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Mängel bei Exportverpflichtungen im GRW Teltow

25. Februar 1970
Information Nr. 208/70 über schwerwiegende Mängel bei der Erfüllung von Exportverpflichtungen des VEB Geräte- und Regler-Werke Teltow (GRW) gegenüber sozialistischen Ländern

Dem Ministerium für Staatssicherheit wurde zuverlässig bekannt, dass der VEB Geräte- und Regler-Werke Teltow (GRW) als Auftragnehmer des Außenhandelsbetriebes Feinmechanik – Optik (AHB FO) und des AHB Elektrotechnik Export-Import (AHB ET) in schwerwiegender Weise seine Exportverpflichtungen verletzt. Er verursacht hierdurch einmal wirtschaftliche Schädigungen der DDR und war zum anderen nicht in der Lage, die seit 1967 von 8 000 TVM auf 26 000 TVM im Jahre 1969 erhöhte Planauflage für den direkten Export optimal und mit hoher Devisenrentabilität zu erfüllen. Im Einzelnen wurde dazu Folgendes bekannt:

Trotz einer Umsatzsteigerung auf 138,7 % im Jahre 1969 gegenüber 1968 wurde vom GRW Teltow die Staatsplanaufgabe des direkten Exports in Höhe von 26 000 TVM nur mit 16 214 TVM, d. h. mit 62,4 % erfüllt.

Es bestanden jedoch bei entsprechenden Anstrengungen gute Möglichkeiten, zumindest den in Höhe von 21 000 TVM für das sozialistische Wirtschaftsgebiet (SW) geplanten Export zu tätigen.

Beispielsweise ging dem GRW Teltow 1969 ein von der bulgarischen Firma Electroimpex1 vorvertraglich bereits zugesagter Auftrag im Werte von 3,4 Mio. VM für Gewächshausregelungen verloren, da GRW Teltow die Probeanlage zu spät und in schlechter Qualität lieferte, sodass die Inbetriebsetzung sich bereits über ein Jahr verzögert. Da nicht vor Ende März 1970 mit der Inbetriebnahme gerechnet werden kann, wird wahrscheinlich der endgültige Auftragsverlust in diesem Jahr akut. Als Folgewirkung wird erwartet, dass vom GRW Teltow bereits vorbestellte Zulieferungen für 1,2 Mio. M Brenneranlagen als vorerst unabsetzbare Lagerbestände angeliefert werden.

Der Export hat am Gesamtumsatz des VEB GRW noch einen geringen Anteil (laut Plan 1970 ca. 10 %), jedoch zeigen sich erhebliche Störungen in der Vertragserfüllung, insbesondere gegenüber Auftragsgebern aus dem SW. Die Störungen zeigen sich vor allem in Lieferverzügen bis zu zwei Jahren und nicht qualitätsgerechten Leistungen, die zu wesentlichen Verzögerungen der Inbetriebnahme von Investobjekten der Kunden mit ökonomisch und politisch schädigenden Auswirkungen sowie zu hohen Vertragsstrafen, Garantiekosten und Auftragsverlusten für das GRW führen.

Allein für qualitätsgeminderte Exportlieferungen nach sozialistischen Ländern aus den Jahren 1964 bis 1968 wurden dem GRW Verzugsvertragsstrafen in Höhe von 4 283 TVM berechnet, wovon 791 TVM bezahlt und 2 518 TVM storniert wurden. (972 TVM stehen noch offen.)

Nicht enthalten sind in diesen Zahlenangaben die Vertragsstrafen, die aus fehlerhaft ausgeführten Aufträgen aus den Jahren 1968 und 1969 resultieren, aber noch nicht berechnet wurden, so z. B. auch die Vertragsstrafenrechnung der ungarischen Fa. Erbe (ungarisches Unternehmen für Kraftwerksinvestitionen) vom 29.4.1969 in Höhe von 27 840 Rubel für die um vier Monate verspätet gelieferte BMSR-Anlage für den Block II des Kraftwerkes (KW) Gyöngyös.2

Zusätzliche Kosten und wirtschaftlicher Schaden entstehen dem GRW auch infolge mangelhafter Qualität der Lieferungen einzelner Geräte sowie ganzer Anlagen. Beispielsweise kann die wärmetechnische Mess- und Regelanlage für Block I des Kraftwerkes Gyöngyös angeführt werden, die den für April 1969 vorgesehenen Dauerbetrieb noch nicht aufnehmen konnte. Sie fällt insbesondere wegen projektierungsmäßig und technologisch nicht gelöster Probleme der Wasserstandsmessung und Regelung sowie der Rauchgasmessung – Verstopfung der Ventile – aus.

