Grenzprovokation und versuchte Flugzeugentführung
18. März 1970
Information Nr. 306/70 über die Aufklärung einer Grenzprovokation von Westberlin aus gegen die Staatsgrenze der DDR am 2. Februar 1970 und den Versuch der gewaltsamen Entführung einer Linienmaschine der Interflug am 10. März 1970
Am 2.2.1970, gegen 22.00 Uhr, drang der Westberliner Bürger Breul, Eberhard,1 geboren 6.4.1944, zuletzt wohnhaft Berlin-Neukölln, [Straße, Nr.], in provokatorischer Absicht im Grenzabschnitt Bouché-/Harzer Straße in das Territorium der Hauptstadt der DDR ein.
B. wurde durch Grenzsicherungskräfte der NVA festgenommen und am 13.3.1970 durch das Stadtgericht von Groß-Berlin rechtskräftig zu drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.2
B. hatte bereits am 24.1.1970, gegen 12.00 Uhr, an einer Grenzprovokation im Abschnitt Heidelberger Straße teilgenommen, bei der zwei Westberliner Bürger in das Territorium der Hauptstadt der DDR eingedrungen waren und unter Anwendung von Waffengewalt durch Grenzsicherungskräfte der NVA festgenommen wurden. B. war bei dieser Provokation auf Westberliner Territorium verblieben.3
Nach dieser Provokation wurde Breul, nach Befragung seitens der Westberliner Polizei, durch den Westberliner Redakteur der »Bild-Zeitung« Look4 aufgesucht, dem er alle Einzelheiten berichtete. Look veröffentlichte darüber am 26.1.1970 in der Westberliner »Bildzeitung« einen Hetzartikel gegen die DDR.5
In diesem Zusammenhang stiftete Look den Breul in weiteren Zusammenkünften an, gegen sofortige Aushändigung von 500 Westmark, eine erneute Grenzprovokation gegen die Staatsgrenze der DDR durchzuführen. Vor der Tatausführung sollte Breul – nach der Instruktion durch Look – Alkohol zu sich nehmen, um die Sicherheitsorgane der DDR zu täuschen. Bei einer Festnahme durch die Sicherheitsorgane der DDR sollte Breul mit der Legende auftreten, dass er sich nach dem Verbleib seiner Freunde erkundigen solle.
Look erklärte Breul, dass er bei strikter Durchführung dieser Instruktion durch die Organe der DDR spätestens nach acht Tagen wieder nach Westberlin entlassen würde.
Weiter beauftragte Look den Breul, Nachrichten über das Grenzsicherungssystem der DDR zu sammeln bzw. Angaben über Untersuchungsführer, Untersuchungsmethoden, Haftanstalten usw. in Erfahrung zu bringen.
Breul sollte nach Erfüllung dieses Auftrages, der als Grundlage für weitere Hetzartikel in der »Bildzeitung« vorgesehen war, durch den Look weitere 1 000 Westmark als »Honorar« erhalten.
Breul führte entsprechend der von Look ausgeübten Beeinflussung die Grenzprovokation am 2.2.1970 durch.
Bei Breul handelt es sich [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben], der durch Westberliner Gerichte wegen Diebstahl und Körperverletzung mehrfach vorbestraft ist.
2. Am 10.3.1970, gegen 7.58 Uhr, versuchten der Wehage, Eckhardt,6 geb. 8.7.1948, Bootsmann der NVA/Standort Peenemünde, wohnhaft Beirose, [Kreis] Halberstadt, [Bezirk] Magdeburg, und dessen Ehefrau Wehage, Christel,7 geb. 15.6.1946, wohnhaft Wolmirstedt, [Bezirk] Magdeburg, mittels Waffengewalt die Linienmaschine Berlin – Leipzig, Typ AN 24, Kennzeichen DM-SBD, zum Kurswechsel zu zwingen und zu entführen.
Beide Personen waren mit je einer Pistole »Makarow«, Kaliber 9 mm bewaffnet, die der Wehage unmittelbar vor der Tatausführung während des Dienstes aus Beständen der NVA entwendet hatte. Kurz nach dem Start vom Flugplatz Berlin-Schönefeld, noch während des Steigfluges, versuchten sie in das Cockpit einzudringen. Zu diesem Zweck wurde durch den Wehage vom Passagierraum aus die Tür zum Laderaum mittels Schusswaffe aufgebrochen, um von dort aus in das verschlossene Cockpit zu gelangen. Während dieser Zeit schüchterte die Ehefrau des W. mit vorgehaltener Pistole die Passagiere sowie die Stewardess ein.
Im weiteren Verlauf wurde durch den Wehage die Cockpittür beschossen, wobei die Verglasung durch Einschüsse zerstört wurde. Von der vierköpfigen Besatzung wurde der Kommandant der Maschine durch Glassplittereinwirkung, hervorgerufen durch Pistoleneinschüsse, leicht verletzt.
Nachdem die Täter feststellten, dass die Maschine auf Gegenkurs ging und ihr Anschlag misslungen war, brachten sie sich im Passagierraum durch Einschüsse in den Mund tödliche Verletzungen bei.
Zwischenzeitlich war per Funk durch die Flugzeugbesatzung die Flugsicherung des Zentralflughafens Berlin-Schönefeld verständigt worden. Die Maschine landete, nachdem alle erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen getroffen waren, wieder um 8.00 Uhr in Berlin-Schönefeld.
Die Linienmaschine war zuvor planmäßig um 7.42 Uhr gestartet. Sie war mit 17 Passagieren besetzt, darunter zwölf DDR-Bürger, zwei Kinder, drei Ausländer (ein VAR, ein Schweizer, ein Westdeutscher).
Die Verhinderung der gewaltsamen Entführung des Flugzeuges ist vor allem auf die ordnungsgemäße Einhaltung der bei der Interflug eingeführten Sicherheitsvorkehrungen und die disziplinierte, den Sicherheitsinstruktionen entsprechende Verhaltensweise der Besatzung zurückzuführen.