Durch Blitzschlag eingetretenes Schadensgeschehen
19. Oktober 1970
Information Nr. 1110/70 über das durch Blitzschlag eingetretene Schadensgeschehen
In den vergangenen Jahren informierter das MfS wiederholt über das durch Blitzschlag eingetretene Schadensgeschehen auf dem Territorium der DDR.
Im Jahre 1970 erreichte die Schadenssumme erstmals die Höhe von 5,5 Mio. Mark (sonstiger bisheriger ähnlicher Schaden zwischen 2,5 und 3,7 Mio. Mark).
In diesem Schadensgeschehen des Jahres 1970 ist ein bisher einmaliges Vorkommnis mit einer Schadenssumme von drei Mio. Mark mit enthalten – Blitzschlag mit nachfolgender Kohlenstaubexplosion in der Brikettfabrik des BKK Regis, [Kreis] Borna, [Bezirk] Leipzig, am 16.6.1970.1
Doch selbst bei Ausklammerung dieses einen bedeutenden Schadensfalles ist nach wie vor kein Rückgang festzustellen.
So traten nach den dem MfS vorliegenden Unterlagen in den vergangenen Jahren nachfolgende volkswirtschaftliche Schäden durch Blitzschlag in den Bereichen Industrie und Landwirtschaft ein:
Jahr | Industrie | Landwirtschaft |
---|---|---|
1964 | neun Schadensfälle mit 0,1 Mio. Mark | 139 Schadensfälle mit 3,0 Mio. Mark |
1965 | zwölf Schadensfälle mit 0,5 Mio. Mark | 80 Schadensfälle mit 1,6 Mio. Mark |
1966 | 15 Schadensfälle mit 0,2 Mio. Mark | 126 Schadensfälle mit 2,5 Mio. Mark |
1967 | 16 Schadensfälle mit 0,3 Mio. Mark | 166 Schadensfälle mit 2,3 Mio. Mark |
1968 | 14 Schadensfälle mit 0,2 Mio. Mark | 170 Schadensfälle mit 3,7 Mio. Mark |
1969 | 15 Schadensfälle mit 0,3 Mio. Mark | 106 Schadensfälle mit 2,1 Mio. Mark |
1970* | sieben Schadensfälle mit 3,1 Mio. Mark | 66 Schadensfälle mit 2,4 Mio. Mark |
(*Bis Ende September 1970, wobei kaum noch – jahreszeitlich bedingt – mit weiteren Schadensfällen in bedeutenden Größenordnungen zu rechnen ist.)
In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass die ausgewiesenen Schadenssummen den unmittelbaren materiellen Verlust kennzeichnen, nicht aber die meist größeren materiellen und finanziellen Verluste durch Produktionsausfälle beinhalten.
Der Übersicht ist zu entnehmen, dass
- –
in der Industrie der Schaden durch Blitzschlag relativ gering ist und jährlich zwischen 0,1 und 0,5 Mio. Mark – mit Ausnahme von 1970 – konstant geblieben ist und
- –
die sozialistische Landwirtschaft den absoluten Schwerpunkt des Schadensgeschehens darstellt.
Damit wird zugleich deutlich, dass in diesem Bereich noch nicht die notwendige Einstellung zum Blitzschutz entwickelt wurde.
Der Rat für landwirtschaftliche Produktion und Nahrungsgüterwirtschaft erließ aufgrund der gleichbleibenden Tendenz im Schadensgeschehen durch Blitzschlag die Verfügung Nr. 4 (v. 25.3.1968) über den planmäßigen Aufbau von Blitzschutzanlagen in der sozialistischen Land- und Forstwirtschaft.2
In dieser Verfügung wird u. a. festgelegt, dass Neubauten mit einem Bruttowert ab 30 000 Mark mit einer Blitzschutzanlage auszurüsten sind.
Für nachträglich zu errichtende Blitzschutzanlagen auf bereits bestehenden Objekten wird in der vorgenannten Verfügung bestimmt, dass die Errichtungspflicht abhängig ist von der Größe, dem Wert, der Bedeutung, der Art, dem Verwendungszweck und der territorialen Lage. Dabei schränkt die Verfügung noch weiter ein, dass nur solche bereits bestehenden Objekte mit Blitzschutzanlagen auszustatten sind, deren Nutzung noch über das Jahr 1980 garantiert sei.
Diese beiden Formulierungen schränken u. E. die Wirksamkeit der Verfügung Nr. 4 des Rates für landwirtschaftliche Produktion und Nahrungsgüterwirtschaft wesentlich ein, da sie genügend freien Raum für »Auslegungen« und Unterwanderungen hinsichtlich der Errichtungspflicht für Blitzschutzanlagen zulassen.
Im Oktober 1968 wurde die Arbeits- und Brandschutzanordnung 955/13 – Blitzschutzanlagen – erlassen, die alle Betreiber zu schützender Objekte verpflichtet, die Nachausrüstung bis zum 31.12.1972 abzuschließen.
