Einschleusen von Hetzschriften in die DDR durch Ballons
2. Februar 1970
Information Nr. 96/70 über das Einschleusen von Hetzschriften mittels Ballons in die DDR durch Spezialeinheiten für psychologische Kampfführung (PSK) der westdeutschen Bundeswehr
Zum Gesamtsystem der von der Bonner Regierung gegen die DDR betriebenen Aufweichungs- und Zersetzungstätigkeit gehören seit Jahren Ballonaktionen, mit denen, unter Missachtung völkerrechtlicher Abmachungen, Millionen Exemplare von Hetzflugblättern, Hetzbroschüren u. a. feindliches Schriftenmaterial in die DDR auf dem Luftwege eingeschleust werden.
Diese bis 1965 durch westdeutsche Feindorganisationen – wie »Ostbüro der SPD«,1 »Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen«,2 »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit«,3 »Club der Begegnung«,4 Revanchistenorganisation »Reichsbund«,5 »Vereinigung 17.6.1953 e. V.«6 – sowie die Bundeswehr gegen die DDR durchgeführten Aktionen von stationären und beweglichen Hetzschriftenballon-Abschussbasen entlang der Staatsgrenze zur DDR sowie von der besonderen politischen Einheit Westberlin aus werden jetzt ausschließlich durch die genannten PSK-Einheiten7 der westdeutschen Bundeswehr durchgeführt.
(Von Westberlin aus werden seit diesem Zeitpunkt keine Hetzflugblätter in das Gebiet der DDR mittels Ballon oder Raketen eingeschleust.)
Bei diesen PSK-Einheiten, die im Jahre 1959 nach dem Vorbild der USA-Loudspeaker and Leaflet Companies8 in der westdeutschen Bundeswehr gebildet wurden, handelt es sich um Lautsprecher- und Flugblattkompanien, die dem 1., 2. und 3. Armeekorps zugeteilt sind.
Ihre Standorte sind:
Kompanie 181 | Scheue bei Celle | 1. Armeekorps |
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Kompanie 281 | Ulm-Wilhelmsburg Kaserne | 2. Armeekorps |
Kompanie 381 | Rengsdorf/Westerwald | 3. Armeekorps |
Diese Kompanien setzen sich aus einem Lautsprecher- und Flugblattzug, einem Lagerarchiv sowie einem Hersteller- und Verbreitertrupp zusammen. Zum Bestand der Kompanien gehören qualifizierte Journalisten, Psychologen, Soziologen, Politologen, Drucker und Stabsoffiziere.
Die Anleitung dieser Einheiten erfolgt durch das Referat VII (Ausbildung und Wehraufklärung) des Bonner Kriegsministeriums.9
Die Auswahl des Materials für diese Einheiten erfolgt in der Schule für psychologische Kriegführung10 in Euskirchen bei Bonn. Nach Bestätigung des Materials durch das Referat VII erfolgt die Auslieferung an die PSK-Einheiten.
Aufgabe des Lautsprecher- und Flugblattzuges der PSK-Einheiten ist es, die Entwürfe der Hetzflugblätter, ihre Herstellung und Verbreitung zu organisieren.
Die Hetzflugblätter und Hetzbroschüren werden
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mit Raketen (1 m lang, jeweils 500 Exemplare) von Stationen und fahrbaren Abschussbasen verschossen;
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mittels Ballons, die mit Wasserstoff gefüllt sind, ungesetzlich in die DDR eingeschleust.
Neben Radiosonden-Ballons, die sonst ausschließlich meteorologischen Zwecken dienen, werden Schwebeballons verwandt, deren zigarrenförmige Plastikhüllen einen Durchmesser von 2,00 m haben, 4 m in der Höhe messen und über eine Tragkraft von 15 bis 20 kg verfügen. Diese Ballons haben an der unteren Seite eine Öffnung (Ventil), damit beim Aufstieg solange Gas entweicht, bis der Druck im Ballon dem der Atmosphäre entspricht. Dann treiben diese Ballons in gleichbleibender Höhe von 2 000 m, bis eine Zugvorrichtung die Flugblätter absprengt.
Diese durch die PSK-Einheiten laufend durchgeführten Aktionen gefährden nicht nur die Luftsicherheit auf den zeitweiligen, nationalen und internationalen Luftstraßen der DDR, sondern auch Leben und Gesundheit der Bürger und haben z. T. erhebliche Sachschäden zur Folge.
Auch unter der neuen westdeutschen Regierung Brandt/Scheel11 werden diese gefährlichen Aktionen fortgesetzt und sind vom Bundesverteidigungsminister Schmidt12 ausdrücklich sanktioniert worden.
Im Zusammenhang mit den völkerrechtswidrigen Praktiken der Bonner Regierung wird auf folgende internationale und nationale Rechtsgrundlagen verwiesen, die in ihren Grundsätzen eindeutig den Auftrieb von Wetterballons für ausschließlich meteorologische Zwecke regeln.