Die Gerätemängel und Projektierungsmängel (funktionelles Zusammenwirken der Geräte betreffend) erforderten allein beim Block I über 50 % der gelieferten Messgeräte nachzubearbeiten. Die Durchführung dieser Arbeiten erfolgte wegen des Terminverzuges mit zusätzlichem Personal auf Kosten des GRW in Ungarn. Außerdem mussten gegen Verrechnung ungarische Arbeitskräfte in Anspruch genommen werden.

Die Projektierungsfehler und Leitungsmängel in der Materialwirtschaft des GRW führten ferner dazu, dass ein erheblicher Austausch und kostenlose Ersatzlieferungen von Regelungsgeräten und -ausrüstungen erforderlich wurden. Durch Falsch- und Fehllieferungen hat sich so allein auf der Baustelle im KW Gyöngyös ein dort nicht verwertbares sogenanntes Plusmaterial in Höhe von mehreren Hunderttausend Mark (200 000 bis 500 000 M geschätzt) angesammelt, von dem ein beträchtlicher Teil verschrottet werden wird. Andere Teile werden bei der Rückführung erneute Transportkosten verursachen, falls ein anderweitiger Verkauf in Ungarn nicht gelingt.

Schließlich haben die ständigen und schwerwiegenden Vertragsverletzungen des GRW und die verantwortungslos nachlässige Behandlung der Mängelbeseitigung durch das GRW zu einem Vertrauensverlust des ungarischen Kunden gegenüber dem GRW geführt.

Der Vertrauensverlust wirkt sich dahingehend aus, dass dem GRW seit Oktober 1969 faktisch der Markt in der VR Ungarn verlustig gegangen ist. Es konnte festgestellt werden, dass seit der Leipziger Herbstmesse 1969 das ungarische Außenhandelsunternehmen Metrimpex3 und die Fa. Erbe keine BMSR-Anlagen-Aufträge für Kraftwerke mehr an das GRW vergeben. Unter ausdrücklichem Hinweis auf die Vertragsuntreue des GRW schloss die Fa. ERBE trotz langer Bemühungen des GRW für das Kraftwerk Duamenti4 den Vertrag mit Skodaexport5 (ČSSR) ab, wobei die BMSR-Anlage im Werte von 3,5 Mio. VM in Kooperation mit dem Siemens-Konzern geliefert wird. Ebenso beabsichtigen Metrimpex/ERBE für das geplante 2000-MW-Kraftwerk in Miskolc, den BMSR-seitigen Auftrag an den Siemens-Konzern zu vergeben.

Darüber hinaus ist bekannt, dass wegen der Vertragsuntreue des VEB GRW folgende BMSR-Aufträge für 1970 an die Konkurrenzfirmen Siemens, Hartmann & Braun,6 Askania7 und Elliot8 verloren gegangen sind:

Heiznetz Budapest

90 TRbl.

Stoßofen Dunaujváros

60 TRbl.

Heizkraftwerk Miskolc

60 TRbl.

Stoß- und Tieföfen im Hüttenkombinat Miskolc

250 TRbl.

Erdgasaufbereitungsanlagen im Raum Szeged

250 TRbl.

Entgangen ist dem VEB GRW für 1970 auch ein Auftrag in Kooperation mit Skodaexport/ČSSR für das Kraftwerk Rovinari,9 [Kreis] Brazi, Reexport Rumänien, im Werte von 14 Mio. VM, da GRW nicht in der Lage war, die Anlagen mit der gewünschten neuen Technik auszurüsten.

Die Vertragsuntreue des GRW hat vielfältige Ursachen, die sich im Wesentlichen als erhebliche Mängel der Leitungstätigkeit darstellen.

Entscheidend ist, dass im Betrieb keine ideologische Klarheit über die Hauptaufgaben und Verantwortung des GRW als Exportbetrieb von BMSR-Anlagen vorhanden ist.

