Politisch-operative Situation im Bezirk Erfurt
8. April 1970
Analyse der politisch-operativen Situation im Bezirk Erfurt [K 2/4]
1. Politisch-operative Schwerpunkte des Bezirkes
(Da hierzu kein ausreichendes Material vorliegt, sind diese Schwerpunkte in der BV herauszuarbeiten.)
2. Entwicklung der staatsfeindlichen Tätigkeit im Bezirk Erfurt
2.1. Zusammenfassende Einschätzung der Feindtätigkeit
(Auf eine Einschätzung unsererseits wird verzichtet, da sie erst nach Ergänzung durch die Delikte des Jahres 1970 und der offenen Fragen möglich ist. Sie sollte im Wesentlichen die Angaben beinhalten, die entsprechend den »Inhaltlichen Schwerpunkten« gefordert werden und nicht so gehalten sein wie in den Halbjahresberichten der BV Erfurt.
Im vorliegenden Bericht wurde auf die Einschätzung der Schmiererei von Symbolen und Zeichen und der Gewaltakte gegen Fahnen und Sichtagitation verzichtet, da diese Delikte nur in Einzelfällen aus negativ/feindlicher Zielsetzung heraus begangen wurden und daher politisch-operativ nicht relevant sind.)
2.2. Staatsfeindliche Hetze – schriftlich
Die Erscheinungen der schriftlichen Hetze und Verleumdung nehmen vom Umfang her nach den Delikten des ungesetzlichen Grenzübertritts den größten Teil an den Erscheinungen der Feindtätigkeit ein.
Die im Jahre 1969 aufgetretenen 84 Delikte gliedern sich wie folgt auf:
[Delikt] | Vorkommnisse | Anzahl | aufgeklärte Vorkommnisse 1969 | aufgeklärte Vorkommnisse vorher |
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Verbreitung selbstgefertigter Hetzschriften | 10 | 241 | [–] | [–] |
Weiterverbreitung eingeschleuster Hetzschriften | 5 | 36 | [–] | [–] |
Anschmieren von Hetzlosungen | 23 | 29 | [–] | [–] |
Versenden von Hetzschriften an Zentren der PiD1 | 16 | 21 | [–] | [–] |
Versendung von Hetz- und Drohbriefen innerhalb der DDR | 14 | 19 | [–] | [–] |
Die Aufklärungsquote der 1969 aufgetretenen Delikte dieser Art beträgt demnach %.2
Charakteristisch für das Auftreten der schriftlichen Hetze, insbesondere für die Verbreitung selbstgefertigter Hetzschriften und das Anschmieren von Hetzlosungen ist, dass sie im Zusammenhang mit politischen Höhepunkten und Ereignissen sowohl in Umfang und Gesellschaftsgefährlichkeit zunehmen.
Daher fällt der größte Teil der Delikte ins 2. Halbjahr 1969 im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung des 20. Jahrestages der Gründung der DDR. Trotzdem erreichten die Delikte nicht das Ausmaß der im Zusammenhang mit den Ereignissen in der ČSSR aufgetretenen Vorkommnisse im 2. Halbjahr 1968.3
Vom Inhalt her richtet sich die schriftliche Hetze vorwiegend
- –
gegen bestimmte Seiten der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR (konkreter bestimmen welche),
- –
gegen leitende Partei- und Staatsfunktionäre,
- –
gegen sozialistische Bruderländer (Sowjetunion – progressive Entwicklung in der ČSSR).
Territoriale Schwerpunkte bilden die Stadtgebiete bzw. Kreise Weimar, Nordhausen und Eisenach.
Offene Probleme:
Für die einzelnen Arten der schriftlichen Hetze sind die charakteristischen Mittel und Methoden und die Wirksamkeit einzuschätzen, die Aufklärungs- und Bearbeitungsergebnisse sowie die Tätercharakteristik anzuführen, die Motive und Zielstellung. (Wie herausgebildet?)
Dazu die bedeutendsten Vorkommnisse kurz anführen.
2.3. Staatsfeindliche Hetze – mündlich
Mit diesen Delikten sind 1969 insgesamt zwölf Personen – vorwiegend im Alter von 25 bis 35 Jahren – angefallen.
Gegen fünf Personen wurden EV mit Haft eingeleitet (vier MfS, ein VP).
Sechs Personen werden in operativen Vorgängen durch MfS und eine Person durch die VP weiterbearbeitet.
Die mündliche Hetze wies im Wesentlichen die gleiche Angriffsrichtung wie die schriftliche Hetze auf.
Offene Probleme:
Was charakterisiert die mündliche Hetze (Anlass, Ort, beeinflusster Personenkreis, Wirksamkeit) und die angefallenen Personen (Motive, operativ interessante Merkmale, Herausbildung der feindlichen Einstellung und Zielsetzung).
In den angeführten Fällen der mündlichen Hetze sind nicht die anonymen Telefonanrufe durch sechs unbekannte Täter enthalten, bei denen die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR verleumdet und Partei- und Staatsfunktionäre beschimpft und verächtlich gemacht wurden.
