Lage in der »Evangelischen Kirche der Union«
20. Februar 1970
Information Nr. 198/70 über die Lage in der »Evangelischen Kirche der Union« in der DDR
Dem MfS wurden intern nachstehende Einzelheiten zur Lage in der »Evangelischen Kirche der Union«1 der DDR bekannt.
Die Kirchenkanzlei der EKU in Berlin, Auguststraße 80, beschäftigt sich gegenwärtig in Vorbereitung der für den 22.5. bis 24.5.1970 in Magdeburg (Pfeiffersche Stiftungen) geplanten Synode der EKU-Kirchen in der DDR2 mit der Ausarbeitung eines Kirchengesetzentwurfes zur kirchengesetzlichen Regelung der zukünftigen Synoden der EKU.
Dieser Gesetzentwurf soll im Wesentlichen die Durchführung von regionalen Synoden mit unterschiedlicher Terminfestlegung, Zeitdauer, unterschiedlichen Themen und verschiedenen Orten ermöglichen.
Diese Vorlage soll auf der Synode im Mai 1970 zur Diskussion gestellt und beschlossen werden.
(Die bisherige Regelung in der EKU ließ lediglich die Möglichkeit offen, getrennte Synoden durchzuführen, wobei diese Regelung von keiner Synode beschlossen worden war und nur als eine Verfügung des Rates ohne kirchenrechtliche Sanktion galt. Diese Regelung wurde von kirchenleitenden Kräften »unter dem Druck der Ereignisse3 als nicht mehr zureichend« bezeichnet.)
Das in Vorbereitung befindliche Kirchengesetz soll außerdem die Möglichkeit der Teilung des Rates der EKU in zwei Sektionen schaffen. Die Sektion I des Rates soll den Bereich der EKU-Kirchen in der DDR umfassen, während in der Sektion II die Ratsmitglieder der EKU aus den Landeskirchen Rheinland und Westfalen sowie Westberlin organisiert sein sollen.
Von den reaktionären Kräften in der EKU – besonders Kirchenpräsident Hildebrandt,4 Leiter der Kirchenkanzlei der EKU in Berlin, Auguststraße 80, und Bischof Fränkel5 aus Görlitz, Ratsvorsitzender der EKU – wird versucht, auf die Ausarbeitung der Kirchengesetzvorlage dahingehend Einfluss zu nehmen, solche Formulierungen einzuarbeiten, nach denen die Synoden und der Rat der EKU zwar getrennt tagen »können«, aber nicht »müssen«.
Die Synode der EKU-Kirchen in der DDR im Mai 1970 soll unter dem Thema »Amt und Gemeinde« stehen. Die zu dieser Synode delegierten Synodalen sind ausschließlich von den Landeskirchen der EKU neu gewählt. Die Legislaturperiode der alten Synode ist abgelaufen.
Die Synode der westdeutschen Kirchen der EKU – einschließlich Westberlin – ist für die Zeit vom 4. bis 6. Juni 1970 geplant. Als Tagungsort wurde Westberlin (Evangelisches Johannisstift Spandau) festgelegt.
Im Zusammenhang mit strukturellen Fragen ist es innerhalb des Rates der EKU in den letzten Monaten um das Problem »Wie soll der künftige Weg der EKU aussehen« bei Ratssitzungen und anderen Tagungen zu heftigen Debatten gekommen.
Besonders Kirchenpräsident Hildebrandt und Bischof Fränkel versuchen den gesamtdeutschen Status der EKU und den Rat in seiner gesamtdeutschen Funktion aufrechtzuerhalten, wobei sie offensichtlich bestrebt sind, ihre Autorität dahingehend einzusetzen, loyale Synodale der EKU in ihrem Sinne zu beeinflussen. Diese Haltung, die im Widerspruch zur Bildung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR und zu ihrer Verselbstständigung steht,6 wird jedoch nach derzeitiger Einschätzung von der überwiegenden Mehrheit der Ratsmitglieder der EKU aus der DDR als ungangbar bezeichnet.
Dies wurde besonders während der am 5.1.1970 stattgefundenen Ratssitzung der EKU deutlich.
