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Diebstahl einer Aktentasche des DTSB Vizepräsidenten Rudi Reichert

24. September 1970
Information Nr. 1011/70 über den Diebstahl einer Aktentasche mit Unterlagen aus dem Dienstwagen des Vorsitzenden des DTSB-Bezirksvorstandes Karl-Marx-Stadt, Genossen Rudi Reichert, am 12. September 1970 in Berlin-Grünau, Regattastraße

Am 14.9.1970 erstattete der Vorsitzende des DTSB-Bezirksvorstandes Karl-Marx-Stadt,1 Genosse Reichert, Rudi,2 geboren 17.11.1922, wohnhaft Karl-Marx-Stadt, [Straße, Nr.], beim VPKA Karl-Marx-Stadt Anzeige wegen Diebstahl seiner Aktentasche aus dem nach seinen Angaben verschlossenen Pkw Wartburg, polizeiliches Kennzeichen XP 77–77.

Der Pkw war nach Angaben des Gen. Reichert in der Zeit vom 12.9.1970, gegen 10.30 Uhr, bis 13.9.1970, gegen 6.00 Uhr, auf dem unbewachten Parkplatz in Berlin-Grünau, Regattastraße, gegenüber der Sportschule des DTSB abgestellt.

Gen. Reichert nahm zwischenzeitlich an Veranstaltungen im Rahmen der Berufung von Olympia-Kandidaten in Berlin teil und stellte am 13.9.1970, gegen 6.00 Uhr, den Verlust der Tasche fest.

Die Verzögerung der sofort notwendigen Meldungen über den Verlust der Tasche begründete Gen. Reichert damit, dass er nicht sicher war, die Aktentasche mit nach Berlin genommen zu haben und erst in seiner Wohnung bzw. Dienststelle in Karl-Marx-Stadt Überprüfungen anstellen musste.

Die unmittelbar nach der Anzeigenerstattung durch den Gen. Reichert von den Organen des MfS sowie der DVP eingeleiteten Untersuchungs- und Fahndungsmaßnahmen führten am 14.9.1970 zur Sicherstellung der abhandengekommenen Unterlagen und am 15.9.1970 zur Festnahme von fünf Jugendlichen.

Bei den Jugendlichen handelt es sich um [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1953, wohnhaft Berlin-Karolinenhof, [Straße, Nr.], Lehrling bei der Deutschen Reichsbahn, vorbestraft wegen unberechtigter Kfz-Benutzung, [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1953, wohnhaft 118 Berlin, [Straße, Nr.], Einschaler beim VEB Berlin-Chemie, vorbestraft wegen Rowdytum, [Name 3, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1952, wohnhaft 117 Berlin, [Straße, Nr.], Arbeiter im KWK Berlin-Köpenick, [Name 4, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1955, wohnhaft 118 Berlin, [Straße, Nr.], Lehrling beim VEB Autotrans Berlin, [Name 5, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1955, wohnhaft 117 Berlin, [Straße, Nr.], Bote im VEB WF Berlin-Oberschöneweide bei Jugendhilfe in Betreuung.

Nach den angeführten Untersuchungen entwendeten der [Name 1], [Name 2] und [Name 3] in den Abendstunden des 12.9.1970 gemeinschaftlich handelnd aus einem, nach ihren Angaben einseitig nicht verschlossenen Pkw »Wartburg«, die schon genannte Aktentasche und versteckten sie ca. 200 m vom Tatort entfernt mit Inhalt im angrenzenden Wald.

In diesem Zusammenhang konnten den festgenommenen Personen weitere Einbruchdiebstähle, wie z. B. in der HO-Gaststätte »Regatta-Casino« am 14.9.1970, nachgewiesen werden.

Zum Abtransport des Diebesgutes benutzten sie die am 12.9.1970 entwendete und bis dahin versteckte Aktentasche, die sie vorher entleerten.

Die Aktentasche konnte einwandfrei als Eigentum des Gen. Reichert identifiziert werden.

Die in der Aktentasche zuvor enthaltenen Unterlagen des Gen. Reichert wurden in der Nähe der Revierförsterei Berlin-Köpenick durch die Sicherheitsorgane aufgefunden und sichergestellt.

Bei diesen Unterlagen handelt es sich im Einzelnen um folgende Dokumente und Gegenstände:

  • Mitgliedsbuch der SED, Nr. [Nummer], sowie Ausweis, Nr. [Nummer], Kandidat der Bezirksleitung der SED Karl-Marx-Stadt,

  • Präsidiumsausweis des DTSB vom 4.6.1966 und Dienstausweis, Nr. [Nummer] des DTSB sowie Mitgliedsbuch des DTSB, Nr. [Nummer].

Alle vorgenannten Dokumente lauten auf den Namen Reichert, Rudi, geb. 17.11.1922.