Danach werden zur Erforschung der Wetterlage durch die nationalen Meteorologischen Dienste aller Staaten der Welt täglich zu international festliegenden Zeiten mehrmals
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Pilotballons,
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Radiosondenballons und in Ausnahmefällen,
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Driftballons,
von in einzelnen Staaten festliegenden, international gemeldeten und bekannten Radiosonden-Aufstiegsstellen aufgetrieben.
Die internationale Rechtsgrundlage bildet:
1. Die Konvention der Weltorganisation für Meteorologie (WMO)13
Der Sitz der Organisation ist Genf (Schweiz). Mit Stand von 1968 gehören ihr 132 Staaten als Mitglieder an. Die Organisation ist auf der Grundlage der UN-Charta mit der UNO in vertragliche Vereinbarungen getreten und trägt den Charakter einer Spezialorganisation der UNO.
Die DDR ist zzt. noch nicht Mitglied der Organisation.
Entsprechende Anträge 1953, 1954 und 1967 auf Mitgliedschaft sowie der Antrag auf einen Beobachterstatus erhielten auf Betreiben der imperialistischen Hauptmächte nicht die erforderliche Stimmenzahl.
Jedoch arbeitet der für das Gebiet der DDR zuständige Meteorologische Dienst der DDR in Potsdam auf der Grundlage der Konvention der WMO. Es werden Informationen ausgetauscht. Dergleichen nimmt die DDR als Gast an Sitzungen der WMO teil.
2. Die Internationale Organisation für Zivilluftfahrt (ICAO)14
Sitz: Montreal/Kanada
Diese Organisation wurde 1944 in Chicago15/USA gegründet. Es gehören ihr 56 Länder an. Im Dezember 1947 erhielt die ICAO den Status einer Spezialorganisation der UNO.
Obwohl die ICAO nicht unmittelbar mit dem Gesamtproblem des Auftriebs von Wetterballons und Ballons mit Hetzschriften in Verbindung zu bringen ist, beinhaltet ihre Satzung u. a. klar die Problematik der Erhöhung der Luftsicherheit im internationalen Luftverkehr, die Vermeidung jeder Diskriminierung der Vertragsstaaten usw.
Die DDR ist nicht Mitglied der ICAO. Von den sozialistischen Staaten gehören die ČSSR, VR Polen, SR Rumänien, VR Bulgarien, Kuba und die SFR Jugoslawien der ICAO an.
Die UdSSR nimmt lediglich an der Arbeit der ICAO teil.
Die internationale Praxis beweist, dass sich allgemein eindeutig die Lufthoheit durchgesetzt hat, d. h. der jeweilige Staat übt die volle Lufthoheit über seinem Territorium auf der Grundlage seiner Gesetze aus.
Nach dem geltenden nationalen Recht der DDR stellt deshalb das Einschleusen von Hetzschriften mittels Ballons eine Grenzverletzung dar und ist ungesetzlich.
Die Rechtswidrigkeit derartiger Handlungen wird weiter eindeutig
3. Im Gesetz über die Zivile Luftfahrt der DDR vom 31.7.196316
4. In der Anordnung über den Luftverkehr – Luftverkehrsordnung – vom 10.10.196817
festgelegt.
In völkerrechtswidriger Art und Weise werden durch die PSK-Einheiten der westdeutschen Bundeswehr Pilot- und Radiosondenballons aus dem Bereich der Meteorologie zum Transport von Hetzschriften verwendet. Es handelt sich dabei um
1. Pilot-Ballons
Material: | Kautschuk |
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Durchmesser: | 0,50 m |
Tragkraft: | 50 g – 100 g |
Aufgabe: | Bestimmung der Windrichtung für den späteren Auftrieb von Radiosonden u. a. Ballons mit Hetzschriften |
2. Radiosonden-Ballons
Material: | Kautschuk |
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Durchmesser: | 1,50 m – 2,00 m |
Tragkraft: | 10 kg – 15 kg Hetzschriften mit Auslösegerät |
Füllung: | Wasserstoff |
Aufstieg: | bis 35 000 m |
3. Plastik-Ballons
Material: | Nylon |
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Durchmesser: | 2,00 m |
Tragkraft: | 10 kg – 15 kg Hetzschriften mit Auslösegerät |
Füllung: | Wasserstoff |
Aufstieg: | bis 30 000 m |
Weiterhin werden durch die PSK-Einheiten – durch die sogenannten Lautsprecher- und Flugblattkompanien – mittels Raketen, wie schon angeführt, Hetzflugblätter in das Gebiet der DDR ungesetzlich eingeschleust.
Dabei wird ein geländegängiges Raketenabschussgestell vom Typ Promar II 100 mm, mit einer Reichweite bis zu 15 km, verwendet, das sechs Raketen verschießen kann.
Weiterhin werden Flugblattraketenwerfer vom Typ Promar I, 94 mm, montiert auf Drehkranzlafette, mit einer Schussweite von 4,3 km, verwendet. Die montierten Werfer verschießen acht Flugblattraketen.