Die Anrufe erhielten Dienststellen staatlicher Organe und Einrichtungen und gesellschaftlicher Organisationen.
Offene Probleme:
Decken sich die Schwerpunkte der schriftlichen und mündlichen Hetze (einschließlich anonymer Anrufe)?
2.4. Terrorhandlungen
Im 2. Halbjahr 1969 wurden fünf derartige Handlungen festgestellt, bei denen insgesamt neun Personen anfielen und vom MfS in EV bearbeitet wurden. Acht Täter wurden inhaftiert. Es handelt sich um Jugendliche im Alter von 17 bis 20 Jahren.
Offene Probleme:
Gegen wen richteten sich die Terrorhandlungen, welche Methoden wurden angewandt, welchen Grad der Gesellschaftsgefährlichkeit wiesen sie auf?
Was charakterisiert die Täter, ihre Motive und Zielstellungen, wie wurden sie herausgebildet?
Die bedeutenden Vorkommnisse sind kurz anzuführen.
2.5. Waffendelikte
Obwohl die Zahl der Waffendelikte 1969 (17 Delikte mit 18 Personen) unter der des Vorjahres (29 Delikte mit 52 Personen) liegt, stellt die Anzahl der in illegalen Besitz befindlich gewesenen Waffen einen beachtlichen operativen Schwerpunkt dar.
Bei den
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neun Delikten der Aufbewahrung aus früherem Besitz,
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drei Delikten der Nichtabgabe von Fundwaffen und
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fünf Delikten der Beschaffung von Waffen
wurden folgende beschussfähigen Waffen sichergestellt:
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elf Pistolen und Trommelrevolver,
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ein Karabiner 98,
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eine Langlaufwaffe 9 mm,
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vier Jagdwaffen,
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vier KK-Gewehre/Tesching.4
Hinzukommen aus Funden, die auf illegalen Besitz schließen lassen:
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sechs Pistolen,
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ein Karabiner 98,
- –
sechs Jagdwaffen,
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eine Scheibenbüchse.
Die Menge der sichergestellten Munition verschiedener Kaliber beträgt 3 220 Schuss.
Von den 18 im Jahre 1969 angefallenen Personen bearbeitete die VP 15 Personen in EV (davon sechs mit Haft) und das MfS drei Personen (davon ein EV ohne Haft).
Obwohl den bekannten Tätern keine staatsfeindliche Zielsetzung nachgewiesen werden konnte, hätten diese Waffen in Zeiten erhöhter politischer Spannungen und Auseinandersetzungen durch die Täter oder solche Personen, die von der illegalen Aufbewahrung der Waffen Kenntnis besaßen, zu staatsfeindlichen Handlungen benutzt werden können.
Offene Probleme:
Ist die Motivlage durch die VP richtig herausgearbeitet worden?
Was charakterisiert die politische Einstellung der angefallenen Personen, und welche Gefahrenmomente ergeben sich daraus? War es richtig, die Bearbeitung der Waffendelikte nur der VP zu überlassen, und wurden dabei politisch-operative Gesichtspunkte berücksichtigt?
Wie groß war der Kreis der Personen, die möglicherweise von der illegalen Aufbewahrung Kenntnis hatten und sich die Waffen hätten aneignen können?
Herausarbeitung möglicher Zusammenhänge Terror-/Waffendelikte.
2.6. Spionage und Nachrichtensammlung
Die Spionagetätigkeit der imperialistischen Geheimdienste richtete sich im Bezirk Erfurt vorwiegend auf
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Objekte der Sowjetarmee und der NVA und
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Militärische Bewegungen auf Straßen und Schienenwegen.
Dabei interessierten insbesondere
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die genaue Lage und Zweckbestimmung der Objekte,
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die Zahl, Bewaffnung und Ausrüstung der stationierten oder transportierten Kräfte und ihre Kennzeichnung,
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Personen, die in diesem Zusammenhang von Interesse für den Geheimdienst sind.
Darüber hinaus wurde festgestellt, dass sich der amerikanische Geheimdienst stark für das Personal und bestimmte Einrichtungen der Deutschen Reichsbahn interessiert.
Dabei stehen im Mittelpunkt des Interesses Informationen über
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das Streckennetz (Zustand, bauliche Veränderungen),
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die Qualifizierung des Triebfahrzeugpersonals im Rahmen des Traktionswandels (Qualität, Art und Dauer der Ausbildung an welcher Technik) und
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die Einrichtung der automatischen Mittelpuffer-Kupplung (Zeitraum und Umfang der Einführung, Übergangslösungen, Herstellerbetriebe).
Die Aufklärungstätigkeit der MVM-Fahrzeuge richtete sich hauptsächlich auf militärische Objekte und Bewegungen. Dabei lösten Manöver im März/April 1969 und die Vorbereitung und Durchführung des 20. Jahrestages der DDR eine erhöhte Aktivität aus.