Exportaufträge werden in der gleichen Art und Weise wie jeder untergeordnete andere Auftrag behandelt. Werkleiter Scheffler10 überließ z. B. den indirekten Exportauftrag für Difo,11 VR China, über Projektbearbeitung und Auslieferung der Geräte und Montagematerialien von BMSR-Ausrüstungen im Werte von 3,3 Mio. M trotz auftretender erheblicher Schwierigkeiten dem normalen Geschäftsgang.

Die gleiche Feststellung trifft auch für den halbjährigen Lieferverzug bei einer kompletten Mess- und Regelanlage im Werte von 178 120,80 Rubel für das KW Kelenföld,12 VR Ungarn, zu.

Werkleiter Scheffler war die ökonomische und politische Bedeutung und Notwendigkeit unbedingter Vertragstreue bekannt, da das Kraftwerk ab Herbst 1969 die Dampfversorgung der Budapester Schlachthöfe sowie anderer lebenswichtiger Betriebe und von 10 000 Neubauwohnungen übernehmen musste. Dennoch entstand bis zum 20.4.1969 ein Lieferrückstand in Höhe von 95 600,63 Rbl. Trotz dringender Schreiben der ungarischen Vertragspartner an den Werkleiter und den Direktor für Vertrieb, Trautmann,13 musste sich erst auf Ersuchen der ungarischen Botschaft der Minister Steger14 einschalten, bevor Scheffler sich am 29.05.1969 überhaupt zu einer Beantwortung des ungarischen Hilfeersuchens bequemte.

Ähnlich verantwortungslos haben beide bei der Realisierung des Exportauftrages für das Kraftwerk Gyöngyös, Block III, gehandelt. Beide Genossen waren spätestens seit April 1969 über den beginnenden Vertrauensverlust beim ungarischen Kunden für Kraftwerks-BMSR-Anlagen informiert. Bekannt war beiden auch die von verschiedenen Seiten herangetragene dringende Forderung, bei der Lieferung der BMSR-Anlage für Block III des KW Gyöngyös unbedingt die Fehler aus vorangegangenen Lieferungen zu vermeiden. Metrimpex/Erbe machten von dieser Forderung die weitere Zusammenarbeit mit GRW abhängig.

Die 1. Teillieferung für Gyöngyös Block III im Werte von 1,2 Mio. VM (Liefertermin 30.11.1969) befand sich jedoch im gleichen qualitativ schlechten Zustand wie die Lieferungen für Block I und II.

Mit Rücksicht auf die drohende Abnahmeverweigerung durch den ungarischen Kunden und weiteren materiellen Schaden hatte nach Beratung leitender Mitarbeiter des GRW der Stellvertretende Werkdirektor Weber15 am 2.7.1969 einen Maßnahmeplan bestätigt, der das nochmalige Auspacken und die Nachbesserung der bereits lieferfertigen Sendung im Stammwerk Teltow vorsah.

Dennoch entschied Werkleiter Scheffler am 6.8.1969 in Kenntnis aller Tatsachen, diese Teillieferung im vertragswidrigen Zustand noch im August 1969 auszuliefern (in diesem Monat wäre sonst der Umsatzplan nicht erfüllt worden).

Die tatsächliche Auslieferung im August scheiterte jedoch daran, dass die Fa. Erbe keine Versandfreigabe vor einer persönlichen Abnahmekontrolle durch ihren Vertreter im Werk Teltow erteilte.

Die Versandfreigabe wurde erst am 30.9.1969 in betrügerischer Weise erlangt, indem der Direktor für Vertrieb, Trautmann, in einem Protokoll zusicherte, dass sich in den bereits plombierten und versandfertigen Kisten funktionstüchtige und nach Messkreisen zusammengeeichte Geräte befinden. Im August wurden jedoch die Kisten in einer Sonderaktion nur geöffnet, um die Geräte nach ihrer Zusammengehörigkeit zu Messkreisen umzupacken. Es wurden tatsächlich keine Nachbearbeitungen vorgenommen und auch die Eichungen unterblieben.

Bestätigt wird diese Tatsache durch das Übernahme/Übergabe-Protokoll vom 2.12.1969 und den Auslandsbaustellenbericht KW Gyöngyös Nr. 15, in dem die 1. Teillieferung vom Baustellenleiter als »katastrophal« bezeichnet wird.

