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Cheftrainerin des Sportclubs Karl-Marx-Stadt Jutta Müller

5. Mai 1970
Information Nr. 468/70 über das Verhalten der Cheftrainerin im Eiskunstlauf des Sportclubs Karl-Marx-Stadt, Jutta Müller

Dem MfS liegen mehrere übereinstimmende interne Hinweise vor, wonach gegenwärtig eine Zuspitzung in den persönlichen Beziehungen zwischen der Trainerin im Eiskunstlauf, Jutta Müller,1 und ihrer Tochter, der Weltmeisterin im Eiskunstlauf, Gabriele Seyfert,2 zu verzeichnen ist.

Im Wesentlichen resultiert dieses angespannte Verhältnis daraus, dass G. Seyfert den aktiven Leistungssport mit Abschluss der Eislaufsaison 1969/1970 aus eigenem Entschluss und entgegen der Meinung der Mutter J. Müller beendet. In diesem Zusammenhang fanden eine Reihe Auseinandersetzungen zwischen beiden statt, wobei es J. Müller nicht gelang, Gabi davon zu überzeugen, den aktiven Leistungssport noch weitere zwei Jahre bis zur Olympiade 1972 in Saporo/Japan weiterzuführen.

Auch zahlreiche Versuche J. Müllers, ihre Tochter über dritte Personen in ihrem Sinne zu beeinflussen, hatten keinen Erfolg.

J. Müller erklärte im internen Kreise, sie habe zurzeit keinen Einfluss mehr auf ihre Tochter, da diese weitgehend selbstständig geworden sei, wichtige persönliche Schritte selbst bestimme und dem Einfluss von Eberhard Rüger3 unterliege.

Zwischen J. Müller und Eberhard Rüger besteht kein gutes Verhältnis, wobei J. Müller im internen Kreis äußerte, E. Rüger hätte die Meinung Gabis unterstützt, den Leistungssport aufzugeben, und sich damit gegen sie (J. Müller) gestellt.

J. Müller sprach sich mehrfach gegen die in der nächsten Zeit zu erwartende Eheschließung zwischen G. Seyfert und E. Rüger aus.

J. Müller ließ im internen Kreis weiter durchblicken, bei einer Aufgabe des Leistungssports durch ihre Tochter befürchte sie, in Zukunft nicht mehr so oft wie bisher ins kapitalistische Ausland reisen zu dürfen; auf diese »Vergünstigungen« wolle sie jedoch nicht verzichten.

In mehreren Fällen wurde eingeschätzt, dass J. Müller sehr geltungsbedürftig und der Meinung ist, nicht mehr im Blickfeld bzw. im Mittelpunkt zu stehen oder persönliche Vorteile einzubüßen, falls ihre gemeinsamen Reisen mit ihrer Tochter ins kapitalistische Ausland wegfallen. Bereits früher getroffene Einschätzungen4 zum politischen Gesamtverhalten Jutta Müllers, wonach sie während ihrer Aufenthalte im kapitalistischen Ausland offene Sympathie für die kapitalistische Lebensweise und z. T. eine prowestliche Grundeinstellung bekundet, treffen auch heute noch zu. Mehrfach wurden von ihr in der Vergangenheit unter Missachtung jeglicher politisch-moralischer Aspekte Einladungen von westdeutschen und anderen Personen aus kapitalistischen Ländern zu Autopartien, Barbesuchen usw. sowie wertvolle persönliche Präsente angenommen.

In den vergangenen Jahren zeigt sich J. Müller stark daran interessiert, persönliche Verbindungen besonders zu solchen männlichen Personen aus dem kapitalistischen Ausland herzustellen, die in finanzieller Hinsicht möglichst großzügig auftreten.

Gegenwärtig besteht eine engere Verbindung zu einem Schweizer Bürger namens [Name], der sich ihr gegenüber als wohlhabender Geschäftsmann ausgibt. Offensichtlich wird von der Person [Name] die Situation, in der sich J. Müller befindet (angespanntes Verhältnis zur Tochter; Befürchtung, nicht mehr ins kapitalistische Ausland reisen zu dürfen) dazu ausgenutzt, Einfluss auf sie zu nehmen, längere Zeit in der Schweiz zu verweilen. Dabei ließ [Name] J. Müller gegenüber durchblicken, sie soll sich vergegenwärtigen, was sie nun überhaupt noch in der DDR wolle und wie ihre Zukunft dort aussehen würde. In der DDR würde sie eines Tages vergessen; die materielle Seite wäre dann nebensächlich. Sie hätte bisher durch ihre aufopferungsvolle Tätigkeit vieles eingebüßt und geopfert, nun solle sie überlegen, was ihr in der DDR noch bleibe, usw.

