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Politisch-ideologische Diversionstätigkeit gegen die NVA

17. September 1970
Information Nr. 984/70 über die politisch-ideologische Diversionstätigkeit besonders gegen die NVA, unter maßgeblicher Mitwirkung militärischer Einrichtungen der Bundeswehr

1. Durch die westdeutsche Bundeswehr wurden bereits im Jahre 1959 nach dem Vorbild der USA-Loudspeaker und Leaflet Companies1 Einheiten zur Psychologischen Kampfführung (PSK)2 gebildet, deren Hauptaufgaben – nach Angaben der Bundeswehrführung – darin bestehen, »den Kampfwillen des Feindes zu erschüttern und damit die eigene Gefechtsführung wirksam zu unterstützen. Die PSK muss sich stets der Absicht der oberen Führung anpassen und auf allen Ebenen auf deren Grundsätze, Ziele und Maßnahmen abgestimmt sein.«

(Auf Weisung von H. Schmidt3 wurde damit begonnen, die Einrichtungen der Bundeswehr für Psychologische Kampfführung in Einheiten für »Psychologische Verteidigung« umzubenennen mit dem Ziel, in der Öffentlichkeit den »defensiven Charakter« der Bundeswehr zu unterstreichen. Zum Beispiel wurden bereits umbenannt die Schule für Psychologische Kampfführung der Bundeswehr sowie das PSK-Sendebataillon Andernach, Kreis Mayen.)

Entsprechend dieser Aufgabenstellung hat die Bundeswehrführung im Rahmen des Feldheeres und des Territorialheeres eine ganze Anzahl von Einheiten der Psychologischen Kampfführung aufgestellt.

Alle PSK-Einheiten unterstehen hinsichtlich ihrer aktiven Einbeziehung in die politisch-ideologische Diversionstätigkeit4 gegen die DDR direkt dem Bundesministerium für Verteidigung – Führungsstab Streitkräfte –.

Die unmittelbare Tätigkeit der PSK-Einheiten im Rahmen der politisch-ideologischen Diversionstätigkeit konzentriert sich auf

  • die Sammlung und Auswertung von geeigneten Ausgangsmaterialien für diese Tätigkeit;

  • die Erarbeitung entsprechender Entwürfe von Hetzschriften und anderen diesbezüglichen Materialien;

  • die Herstellung von zur Vorbereitung freigegebener Hetzschriften u. a. Materialien und

  • die Verbreitung mittels Hetzballons. (Die in den PSK-Einheiten vorhandenen Raketen zur Einschleusung von Hetzschriften werden seit längerer Zeit nicht gegen die DDR zum Einsatz gebracht.)

Die PSK-Kompanien setzen sich aus einem Lautsprecher- und Flugblattzug, einem Lagerarchiv sowie einem Hersteller- und Verbreitertrupp zusammen. Zum Bestand der Kompanien gehören qualifizierte Journalisten, Psychologen, Soziologen, Politologen, Drucker und Stabsoffiziere.

Die Leitung der PSK-Einheiten im Rahmen ihrer politisch-ideologischen Diversionstätigkeit erfolgt durch die Unterabteilung VII des Führungsstabes Streitkräfte.

2. Im Gesamtsystem der gegen die DDR betriebenen politisch-ideologischen Diversionstätigkeit nehmen seit Jahren die Aktionen gegnerischer Zentren zur Einschleusung von Hetzflugblättern und Hetzschriften in die DDR einen breiten Raum ein.

Im Zeitraum 1.1.1968 bis 31.08.1970 wurden insgesamt 4 597 200 in die DDR eingeschleuste Hetzschriften sichergestellt.

Im Zeitraum vom 1.1.1970 bis 31.08.1970 wurden insgesamt 679 900 Hetzschriften

  • April: 110 200

  • Mai: 111 800

  • Juni: 112 800

  • Juli: 56 200

  • August: 48 000

Der zahlenmäßige Rückgang in der Hetzschrifteneinschleusung gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres (1.1.1969 bis 31.8.1969 996 800) lässt noch keine Rückschlüsse auf die Aktivitäten des Gegners zu, da über längere Zeiten ungünstige meteorologische Bedingungen die Einschleusung mittels Ballons erschwerten.

Seit 1965 werden ausschließlich alle Ballonaktionen zur Einschleusung von Hetzschriften von den PSK-Einheiten der Bundeswehr durchgeführt.

Die besonders gegen die NVA gerichteten Hetzschriften werden alle vom Bundesministerium für Verteidigung herausgegeben und durch die PSK-Einheiten verbreitet.

Der Anteil der besonders gegen die NVA gerichteten Hetzschriften an der Gesamtzahl aller eingeschleusten Hetzschriften zeigt – trotz des relativ zahlenmäßigen Rückganges – eine steigende Tendenz.

