Beschädigen von Versorgungsleitungen bei Erdarbeiten
27. Oktober 1970
Information Nr. 1125/70 über das Beschädigen von Versorgungsleitungen für Elektroenergie, Gas und Wasser bei der Durchführung von Erdarbeiten
In der Vergangenheit ereigneten sich eine Reihe zum Teil schwerwiegende Schadensfälle bei der Durchführung von Erdarbeiten, durch die Versorgungsleitungen für Elektroenergie, Gas, Wasser und andere Versorgungsarten (Telefon) beschädigt, z. T. sogar erheblich zerstört wurden.
Über die schwere Havarie am 30.9.1970 an der Ferngasleitung Berliner Ring – Pasewalk – Anklam – Greifswald bei Hohenmühl/Greifswald, bei der eine Person ums Leben kam und eine weitere schwer verletzt wurde, informierte das MfS bereits ausführlich, besonders über die Ursachen und die begünstigenden Umstände (Information Nr. 1041/70 vom 8.10.1970).
In Auswertung dieser und ähnlicher Vorkommnisse in den zurückliegenden Jahren kann festgestellt werden, dass sich mit der allgemeinen Tendenz des zunehmenden Einsatzes von Rohrleitungssystemen die Gefahren bei der Durchführung von Erdarbeiten erhöht haben.
In Zukunft wird diese moderne Transportart noch umfassender in der Volkswirtschaft zum Einsatz gelangen, sodass es nach Auffassung des MfS notwendig geworden ist, sich mit den Problemen der Sicherung bei Erdarbeiten in der Nähe von unterirdisch verlegten Versorgungsleitungen ernsthaft zu befassen.
In den Jahren 1965 bis 1970 (30.9.) wurden bei Erdarbeiten insgesamt in 83 Fällen Versorgungsleitungen bei Erdarbeiten beschädigt bzw. teilweise zerstört.
Jahr | Elektroenergie | Gas | Wasser |
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1965 | 9 | 1 | 1 |
1966 | 11 | 2 | – |
1967 | 13 | 1 | – |
1968 | 16 | 2 | 1 |
1969 | 10 | 2 | 1 |
1970 | 9 | 3 | 1 |
[Gesamt] | 68 | 11 | 4 |
Während der unmittelbare Sachschaden in den meisten Fällen keinen sehr großen Umfang annahm, entstanden aber daraus teilweise beträchtliche Produktionsausfälle, die gegenwärtig nicht erfassbar sind und die außerdem empfindliche Störungen in der Versorgung der Bevölkerung mit Elektroenergie, Gas und Wasser zur Folge hatten.
Die meisten Beschädigungen an den Versorgungsleitungen entstehen bei Tiefbau- und anderen Erdarbeiten unter Zuhilfenahme von Baggern, Planierraupen, Grabenfräsern und Meliorationsbaumechanismen einschließlich Grabenbau- und Verlegeautomaten.
Die Beschädigungen entstehen vor allem, weil
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Arbeiter nicht von den verantwortlichen Bauleitern bzw. Brigadieren usw. konkret ins Gelände eingewiesen wurden.
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Arbeiter trotz konkreter Einweisung sich nicht an die Festlegungen hielten, eigenmächtig handelten und somit große Pflichtverletzung begingen oder auch aus Unachtsamkeit Beschädigungen herbeiführten.
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eine Genehmigung (Schachtschein) beim Rechtsträger zur Durchführung von Erdarbeiten vom bauausführenden Betrieb nicht eingeholt wurde. Aus diesem Grunde war häufig die Lage der Versorgungsleitungen nicht oder nur mangelhaft bekannt.
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die Lage der Versorgungsleitungen in den Bestandsplänen nicht, falsch oder nur ungenau vermerkt worden war; mitunter waren auch die Versorgungsleitungen nicht projektgerecht verlegt worden.
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keine genügende Aufsicht organisiert war und die vorgegebenen Begrenzungen nicht eingehalten wurden.
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Erdarbeiten auch auf Risiko durchgeführt werden mussten, da keine Bestandspläne im Katasteramt mehr vorhanden waren (z. B. Bauarbeiten am Alexanderplatz).
In der Mehrzahl der untersuchten Vorkommnisse wurde fahrlässig von den Beteiligten gehandelt, wobei häufig derartige Beschädigungen als »Kavaliersdelikt« angesehen wurden.
Zur Vermeidung weiterer Beschädigungen unterirdisch verlegter Versorgungsleitungen bei Erdarbeiten müsste geprüft werden,
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ob die ASAO 631/2 – Herstellung von Baugruben, Leitungsgräben und Verlegen von Leitungen unter der Erde – vom 8.1.19661 gegenwärtig den technologischen Bedingungen der Bauwirtschaft, insbesondere dem Einsatz moderner Baumechanisierungsmittel, noch entspricht.
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ob es im Interesse der Erhöhung von Verantwortung in den bauausführenden Betrieben und zur besseren Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung zweckmäßig wäre, in die ASAO 631/2 generell einzuarbeiten, dass bei Erdarbeiten zum Kenntlichmachen von unterirdischen Versorgungsleitungen einheitlich die 2,50 m hohen, rot-weiß markierten Fluchtstangen anzuwenden sind.
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ob nicht eine Veränderung des gesetzlich bestimmten Sicherheitsabstandes (§ 8 der ASAO 631/2) von der äußeren Begrenzung der unterirdischen Versorgungsleitung notwendig geworden ist.
(Die im § 8 der ASAO 631/2 festgelegten Sicherheitsabstände von 1 m bis 0,3 m erscheinen in Anbetracht der zum Einsatz gelangenden schweren Technik als sehr gering.)
Weiterhin sollte das Institut für Energieversorgung/Dresden der VVB Energieversorgung veranlasst werden, eine konkrete Analyse über Ursachen und begünstigende Umstände der Beschädigung unterirdischer Versorgungsleitungen anzufertigen.
Auf dieser Grundlage sollte vom Ministerium für Bauwesen bzw. für Grundstoffindustrie eine den erkannten Notwendigkeiten entsprechende Grundsatzregelung zum Schutz unterirdisch verlegter Versorgungsleitungen bei Ausführung von Erdarbeiten erfolgen und für die Einhaltung des gesetzlich vorgeschriebenen Zustandes Sorge getragen werden.
Maßnahmen zur strengeren Kontrolle der Einhaltung der Bestimmungen der ASAO 631/2 in den Meliorationsbetrieben sollten ebenfalls seitens des Rates für landwirtschaftliche Produktion und Nahrungsgüterwirtschaft eingeleitet werden.
Ferner erscheint es notwendig, dass bei sich wiederholenden schweren Havarien und Beschädigungen die Organe der Generalstaatsanwaltschaft der DDR und ihre nachgeordneten Organe entsprechende Untersuchungen veranlassen, nicht zuletzt, um die noch vorhandene Ideologie eines »Kavalierdeliktes« überwinden zu helfen.