Auffassungen Bischof Schönherrs zum BEK
5. Oktober 1970
Information Nr. 1036/70 über Auffassungen Bischof Schönherrs, Berlin, zur weiteren Entwicklung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR
Dem MfS wurde durch interne Hinweise zuverlässig bekannt, dass am 28.8.1970 ein sehr vertrauliches Gespräch zwischen Bischof Schönherr,1 Berlin, und Oberkirchenrat Lotz,2 Eisenach, stattfand.
Den Hinweisen zufolge erklärte Schönherr im Verlauf des Gesprächs – dessen Charakter er als äußerst vertraulich gewertet wissen möchte – dass er ehrlich bestrebt sei, die evangelischen Kirchen, und speziell den Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR, im positiven Sinne zu entwickeln. Er sei betrübt darüber, dass ihm das bisher nicht gelungen wäre. Mit der Situation innerhalb des Bundes sei er nicht zufrieden, könne aber auch nicht verstehen, dass seitens des Staates die Bestrebungen einer Reihe positiver und loyaler Kräfte nicht ernst genug genommen und faktisch bisher ignoriert worden seien.
Er habe Oberkirchenrat Lotz um dieses Gespräch gebeten, weil er ihn als einen real denkenden Menschen schätze und weil er die Hoffnung habe, dass er aufgrund seiner Funktion und Verbindungen zur Verbesserung der gegenwärtigen Situation beitragen könne.
Schönherr bat Lotz darum, ihm aus seiner Sicht die Fehler aufzuzeigen, die er begangen habe.
Oberkirchenrat Lotz erklärte daraufhin, seiner Meinung nach seien die Bildung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR3 und die bisher vom Bund gegenüber der Öffentlichkeit gegebenen Erklärungen gut gewesen; Bischof Schönherr selbst habe sich jedoch bisher in seiner Funktion als Vorsitzender des Bundes zu schwach gezeigt. Er habe versäumt, sich genügend Verbündete zu schaffen.
Vor allem müsse er nach Meinung von Lotz in Zukunft darauf Einfluss nehmen, dass sowohl er als auch sein Sekretär, Oberkonsistorialrat Stolpe,4 mehr ihrer leitenden Funktion in kirchenpolitischer Hinsicht gerecht würden und nicht nur schlechthin Verwaltungsaufgaben erfüllten.
Es käme auch darauf an, solche ehemals im Apparat der »Evangelischen Kirche in Deutschland«5 aktiven Personen wie die Juristen Lewek6 und Oberkonsistorialrat Behm7 aus den Organen des Bundes zu entfernen und sich von solchen reaktionären Kräften wie Oberkonsistorialrat Ringhandt,8 Berlin, Bischof Krusche,9 Magdeburg, und Bischof Fränkel,10 Görlitz, zu distanzieren. Des Weiteren müsse er sich darüber im Klaren sein, dass die Anforderungen erfüllt werden sollten, die sich aus der Existenz der Kirche im sozialistischen Gesellschaftssystem ergeben. Jegliches Affrontdenken im kirchlichen Raum müsse ausgeschaltet werden.
Es sei auch zweckmäßig, dafür zu sorgen, dass in den Organen des Bundes nicht die reaktionären Kräfte die Oberhand bekämen. Dies träfe vor allem auf die Kommissionen des Bundes zu, da hier die Entscheidungen vorbereitet würden. Schönherr solle sich in den Kommissionen auf solche Kräfte stützen, die eine progressive Haltung einnehmen.
Insgesamt sollte es Schönherrs Ziel sein, eine positive Loyalität gegenüber dem Staat zum Ausdruck zu bringen und zu einem beständigen Faktor auszubauen. Unter diesem Gesichtspunkt müsse auch das Verhältnis zu einer Reihe noch bestehender kirchlicher Werke und Einrichtungen neu durchdacht und geprüft werden, ob eine solche Organisation wie die »Aktion Sühnezeichen«11 noch Existenzberechtigung habe.