1968

88 600 (= 35% der insgesamt eingeschleusten Hetzschriften)

1969

52 000 (= 37% der insgesamt eingeschleusten Hetzschriften)

bis 31.8.1970

428 000 (= 63% der insgesamt einschleusten Hetzschriften)

In letzter Zeit zeichnet sich ein bestimmter Konzentrationsprozess in der Einschleusung von Hetzschriften durch das BMV ab. Während 1968 noch zehn verschiedene Arten von Hetzschriften eingeschleust wurden, reduzierten sich diese 1969 auf sieben Arten und 1970 (bis 16.9.1970) auf drei. Dabei handelt es sich um »Mitteldeutsche Arbeiterzeitung«, »Volksarmee«, »Hört die Signale«.

Seit der Bildung der SPD/FDP-Regierung5 ist festzustellen, dass die besonders gegen die NVA gerichtete politisch-ideologische Diversionstätigkeit im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren wesentlich raffinierter geworden ist.

Es ist allgemein die Tendenz festzustellen, den früheren, häufig primitiven Antikommunismus durch einen »verfeinerten« Antikommunismus zu ersetzen. Der Gegner versucht, politisch und psychologisch geschickter und wirksamer vorzugehen und vor allem den Anschein einer »objektiven Berichterstattung« zu erwecken, indem er

  • Auszüge aus Reden führender Politiker bringt,

  • ausländische Pressestimmen und -kommentare zu politisch aktuellen Anlässen zitiert,

  • Meinungen republikflüchtiger Personen (besonders aus der NVA) publiziert und

  • »Zahlen und Fakten« aus der BRD angibt.

3. Gegenwärtig sind im Bestand des Feldheeres und des Territorialheeres der Bundeswehr je Armeekorps eine PSK-Kompanie für den taktischen psychologischen Kampfeinsatz und je Wehrbereich ein PSK-Zug vorhanden.

Hierbei bildet lediglich der Wehrbereich III eine Ausnahme, der aufgrund seiner Bedeutung (Raum Düsseldorf Industrie- und Bevölkerungsballungsgebiet) über zwei PSK-Züge verfügt.

Darüber hinaus gibt es als zentrale Organe der PSK eine PSK-Schule und ein PSK-Sendebataillon.

Im Einzelnen handelt es sich um folgende Einheiten und Einrichtungen:

Zentrale Einrichtungen

  • Schule der Bundeswehr für Psychologische Verteidigung Euskirchen (PSVSHBw). Die Schule ist direkt dem Führungsstab Streitkräfte unterstellt. An dieser Schule erfolgt die Spezialisierung von Offizieren und Unteroffizieren, die für einen Einsatz im Rahmen der PSK vorgesehen sind. Die Lehrgänge sind zumeist als »Geheim« bzw. »VS-Vertraulich« deklariert. Alle Teilnehmer dieser Lehrgänge werden Sicherheitsüberprüfungen unterzogen.

  • PSV-Sendebataillon 701 des Territorialheeres Andernach, Kreis Mayen, St. Thomaser Hohl 87 (Krahnenberg-Kaserne). Das Sendebataillon ist truppendienstlich der Führungsfernmeldebrigade 700 unterstellt. Es verfügt über einen stationären Sender mit großer Leistung.

Armeekorps

1. AK

PSK-Kompanie 181

Scheuen, Freiherr-von-Fritsch-Kaserne

2. AK

PSK-Kompanie 281

Ulm, Wilhelmsburgkaserne

3. AK

PSK-Kompanie 381

Rengsdorf/Westerwald, Kreis Neuwied

Wehrbereiche

WBK 1

PSK-Zug 711

Kiel

WBK 2

PSK-Zug 712

Hannover

WBK 3

PSK-Zug 713

Düsseldorf, Reitzenstein-Kaserne

[–]

PSK-Zug 719

Düsseldorf

WBK 4

PSK-Zug 714

Mainz

WBK 5

PSK-Zug 715

Stuttgart, Bad Canstatt, Funker-Kaserne

WBK 6

PSK-Zug 716

München, Pionier-Kaserne

Die PSK-Kompanien verfügen über Lautsprecher-, Flugblatt- und Sendezüge. Zu ihrer materiellen Ausstattung gehören u. a. mobile Senderanlagen mit einer Leistung von 2 × 50 kW.

Zwischen den in den einzelnen Wehrbereichen dislozierten PSK, deren Territorium an die Staatsgrenze der DDR angrenzt, erfolgt nach vorliegenden Informationen eine enge Zusammenarbeit mit den Stäben des Bundesgrenzschutzes sowie der Bayrischen Grenzpolizei.

4. An der Staatsgrenze der DDR zu Westdeutschland und Westberlin bilden die Aktivitäten der gegnerischen Kräfte zur Aufnahme von Kontakten mit Angehörigen der NVA-Grenztruppen einen Schwerpunkt der direkten, persönlichen ideologischen Beeinflussung.

Im Zeitraum vom 1.1.1968 bis 30.8.1970 wurden 5 925 (davon im I. Halbjahr 1970 allein 1 161) Versuche zur Aufnahme von Kontaktgesprächen mit Grenzsicherungskräften der DDR und 1 329 Kontaktversuche in Verbindung mit der direkten, offenen Aufforderung zur Fahnenflucht unternommen.

In 70 % aller Fälle traten Angehörige des Bundesgrenzschutzes und des Zollgrenzdienstes mit derartigen Handlungen in Erscheinung.

