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Einschleusung von gegen die NVA gerichteten Hetzschriften

15. September 1970
Information Nr. 973/70 über die Einschleusung von besonders gegen die NVA gerichteten Hetzschriften

Im Zeitraum vom 1.1.1970 bis 31.8.1970 wurden insgesamt 679 900 Hetzschriften (996 800 im Vergleichszeitraum 1.1.1969 bis 31.8.1969) sichergestellt, die durch die Zentren des Gegners von westdeutschem Territorium aus in das Gebiet der DDR eingeschleust worden waren.

Von den insgesamt sichergestellten 679 900 Hetzschriften richten sich 428 800 Exemplare, d. h. ca. 63 % aller Hetzschriften, besonders gegen die NVA.

Dabei ist jedoch zu beachten, dass der Inhalt dieser Hetzschriften keinesfalls nur zur politisch-ideologischen Beeinflussung und Zersetzung von NVA-Angehörigen gedacht ist, sondern dass damit auch weitere Bevölkerungskreise der DDR angesprochen werden sollen.

Diese Zielsetzung ist auch aus der Einschleusung selbst ersichtlich, die gleichfalls zivile Bevölkerungskreise mit erfasst.

Der zahlenmäßige Rückgang in der Hetzschrifteneinschleusung ist, besonders bei Einschleusungen mittels Ballons, hinsichtlich der Aktivitäten des Gegners, ebenfalls zunächst nur als relativ zu bewerten, da in den Monaten Januar bis März 1970 (14 700 Hetzschriften gegenüber 135 100 1969) die meteorologischen Bedingungen das Auflassen von Ballons stark beeinträchtigten.

Aus dem Inhalt, der äußeren Form und Aufmachung der sichergestellten Hetzschriften, besonders der gegen die bewaffneten Organe der DDR gerichteten Hetzschriften »Volksarmee«, »Mitteldeutsche Arbeiterzeitung« und »Hört die Signale« geht eindeutig die vom Gegner verfolgte Zielsetzung hervor, auf die Angehörigen der bewaffneten Organe und weitere Bevölkerungskreise der DDR einen politisch-ideologisch zersetzenden Einfluss zu erlangen. Der Gegner versucht,

  • Unglauben an die Richtigkeit des Marxismus-Leninismus zu erzeugen,

  • Zweifel an der Stärke der sozialistischen Staaten (besonders auf militärischem Gebiet) hervorzurufen und

  • die Angehörigen der bewaffneten Organe in Widerspruch zur Partei- und Staatsführung der DDR und ihrer Politik zu bringen.

Der Hauptangriff des Gegners richtet sich gegen die SED und ihre führende Rolle (auch in den bewaffneten Organen). Das unmittelbare Ziel besteht vor allem darin, die Angehörigen der bewaffneten Organe von der bedingungslosen Erfüllung ihrer solidarischen Pflichten abzuhalten und sie zur Fahnenflucht zu veranlassen.

Die gegen die NVA und die anderen bewaffneten Organe der DDR gerichtete Hetze ist im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren raffinierter geworden.

Es ist allgemein die Tendenz festzustellen, den früheren, häufig primitiven Antikommunismus durch einen »verfeinerten« Antikommunismus zu ersetzen. Der Gegner versucht, politisch und psychologisch geschickter und wirksamer vorzugehen und vor allem den Anschein einer »objektiven Berichterstattung« zu erwecken, indem er

  • Äußerungen und Ansichten revisionistischer und anderer politisch unklarer Vertreter der kommunistischen und Arbeiterparteien veröffentlicht,

  • Auszüge aus Reden führender westdeutscher Politiker bringt,

  • ausländische Pressestimmen und -kommentare zu politisch aktuellen Anlässen zitiert,

  • Meinungen republikflüchtiger Personen (besonders aus der NVA) publiziert und

  • »Zahlen und Fakten« aus der BRD angibt.1

Die inhaltlichen Schwerpunkte der Hetzschriften liegen auf folgenden Gebieten:

