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Explosion im VEB Chemische Werke Buna

30. April 1970
Information Nr. 455/70 über eine Explosion im VEB Chemische Werke Buna am 25. April 1970

Am 25.4.1970, gegen 9.58 Uhr, ereignete sich im VEB Chemische Werke Buna, Bau E 74, PAN-Fabrik,1 (Polyacrylnitril) eine Explosion mit Brandfolge.

Durch die Explosion wurde die Aufbereitungsstraße I so stark zerstört, dass sie erst in etwa vier bis fünf Wochen bei einem konzentrierten Einsatz der Reparaturkapazitäten wieder in Betrieb genommen werden kann. Die Aufbereitungsstraße II kann nach etwa vier bis fünf Tagen wieder angefahren werden.

Bei dieser Explosion erlitten vier Personen leichte Verletzungen und konnten nach ambulanter Behandlung wieder entlassen werden. Weitere zwei Personen müssen mit mittelschweren Verletzungen stationär behandelt werden. Es besteht keine Lebensgefahr.

Nach bisherigen Schätzungen entstand ein Sachschaden von einer Mio. Mark. Der Produktionsausfall wird mit zwei Mio. Mark angegeben.

Zur Aufklärung der Explosions- und Brandursachen hat eine Expertenkommission, bestehend aus Angehörigen der DVP, des MfS u. a. staatlicher Organe, die Ermittlungen aufgenommen und bisher folgende Faktoren festgestellt:

Die Anlage zur PAN-Gewinnung wurde in den Jahren 1960/61 von der westdeutschen Firma Büttner2 geliefert und installiert. In den folgenden Jahren wurden auf Weisung der Technischen Direktion des VEB Chemische Werke Buna Änderungen an den Anlagen veranlasst und ausgeführt, die weitgehendst die Sicherheit der Anlagen erhöhen sollten.

Die Fa. Büttner, so wurde bisher festgestellt, hatte zum damaligen Zeitpunkt das Trocknersystem – den Stromtrockner – geliefert, ohne spezielle Erfahrungswerte für die PAN-Gewinnung zu besitzen. Diese Tatsache wurde seinerzeit von einem leitenden Mitarbeiter der Firma bestätigt.

In der PAN-Fabrik ereigneten sich bisher

  • am 18.7.1964 eine Explosion am Büttner-Trockner; Sachschaden 400 TM und Produktionsausfall von 1,8 Mio. Mark;

  • am 25.3.1965 ein Brand im Büttner-Trockner; Sachschaden 10 TM und Produktionsausfall von 200 TM;

  • ein Brand im Stromtrockner der ABS-Anlage3 im Bau E 74 am 5.7.1969; Sachschaden etwa 60 TM und Produktionsausfall von 70 t ABS;

  • Explosion im Intensivfilter der ABS-Pilotanlage am 14.2.1970; Sachschaden ca. 150 TM;

Außerdem gab es eine Reihe kleinerer Brände und Störungen.

Die zu Untersuchungen eingesetzten Kommissionen haben bisher stets nur mögliche Varianten der Brand- bzw. Explosionsursachen ermitteln können und als vermutliche allgemeingültige Ursachen genannt:

  • exotherme Reaktion des PAN bzw. ABS durch örtliche Überhitzung und daraus resultierender Glutnestbildung,

  • Entzündung durch mechanische Reibung,

  • elektrostatische Aufladung,

  • Bildung von Raumladungswolken mit gewitterartiger Entladung.

Zur Explosion am 25.4.1970 wurden folgende Tatsachen festgestellt:

Den Ausgangspunkt der Explosion mit nachfolgendem Brand bildeten der Spitzbunker und das Wirbelbett der Aufbereitungsstraße I. Die Zündungsursachen in diesem Anlagenteil konnten bisher nicht geklärt werden.

Möglichkeiten der Entzündung werden von den Experten wie folgt beschrieben:

1. Am Aufheizer des Stromtrockners entstand durch Produktablagerung ein Glimmbrand. Durch den in der Anlage vorhandenen Sog können Glutteilchen in das Wirbelbett oder den Spitzbunker gelangt sein. Im Wirbelbett oder den Spitzbunker sind die »günstigsten« Staubkonzentrationen für eine Explosion vorhanden.

2. Die Explosion erfolgte durch eine statische Aufladung. Eine derartige elektrostatische Aufladung kann Ausgangspunkt zur Bildung von Glutnestern sein. Die »günstigsten« Bedingungen wären im Intensivfilter, in der Wirbelkammer oder im Spitzbunker vorhanden.

Die bisherigen Untersuchungen ergaben keine Hinweise auf subjektives Einwirken.

Die Untersuchungsführenden wurden u. a. auch darauf hingewiesen, dass zu der unter Punkt 1. genannten Möglichkeit der Auslösung einer Explosion Maßnahmen und technische Veränderungen getroffen wurden, um diese zu vermeiden (z. B. Ausbau aller drehenden Teile).

Die letzten Havarien bei PAN und ABS würden jedoch deutlich gemacht haben, dass die generellen Ursachen der Störungen noch nicht erkannt sind und die eingeleiteten Maßnahmen nur lokalen Charakter tragen. Es wird betont, dass es bisher noch nicht gelungen sei, die gesamte Technologie des Trocknungssystems nach Büttner sicher zu gestalten.

PAN stellt das Ausgangsprodukt für die Faserproduktion in der Filmfabrik Wolfen und im Kunstfaserwerk Premnitz dar.

Aus diesem Grund werden gegenwärtig große Anstrengungen unternommen, den Ausfall beider Anlagen zeitlich so gering wie möglich zu halten.

Durch die DVP wurde ein Ermittlungsverfahren nach § 167 StGB4 gegen Unbekannt eingeleitet. Die Untersuchungen werden von den Experten weitergeführt.

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    3. Mai 1970
    Information Nr. 461/70 über die Verhinderung einer Schleusung von Bürgern der DDR nach Westberlin

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    28. April 1970
    Information Nr. 446/70 über die Selbsttötung des Parteisekretärs der Zentralschule der Kampfgruppen »Ernst Thälmann« in Schmerwitz, [Kreis] Belzig, [Bezirk] Potsdam