Offene Probleme:
Gegen welche Objekte richtete sich die Aufklärungstätigkeit der einzelnen Geheimdienste und der MVM im Besonderen?
Aus welchen Quellen stammen die Angaben über die Geheimdiensttätigkeit (IM oder Untersuchungsvorgänge), und in welchem Maße sind sie repräsentativ?
Was wird zur Einschränkung der Spionagemöglichkeiten unternommen?
2.7. Staatsfeindliche Gruppierungen
Gruppierungen mit staatsfeindlichem Charakter und entsprechender Zielsetzung wurden im Bezirk Erfurt nicht festgestellt.
Zwei sich im Jahre 1969 unabhängig voneinander herausbildende Gruppierungen (sechs Jugendliche in Heiligenstadt durch den neofaschistischen Einfluss der Westsender – zehn junge LDP-Mitglieder in Apolda, die sich gegen eine »Bevormundung« durch die SED wandten) wurden rechtszeitig zerschlagen.
2.8. Erscheinungen des Rowdytums und der Dekadenz
Bei den Delikten des Rowdytums zeichnete sich 1969 gegenüber dem Vorjahr eine steigende Tendenz ab, wobei die Handlungen überwiegend im Randalieren (was ist darunter zu verstehen?)5 auf öffentlichen Straßen und Plätzen und in der Belästigung von Bürgern bestehen.
Die jugendlichen Täter finden sich vorwiegend nach Tanzveranstaltungen mit Beatcharakter spontan zusammen und führen ihre Handlungen fast ausschließlich unter Alkoholeinfluss durch.
Die Initiatoren dieser Ausschreitungen sind überwiegend wegen Rowdytums und Körperverletzung vorbestrafte Jugendliche.
Organisierte Rowdygruppen sind nicht festgestellt worden.
Offene Probleme:
Was charakterisiert die angefallenen Jugendlichen und ihre Handlungen?
Ursachen und Motive ihres Auftretens sowie begünstigende Bedingungen.
Wirksamkeit eingeleiteter Maßnahmen zur Einflussnahme auf diese Jugendlichen, u. a. zur Isolierung der Initiatoren und strafrechtlichen wirksamen Erziehung derselben sowie zur Zurückdrängung der Ursachen und begünstigenden Bedingungen.
Eine steigende Tendenz wird auch bei der Verherrlichung und Nachahmung der westlichen dekadenten Lebensweise und Unkultur sichtbar.
Um sich dem Einfluss und der Kontrolle der Öffentlichkeit zu entziehen, finden sich die interessierten Jugendlichen meist zu Partys in Wohnungen oder speziell dafür eingerichteten Kellern und anderen Räumlichkeiten zusammen.
Westlichen Vorbildern entsprechende Kleidung und Verhaltensweisen sowie westliche Beatmusik bestimmen bei gleichzeitigem Alkoholgenuss den Charakter solcher Partys. Vielfach unterhalten solche Jugendlichen postalische Verbindungen zu Westsendern, Stars und Starclubs.
Der auf diese Weise wirksame westliche Einfluss spiegelt sich auch in den politischen Auffassungen und Äußerungen der Jugendlichen wider.
Für die aktivsten Zusammenschlüsse solcher Jugendlichen ist nicht nur eine bestimmte Regelmäßigkeit und Organisation der Zusammenkünfte, sondern auch das Streben nach enger Verbindung und Zusammenkünften mit Gruppen aus anderen Städten und Bezirken charakteristisch.
So trafen sich z. B. Beatanhänger des Bezirkes Erfurt anlässlich der Leipziger Frühjahrsmesse 19696 mit Beat-Anhängern aus Leipzig und Berlin.
Im November 1969 wurde in Utenbach, [Kreis] Apolda, eine Gruppe von sechs Jugendlichen zerschlagen, die sich »Dave-Dee-Club«7 nannten, regelmäßig westliche Beatsendungen abhörten, den Westsendern postalisch über ihre Clubtätigkeit berichteten und dabei um Anregungen zu »interessanter Gestaltung« baten.
Begünstigend wirkt sich aus, dass sich solche Jugendliche einer positiven ideologischen Einflussnahme entziehen oder von ihr weder in der Familie noch im Freizeitbereich und in Betrieben erfasst werden und sich selbst überlassen bleiben.
Offene Probleme:
Gibt es weitere Beispiele und Feststellungen zum überörtlichen Zusammentreffen dekadenter Jugendlicher?
Soziale Stellung und Herkunft sowie sonstige charakteristische Merkmale der Teilnehmer bzw. Mitglieder solcher Partygruppierungen.
Schwerpunkte.
3. Einschätzung des Einflusses der politisch-ideologischen Diversion
Der Einfluss der PiD erreichte die größten Auswirkungen bei den Personen, die mit staatsfeindlichen Handlungen angefallen sind.
Für diese Personenkreise ist der regelmäßige Empfang der Westsender oder die Unterhaltung postalischer Verbindungen nach Westdeutschland charakteristisch.