1. Militärpolitik

  • »Fluchtberichte«, Zahlenangaben, Interviews und Äußerungen desertierter NVA-Angehöriger, Verherrlichung ihrer jetzigen Lebensweise in Westdeutschland;

  • die ständige Aufforderung an die Soldaten im Grenzdienst, auf die Grenzverletzer nicht zu schießen oder vorbeizuschießen (Veröffentlichung von Übersichten über die wichtigsten Zielfehler);

  • Drohung, dass »Mauer-Morde« in der BRD registriert werden2 und nicht verjähren sollen;

  • »Beweise« anhand der DDR-Gesetzgebung, dass der sogenannte Schießbefehl3 »rechtswidrig« sei;

  • Darstellung der »defensiven« Zielstellung der Bundeswehr;

  • Verherrlichung der Militärtechnik der NATO und der Bundeswehr.

2. Theorie und Praxis des wissenschaftlichen Sozialismus

  • Äußerungen und Zitate von Vertretern kommunistischer und Arbeiterparteien, die revisionistische oder andere von den Prinzipien des Marxismus-Leninismus abweichende Vorstellungen zum Inhalt haben (KPI, BdKJ, KP Chinas usw.) sowie Meinungen von Renegaten der internationalen Arbeiterbewegung;

  • »Meldungen« über Mängel und Schwierigkeiten bei der Planerfüllung in der Sowjetunion und in der DDR.

3. Imperialistisches System (besonders das staatsmonopolistische System in Westdeutschland)

  • Zahlen über den Lebensstandard (Preise, Verdienste, Sozialleistungen usw.);

  • »Nachweis« der angeblichen Demokratie in Westdeutschland.

4. Verhältnis DDRBRD/Westberlin

  • »Beweise« der angeblich entspannungsfeindlichen Politik der DDR (Verhalten der DDR zu den westdeutschen »Angeboten«);

  • die »Verhandlungsangebote« der BRD (Briefe von der SPD, vom DGB und DSB).4

Diese inhaltlichen Schwerpunkte sind für alle Hetzschriften typisch; sie spiegeln sich in den verschiedenen Arten der Hetzschriften – in der Form und Ausführlichkeit der Darstellung – jedoch differenziert wider:

»Volksarmee«

Hier überwiegen die Fragen der Militärpolitik. Die einzelnen »Meldungen« werden zum größten Teil in Form hetzerischer Texte und Kommentierungen gebracht. Häufig werden in der »Volksarmee« auch revisionistische Ansichten wiedergegeben.

»Mitteldeutsche Arbeiterzeitung«

Diese Hetzschrift konzentriert sich auf die Verherrlichung der Gesellschaftsordnung in Westdeutschland (3. Schwerpunkt). Die einzelnen Ausgaben enthalten zahlreiche Zahlenangaben, die fast alle kommentarlos wiedergegeben werden.

»Hört die Signale«

Die in dieser Hetzschrift enthaltenen Hetzmeldungen und -kommentare richten sich besonders gegen die Prinzipien und die praktische Politik der KPdSU und SED. Größeren Raum nehmen die Probleme der Beziehungen DDR – BRD ein.

Im Inhalt und in der Form tritt, besonders im Vergleich zu der Hetzschrift »Mitteldeutsche Arbeiterzeitung«, der Antikommunismus offener, primitiver und vordergründiger in Erscheinung (Karikaturen, sogenannte politische Witze usw.).

Von den insgesamt mittels Ballons in die DDR eingeschleusten Hetzschriften wurden 68 600 Hetzschriften (83 600 Hetzschriften im Zeitraum vom 1.1. bis 31.8.1969) im Grenzsperrgebiet (5-km-Raum5) an der Staatsgrenze der DDR zu Westdeutschland aufgefunden und sichergestellt (= 23 %).