Als weitere leitungsmäßig bedingte Ursachen der Vertragsverletzungen treten in Erscheinung:

  • ungenügender wissenschaftlich-technischer Vorlauf, insbesondere verspätete Entwicklung und Überleitung des Ursamat-Systems;16

  • mangelhafte Schließung der Kooperationskette durch die Abteilung Materialwirtschaft, was fehlende Zulieferungen zum Exporttermin bewirkt;

  • verspätete Auslösung bzw. schleppende Bearbeitung von Bestellungen bei Kooperationspartnern;

  • mangelndes Zusammenwirken der einzelnen Fertigungs- und Verwaltungsbereiche;

  • Falsch- und Fehllieferungen, hervorgerufen durch die im Lager herrschende Unordnung, die fehlende Qualifikation der Beschäftigten im Versand und die völlig ungenügende Warenausgangskontrolle;

  • schleppende Bearbeitung von Beanstandungsmeldungen u. a.;

  • mangelnde Konsequenz in der Durchsetzung und Kontrolle gesetzlicher und betrieblicher Normative und Weisungen in allen Leitungsbereichen.

Wie im Zusammenhang mit den geschilderten Mängeln weiter festgestellt wurde, sind die Erzeugnisse des VEB GRW und seiner wichtigsten Kooperationspartner, des VEB EAW Berlin-Treptow und Messgerätewerk »Erich Weinert« Magdeburg, bei ihrer Installation in Industriebetrieben der DDR ebenfalls störanfällig. Durch Manipulationen werden diese Mängel jedoch der Öffentlichkeit kaum bekannt.

Durch die exakte Vertragsgestaltung mit ausländischen Partnern kommen diese Qualitätsmängel besonders deutlich ans Tageslicht. Kompliziert wird diese Situation noch durch die im Ausland vorherrschenden Montagebedingungen, die insbesondere das Eichen u. a. gleichgelagerte Arbeiten häufig sehr erschweren.

Um vorhandene Mängel in der Erfüllung der Aufgaben des Betriebes zu verdecken, werden im VEB GRW Teltow auch Planmanipulationen geduldet.

Aus Untersuchungen ist zu ersehen, dass der Werkleiter und sein Stellvertreter gemeinsam die Erfüllung des Umsatzplanes des VEB GRW im I. Quartal 1969 manipuliert und damit Falschmeldungen in der monatlichen Industrieberichterstattung gegenüber der VVB RGO17 bewirkt haben.

Die Methode bestand darin, entgegen dem in den Investitionsgrundsätzen vom 26.10.1967 (GBl. II S. 813)18 in Abschnitt III Ziffer 7 enthaltenen Verbot der Bezahlung von Investitionsleistungen vor dem Nachweis ihrer Funktionsfähigkeit dem Kunden die Rechnungslegung bereits zu einem weit früheren Zeitpunkt zu erteilen. Obwohl diese berechtigterweise meist nicht bezahlt wurden und beim GRW durch Überfälligkeit unberechtigter Rechnungsbeträge eine Finanzschuld gegenüber der Bank anwuchs, wurden die erteilten Rechnungen zunächst einmal für die Abrechnung des Umsatzplanes wirksam. Auf diese Weise wäre bis April 1969 die monatliche Umsatzplanerfüllung nach Schätzungen von Fachleuten um ca. 5 bis 6 Mio. M überhöht abgerechnet worden. Seit Mai 1969, d. h. mit dem Beginn der Auseinandersetzung mit dieser Ungesetzlichkeit, ging die Umsatzplanerfüllung im Stammwerk Teltow konstant zurück.

Es sind Hinweise bekannt, dass von vielen Betriebsangehörigen die überraschende Erfüllung des Umsatzplanes 1969 am Jahresende angezweifelt wird und im Januar 1970 erneut die Umsatzplanerfüllung durch ungesetzliche Rechnungslegungen aufgebessert wurde.

In Anbetracht der geschilderten Lage wird empfohlen, durch geeignete staatliche Systemregelungen und wirksamere staatliche und gesellschaftliche Kontrollen den sich häufenden Erscheinungen von verschiedenartigsten Manipulierungen entgegenzuwirken. Im VEB GRW Teltow sollte durch staatliche Maßnahmen ein geordneter Zustand des Reproduktionsprozesses und seiner Leitung hergestellt und Maßnahmen zur Wahrung der sozialistischen Gesetzlichkeit eingeleitet werden.

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    [ohne Datum]
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    24. Februar 1970
    Information Nr. 213/70 über eine Provokation der Westberliner Schutzpolizei in der Bahnpolizeiwache Westkreuz am 21. Februar 1970