  • Nachwuchstrainingsprogramm 1972 bis 1976 des Deutschen Eislaufverbandes der DDR (DELV),

  • Vorlage Nr. 3/2/70 (N) für das Präsidium des DTSB vom 31.8.1970 (vertraulich gekennzeichnet),

  • ein dunkelfarbiges Schlüsseltäschchen mit Reißverschluss, in dem sich fünf Schlüssel, darunter drei Sicherheitsschlüssel und ein doppelbartiger Panzerschrankschlüssel mit der Nummer 515 36 befinden,

  • Argumentation zum Gespräch zwischen Vertretern des Präsidiums des DTSB der DDR mit Vertretern des DSB der BRD am 2.7.1970 in Halle,

  • Terminplan des Präsidiums und Sekretariats des Bundesvorstandes des DTSB für die Zeit vom 1.7.1970 bis 31.12.1970 vom 10.6.1970,

  • Vorschläge für eine Bürotagung des Eislaufverbandes der DDR vom 29.5.1970 mit namentlichen Aufstellungen,

  • zusammengeheftete Materialien des DELV vom IV. Verbandstag im Mai 1970 in Dresden, wie

    • Rechenschaftsbericht,

    • Entschließungsentwurf,

    • Geschäftsordnung,

    • Wahlordnung,

    • Einladung und Anschreiben vom 25.3.1970.

  • zusammengefasste Materialien der Kommission Kampfrichter, 52 Blatt, bezeichnet mit [Vorname Name 6], 102 Berlin, [Straße, Nr.],

  • Stellungnahme der Leitung und der Finanzkommission des DTSB-Bezirksvorstandes Karl-Marx-Stadt zum Bericht der Bezirks-Revisionskommission über den Halbjahresabschluss 1970 (vier Exemplare) sowie ein Bericht der Bezirks-Revisionskommission des DTSB vom 6.8.1970,

  • Einladung zu einer Arbeitstagung des DELV vom 18. bis 25.9.1970 im Sportforum Berlin mit acht Blatt Arbeitsunterlagen,

  • Schreiben betreffs Aufstellung des nationalen und internationalen Terminkalenders 1971/72 mit Anlage,

  • Arbeitsplan der Arbeitsgruppe Eisschnelllauf für die Zeit vom 1.9.1970 bis 31.3.1971.

  • Lehrgangs- und Wettkampfkalender der wichtigsten zentralen nationalen und internationalen Veranstaltungen vom 1.9.1970 (zwei Blatt),

  • Unterlagen wie

    • DELV-Testprogramm-Nachwuchs 1968 bis 1972,

    • Plan für den Schiedsrichter- und Organisationsleitereinsatz Saison 1969/70,

    • Auswertung – Eisschnelllaufen der Saison 1969/70,

    • Termine zu Veranstaltungen in der Eissporthalle Karl-Marx-Stadt 1970/71,

    • Information über Jugendwettkämpfe der Freundschaft der sozialistischen Länder vom 17.2.1970 (fünf Blatt)

  • gedruckte Terminkalender 1970/71 und Ausschreibung über sportliche Veranstaltungen (25 Blatt),

  • Heft 2/70 »Sport im Zerrspiegel der Westpresse« sowie ein Terminkalender »Assistent für das Jahr 1970«,

  • Heft über Eisschnellauf-Wettkampfordnungen,

  • Brief von Friedrich3 an Reichert mit Schreiben vom 14.8.1970 über eine Aussprache mit Sportfreund [Name 7],

  • drei Notizhefte, ein Durchsichtheft für »Wartburg 353«, ein Fahrtenberichtsblock für Kfz Nr. 1 – amtliches Kennzeichen XP 77–77, ein leeres Tankkreditscheinheft [Nummer], Heft 91, Blatt A 1–50,

  • neun diverse Blätter mit handschriftlichen Notizen,

  • eine Zahnbürste und ein Röllchen Nähgarn.

Die Untersuchung der im Zusammenhang mit dem Diebstahl der Aktentasche bekannt gewordenen Umstände, insbesondere der dazu vorliegenden Angaben des Gen. Reichert, ergaben:

Gen. Reichert hat am 10.9.1970 zum Zweck der Durcharbeitung eine intern behandelnde Vorlage des Deutschen Turnverbandes der DDR über den Stand der Vorbereitungen zu den Turnweltmeisterschaften 1970 sowie die andern genannten Unterlagen mit dem gleichen Ziel mit in seine Wohnung genommen und sie seit diesem Zeitpunkt in seiner Aktentasche getragen. Diese Handlungsweise gehöre zu seinen ständigen Arbeitsgewohnheiten.

Gen. Reichert war jedoch nicht in der Lage, im Einzelnen exakt den Inhalt und Umfang der in der Tasche enthaltenen Unterlagen anzugeben. Auch die Tatsache, dass einige Dokumente als »streng vertraulich« bezeichnet sind, war ihm nicht mehr bekannt.

Unmittelbar vor seiner Abreise nach Berlin am 12.9.1970 hatte Gen. Reichert in Gegenwart seiner Ehefrau aus der genannten Aktentasche eine Mappe mit handschriftlichen Aufzeichnungen entnommen und etliche Toilettenartikel hineingelegt.