Eine Wirksamkeit, die an begrenzte strafbare Handlungen heranreicht, ist bei solchen Jugendlichen festzustellen, die sich an den bekannten Konzentrationspunkten oder bei Partys zusammenfinden und dabei die westliche Lebensweise und Unkultur verherrlichen und nachahmen.
Darüber hinaus spiegelt sich der Einfluss der PiD insbesondere unter solchen Personenkreisen wider, die sich durch bestimmte politische Ereignisse und Maßnahmen besonders angesprochen fühlen. Derartige Ereignisse veranlassen eine Vielzahl von Bürgern dieser Personenkreise, verstärkt die Meldungen der Westsender abzuhören.
Der Einfluss der PiD offenbart sich dabei unter den einzelnen Personenkreisen in folgenden Auffassungen, Argumenten und Verhaltensweisen:
(Hierzu sollte unter zusammenfassender Auswertung der in den beiden Halbjahresberichten unter Punkt II. 1. enthaltenen Angaben und der im Zusammenhang mit den Aktionen »Erfolg«8 und »Konfrontation«9 getroffenen Festlegungen eine entsprechende Übersicht über Inhalt, Breite und Wirksamkeit der Auffassungen, Argumente und Verhaltensweisen gegeben werden. Dazu sollte der aufgetretene Personenkreis etwas näher abgegrenzt werden, z. B. nicht Angehörige der medizinischen Intelligenz oder Studenten, sondern z. B. Angehörige der medizinischen Intelligenz mit intensiver Westverbindung oder bestimmter Objekte bzw. Studenten, die bereits während der ČSSR-Ereignisse negativ auftraten usw.)
Zur Lage an der Staatsgrenze West der DDR im Bezirk Erfurt
Die politisch-operative Situation an der Staatsgrenze West der DDR im Bezirk Erfurt ist gekennzeichnet durch
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einen ununterbrochenen, intensiven Druck des Gegners auf die Staatsgrenze zur DDR (Grenzprovokationen, Grenzverletzungen, Grenzzwischenfälle);
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einen Anstieg der Grenzdelikte und daran beteiligten Personen (DDR-Bürger) bei Angriffen auf die Staatsgrenze;
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eine weitere Erhöhung des Grades der Gesellschaftsgefährlichkeit bei Angriffen auf die Staatsgrenze (Delikte nach § 213 StGB,10 hoher Anteil Jugendlicher sowie Delikte, die von in Gruppen handelnden Personen begangen wurden); weitere steigende Tendenz des Anteils von Rückkehrern, Zuziehenden und Vorbestraften an Grenzdelikten.
Die Aktivitäten des militärischen und halbmilitärischen Gegners im grenznahen Raum (50 km) erhöhten sich.
Neben der Durchführung von Manövern und Übungen der Bundeswehr, von NATO-Kräften und der Grenzüberwachungsorgane wird ununterbrochen und systematisch eine intensive, alle Bewegungen und Veränderungen erfassende Aufklärungs- und Beobachtungstätigkeit an der Staatsgrenze zur DDR betrieben, werden Grenzprovokationen inszeniert und abgesichert.
Es ist ersichtlich, dass der Gegner im Rahmen der Strategie der flexiblen Reaktion dem grenznahen Raum nach wie vor erhöhte Bedeutung beimisst.
- –
8. bis 12.9.1969 Manöver »Großer Rösselsprung«11 mit 65 000 Teilnehmern im Raum Uelzen – Braunschweig – Göttingen – Fulda – Siegen – Paderborn);
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Westliches Vorfeld des Grenzregiments Mühlhausen: drei Fälle (erstmals) des Einsatzes won Angehörigen der Bundeswehr in ZGD- bzw. BGS-Uniform sowie in Zivilkleidung (bisher unbekannte Zielstellung);
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23.3.1970 verstärkte Aktivitäten von Einheiten des Panzer-Artillerie-Regiments 14 der US-Armee im Abschnitt Hillershausen;
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23.3.1970 vier Hubschrauber einer Einheit des PAR – 14 der US-Armee landen im Raum der Straße Tann – Andenhausen, 50 m von Staatsgrenze entfernt;
- –
zehn US-Angehörige nähern sich in Schützenkette der Staatsgrenze und gingen am Schlagbaum in Stellung.
Die Intensität des Gegners bei der Organisierung und Durchführung feindlicher Handlungen an der Staatsgrenze kommt auch in zunehmenden Aktivitäten des westdeutschen Geheimdienstes zum Ausdruck.
- –
Der Jugendliche [Name 1] aus Gotha hat Anfang 1969 die DDR ungesetzlich verlassen und kehrte im Juni 1969 zurück. Er wurde nicht inhaftiert. Bereits im Juli 1969 verließ [Name 1] mit weiteren drei Jugendlichen erneut die DDR.
