Grenzprovokatorische Handlungen westdeutscher Zivilpersonen
22. Mai 1970
Information Nr. 538/70 über grenzprovokatorische Handlungen westdeutscher Zivilpersonen im Grenzabschnitt Marienborn, Bezirk Magdeburg am 20. und 21. Mai 1970
Am 20.5.1970, in der Zeit von 17.50 bis 18.20 Uhr, erfolgten im Grenzabschnitt Marienborn, Kreis Oschersleben, 300 m nördlich der Eisenbahn-Transitstrecke (GÜST Marienborn), durch eine ca. 20 bis 22-jährige männliche Zivilperson mehrere grenzprovokatorische Handlungen.
Die auf dem Beobachtungsturm (Höhe 168.0, nördlich des Glüsig1) eingesetzten Grenzposten beobachteten gegen 17.40 Uhr die Annäherung des Provokateurs auf dem sogenannten Pattfeldweg (westliches Vorfeld) an die Staatsgrenze.
Der Provokateur verletzte gegen 17.50 Uhr in zwei aufeinanderfolgenden Fällen die Staatsgrenze der DDR und drang jeweils ca. 60 m, bis an die Draht-Minen-Sperre, in das Territorium der DDR ein.
Um 18.10 [Uhr] drang der Provokateur auf der Höhe der Grenzsäule 750, ca. 550 m südlich der Eisenbahn-Transitstrecke (GÜST Marienborn), erneut in das Gebiet der DDR ein. Er bewegte sich bis an die Draht-Minen-Sperre, riss an der feindwärtigen Drahtsperre einen Stützpfeiler um, durchschnitt die Minensperre und riss an der feindwärtigen Drahtsperre einen weiteren Stützpfeiler um. Durch die Handlungen des Provokateurs wurden acht Drähte der Draht-Minen-Sperre abgerissen. In der Folgezeit bewegte sich der Provokateur bis zum Kfz-Sperrgraben, wobei er das Territorium der DDR in einer Tiefe von insgesamt 87 m verletzte.
Begünstigt durch das offene Gelände im Provokationsabschnitt, bemerkte der Provokateur, als er sich auf der Höhe des Kfz-Sperrgrabens befand, die Annäherung von Grenzposten. Die Handlungen der zur Abwehr der Provokation eingesetzten Alarmgruppe der 5. Grenzkompanie Marienborn des Grenzregiments Oschersleben (ein Offizier, ein Unteroffizier) wurden mit dem Ziel geführt, den Provokateur festzunehmen. Mit der Absicht der Verhinderung des Rückzuges des Provokateurs auf westdeutsches Gebiet, wurde von der Alarmgruppe aus ca. 320 m Entfernung ein Warnschuss abgegeben.
Der Provokateur ließ sich daraufhin zu Boden fallen und bewegte sich kriechend bis zur Grenzlinie zurück. Die während des Rückzuges des Provokateurs gezielte Feuerführung der Alarmgruppe (44 Schuss) führte nicht zum Erfolg.
Ab der Staatsgrenze bewegte sich der Provokateur aufrecht im Laufschritt ca. 150 m in das westliche Vorfeld bis zu einem parallel zur Staatsgrenze verlaufenden Weg. Auf dem gleichen Weg erschienen – Beobachtungen der Grenzposten zu Folge – während der Feuerführung durch die Alarmgruppe zwei Pkw (Volkswagen) mit vier männlichen Zivilpersonen. Zwei Zivilpersonen liefen dem Provokateur entgegen und verblieben nach ca. zehn Minuten in der Nähe des Pkw, wo sie sich mit dem Provokateur unterhielten.
Gegen 18.15 Uhr bestiegen alle Personen einschließlich des Provokateurs die Pkw, fuhren ca. 200 m in Richtung der Straße Harbke-Helmstedt, hielten ca. drei Minuten, wobei sie die Staatsgrenze beobachteten und entfernten sich anschließend auf der genannten Straße bis zum Ortsrand Helmstedt, wo sie in ein Gehöft einfuhren.
Die Untersuchungen am Tatort ergaben keine Spuren, die auf eine Schussverletzung des Provokateurs schließen lassen.
Nach der Provokation erschienen im westlichen Vorfeld gegen 18.40 Uhr ein ZGD-Angehöriger mit Fahrrad und gegen 19.10 Uhr ein Pkw (Volkswagen) mit zwei ZGD-Angehörigen, die bis ca. 19.55 Uhr die Staatsgrenze der DDR beobachteten und sich anschließend zurückzogen.