Bischof Schönherr bedankte sich bei Oberkirchenrat Lotz für die aufrichtige Einschätzung und erklärte, er sei im Prinzip mit den Ausführungen von Oberkirchenrat Lotz einverstanden. Bisher sei er jedoch im Interesse seiner ehrlich gemeinten Zielstellung zum Taktieren gezwungen gewesen. Er habe sich den kritischen Blick bewahrt und müsse z. B. das Auftreten von Bischof Krusche vor den führenden Vertretern des Rates des Bezirkes Erfurt als »unmöglich« kennzeichnen. Dies wäre für die Kirche eine große Blamage und Krusche habe sich dabei »eingehandelt«, dass er nunmehr von den Räten der Bezirke Halle und Magdeburg nicht mehr empfangen wird. Krusche habe seinen Fehler teilweise eingesehen und sei bereit, sich bei einem zweiten Gespräch in Erfurt zu revidieren und zu entschuldigen. Schönherr schätzte ein, Krusche würde sich in geistiger Abhängigkeit von Pfarrer Hamel,12 Naumburg, befinden.
Schönherr sei der Meinung, dass er im Prinzip nur mit Bischof Fränkel, Görlitz, »Schwierigkeiten« haben werde. Fränkel sei der einzige, der unabhängig an der Einheit der »Evangelischen Kirche in Deutschland« festhalten möchte.
Schönherr selbst sei in jeder Hinsicht für eine echte Verselbstständigung der evangelischen Kirchen in der DDR. Aus diesem Grunde sei er auch für die unbedingte Regionalisierung der »Evangelischen Kirche der Union«13 eingetreten und habe dies bei einer Reihe von Vorbesprechungen auch unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Leider habe ihm Prof. Müller,14 Berlin, einen Teil der Bemühungen »kaputtgemacht«.
Zu dem Problem der Trennung der Landeskirche Berlin-Brandenburg von Westberlin vertrat Schönherr die Meinung, dass dies in Verbindung mit den Ergebnissen des Vertrages zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik15 geregelt werden könne. Endgültige Schritte könnten jedoch erst nach dem Rücktritt von Bischof Scharf16 unternommen werden.
Schönherr machte weiter den Versuch, Oberkonsistorialrat Ringhandt in Schutz zu nehmen und bemerkte, dass Ringhandt zwar einen schlechten Ruf habe, aber eine konstruktive Arbeit leiste.
Auf eine entsprechende Entgegnung von Oberkirchenrat Lotz gestand Schönherr jedoch ein, dass Ringhandt der »Gewährsmann« von Bischof Scharf sei.
Schönherr äußerte dann im weiteren Verlauf der Unterredung, ihm sei schon seit einiger Zeit, und besonders nach diesem Gespräch klar geworden, dass er konkret etwas unternehmen müsse, um die Aktivitäten solcher Personen wie Ringhandt, Krusche und Hamel lahmzulegen, denn nur so könne er seine Position festigen und stärken.
Zur Gewährleistung der Entwicklung der evangelischen Kirchen im Sinne der Politik der DDR möchte er unbedingt einen kontinuierlichen und streng vertraulichen Kontakt zu einem maßgeblichen Vertreter des Staates oder der Partei herstellen. Ihm sei sehr an einem vertraulichen Gespräch mit dem Leiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der SED, W. Barth,17 gelegen.
Ein Gespräch mit W. Barth sei ihm besonders deshalb wichtig, da es ihm bisher nicht gelungen sei, mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen ein vertrauliches Gespräch zu führen. Bei bisherigen Gesprächen im Staatssekretariat für Kirchenfragen sei ihm keine konstruktive Hilfe zuteil geworden, sondern es sei ständig nur Kritik geübt worden.
Oberkirchenrat Lotz soll Schönherr in diesem Zusammenhang den Vorschlag unterbreitet haben, diese vertrauliche Angelegenheit mit einem führenden Vertreter des Hauptvorstandes der CDU zu beraten.
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