- –
Nach Rückkehr eines Mittäters konnte erarbeitet werden:
- •
[Name 1] war im Auftrag des westdeutschen Geheimdienstes in die DDR gekommen, um weitere DDR-Bürger nach Westdeutschland zu schleusen,
- •
auftragsgemäß Jugendliche aus Gotha anschrieb und Hinweise für die Annäherung und Überwindung der Grenzsicherungsanlagen gab.
- •
Territoriale Schwerpunkte der Angriffe auf die Staatsgrenze im Bezirk Erfurt bilden die Kreise Heiligenstadt, Nordhausen und Eisenach.
Zu den einzelnen Grenzdelikten
1. Grenzprovokationen
Im Zeitraum 1.1.1969 bis 30.3.1970 erfolgten insgesamt 30 grenzprovokatorische Handlungen. Davon 18 Zerstören/Beschädigen von Grenzsicherungsanlagen, sechs Brandlegungen, sechs sonstige provokatorische Handlungen (Steinwürfe u. a.).
2. Grenzverletzungen
Die gegnerischen Grenzüberwachungskräfte haben in 96 Fällen die Staatsgrenze der DDR verletzt. Dabei erfolgten 80 provokatorische Grenzüberschreitungen bis zu einer Tiefe von 50 m, 16 Luftraumverletzungen.
Als Täter treten vorwiegend Jugendliche auf.
In mehreren Fällen hielten sich bei provokatorischen Grenzüberschreitungen durch Zivilpersonen Kräfte des BGS bzw. ZGD in unmittelbarer Nähe des Ereignisortes auf.
3. Grenzübertritte West – DDR (1.1.1969–31.3.1970)
Die Grenzübertritte West – DDR im Bezirk Erfurt verweisen mit insgesamt 77 Personen auf eine steigende Tendenz (I. [Quartal] 1969: 28; II. [Quartal] 1969: 37; I. [Quartal] 1970: 12). Dabei war zu erkennen, dass
- –
im Grenzsicherungssystem insgesamt;
- –
in der pionier-technischen Absicherung der Staatsgrenze;
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in der Dienstdurchführung der Angehörigen der NVA-Grenztruppen
Lücken bzw. Schwächen vorhanden sind, die zunehmend zielstrebig für die Organisierung feindlicher Handlungen genutzt werden.
Am 14.12.1969 hat der mehrfach vorbestrafte Rückkehrer [Name 2] die Staatsgrenze im Kreis Eisenach durchbrochen.
Aus Hinweisen wurde bekannt, dass seitens der westdeutschen Polizei zu dieser Zeit nach einer Person gefahndet wurde, deren Beschreibung auf [Name 2] zutreffend ist. [Name 2] wurde, eigenen Angaben zufolge, vom Zollkommissariat Obersuhl an die Staatsgrenze herangefahren.
Die Person hat nicht die Absicht, in der DDR zu verbleiben. Die genaue Durchbruchstelle konnte bis jetzt weder ermittelt werden noch machte [Name 2] darüber Angaben.
Bei der Mehrzahl der mit Grenzübertritt West – DDR angefallenen Personen handelt es sich um
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asoziale bzw. mehrfach vorbestrafte Elemente;
- –
Rückkehrer, gegen die gemäß § 213 StGB Haftbefehl vorlag;
- –
Personen, die keine Personalpapiere bei sich führten.
4. Grenzzwischenfälle (1.1.1969–31.3.1970)
4.1. Grenzzwischenfälle durch DDR-Bürger
Durch DDR-Bürger wurden folgende Grenzzwischenfälle verursacht:
- –
sechs Fälle der Kontaktaufnahme von DDR-Bürgern mit westdeutschen Zivilpersonen (Verwandte, nach vorheriger postalischer Vereinbarung des Zusammentreffens);
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1 573 Fälle des Verstoßes gegen die Grenzordnung (ständig steigende Tendenz seit Mitte 1969)
- •
Schwerpunkt Kreis Worbis und Heiligenstadt
- •
Fakten:
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Einreise ohne Passierschein
- –
Überschreitung Sperrstunden
- –
Privatreisen mit Dienst-Passierschein
4.2. Grenzzwischenfälle durch westdeutsche Bürger
Die von westdeutscher Seite inszenierten Grenzzwischenfälle tragen in den meisten Fällen offen provokatorischen Charakter. Mit den vielfältigsten Methoden der politisch-ideologischen Diversion wird versucht, zersetzenden Einfluss auf die Angehörigen der NVA-Grenztruppen und die Grenzbevölkerung auszuüben und die Staatsgrenze der DDR für die Verwirklichung ihrer aggressiven Pläne »durchlässig« zu machen. Seinen Ausdruck findet das in folgenden Handlungen:
- –
27 Fälle der Aufforderung zur Fahnenflucht,
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186 Fälle des Versuchs der Kontaktaufnahme,
- –
23 Fälle des Filmens/Fotografierens der Grenzsicherungsanlagen,
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sechs Fälle der Durchführung von Hetzkundgebungen im westlichen Grenzgebiet,
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43 000 Personen-Einweisungen12 (Militär- und Zivilpersonen) in die Lage an der Staatsgrenze der DDR,
- –
27 535 Stück eingeschleuster Hetzschriften.