Bereits 18.45 Uhr hielten sich zwei Angehörige des BGS ca. fünf Minuten am Tatort der Grenzprovokation auf.
Am 21.5.1970, 9.15 Uhr, erschienen, aus Richtung Helmstedt kommend, mit Kübelwagen des ZGD, polizeiliches Kennzeichen 53 HF 35, ein Zollinspekteur des ZGD, ein britischer Verbindungsoffizier und eine Zivilperson an der Staatsgrenze, hielten sich ca. fünf Minuten in Höhe des Tatortes der Grenzprovokation auf und bewegten sich anschließend entlang der Staatsgrenze bis zur Höhe 168.0 (Glüsig), wo auf DDR-Territorium Forstarbeiten durchgeführt wurden. Den in diesem Abschnitt eingesetzten Posten der NVA-Grenztruppen wurde von dem Zollinspekteur zugerufen, dass er einen Offizier der NVA-Grenztruppen sprechen möchte, um »das Vorkommnis vom 20.5.1970 zu klären«. Da sich die Grenzposten von diesem Versuch der Kontaktaufnahme nicht provozieren ließen, trug der Zollinspekteur um 9.55 Uhr in mündlicher Form folgenden Protest vor:
»Gestern von 18.00 bis 19.30 Uhr wurde auf eine Person geschossen, die sich auf Ihrem Territorium befand. Es wurde weiterhin geschossen, als sich die Person bereits auf westlichem Gebiet befand. Das ist eine Verletzung der Staatsgrenze. Es befanden sich ein Beamter und eine Zivilperson in der Schussrichtung, wodurch deren Leben gefährdet war. Ich protestiere auf das Schärfste. Da niemand antwortet, nehme ich an, dass mein Protest verstanden wurde. Ich wünsche noch einen angenehmen Tag.«
Gegen 10.10 Uhr fuhren alle drei Personen in Richtung Helmstedt zurück. Am 21.5.1970, gegen 17.55 Uhr, kam es im gleichen Grenzabschnitt, ca. 300 m südlich der Eisenbahn-Transitstrecke (GÜST Marienborn), zu einer erneuten Grenzprovokation durch eine männliche Zivilperson. Der Provokateur drang auf der Höhe der Grenzsäule 750 in das Territorium der DDR ein, durchschnitt die Draht-Minen-Sperre, wobei er insgesamt sechs Felder der Drahtsperre durch Abschlagen des Drahtes zerstörte, und bewegte sich, wie der Provokateur am Vortage, bis zum Kfz-Sperrgraben. Das Territorium der DDR wurde in einer Tiefe von 87 m verletzt. Von dort aus bewegte er sich, aufrecht gehend, bis zur feindwärtigen Sperre und anschließend kriechend bis zur Staatsgrenze zurück.
Die in 200 m Entfernung eingesetzten Posten der NVA-Grenztruppen beobachteten die Handlungen des Provokateurs, konnten jedoch selbst nicht aktiv handeln, da bei Anwendung der Schusswaffe westdeutsches Gebiet verletzt worden wäre.
Dass auch diese Grenzprovokation offensichtlich organisiert bzw. vorbereitet war, wird daran deutlich, dass der Provokateur bei seiner Rückkehr auf westdeutsches Gebiet von zwei Angehörigen des ZGD empfangen wurde, die sich mit ihm in die Zollhütte am Pattfeldweg begaben. Gegen 18.10 Uhr bestiegen die zwei ZGD-Angehörigen mit dem Provokateur einen dort um 18.04 Uhr vorgefahrenen Volkswagen-Bus und entfernten sich auf der Straße Harbke-Helmstedt.
Im Verlauf der Untersuchungen der NVA-Grenztruppe an der Provokationsstelle wurden eine Latte (vermutlich Tatwerkzeug) sowie eine ungeöffnete Weinflasche gefunden. Circa 30 m auf westdeutschem Gebiet konnte eine Lagerstelle festgestellt werden, an welcher eine leere Weinflasche lag.
Die weiteren Untersuchungen der grenzprovokatorischen Handlungen führt eine Einsatzgruppe der NVA-Grenztruppen im Zusammenwirken mit den Organen des MfS.
Die durch die grenzprovokatorischen Handlungen verursachten Schäden an den Grenzsicherungsanlagen werden am 22.5.1970 behoben.
Die zuständigen Organe des MfS haben Maßnahmen zur verstärkten Sicherung und Beobachtung des Grenzabschnittes, mit dem Ziel der Verhinderung weiterer Grenzprovokationen, eingeleitet.