Pläne rechtsextremistischer Kräfte zum Besuch in Kassel (II)
20. Mai 1970
Information Nr. 524/70 über weitere Pläne, Absichten und Maßnahmen rechtsextremistischer Kräfte am 21. Mai 1970 in Kassel
Ergänzend zur Information Nr. 498/70 vom 14.5.1970 wird nachstehend auf weitere von rechtsextremistischen Kräften anlässlich des Treffens am 21.5.1970 in Kassel1 geplante bzw. vorbereitete Provokationen, Demonstrationen und andere Störmanöver hingewiesen.
Als Initiatoren der Aufrufe zu Demonstrationen, Kundgebungen und anderen provokatorischen Störmaßnahmen traten weiterhin vor allem Kreise der NPD und ihrer Studentenorganisation, die »National-Zeitung«,2 revanchistische Organisationen sowie rechtsextremistische Gruppen von Studenten in Erscheinung.
Nach mehreren inoffiziell bekannt gewordenen übereinstimmenden Hinweisen verfolgen Mitglieder der NPD und des »Nationaldemokratischen Hochschulbundes« (NHB)3 die Absicht, der Instruktion des NPD-Bundesvorstandes, Kassel am Abend des 20.5.[1970] (nach der Kundgebung und dem geplanten Autokorso) wieder zu verlassen, nicht Folge zu leisten.
Sie wollen vielmehr am 21.5.[1970] in Kassel »in Erscheinung treten«, notfalls getarnt als »Ostpolitischer Verband« oder im Zusammenwirken mit der AKON-Gruppe.4
Der Bundeskongress des NHB habe die genannte NPD-Instruktion »protestierend« zur Kenntnis genommen. Vertreter des NHB erklärten, dass sie bei einer Demonstration am 21.5.[1970] mit Teilnehmern von allen Universitäten und Hochschulen Westdeutschlands rechnen würden. Andere neofaschistische Kräfte (beispielsweise aus dem Raum Eschwege) äußerten, am 21.5. [1970] werde es »noch Überraschungen geben«.
Einem inoffiziellen Hinweis zufolge würden von der NPD für Kassel bestimmte Plakate folgenden Inhalts angefertigt: Bilder mit Stacheldraht und Mauer; Mauer und elektrisch geladener Stacheldraht, an denen Menschen mit den Händen hängen; Mauer mit »erschossenen Zonenflüchtlingen«; Forderungen nach »freiem Reiseverkehr«.
Nach einer weiteren internen Information wurde die Bezirksgruppe Kassel der »Vereinigung der Opfer des Stalinismus« (VOS)5 von ihrem Bundesvorstand aufgefordert, ihre Mitglieder am 21.5.[1970] in Häftlingskleidung und mit Hetzplakaten an der Fahrtstrecke in Kassel und bei einer eventuellen Kundgebung so zu postieren, dass sie von den Fernsehkameras mit erfasst würden.
In der »National-Zeitung« (Nr. 20, 15.5.1970) wurden zahlreiche »Leserstimmen« mit Vorschlägen und Hinweisen für das Vorgehen rechtsextremistischer Kräfte wiedergegeben.6 Unter anderem sollen »einzelne Gruppierungen« organisiert werden, und zwar an folgenden Stellen: Rasthaus der Autobahnausfahrt Kassel-Mitte, Ortseingang auf der Bundesstraße 7, Stadthalle Kassel, Platz der Deutschen Einheit, Wilhelmshöher Platz, Aue-Stadion, Wilhelmshöher Schwimmbad in der Kurhausstraße, Endhaltestelle der Linie 1 in Wilhelmshöhe/Park. Von diesen Stellen soll zur Demonstration am Bahnhof Wilhelmshöhe bzw. in die Gegend des Schlosshotels gegangen werden.
Weiter wurde dazu aufgefordert, das sogenannte Deutschlandlied laut zu singen, schwarze Fahnen anzubringen und sich in Gruppen unter das Volk zu mischen. In diesem Zusammenhang wurde darauf verwiesen, dass »überall Bürgerkomitees entstanden« seien unter solchen Bezeichnungen wie »Gesamtdeutsche Aktion«, »Jugendaktion Deutsche Einheit« und »Aktion Grundgesetz«. Weiter entstanden Gruppen von Studenten aus »allen freiheitlichen Organisationen«, von »Vertriebenen« und Christlichen Gewerkschaften.
Eine »Aktion Kassel 70«7 hat zu Demonstrationen am 21.5.[1970] in Kassel »für freie Selbstbestimmung in ganz Deutschland, Aufhebung des Schießbefehls, Schleifung der Berliner Mauer, Freilassung der politischen Gefangenen, Presse- und Informationsfreiheit in ganz Deutschland« aufgerufen. Wie intern bekannt wurde, hat sich die »Aktion Kassel 70« in Augsburg konstituiert. Als Initiatoren wurden der NPD nahestehenden Kreise des »Deutschen Studentenanzeigers«8 (Coburg), der der CSU nahestehende »Student«9 (Würzburg) und das sogenannte nationale Jugendmagazin »Mut«10 (Asendorf) bekannt. Von diesem letztgenannten Jugendmagazin kursiert ein Sonderdruck als Flugblatt, in dem u. a. dazu aufgefordert wurde, Flugblätter zu verteilen, Plakate und Spruchbänder anzufertigen und am 21.5.[1970] eine schwarze Trauerarmbinde zu tragen.
Als Initiatoren der Organisierung von »Protestdemonstrationen«, Flugblattaktionen, Spalierbildung an der Fahrtstrecke mit Hetzplakaten und -transparenten traten außerdem die revanchistischen Landsmannschaften bzw. Organisationen der »Republikflüchtigen« hervor.
Trotz zahlreicher offizieller Erklärungen (u. a. des Polizeipräsidenten von Kassel), denen zufolge die Aktionen rechter und progressiver Kreise räumlich getrennt stattfinden würden, gibt es nach wie vor zahlreiche Erklärungen und Äußerungen, nach denen es zu Auseinandersetzungen »zwischen rechts und links« kommen werde.