Die Aktivitäten der gegnerischen Kräfte in dieser Richtung zeigen, besonders seit der Bildung der SPD/FDP-Regierung, eine steigende Tendenz.

Inhaltlich sind diese Handlungen vor allem darauf gerichtet:

  • Aufnahme von Gesprächen über persönliche Belange (Wohnort, Freizeitgestaltung, Sport), Anknüpfen an allgemeine, aus der Situation resultierende Fakten (Wetter u.  Ä.);

  • Versuche, unter dem Deckmantel der »persönlichen Interesse« Einzelheiten über den Dienstablauf in der Grenzkompanie, wie Schichtrhythmus, Kontrollsystem der Vorgesetzten, Dienstfreiregelung u.  Ä. in Erfahrung zu bringen;

  • Versuche zur Gesprächsführung unter dem Deckmantel der Annäherung und Schaffung von Kontakten auf unterer Ebene, wobei man die Bildung der Brandt-Scheel-Regierung6 als Aushängeschild für die jetzige Existenz von Arbeiterregierungen in beiden deutschen Staaten nimmt;

  • Daraus Beeinflussung zur Lockerung der Dienstdurchführung, Nichtanwendung der Schusswaffe u.  Ä.;

  • Verherrlichung der Verhältnisse und Lebensweisen in Westdeutschland (Löhne, Tourismus u.  Ä.).

In den meisten Fällen werden die Kontaktversuche mit dem Anbieten von Nahrungs- und Genussmitteln verbunden.

Bei erfolglosen Versuchen zur Kontaktaufnahme treten die gegnerischen Kräfte vielfach mit Verleumdungen, Beschimpfungen und Morddrohungen gegenüber den Grenzsicherungskräften der NVA auf.

Beweis für die zielgerichteten Aktivitäten des Gegners war z. B. das kürzlich beendete Herbstmanöver »Steinpilz«7 des BGS. Im Verlauf dieser Übung wurde in einem als »Aktion C 11«8 bezeichneten Element u. a. das Führen von »Kontaktgesprächen« geübt.

5. An der Staatsgrenze der DDR zu Westberlin tritt besonders das 1961 vom Westberliner Senat gegründete »Studio am Stacheldraht«9 im Rahmen der politisch-ideologischen Diversionstätigkeit gegen die Grenzsicherungskräfte der NVA in Erscheinung.

Diese Einrichtung unterhält direkte Verbindungen zu den in Westberlin etablierten revanchistisch-militärischen Organisationen und solchen Agentenzentralen wie der »Arbeitsgemeinschaft 13. August«.10

Die derzeitigen Aktivitäten des »SAS« konzentrieren sich auf die ständige Arbeit mit dem an 84 Stellen der Staatsgrenze aufgestellten Hetzplakaten, deren Texte regelmäßig gewechselt werden.

Der Inhalt dieser Texte wie »Auf den 2. Mann kommt es an«, »Soldat, auch du bist eingesperrt«, »Wer Mord befiehlt, ist doppelt schuldig«, »Nicht nur auf Befehl menschlich sein« u. a. ist darauf gerichtet, die Grenzsicherungskräfte in Widerspruch zu ihren Vorgesetzten zu bringen, sie von der konsequenten Ausübung ihres Dienstes abzubringen, gegen Befehle und Weisungen zu handeln, Provokateure zu unterstützen und die NVA-Angehörigen zur Fahnenflucht zu beeinflussen.

Der Einsatz von Lautsprecherwagen zu »besonderen Anlässen und Vorkommnissen« und der Betrieb der an der Staatsgrenze installierten vier Leuchtschriftanlagen ist mit Wirkung vom 31.12.1969 eingestellt worden. Die Anlagen sind jedoch nach wie vor vorhanden.

6. Die im Jahre 1963 in Westdeutschland unter maßgeblicher Mitwirkung des BMV gegründete »Deutsche Gesellschaft für Sozialbeziehungen«11 beschäftigt sich intensiv mit der Erfassung, Kontrolle und »Betreuung« aller Fahnenflüchtigen aus der DDR.

Unter dem Deckmantel einer sozialen Einrichtung nutzt sie zielgerichtet alle sich bei den Fahnenflüchtigen bietenden Möglichkeiten für die Organisierung der feindlichen Tätigkeit gegen die DDR aus. Zu diesem Zwecke wird von der »Deutschen Gesellschaft für Sozialbeziehungen« ein ständiger Kontakt zu den Fahnenflüchtigen unterhalten, werden sie nach Rückverbindungen in die DDR befragt und diese – besonders gegenüber Angehörigen der NVA – zur zielgerichteten ideologischen Beeinflussung ausgenutzt.

Die »Deutsche Gesellschaft für Sozialbeziehungen« arbeitet eng mit den Geheimdiensten zusammen.

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    17. September 1970
    Information Nr. 988/70 über eine versuchte Gruppenfahnenflucht von zwei Offizieren der 5. VP Bereitschaft Leipzig am 16. September 1970

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    15. September 1970
    Information Nr. 973/70 über die Einschleusung von besonders gegen die NVA gerichteten Hetzschriften