Dabei war ihm entgangen, dass sich in der Aktentasche noch eine weitere Mappe mit den bereits angeführten Unterlagen des DTSB sowie Personaldokumente befanden.

Nach der Ankunft in Berlin gegen 10.30 Uhr, stellte Gen. Reichert den Pkw, nachdem er sich zuvor von seiner ihn begleitenden Ehefrau verabschiedet hatte, auf dem schon genannten Parkplatz ab und verschloss die linke vordere Wagentür. Die anderen Wagentüren will Gen. Reichert bereits am 11.9.1970 in Karl-Marx-Stadt verschlossen haben. Deshalb überzeugte er sich auch nicht nochmals vom ordnungsgemäßen Verschluss.

Diese Angabe steht im Widerspruch zu den Angaben der festgenommenen Jugendlichen, die aussagten, dass sie im Zusammenhang mit dem Diebstahl die rechte vordere Wagentür des vom Gen. Reichert benutzten Pkw unverschlossen vorfanden.

Ausgehend von der Annahme, dass sich in seiner Aktentasche lediglich die bereits erwähnten Toilettenartikel befinden, ließ er diese im Pkw zurück.

Gen. Reichert nahm in der Zeit von 11.00 Uhr bis 22.30 Uhr an Veranstaltungen im Rahmen der Nominierung der Olympiakandidaten teil und kehrte gegen 1.30 Uhr in seine Unterkunft, Sportschule des DTSB Berlin-Grünau, zurück, nachdem er sich zuvor mit noch anderen Genossen in der HO-Gaststätte »Ratskeller« in Berlin-Köpenick aufgehalten hatte.

Gegen 6.00 Uhr des 13.9.1970 stellte Gen. Reichert, als er die Aktentasche aus seinem Fahrzeug holen wollte, fest, dass sie sich nicht mehr im Wagen befand. Die Toilettenartikel lagen im unordentlichen Zustand auf dem rechten vorderen Sitz. Diesen Sachverhalt teilte Gen. Reichert dem mit ihm nach Berlin gereisten und ebenfalls in der Sportschule des DTSB wohnenden Gen. Friedrich, stellv. Vorsitzender des DTSB-Bezirksvorstandes, nicht mit.

Er kam vielmehr nach einem Gespräch mit seiner Ehefrau, das gegen 8.00 Uhr stattfand, mit dieser überein, den möglichen Verlust der Aktentasche noch nicht zu melden, da diese ihn angeblich glaubhaft davon überzeugte, dass sich die Tasche in seiner Wohnung in Karl-Marx-Stadt befindet.

(Die Ehefrau hielt sich bei Verwandten in Berlin auf.)

Nach seiner Ankunft in der Wohnung in Karl-Marx-Stadt gegen 13.00 Uhr, überzeugte sich Gen. Reichert davon, dass seine Aktentasche tatsächlich abhandengekommen war.

Dabei wurde ihm nach seinen Angaben auch bewusst, dass sich in der Aktentasche zwei Schlüssel für den Dienstpanzerschrank sowie die schon genannten Ausweisdokumente befanden.

Zu diesem Zeitpunkt sei er sich aber noch nicht im Klaren darüber gewesen, welche Unterlagen möglicherweise noch in der Aktentasche verblieben sein könnten.

Gen. Reichert unternahm nicht sofort die notwendigen Schritte, um diesen Sachverhalt zu prüfen. Erst nachdem er sich am Morgen des 14.9.1970, nach Kontrolle des Dienstpanzerschrankes, vom Fehlen der schon erwähnten Unterlagen, einschließlich Parteidokument, überzeugt hatte, informierte Gen. Reichert im Verlaufe des Vormittags den Präsidenten des DTSB, Gen. Ewald,4 sowie den Mitarbeiter für Sport bei der Bezirksleitung der SED Karl-Marx-Stadt über diesen Vorfall und erstattete bei der DVP, VPKA Karl-Marx-Stadt, Anzeige.

Gen. Ewald informierte den Gen. Reichert bei der Meldung des Vorfalls, dass die Dokumente zwischenzeitlich wieder aufgefunden worden seien (nach Aussagen des Gen. Reichert).5

Gen. Reichert ist sich nach seinen eigenen Angaben darüber bewusst, dass er durch diese Handlungsweise nicht absehbare Gefahren hinsichtlich der Offenbarung von bedeutsamen internen Vorgängen und Maßnahmen des DTSB verursacht hat.

Es wird vorgeschlagen, diesen Vorfall durch das Präsidium des DTSB, nach Abstimmung mit der Abt. Sport beim ZK der SED, disziplinarisch auszuwerten.

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    28. September 1970
    Information Nr. 1012/70 über die Reaktion der Bevölkerung der DDR auf den Abschluss des Vertrages UdSSR – BRD

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    18. September 1970
    Information Nr. 980/70 über die Gefährdung der planmäßigen Erforschung, Entwicklung und Produktion hochwertiger Eiweißfuttermittel