Die bisher ermittelten Auftriebsbasen der westdeutschen Bundeswehr, die überwiegend in mittelbarer Nähe der zeitweiligen Luftkorridore 1 und 3 liegen, sind konkret wie folgt disloziert:
1. Am Heeseberg in Jerxheim, Kreis Helmstedt, ca. 15 km südwestlich des Luftkorridors 2 Berlin – Bückeburg.
2. Bahnlinie Jerxheim – Solingen, Kreis Helmstedt, ca. 17 km südwestlich des Luftkorridors 2 Berlin – Bückeburg.
3. Truppenübungsplatz Ehra-Lessien, Kreis Gifhorn, direkt im nordwestlichen Teil des Luftkorridors 2 Berlin – Bückeburg.
4. Waldgebiet Oberwohlbach, Kreis Coburg (bei entsprechenden Windverhältnissen treiben die Flugblattballons bis zur internationalen Luftstraße 2 Leipzig – Karl-Marx-Stadt18 und zur nationalen Luftstraße Karl-Marx-Stadt – Erfurt).
5. Höhe 565 in Trogen, Kreis Hof (bei entsprechenden Windverhältnissen treiben die Flugblattballons bis zur internationalen Luftstraße 2 Leipzig – Karl-Marx-Stadt und zur nationalen Luftstraße Karl-Marx-Stadt – Erfurt).
6. Bahnlinie Wieda – Walkenried, Kreis Braunlage, ca. 35 km nordwestlich des Luftkorridors 3 Berlin – Frankfurt/M.
7. Bahnlinie Kaiserweg Wieda, Kreis Braunlage, ca. 35 km nordwestlich des Luftkorridors 3 Berlin – Frankfurt/M.
8. Altenau Torfhaus/Oberharz, Försterei Oberbrück, ca. 45 km nordwestlich des Luftkorridors 3 Berlin – Frankfurt/M.
9. Bastesiedling – Altenau/Oberharz, ca. 45 km nordwestlich des Luftkorridors 3 Berlin – Frankfurt/M.
10. Juliushütte in Walkenried, Kreis Braunlage, ca. 15 km nordwestlich des Luftkorridors 3 Berlin – Frankfurt/M.
Unter rechtswidriger Verwendung vorgenannter meteorologischer Ballons sowie durch Raketen wurden durch die PSK-Einheiten der Bundeswehr in den Jahren 1968 und 1969 folgende Anzahlen von Hetzschriften in das Gebiet der DDR ungesetzlich eingeschleust:
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1968: 605 Ballons mit insgesamt 1 581 287 Hetzschriften
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1969: 586 Ballons mit 500 845 Hetzschriften
Die Analyse der Fundorte auf dem Territorium der DDR ergab, dass dabei ein großer Teil der Ballons im Gebiet der zeitweiligen Luftverbindungswege, die ausschließlich durch US-Militär- und Zivilmaschinen und polnische Zivilmaschinen beflogen werden, niedergegangen sind und damit in erheblichem Maße die Luftsicherheit gefährdeten.
In gleicher Weise wurde der Flugverkehr auf den im Gebiet der DDR bestehenden anderen nationalen und internationalen Luftstraßen gefährdet.
Darüber hinaus gefährdeten diese Hetzschriftenballons Leben und Gesundheit der Bürger der DDR und verursachten z. T. erhebliche Sachschäden an Gebäuden u. a. Einrichtungen.
So sind in den letzten Jahren in neun Fällen in verschiedenen Bezirken der DDR durch herabstürzende Ballons mit 15 kg bis 20 kg Hetzflugblättern Wohn- und andere Gebäude beschädigt worden.
So durchschlug am 26.3.1968 ein Hetzschriftenballon in Döbeln, Bezirk Leipzig, den Dachstuhl eines Wohnhauses, richtete erhebliche Sachschäden an und gefährdete sich in der Nähe befindende Personen.
Im Dezember 1968 beschädigte ein gleicher Hetzschriftenballon das Dach eines Wohnhauses in Unterweißbach, Bezirk Suhl, und gefährdete Menschenleben.
Am 10.2.1969 durchschlug ein Beutel mit 20 kg Hetzschriften, die von einem Hetzschriftenballon durch Auslösen herabstürzten, das Dach eines Wirtschaftsgebäudes in Halberstadt, Bezirk Magdeburg, und richtete erheblichen Sachschaden an.
Nur dem Umstand, dass sich zu diesem Zeitpunkt die dort wohnenden Personen nicht unmittelbar an den Absturzstellen befanden, ist es zu verdanken, dass es keine Verletzten gab.
In weiteren neun Fällen wurden durch herabstürzende Hetzschriftenballons Verkehrs- und Signaleinrichtungen der Deutschen Reichsbahn beschädigt bzw. Hochspannungsleitungen oder Fernmeldeleitungen. Nur dem besonnenen Verhalten der Beschäftigten in diesen Bereichen ist es zu verdanken, dass es zu keinen Katastrophen kam.
Durch die zuständigen DDR-Organe wurde zurückreichend bis in das Jahr 1961 in 19 Veröffentlichungen gegen diese völkerrechtswidrige Praxis der westdeutschen Behörden Stellung genommen und energisch protestiert. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass für alle Folgen, die sich aus derartigen Vorkommnissen ergeben können, die westdeutsche Regierung die volle Verantwortung trägt.