J. Müller wurde von [Name] aufgefordert, mehrere Wochen in seinem Landhaus in der Schweiz (3654 Gunten, [Adresse], Telefon [Telefonnummer]) zu verbringen, um sich dort in Ruhe alles überlegen zu können.

Intern wurde dem MfS weiter bekannt, dass J. Müller beabsichtigt, diese Einladung anzunehmen.

Ursprünglich hatte sie geplant, gemeinsam mit ihrer Tochter Gabi von Berlin oder Paris aus (wo Gabi an einem Schaulaufen teilnehmen sollte) in die Schweiz zu reisen. Nachdem die Teilnahme G. Seyferts an dem Schaulaufen in Paris (11. Mai 1970) aufgrund der Aufgabe ihrer aktiven Laufbahn vom Eislaufverband der DDR abgesagt wurde, erhielt der Eislaufverband der DDR eine Einladung zum gleichen Schaulaufen für Günter Zöller5 mit seiner Trainerin J. Müller.

J. Müller beabsichtigt nach der neu entstandenen Lage, von Paris aus oder, falls ihre Teilnahme an der Veranstaltung in Paris nicht gewährleistet ist, am 12.5.1970 von Berlin aus allein in die Schweiz zu fahren und einige Zeit dort zu bleiben.

Der Generalsekretär des DELV, Jochen Grünwald,6 [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben], habe zugesagt, ihr die entsprechenden Ausreisepapiere zu beschaffen. Ihre Anwesenheit will J. Grünwald abdecken, indem er mitzuteilen beabsichtigt, dass sich J. Müller auf einem Lehrgang befände.

J. Müller ließ in einem internen Gespräch durchblicken, dass »die Sache« mit der Beschaffung des Visums für die Reise in die Schweiz schon in Ordnung ginge, wenn es ihr Grünwald versprochen hätte.

[Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben]

J. Müller stellte in einem weiteren Gespräch an J. Grünwald die Forderung, er solle ihr einen »Jaguar« versorgen.

Aus anderen dem MfS vorliegenden übereinstimmenden internen Materialien geht hervor, dass auch von westdeutscher Seite in letzter Zeit verstärkt Versuche unternommen werden, mit J. Müller ins Gespräch zu kommen.

Direkte Abwerbungsversuche seien vom westdeutschen Eislaufverband unternommen worden, wobei dieser über dritte Personen (die Namen sollen J. Grünwald bekannt sein) J. Müller während des Schaulaufens in Westdeutschland das Angebot unterbreitet hätte, für eine monatliche Vergütung von 10 000 Westmark als Trainerin im westdeutschen Eislaufverband zu arbeiten. Angeblich solle mit dieser Abwerbung, falls sie gelänge, im Hinblick auf 1972 verlorenen Boden auf dem Gebiet des Eiskunstlaufsports wettgemacht werden.

Nach wie vor bestehen auch Aktivitäten seitens der USA-Eisrevue »Holiday on Ice«,7 J. Müller als Trainerin zu gewinnen, wobei ihr bereits konkrete Vereinbarungen vorgeschlagen worden seien. (In diesem Zusammenhang erhielt auch das Generalsekretariat des DELV am 16.3.1970 von »Holiday on Ice« ein Telegramm, in dem der Generalsekretär um eine Aussprache gebeten wurde.)

Obwohl in der Vergangenheit bereits über die Verhaltensweise der Jutta Müller durch das MfS informiert wurde, erscheint es aufgrund der neu vorliegenden Hinweise notwendig, nochmals zu überprüfen und zu entscheiden, welche Maßnahmen eingeleitet werden sollten. Die Information erscheint auch im Zusammenhang mit der bevorstehenden Reise J. Müller nach Paris und in die Schweiz von Bedeutung.

Diese Information ist nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt, da es sich um äußerst internes Material handelt, bei dem nach einer Auswertung im weiteren Kreise Quellengefährdung besteht. Das trifft auch besonders für die Information im Zusammenhang mit den Personen [Name] und J. Grünwald zu.

  1. Zum nächsten Dokument Probleme des Reise- und Touristenverkehrs in der DDR

    6. Mai 1970
    Information Nr. 464/70 über Probleme des Reise- und Touristenverkehrs in der DDR, die im Zusammenhang mit der Direktive des Ministers für Handel und Versorgung über die »Veränderung der Zimmerpreise und Dienstleistungspreise gegenüber ausländischen Besuchern sowie Besuchern aus Westdeutschland und Westberlin« zu nachteiligen Auswirkungen geführt haben

  2. Zum vorherigen Dokument Festnahme von zwei jugoslawischen Staatsbürgern

    4. Mai 1970
    Information Nr. 462/70 über die Festnahme von zwei jugoslawischen Staatsbürgern wegen Beihilfe zum ungesetzlichen Grenzübertritt