR zu beweisen versucht. In diesem Zusammenhang hatte Dr. Eigel auch betont, er sei angeblich an einer Abwerbung der Seyfert nicht interessiert. Ihm liege im Gegenteil daran, mit ihr auch Veranstaltungen mit einem hohen Gewinn in den sozialistischen Staaten durchzuführen.)
Dem MfS wurde bekannt10, dass sich Dr. Eigel während der EM im Eiskunstlaufen in Västerås aufhielt und offensichtliches Interesse an Auftritten der G. Seyfert zeigte.
Aus zuverlässiger Quelle wurde dem MfS bekannt, dass Dr. Eigel gegenwärtig mit Nachdruck versucht, sich das Erstrecht bei einem möglichen Vertragsabschluss der G. Seyfert mit seinem Revueunternehmen zu sichern, wobei er als letzten möglichen Termin die Saison 1968/69 nannte.11
Eingehend auf die Beziehungen zwischen G. Seyfert und E. Danzer12 vertrat Dr. Eigel die Meinung, von österreichischer Seite bestehe kein Interesse an einer persönlichen Verbindung der beiden Aktiven Seyfert und Danzer.13 Er hat deshalb vorgesehen, beide innerhalb der Eisrevue in unterschiedlichen Programmen an verschiedenen Auftrittsorten einzusetzen.14
Dr. Eigel verfolgt die Absicht,15 für G. Seyfert eine ständige Ausreise aus der DDR zu erreichen, ähnlich der Verfahrensweise der Mitglieder der internationalen Artistenloge, die ein Dauerausreisevisum für das nichtsozialistische Ausland besitzen und damit auch das Travel-Board umgehen würden. Dr. E. beabsichtigt nicht, die Mutter und Trainerin der S., Jutta Müller16 in seine Überlegungen einzubeziehen.17
Die verantwortlichen Sportfunktionäre des DELV besitzen teilweise Informationen über die hier genannten Vorgänge.18
Im Interesse der Sicherheit der Quelle bitten wir um vertrauliche Behandlung der Information.19
[anhängende Blätter mit eigener Nummerierung -3- und -4-, Text durchgestrichen, offensichtlich überarbeitete Vorlage zum letzten Abschnitt]
Wie bereits in der Information 13/68 vom 5.1.1968 mitgeteilt, hatte sich der Direktor der Wiener Eisrevue und Vorsitzende des Wiener Eislaufvereins, Dr. Eigel, bereits 1966 offiziell an Vertreter des Generalsekretariats des DELV gewandt mit dem Ansinnen, die DDR-Eiskunstläuferin G. Seyfert für die Wiener Eisrevue zu gewinnen. (Bei allen Kontaktversuchen, die in jüngster Vergangenheit verstärkt worden waren, bemühte sich Dr. Eigel nach außen, als korrekter und sachlich erscheinender Verhandlungspartner aufzutreten, wobei er eine loyale Einstellung zur DDR zu beweisen versucht. In diesem Zusammenhang hatte Dr. Eigel auch betont, er sei angeblich an einer Abwerbung der Seyfert nicht interessiert. Ihm liege im Gegenteil daran, mit ihr auch Veranstaltungen mit einem hohen Gewinn in den sozialistischen Staaten durchzuführen.)
Vom MfS wurde festgestellt, dass sich Dr. Eigel während der EM im Eiskunstlaufen in Västerås aufhielt und offensichtliches Interesse an Auftritten der G. Seyfert zeigte.
Aus zuverlässiger Quelle wurde dem MfS bekannt, dass Dr. Eigel gegenwärtig mit Nachdruck versucht, sich das Erstrecht bei einem möglichen Vertragsabschluss der G. Seyfert mit seinem Revueunternehmen zu sichern.
Bei vertraulichen Gesprächen in Västerås ging Dr. Eigel davon aus, dass Emmerich Danzer in dieser Saison seine Laufbahn als Amateur beendet und bei der Wiener Eisrevue unter Vertrag geht. Dr. Eigel erklärte, er brauche aber auch unbedingt G. Seyfert für seine Revue, um attraktive Programme gestalten zu können.
Eingehend auf die Beziehungen zwischen G. Seyfert und E. Danzer vertrat Dr. Eigel die Meinung, von österreichischer Seite bestehe kein Interesse an einer persönlichen Verbindung der beiden Aktiven. Er habe deshalb vorgesehen, beide innerhalb der Eisrevue in unterschiedlichen Programmen an verschiedenen Auftrittsorten einzusetzen.
Während Dr. Eigel bei früheren Kontaktversuchen und vertraulichen Gesprächen davon ausging, einen Vertrag mit G. Seyfert per 1.7.1968 zu erwirken, nannte er in Västerås als letzten möglichen Termin die Saison 1968/69. Dr. Eigel begründete diesen Termin mit dem Alter der Seyfert, wobei ihm offensichtlich ihre Platzierungen bei noch folgenden internationalen Meisterschaften von untergeordneter Bedeutung erscheinen.
Dr. Eigel äußerte in individuellen Gesprächen weiter, er verfolge die Absicht, für G. Seyfert eine ständige Ausreise aus der DDR zu erreichen, ähnlich der Verfahrensweise der Mitglieder der internationalen Artistenloge, die ein Dauerausreisevisum für das nichtsozialistische Ausland besitzen und damit auch das Travel-Board umgehen würden. Zu einer konkreten Frage hinsichtlich seiner Vorstellungen, falls eine offizielle Ausreise der G. Seyfert nicht möglich wäre, unterließ Dr. Eigel jegliche Äußerungen. Dr. E. ließ durchblicken, dass er die Mutter und Trainerin der G. Seyfert, Jutta Müller, nicht in seine Überlegungen einbezogen habe.
Die verantwortlichen Sportfunktionäre wurden über die in der Information genannten Vorgänge bereits informiert.