Direkt zum Seiteninhalt springen

Entdeckung eines Tunnels an der Bernauer Straße

[ohne Datum]
Information Nr. 543/70 über die Aufdeckung und Verhinderung einer Provokation an der Staatsgrenze zur besonderen politischen Einheit Westberlin

Dem Ministerium für Staatssicherheit sind im Zusammenhang mit der Aufklärung und Verhinderung einer beabsichtigten Grenzprovokation im Abschnitt Bernauer Straße folgende zuverlässige Informationen bekannt geworden:

Mitte März 1970 begann eine von dem Westberliner Verlagsvertreter [Name 1, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1942, wohnhaft Westberlin, Tempelhof, und dem Leiter des Büros für Zeitschriftenwerbung und -vertrieb in Westberlin-Moabit [Name 2, Vorname], geboren [Tag, Monat] 1941, wohnhaft Westberlin, [Straße, Nr.], geleitete Westberliner Terror- und Untergrundgruppe im Raum Bernauer Straße mit dem Bau und Vortrieb eines unterirdischen Stollens auf das Gebiet der Hauptstadt der DDR.

Diese Terror- und Untergrundgruppe, der u. a. fünf in Westberlin lebende italienische Gastarbeiter angehörten, beabsichtigte, durch den Stollen sechs weibliche Personen sowie deren neun Kinder aus der DDR auszuschleusen. Die italienischen Gastarbeiter standen zu diesen weiblichen Personen in persönlichen und intimen Beziehungen.

Durch den [Name 1] wurde zur Finanzierung des Stollenbaues mit einer westlichen Illustrierten eine Vereinbarung über die Zahlung von 20 000 Westmark an die Terror- und Untergrundgruppe als Honorar für die Publikation der Provokation getroffen.

Es liegen weiter zuverlässige Erkenntnisse vor, dass der Westberliner Senat und die Westberliner Polizei seit Langem über die in Vorbereitung befindliche Provokation informiert waren.

Diese Erkenntnisse beinhalten im Einzelnen:

  • Die direkte Unterstützung des Westberliner Senats bei der Planung und Vorbereitung der Provokation wurde durch den Mitarbeiter des Westberliner Senats Seidel, Harry,1 Angehöriger der dem Senator für Inneres unterstehenden Sonderabteilung, wahrgenommen, der über technische Details des Stollenvortriebs und den geplanten Ablauf der Provokation konsultiert worden waren.

  • Der Politischen Polizei (Abteilung 1) war die Aktivität der Terror- und Untergrundgruppe und der Bau des Stollens seit Langem bekannt. Sie wies Mitteilungen Westberliner Bürger mit der Begründung der »Nichtzuständigkeit« nicht nur zurück, sondern hielt den Ort und den Zeitpunkt des Stollenbaus für außerordentlich günstig und sicherte die Terrorgruppe und die Bauarbeiten am Schleusungsstollen ab.

  • Nach Aufdeckung der Provokation durch die Organe der DDR2 konzentrierte sich die Westberliner Polizei nicht nur auf die Verfolgung der Terroristen, sondern – in Übereinstimmung mit dem Leiter der Terror- und Untergrundgruppe, [Name 1] – auf die Suche nach einem möglichen »Verräter«.

Die Fertigstellung des Schleusungsstollens und die Durchführung der Schleusungsaktion sollten am 15.5.1970 erfolgen, wobei im Falle der Entdeckung des Vorhabens bzw. unmittelbar bei der Durchführung der Aktion den Angehörigen der Sicherheitsorgane der DDR bewaffneter Widerstand entgegengesetzt werden sollte.

Der Termin der geplanten Schleusung der weiblichen Personen und deren Kinder nach Westberlin und die Tatsache, dass in westlichen Veröffentlichungen3 nach dem Scheitern der Provokation durch gezielte Maßnahmen die Organe der DDR auf die Festnahme der weiblichen Personen hingelenkt werden sollten, dienten offensichtlich dazu, »den Forderungen4 der Brandt-Regierung«5 nach »menschlichen Erleichterungen« und »Zusammenführung getrennter Familien«6 Ausdruck zu verleihen und das Treffen in Kassel7 zu belasten.

Durch entsprechende Gegenmaßnahmen der Sicherheitsorgane der DDR ist die geplante Provokation vereitelt worden, und der Tunnelbau wurde durch die Terrorgruppe eingestellt. Damit wurde den Terroristen und ihren Hintermännern keine Handhabe zu bewaffneten Auseinandersetzungen und großangelegter propagandistischer Auswertung gegeben.

Vom MfS sind entsprechende Maßnahmen zur Absicherung des zur Schleusung vorgesehenen Personenkreises aus der DDR eingeleitet worden.

Die Aktivitäten der mit der Westberliner Terrorgruppe in Zusammenhang stehenden Personen werden entsprechend verfolgt.

  1. Zum nächsten Dokument Grenzprovokatorische Handlungen britischer Militärpersonen

    26. Mai 1970
    Information Nr. 547/70 über grenzprovokatorische Handlungen britischer Militärpersonen im Abschnitt Groß Glienicke, Kreis Potsdam/Land, am 25. Mai 1970

  2. Zum vorherigen Dokument Grenzprovokatorische Handlungen westdeutscher Zivilpersonen

    22. Mai 1970
    Information Nr. 538/70 über grenzprovokatorische Handlungen westdeutscher Zivilpersonen im Grenzabschnitt Marienborn, Bezirk Magdeburg am 20. und 21. Mai 1970