Außerdem wurden für den Verantwortungsbereich der Land- und Forstwirtschaft eindeutig die zu schützenden Objekte definiert.
Die in den Jahren 1969 und 1970 erneut registrierten Schadensfälle infolge Blitzschlages zeugen jedoch davon, dass von einer effektiven Verbesserung des Blitzschutzes noch nicht gesprochen werden kann und der Prozess der Durchsetzung der gesetzlichen Normative noch nicht die erforderlichen Veränderungen brachte.
Auch die in der Vergangenheit in ungenügendem Maße vorhandenen Kapazitäten für die Errichtung und Wartung von Blitzschutzanlagen für die spezifischen Zwecke der Landwirtschaft wurden nach den dem MfS vorliegenden Hinweisen z. B. in den Kreisbetrieben für Landtechnik bedeutend erweitert, und es kann auch nicht mehr in diesem Maße von echten Materialschwierigkeiten gesprochen werden (Verzinkungskapazität steht im Leichtmetallbaukombinat Calbe ausreichend zur Verfügung).
Im Interesse einer geeigneten Lösung des Problems Blitzschutz erscheinen dem MfS nachfolgende Vorschläge zur Verbesserung des Blitzschutzes einer eingehenden Prüfung wert:
- 1.
Herstellung der Übereinstimmung zwischen der Verfügung Nr. 4 und der Arbeits- und Brandschutzanordnung 955/1 hinsichtlich der zu schützenden Objekte in der sozialistischen Landwirtschaft. Insbesondere wäre dabei eine Korrektur der Formulierung »Objekte, die über das Jahr 1980 hinaus genutzt werden« notwendig.
- 2.
Zur Beschleunigung des Prozesses bei der Nachrüstung bisher nicht geschützter Objekte mit Blitzschutzanlagen entsprechend den Forderungen des Gesetzgebers könnte u. a. auch für die speziellen Belange der Landwirtschaft der zeitweilige Einsatz gesellschaftlicher Kräfte, so Abgeordnete der Kreistage und Gemeindevertretungen, Mitglieder Ständiger Kommissionen für Ordnung und Sicherheit usw., im Zusammenwirken mit den Organen des MdI, HA Feuerwehr, und ihren nachgeordneten Organen einschließlich der Freiwilligen Feuerwehr sowie weiteren fachlich zuständigen Organen der Örtlichen Organe der Staatsmacht erwogen werden.
- 3.
Bei grober Missachtung und Unterschätzung des vorbeugenden Blitzschutzes sollte von der Möglichkeit des Aussetzens des Versicherungsschutzes bzw. dessen Androhung Gebrauch gemacht werden.
In solchen Fällen müsste jedoch garantiert werden, dass geeignete gesellschaftliche und fachlich erfahrene Kräfte in die Untersuchungen und für die Beurteilung der jeweiligen Situation herangezogen werden, um auf diese Art und Weise auch das notwendige Verständnis für eine solche staatliche Maßnahme zu sichern.
In geeigneten Einzelfällen gröblichster Missachtung des Blitzschutzes sollte die Aussetzung des Versicherungsschutzes in entsprechender Form publiziert werden, um breite Kreise mit der Ernsthaftigkeit des Problems vertraut zu machen.
- 4.
Dem Staatlichen Komitee für Landtechnik sollte vorgeschlagen werden, auf der Basis der durch das Komitee gesammelten Erfahrungen beim Blitzschutzanlagenbau auf landwirtschaftlichen Bauten nunmehr auch eine systematische Kontroll- und Überwachungstätigkeit im Zusammenarbeit mit der TÜ zu organisieren und erforderliche Auflagen bei wesentlichen Gesetzesverletzungen mit den Organen der TÜ vorzubereiten.
Abschließend möchte das MfS auf ein neu auftretendes Problem des Blitzschutzes im Metallleichtbau hinweisen.
Bei Metallleichtbauten und den damit häufig verbundenen Wellaluminiumbeplankungen können nach bisher vorliegenden Erfahrungen trotz vorhandener Blitzschutzanlagen immer zündfähige Sprüherscheinungen bei Blitzschlägen auftreten.
Aus diesem Grunde sind derartige Konstruktionen für feuer- und explosionsgefährdete Objekte nicht geeignet. Vonseiten der TÜ wurde deshalb auch die Anwendung des Metallleichtbaus für das Großtanklager Hartmannsdorf, [Bezirk] Karl-Marx-Stadt, abgelehnt.
Um solchen eventuellen Schadensfällen vorzubeugen, wäre es zweckmäßig, die Deutsche Bauordnung auf ihre Vollständigkeit in Bezug auf die Spezifik des Metallleichtbaus und die Wellaluminiumbeplankung in Verbindung mit dem vorbeugenden Blitzschutz zu prüfen.