Explosion im VEB Chemiekombinat Buna, 2. Information
15. Januar 1970
2. Information Nr. 47/70 über eine Explosion im VEB Chemiekombinat Buna am 12. Januar 1970
Das MfS berichtete am 13.1.1970 über die Explosion in der Glykolfabrik H 55 des VEB Chemiekombinat Buna. Ergänzend wurden nachfolgende Einzelheiten über die Ursachen dieser Explosion bekannt.
Die Anlage wurde während des II. Weltkrieges erbaut und bildete einen Teil des zur damaligen Zeit im Aufbau befindlichen Werkes. Bei dem chemischen Verfahren handelt es sich um eine einfache Additionsreaktion von Butanol und Äthylenoxid in Anwesenheit von Natronlauge. In der Anlage befinden sich keine Aggregate aus dem NSW.
Aus den Einsatzstoffen Butanol, Äthylenoxid und Natronlauge, welche aus Vorratsbehältern entnommen werden, wird in einem bestimmten Mischungsverhältnis das Gemisch einem Reaktionsturm zugeführt.
Bei einem Druck von 13 atü und einer Temperatur von ca. 170° C (nicht wie ursprünglich berichtet bei 70° C) (Mitteldruckdampf) setzt die Reaktion ein und es entsteht Butylglykol. Diese Reaktionsbedingungen werden durch Aufheizen des Gemisches mittels Mitteldruckdampf in ca. zwei Stunden erreicht. Die Einsatzstoffe Butanol und Natronlauge werden ausschließlich aus eigener Produktion bezogen, während der Bedarf an Äthylenoxid aus eigener Produktion und aus Import (Firma Hüls1 – WD) gedeckt wird.
Am 12.1.1970 musste der Reaktionsturm II (nicht wie ursprünglich berichtet Reaktionsturm I) gegen 9.00 Uhr wegen Butanolmangel außer Betrieb genommen werden. Diese Maßnahme war erforderlich, weil ein Kesselwagen wegen Tragfederbruch zum Bau H 55 nicht angefahren werden konnte. Gegen 18.40 Uhr erfolgte die Bereitstellung des Kesselwagens im Bau H 55. Der Schichtführer Stürmer2 entleerte ihn sofort in den Vorratsbehälter. Die Entleerung war gegen 19.30 Uhr mit der Übernahme von 19 000 1 Butanol abgeschlossen.
Danach führte der Schichtleiter Stürmer mit seinem Vorgesetzten – Obermeister [Name] – ein Telefongespräch, wobei er ihm mitteilte, dass das Butanol aus dem Kesselwagen in den Tank übernommen wurde und er den Turm anfahren möchte. Vom OB [Name] wurde die Genehmigung ohne besondere Hinweise erteilt. Diese telefonische Anweisung verstieß nicht gegen betriebliche Anweisungen.
Schichtleiter Stürmer begann daraufhin, den Reaktionsturm mit dem Mischungsprodukt zu füllen und anzuheizen. Während dieses Anfahrprozesses erfolgte ein plötzlicher Druckanstieg, der trotz Ansprechens des Sicherheitsventils so stark war, dass der Oberteil des Turmes durch Streckung der Schrauben (M 42) um ca. 5 mm angehoben und dadurch undicht wurde. Die gleiche Erscheinung trat an einem Mannlochdeckel im oberen Bereich des Reaktionsturmes auf.
Fachleute schätzen ein, dass ein Druck von ca. 200 atü vorhanden war. Durch die genannten undichten Stellen strömte ein hochexplosives Gasgemisch aus. Dieses Gasgemisch setzte sich im Wesentlichen zusammen aus Methan und Kohlenmonoxid. Aus sichergestellten Proben konnte Methan nachgewiesen werden. Das ausgeströmte Gasgemisch verband sich mit dem Luftsauerstoff und führte zur Raumexplosion.
Die hohe Austrittsgeschwindigkeit des Gasgemisches an den beiden Flanschen und die dadurch entstehende Reibungswärme lösten die Entzündung des Gas-Luft-Gemisches aus. Nach der Raumexplosion brannte das ausströmende Gas oberhalb des Reaktionsturmes so lange, bis die Feuerwehr wirksame Maßnahmen eingeleitet hatte.
Durch die Expertenkommission wurde weiterhin ermittelt, dass nach der erfolgten Abstellung am 12.1.1970, gegen 9.00 Uhr im Turm II eine Restmischung von Butanol und Äthylenoxid verblieben war. Es trat eine Entmischung dieser beiden Stoffe auf, wobei Butanol am Boden abgelagert wurde und Äthylenoxid als Flüssigkeit auf dem Butanol sich absetzte. Durch den Stillstand der Produktion trat eine Vergasung des Äthylenoxides ein und es entstand eine unzulässige Konzentration von Äthylenoxid im Gasraum des Turmes.
Beim Anfahren wurde die im Turm vorhandene Mischung mit erhitzt und die neue Mischung im vorgesehenen Verhältnis zugeführt. Beim Anfahrprozess am 12.1.1970 müssen gerade solche Bedingungen im Mischungsverhältnis, insbesondere in der Gasphase, hinsichtlich Druck- und Temperatur entstanden sein, die eine chemische Reaktion auslösen und zum plötzlichen Druckanstieg führten.
Diese Version der Ursachen wird durch das vorliegende Untersuchungsergebnis hinsichtlich des Ablaufes der chemischen Reaktion durch die vorgefundenen kohlenstoffartigen Niederschläge (Rußablagerung im Bereich der Gasphase des Turmes) bestätigt.
Gasförmiges Äthylenoxid in Anwesenheit von Verbindungen mit frei beweglichen Wasserstoffatomen wie Wasser oder Alkohole, also auch Butanol, führt zu einer starken exothermen Reaktion. Dabei kann ein Zerfall in Methan und Kohlendioxid eintreten, das mit einer plötzlichen Druckausdehnung verbunden ist.
In den Untersuchungen wurde außerdem bekannt, dass bereits am 17.1.1958 in der Glykolfabrik H 55, Reaktionsturm II, eine Verpuffung stattfand. Die damaligen Untersuchungen ergaben, dass der Reaktionsturm II infolge einer Reparatur längere Zeit gestanden hatte und wieder angefahren werden sollte. In der Anfahrphase entstand eine Explosion. Als Ursache wurde eine unnormal mit Äthylenoxid angereicherte Gasphase im Reaktionsturm festgestellt. (Somit stellt die Explosion vom 12.1.1970 einen Wiederholungsfall dar.)
Zur Ausschaltung solcher Gefahrenmomente wurden vom damaligen Betriebsleiter Dr. Löffler3 am 17.7.1958 neue Bedienungsanleitungen erlassen. Diese Anweisung besagte sinngemäß, dass bei Eintritt von Störungen irgendwelcher Art beim Wiederanfahren der Reaktionstürme diese zu entspannen, mit Stickstoff zu spülen und mit Wasser bzw. Sprit aufzufüllen sind. Diese Erkenntnisse wurden bei einer Überarbeitung der Betriebsanweisung im Jahre 1962 nicht berücksichtigt.
Der Sachschaden erhöhte sich auf ca. 250 000 Mark. Es trat kein Produktionsausfall ein, da diese Anlagen in der Vergangenheit nicht vollständig kapazitätsmäßig ausgelastet waren.