Aus der Analyse der Fundorte der Hetzschriften sowie von Ballons und Ballonresten im grenznahen Raum ist zu folgern, dass derartige Aktionen zielgerichtet und unter Berücksichtigung der Dislokation der Grenztruppen der NVA bzw. der in Grenznähe dislozierten weiteren Verbände und Truppenteile der NVA erfolgten. (Diese Feststellung wird u. a. dadurch bewiesen, dass der Gegner unter günstigen meteorologischen Bedingungen durch die Feststellung der beabsichtigten Flughöhe und die Einstellung der Auslösemechanismen der Ballons den Zielort des Abwurfs bzw. Auslösens relativ exakt bestimmen kann.)

Die Einschleusung von Hetzschriften mittels Ballons erfolgte im analysierten Zeitraum ausschließlich durch die PSK-Einheiten6 der Bundeswehr (Kompanien für psychologische Kampfführung).

Die Auflassbasen für Ballons befinden sich größtenteils im unmittelbaren westlichen Vorfeld an der Staatsgrenze zur DDR. Überwiegend werden derartige gegnerische Aktionen von beweglichen Einrichtungen (Spezial-Kfz) aus gestartet, da damit der Gegner die Möglichkeit hat, sowohl territorial schwerpunktmäßig als auch den meteorologischen Bedingungen angepasst wirksam zu werden.

Die Einschleusung von Hetzschriften mittels Ballons erfolgte größtenteils aktionsmäßig, wie aus den nachfolgenden Beispielen ersichtlich ist:

  • 5.6.1970, 111 Ballons in dem Raum Diesdorf-Salzwedel-Klötze, Bezirk Magdeburg

  • 28.6.1970, 58 Ballons aus Richtung Münchereuth/Westdeutschland in Richtung Plauen, Bezirk Karl-Marx-Stadt,

  • 30.7.1970, 67 Ballons in dem Raum Steimke-Gardelegen-Salzwedel, Bezirk Magdeburg

Territoriale Schwerpunkte der zielgerichteten Einschleusung von Ballons mit Hetzschriften bildeten im Zeitraum 1.1. bis 31.8.1970

  • der Grenzabschnitt Beetzendorf, 5. Grenzbrigade Kalbe/Milbe, Bezirk Magdeburg, mit 41 700 Hetzschriften;

  • die Grenzabschnitte Zschachenmühle der 13. Grenzbrigade Rudolstad, Bezirk Gera und Plauen, Bezirk Karl-Marx-Stadt mit insgesamt 36 000 Hetzschriften.

Diese vorwiegend gegen die NVA gerichteten Aktionen stehen im Wesentlichen auch in Übereinstimmung mit den Schwerpunkten der Hetzschrifteneinschleusung mittels Ballons in die Tiefe der Grenzbezirke.

So wurden z. B. in der Tiefe der Territorien der Bezirke

  • Magdeburg – 67 700 Hetzschriften,

  • Suhl – 68 000 Hetzschriften,

  • Karl-Marx-Stadt – 60 000 Hetzschriften

aufgefunden und sichergestellt.

Die Analyse der Zeiten der Hetzschriftenaktionen ergibt, dass sie hauptsächlich in den frühen Morgen- bzw. in den späten Abendstunden, 5.00 bis 7.00 Uhr und 19.00 bis 22.00 Uhr, erfolgten.

Damit wird durch den Gegner offensichtlich das Ziel verfolgt,

  • Balloneinflüge in das Territorium der DDR im Schutze der Dunkelheit durchzuführen, um entsprechende Gegenmaßnahmen zu verhindern und

  • die Maßnahmen der Schutz- und Sicherheitsorgane der DDR zur Suche und Sicherstellung der eingeschleusten Hetzschriften zu erschweren.