Während dieser Ratssitzung wurde von Kirchenpräsident Müller7/Landeskirche Dessau der Vorschlag unterbreitet, die strukturellen Fragen der EKU in der Weise wie die Lutherischen Kirchen in der DDR zu lösen. Dieser Vorschlag wurde von Hildebrandt und Fränkel energisch abgelehnt. Diese Haltung wurde von beiden auch dann eingenommen, als Bischof Krummacher8 zu bedenken gab, es habe keinen Zweck, die alte Linie weiterzufahren.
Bischof Schönherr9 sprach sich für eine organisatorische Trennung der EKU-Kirchen in der DDR von den Kirchen in Westdeutschland und Westberlin aus.
Bischof Krusche10/Magdeburg erwiderte Hildebrandt und Fränkel, die Entwicklung sei in den letzten Jahren anders verlaufen, als sie vorausgesehen wurde.
Die innerkirchlichen Auseinandersetzungen zu den Fragen der künftigen Struktur und Arbeitsweise der EKU wurden teilweise dadurch gefördert, dass Kirchenpräsident Hildebrandt anlässlich eines Treffens ehemaliger Schüler des kirchlichen Oberseminars am 22.10.1969 in Naumburg öffentlich gegen den Bund auftrat und die Bildung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR als eine »Fehlentwicklung und eine durch den Staat hervorgerufene Zwangsmaßnahme« bezeichnete, durch welche die Kirche sich »in die Enge« habe treiben lassen. Dabei hatte Hildebrandt die EKU als die »einzige Klammer zwischen Ost und West« hervorgehoben und betont, er würde nicht daran denken, die EKU in irgendeiner Weise aufzulösen.
Bischof Krusche, der an dem Treffen am 22.10.1969 teilnahm, hatte dort in Verbindung mit einem Grußwort an die Teilnehmer zum Ausdruck gebracht, dass er sich in keiner Weise mit den Ausführungen von Hildebrandt einverstanden erklären könne und bereit sei, sich mit Hildebrandt über die Entwicklungsfragen der EKU und EKD auseinanderzusetzen. Krusche hatte außerdem betont, die von Hildebrandt vorgetragenen Gesichtspunkte seien nicht objektiv und gingen an der Wirklichkeit vorbei.
Dieser Disput zwischen Krusche und Hildebrandt vor diesem Forum am 22.10.1969 hatte sich von diesem Zeitpunkt an in allen Landeskirchen der DDR herumgesprochen und stand bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Mittelpunkt zahlreicher Gespräche auch auf unterer kirchlicher Ebene zu diesem Thema. Damit war die Uneinigkeit zwischen kirchenleitenden Personen des Rates der EKU offen zutage getreten.
Nach bisherigen Feststellungen vertritt die überwiegende Mehrheit der leitenden Vertreter der EKU in der DDR die Auffassung, dass die Existenz der zwei deutschen Staaten respektiert werden muss und organisatorische Veränderungen in der Struktur der EKU unabänderlich seien. Die EKU-Kirchen in Rheinland und Westfalen haben sich bisher zu den künftigen Strukturfragen offiziell nicht geäußert.
Eine besondere Situation ergibt sich gegenwärtig innerhalb der Landeskirche Berlin-Brandenburg mit Bischof Schönherr an der Spitze, da sie einerseits zum Bund der Evangelischen Kirche in der DDR und andererseits zur EKU gehört. (Bischof Schönherr gehörte zu den Organisatoren des Bundes)
Leitende Vertreter der Berlin-Brandenburgischen Kirche wollen offensichtlich noch nicht zur Kenntnis nehmen, dass die Verselbstständigung der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg mit der organisatorischen Trennung der EKU-Kirchen in der DDR von den EKU-Kirchen in Westdeutschland und Westberlin aufs Engste verbunden ist.
Bischof Schönherr setzt seine Autorität noch nicht genügend ein, um die Bestrebungen der reaktionären Kräfte in der EKU, die EKU als »gesamtdeutsches Gremium« zu erhalten, zurückzudrängen.
Der Verlauf der Synode von Berlin-Brandenburg (März 1970)11 wird für die weitere innerkirchliche Auseinandersetzung zur Isolierung der reaktionären Kräfte und Streichung der »gesamtdeutschen Gremien« der EKU (Auflösung des Rates der EKU, Ablösung des Ratsvorsitzenden Fränkel und des Leiters der Kirchenkanzlei der EKU Hildebrandt) von Bedeutung sein.
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