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Ermittlungsverfahren gegen den VP-Offizier Richard Ottmar

16. April 1970
Information Nr. 410/70 über die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens gegen einen ehemaligen Offizier des MdI, Dienstzweig Transportpolizei

[Faksimile von Blatt 2]

Vom Ministerium für Staatssicherheit wurde wegen des dringenden Verdachts des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, wegen Falschbeurkundung sowie wegen Verstoßes gegen die Personalausweisverordnung1 gegen den Ottmar, Richard,2 geboren 15.10.1923 in Neuburg bei Odessa,3 wohnhaft Cottbus, [Straße, Nr.], Diplomgesellschaftswissenschaftler, zuletzt Polit-Stellvertreter in der Abschnittsverwaltung der Transportpolizei Cottbus, Dienstgrad: Oberstleutnant der VP, verheiratet, Mitglied der SED seit 1950, ein Ermittlungsverfahren mit Haft geführt.

Die durchgeführten Untersuchungen ergaben, dass Ottmar nach seiner Entlassung aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft im Jahre 1945 verschwiegen hat, in der UdSSR geboren zu sein und bis März 1944 dort gelebt zu haben.

Durch Verschweigen dieser Angaben wurde er in der DDR sesshaft.

Am 19.12.1963 beantragte O. einen Deutschen Personalausweis. Als Geburtsort gab er Wreschen4/VR Polen an. Als Beweis legte er 1965 eine 1947 ausgestellte Eheurkunde vor. Obwohl daraus ersichtlich war, dass er bei seiner Eheschließung im Jahre 1947 keine Urkunde zu seiner Person vorgelegt hatte, erhielt er im September 1965 den Personalausweis der DDR ausgehändigt.

Eine derartige Handhabung entsprach der damals geübten Praxis. Da infolge der Kriegsauswirkungen (Verlust von Personaldokumenten durch Kriegswirren, Vernichtung von Archiven, Meldekarteien usw.) die Personenidentität häufig nicht exakt nachgewiesen werden konnte, wurden Personenstandsdokumente u.  Ä. auf der Grundlage glaubhafter Erklärungen ausgestellt. Diese wiederum dienten dann später als Beweis zur Erlangung von Personaldokumenten.

Über die Handlungen und Motive des Ottmar wurden mit Unterstützung der sowjetischen Sicherheits- und Rechtspflegeorgane folgende Faktoren erarbeitet:

Ottmar wurde als Sohn eines Kleinbauern in Neuburg bei Odessa geboren. Während der Zeit der faschistischen Besetzung der SU war er von Mai/Juni 1942 bis zum Herbst 1943 Angehöriger der von den Faschisten aus den volksdeutschen Minderheiten geschaffenen örtlichen »Selbstschutzorganisationen«5 in Neuburg.

Während seiner Zugehörigkeit zur faschistischen »Selbstschutzorganisation« in Neuburg beteiligte sich Ottmar, wie durch Zeugenaussagen und eigenen Angaben erwiesen ist, an der Festnahme von zwei und an der Misshandlung von einem Einwohner Neuburgs.

Während zu einer Person bekannt wurde, dass sie 1957 an den Folgen eines Unfalls verstorben ist, konnten zu den anderen beiden Personen keine weiteren Angaben erarbeitet werden.

Die in diesem Zusammenhang geführten Untersuchungen ergaben weiter, dass es in Neuburg keine Verbrechen mit Massencharakter gegen die Einwohner dieser Ortschaft gab, an denen der Ottmar beteiligt gewesen wäre.

Mit der Evakuierung im März 1944 gelangte Ottmar mit seiner Familie (Ehefrau, ein Kind) nach Września6/VR Polen (damals Warthegau). Im Januar 1945 gelangte Ottmar als Zivilist mit einer bisher in Września stationierten deutschen Polizeieinheit bis in die Nähe von Kostrzyn/VR Polen und wurde dort Angehöriger der faschistischen Polizei.

Später kam er mit einer Einheit der faschistischen Schutzpolizei der Reserve in der Nähe von Guben zum Fronteinsatz und geriet am 1.5.1945 bei Baruth in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Ende Mai wurde Ottmar aus dem sowjetischen Kriegsgefangenenlager Neuhammer bei Zagan7/VR Polen nach Halle entlassen.

Ottmar nahm an, dass er bei Bekanntwerden seiner bisherigen Zugehörigkeit zum faschistischen Selbstschutz und zur faschistischen Polizei strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird und entschloss sich deshalb, nicht in die UdSSR zurückzukehren. Durch falsche Angaben zu seiner Person wurde er Bürger der DDR und erhielt entsprechende Personaldokumente.

1947 ging Ottmar eine zweite Ehe ein, ohne von seiner ersten Ehefrau geschieden zu sein.

Aus einem Brief, den Ottmar 1967 an seinen in der UdSSR lebenden Bruder sandte, geht hervor, dass er bereits zum damaligen Zeitpunkt seine Handlungsweise, unwahre Angaben zu seiner Person gemacht zu haben, einsah und beabsichtigte, diese Angelegenheit in Ordnung zu bringen.

Die Entwicklung des Ottmar in der Deutschen Volkspolizei, der er seit Oktober 1950 angehört, verlief positiv. Er besuchte drei Jahre die Karl-Marx-Hochschule8 sowie andere Lehrgänge und war bestrebt, die an ihm in Ausübung seiner Funktion gestellten Forderungen mit hoher Intensität zu erfüllen. Das wird u. a. auch durch wiederholte Auszeichnungen, z. B. mit dem Ehrenzeichen der DVP sowie Prämierungen, bewiesen.

Die persönliche Entwicklung des Ottmar und seine positiven Leistungen beweisen, dass er grundlegende Schlussfolgerungen für ein verantwortungsbewusstes Verhalten gezogen hat und deshalb zu erwarten ist, dass er die sozialistische Gesetzlichkeit einhalten wird.

Aufgrund der positiven Entwicklung und der Tatsache, dass mit dem festgestellten Sachverhalt der Ottmar zwar den Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit erfüllt hat, jedoch keine schwerwiegenden Folgen verursacht wurden, wurde das Ermittlungsverfahren entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen durch den Staatsanwalt eingestellt. Auch die von Ottmar begangenen strafbaren Handlungen, durch unwahre Angaben Personaldokumente der DDR erwirkt zu haben, hatten keine schädlichen Auswirkungen hervorgerufen.

Ottmar ist aus der DVP fristlos entlassen worden. Er wird entsprechend seinen Fähigkeiten wieder in das gesellschaftliche Leben eingegliedert.

  1. Zum nächsten Dokument Selbsttötung des Parteisekretärs der Kampfgruppenschule

    28. April 1970
    Information Nr. 446/70 über die Selbsttötung des Parteisekretärs der Zentralschule der Kampfgruppen »Ernst Thälmann« in Schmerwitz, [Kreis] Belzig, [Bezirk] Potsdam

  2. Zum vorherigen Dokument Hetzplakate der »Außerparlamentarischen Mitarbeit«

    14. April 1970
    Information Nr. 403/70 über Hetzplakate der APM (»Außerparlamentarische Mitarbeit«) auf dem Reichsbahngelände in Westberlin