Dabei gelang es dem Gegner, in einzelnen Fällen wirksam zu werden.
So erfolgten z. B. im Zeitraum November/Dezember 1969 durch 14 Angehörige der NVA-Grenztruppen in mehreren Fällen Kontaktgespräche mit Angehörigen des BGS, wobei u. a. Nahrungs- und Genussmittel als Geschenke entgegengenommen wurden.
Der gesamte 4. Zug der Grenzkompanie Weidenbach des GR Mühlhausen musste aus dem Grenzdienst herausgezogen und aus der Linieneinheit abgezogen werden.
Auch die im Zeitraum 1.1.1969 bis 31.3.1970 erfolgten 20 Fahnenfluchten von NVA-Angehörigen aus Einheiten der im Bezirk Erfurt stationierten Grenztruppen sind Ausdruck der Wirksamkeit des gegnerischen Einflusses.
Schwerpunkt bildet dabei vor allem das GR-Eisenach mit 50 % aller aus dem Bezirk Erfurt erfolgten Fahnenfluchten.
5. Vorbereitete, versuchte und gelungene ungesetzliche Grenzübertritte DDR –West durch DDR-Bürger. Staatsfeindlicher Menschenhandel
- –
Die Angriffe von DDR-Bürgern auf die Staatsgrenze des Bezirkes Erfurt mit dem Ziel des ungesetzlichen Grenzübertrittes nach Westdeutschland haben sich seit Mitte 1969 wesentlich erhöht.
- –
In der Gesamtheit dieser Delikte (vorbereitete, versuchte, gelungene ungesetzliche Grenzübertritte) zeigte sich am Ende des 2. Halbjahres 1969
- –
gegenüber dem 1. Halbjahr 1968 ein Anstieg um 7 %,
- –
gegenüber dem 2. Halbjahr 1968 ein Anstieg um 9 %,
- –
gegenüber dem 1. Halbjahr 1969 ein Anstieg um 37 %.
- –
Im Jahre 1969 sind mit 470 Delikten insgesamt 690 Personen operativ in Richtung geplanter, versuchter bzw. gelungener ungesetzlicher Grenzübertritt sowie staatsfeindlicher Menschenhandel angefallen.
- –
156 Delikte (= 33 %) wurden von mehr als einer Person gemeinschaftlich handelnd begangen.
- –
Personenmäßige Schwerpunkte
- a)
altersmäßig:
16 – unter 18 Jahre – 154 Personen
18 – unter 25 Jahre – 181 Personen = 48 %
- b)
Beschäftigungsbereiche:
Industrie – 261 Personen
Bildungs- und gesellschaftliche Einrichtungen – 115 Personen = 55 %
- c)
sonstige Persönlichkeitsmerkmale
Lehrlinge aller Beschäftigungsbereiche – 99 Personen = 15 %
Vorbestrafte – 83 Personen = 12 %
davon Rückfalltäter – 61 Personen = 9 %
Rückkehrer/Zuziehende – 43 Personen = 6 %
- a)
Stand der Bearbeitung dieser Delikte in operativ-Vorgängen und Vorlaufakten operativ
Im Jahre 1969 wurden insgesamt 226 Personen wegen Grenzdelikten operativ bearbeitet. Davon 122 (= rund 50 %) in OV/VA-operativ.
Insgesamt konnte 1969 bei 121 Personen (= 53 %)
- –
durch Haft: 34 Personen
- –
ohne Haft: 16 Personen
- –
durch Werbung:13 3 Personen
- –
durch Übergabe DVP: 10 Personen
- –
durch Übergabe an gesellschaftliche Rechtspflegeorgane: 3 Personen
- –
durch Einstellung wegen Geringfügigkeit: 3 Personen
- –
durch Einstellung wegen Nichtbestätigung: 32 Personen
- –
aus sonstigen Gründen: 18 Personen
- –
durch Übergabe an andere Diensteinheiten des MfS: 2 Personen
Im Gesamtjahr 1969 wurden (laut operativer Statistik des MfS) wegen Delikten des geplanten, versuchten und gelungenen ungesetzlichen Grenzübertrittes durch die Organe der DVP des Bezirkes Erfurt 351 Personen inhaftiert.
5.1. Vorbereitete (geplante) ungesetzliche Grenzübertritte
Im Zeitraum 1.1.1969 bis 31.3.1970 wurden im Stadium Vorbereitung zum ungesetzlichen Grenzübertritt insgesamt 53 Personen durch die Sicherheitsorgane festgenommen.