Im Zeitraum vom 1.1.1970 bis 31.8.1970 war festzustellen, dass bei den Hetzschriftenaktionen mittels Ballons ausschließlich Exemplare der »Mitteldeutschen Arbeiterzeitung« und »Volksarmee«, für deren Herausgabe das Bundesministerium für Verteidigung bekannt ist, eingeschleust wurden.

Im analysierten Zeitraum wurden folgende Ausgaben der angeführten Hetzschriften eingeschleust.

  • »Mitteldeutsche Arbeiterzeitung« Nr. 1 und 2/70,

  • »Volksarmee« Nr. 11/70 und 23/70.

Bei den Hetzschrifteneinschleusungen auf dem Postweg liegt im analysierten Zeitraum vom 1.1. bis 31.8.1970 die monatliche Durchschnittsquote bei 40 500 sichergestellten Hetzschriften.

Territoriale Schwerpunkte im Jahr 1970 bildeten:

  • Januar: Bezirk Potsdam: 11 400 Stück

  • Februar: Bezirk Potsdam: 12 600 Stück

  • Mai: Bezirk Halle: 7 200 Stück | Bezirk Leipzig: 6 000 Stück

Mit Hetzschrifteneinschleusungen auf dem Postweg traten, wie bereits in der vorangegangenen Zeit, folgende gegnerische Zentralen besonders in Erscheinung:

Bundesministerium für Verteidigung:

  • »Hört die Signale«, Ausgaben Nr. 2, 4, 6, 8 und 10 des 13. Jahrganges,

CDU:

  • »Kontakt« Nr. 1 und 2/70

  • »Für Sie« Nr. 4/69

  • »Polizeiruf« Nr. 19/70 (Januar)

  • »Der Tag« »Kassel7 brachte keine Fortschritte«

SPD:

  • »SPD 2, 3 und 4/70«

In jüngster Zeit ist in zunehmendem Maße festzustellen, dass

  • an der Staatsgrenze West in Form des Überwerfens über die Staatsgrenze und

  • an den Grenzübergangsstellen in Form des Ablegens

zielgerichtet sogenannte Sex-Literatur zur Verbreitung gelangt.

Nach der bisherigen Überprüfung handelt es sich dabei um in Westdeutschland und Westberlin erhältliche »handelsübliche« Schmutzliteratur.

Inwieweit die Einschleusung derartiger Materialien bereits auf bestimmte Aktivitäten von Feindzentralen zurückzuführen ist, kann gegenwärtig noch nicht eingeschätzt werden.

Statistische Übersicht der Hetzschrifteneinschleusung:

[Einschleusung]

mittels Ballon

auf dem Postweg

[Monat]

1.1.–31.8.1970

1.1.–31.8.1969

1.1.–31.8.1970

1.1.–31.8.1969

Januar

2 000

21 300

53 100

94 000

Februar

1 400

38 500

42 000

70 300

März

11 300

2 700

40 000

86 100

April

69 200

145 100

41 000

96 700

Mai

69 300

27 600

42 500

84 800

Juni

84 600

36 200

28 200

59 500

Juli

20 000

17 800

36 200

109 000

August

8 000

124 900

40 000

73 400

Gesamt

265 800

414 100

323 000

673 800

[Zeitraum ingesamt]

679 900

996 800

  1. Zum nächsten Dokument Politisch-ideologische Diversionstätigkeit gegen die NVA

    17. September 1970
    Information Nr. 984/70 über die politisch-ideologische Diversionstätigkeit besonders gegen die NVA, unter maßgeblicher Mitwirkung militärischer Einrichtungen der Bundeswehr

  2. Zum vorherigen Dokument Provokatorisches Verhalten eines amerikanischen Militärfahrzeuges

    15. September 1970
    Information Nr. 970/70 über das provokatorische Verhalten der Besatzung des Fahrzeuges der amerikanischen Militärinspektion BC 80 am 14. September 1970 an der Grenzübergangsstelle Friedrich-/Zimmerstraße