Diese relativ niedrige Aufklärungsquote im Vorbereitungsstadium hat ihre Ursachen u. a. in
- –
der ungenügenden Bearbeitung und Kontrolle von Rückkehrern und Erstzuziehenden;
- –
der nur oberflächlichen Aufklärung und operativen Bearbeitung von Rückverbindungen;
- –
dem noch nicht immer zielstrebigen Einsatz des IM-Systems (ca. 50 % aller Täter aus dem Bezirk Erfurt kommen aus Hinterlandkreisen).
5.2. Versuchte ungesetzliche Grenzübertritte DDR – West
Im Zeitraum 1.1.1969 bis 31.3.1970 wurden im Bezirk Erfurt 523 Personen beim Versuch, die DDR über die Staatsgrenze zu Westdeutschland ungesetzlich zu verlassen, festgenommen.
Der Anteil der davon aus dem Bezirk Erfurt kommenden Personen (Wohnort im Bezirk) beträgt rund 50 %.
Dabei bilden die Kreise Gotha (ca. 14 %, Erfurt 10 % und Mühlhausen 8 % territoriale Schwerpunkte). Die Delikte des versuchten ungesetzlichen Grenzübertrittes im Raum des Bezirkes Erfurt sind im 2. Halbjahr 1969 im Verbleich zum 2. Halbjahr 1968 um 17 % und 1. Halbjahr 1969 um 33 % angestiegen.
Insgesamt lässt die Analyse dieses Deliktes erkennen, dass
- –
nicht nur eine Erhöhung des Umfanges, sondern gleichlaufend ein höherer Grad der Gesellschaftsgefährlichkeit gegeben war;
- –
in zunehmendem Maße mehrere Personen gemeinsam handelnd anfielen (ca. 55 % aller Täter);
- –
von den Tätern größtenteils Hilfsmittel zur Orientierung im Gelände sowie zur Überwindung der Grenzsicherungsanlange mitgeführt wurden;
- –
mehrere Täter im Besitz von Gegenständen waren, die geeignet erscheinen, terroristische Handlungen gegen die Grenzsicherungskräfte durchzuführen.
In zunehmendem Maße muss festgestellt werden, dass die Täter ihre Handlung systematisch und zielstrebig vorbereiten. So wurden z. B. Geländeverhältnisse, Grenzsicherungsanlagen und Postenbewegungen beobachtet und aufgeklärt, Fahrkarten bei der Deutschen Reichbahn etappenweise gekauft, Versteckmöglichkeiten in Reisezügen erkundet und anderes.
Der Anteil jugendlicher Täter (bis 25 Jahre) lag 1969 bei 75 % und stieg bis zum Monat Februar 1970 auf 87 % aller Täter an.
Die Wirksamkeit der Grenzsicherungsmaßnahmen in der Gesamtheit bei Delikten des Versuchs des ungesetzlichen Grenzübertrittes vermittelt folgende Übersicht:
Festnahmen durch: | I. Halbjahr 1969 | II. Halbjahr 1969 | – 28.2.69 |
---|---|---|---|
NVA-Grenze | 20,3 % | 10 % | 3 % |
DVP | 33,8 % | 45,9 % | 48 % |
Trapo | 23,8 % | 28,9 % | 29 % |
MfS | 6,9 % | 8,7 % | 10 % |
Gesellschaftliche Kräfte | 14,9 % | 6,2 % | 14 % |
Rund 80 % aller Täter konnten vor dem Eindringen in den 500-m-Schutzstreifen14 festgenommen werden.
In Durchführung ihres geplanten ungesetzlichen Grenzübertrittes wurden von den Tätern vielfältige Möglichkeiten des Erhalts gezielter Informationen für ein Gelingen des Verbrechens genutzt.
Dazu gehören vor allem:
- –
Hinweise aus Rückverbindungen von Personen, die die DDR bereits ungesetzlich verlassen haben;
- –
Abschöpfung von ehemaligen Angehörigen der NVA-Grenztruppen;
- –
Kontakte zu Angehörigen der NVA-Grenztruppen, im engen Zusammenhang mit Erscheinungen der Vernachlässigung der revolutionären Wachsamkeit bzw. Preisgabe von Dienstgeheimnissen;
- –
Aufsuchen von Gast- und Raststätten auf dem Wege zur Staatsgrenze und Abschöpfung ortskundiger Personen.
Bekannt gewordene territoriale und ökonomische Schwerpunkte
Bürger des Kreises Gotha fielen besonders im 2. Halbjahr 1969 in zunehmendem Maße bei Angriffen auf die Staatsgrenze der DDR an, sodass sich dieser Kreis im Bezirk Erfurt als Schwerpunkt herausbildete.
Gegenüberstellung von Tätern aus dem Kreis Gotha:
2. [Quartal] 1969 | 25 Personen | 2. [Quartal] 1968 | 11 Personen |
---|---|---|---|
1. [Quartal] 1969 | 18 Personen | 1. [Quartal] 1968 | 18 Personen |
insgesamt | 43 Personen | [insgesamt] | 29 Personen |
Gegenüber dem Jahr 1968 stieg der Täteranfall aus diesem Kreis um ca. 48 % im Jahre 1969 an.
5.3. Gelungene ungesetzliche Grenzübertritte DDR – West
Im Zeitraum vom 1.1.1969 bis 31.3.31970 gelang es 117 Personen, die DDR ungesetzlich über die Staatsgrenze nach Westdeutschland im Bezirk Erfurt zu verlassen.
Schwerpunktrichtung bildeten Grenzabschnitte im Kreis Heiligenstadt.
Grenzdurchbruch der Familie [Name 3] (zehn Personen) unter Führung eines ehemaligen Angehörigen der NVA-Grenztruppen am 23.8.1969.
Es wird eingeschätzt, dass die von westdeutschen Publikationsorganen besonders im 2. Halbjahr 1969 verstärkt betriebene Hetze gegen die DDR – und besonders die Sicherung der Staatsgrenze – sowie die breite Propagierung erfolgter Grenzdurchbrüche in Presse, Funk und Fernsehen (so z. B. der Grenzdurchbrüche [Name 3] und [Name 4]) bei einem Teil der Bevölkerung Auswirkungen zeigte, die sich in einer Verstärkung des Druckes und der Angriffe auf die Staatsgrenze im Bezirk Erfurt äußerten.
Durch Vernehmungen von Grenzverletzern sowie der Aufklärung von Grenzdurchbrüchen bestätigten sich die Auswirkungen der politisch-ideologischen Diversion.
Die ungesetzlichen Grenzübertritte im Bezirk Erfurt sind im 2. Halbjahr 1969 gegenüber dem 2. Halbjahr 1968 um 18,4 % und dem 1. Halbjahr 1969 um 26,6 % angestiegen.
60 % der Täter waren im Bezirk Erfurt wohnhaft, davon über 50 % im grenznahen Raum und damit über die örtlichen Verhältnisse, Verlauf und Sicherung der Staatsgrenze sowie die Postenbewegung informiert.
In zunehmendem Maße zeichnet sich ab, dass ehemalige Angehörige der bewaffneten Kräfte an derartigen Delikten als Täter beteiligt sind bzw. deren Kenntnisse von der Situation an der Staatsgrenze abgeschöpft werden.
Gleichzeitig wirkt die Vernachlässigung der Wachsamkeit durch Angehörige der NVA-Grenztruppen, Erscheinungen der mit Geltungsbedürfnis motivierten Schwatzhaftigkeit begünstigend auf ungesetzliche Grenzübertritte ein.
Der Grad der Gesellschaftsgefährlichkeit dieser Delikte erhöhte sich.
Das zeigt sich an der Begehung der Tat in Gruppen (meist zwei Personen), dem Mitführen von Hilfsmitteln zur Überwindung der Grenzsicherungsanlagen.
Im Ergebnis der Untersuchung der gelungenen ungesetzlichen Grenzübertritte ist einzuschätzen, dass noch vorhandene Lücken und Schwächen im Grenzsicherungssystem begünstigend wirken:
- –
Lücken in den pionier-technischen Anlagen;
- –
Mängel in der Dienstdurchführung der NVA/G, der Trapo und VP.
Weitere begünstigende Faktoren für Angriffe auf die Staatsgrenze zeigten sich in
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der ungenügenden Beachtung von Konfliktsituationen im persönlichen Leben der Täter – durch staatliche und gesellschaftliche Organe;
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teilweise fehlender Effektivität der Tätigkeit der Kommissionen Ordnung und Sicherheit;15
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die Erziehungsträger der angefallenen Täter (Eltern, Lehrer, Ausbilder); werden ihren Erziehungsaufgaben (-pflichten) nicht gerecht.
Das zeigt sich ganz besonders bei den durch Jugendliche im Alter bis zu 25 Jahren begangenen ungesetzlichen Grenzübertritten (= insgesamt 80 %), wo sich auf die Entschlussfassung zur Tat, neben den Einwirkungen der politisch-ideologischen Diversion, z. B. solche Faktoren als vorrangig für den Anlass erwiesen:
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persönliches Versagen in Schule oder Beruf;
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asoziales Verhalten (Arbeitsbummelei);
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Angst vor Strafen wegen begangener krimineller Delikte;
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andere gesellschaftswidrige Verhaltensweisen.
Sonstige, für die Einschätzung der politisch-operativen Situation an der Staatsgrenze bedeutsame Faktoren
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In allen Grenzkreisen des Bezirkes Erfurt traten seit August 1969 in starkem Maße Gerüchte und Diskussionen über Probleme der Grenzordnung auf.
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Im Mittelpunkt standen Fragen der
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Erleichterung des Reiseverkehrs in das Grenzgebiet (Sperrgebiet)
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Aufhebung des Sperrgebietes
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Aufhebung der Sperrzeiten u. a.
Seit der Bildung der Brandt/Scheel-Regierung16 ist eine weitere Erhöhung derartiger Diskussionen feststellbar.
Der Befehl 104/69 des Ministers für Nationale Verteidigung über die einheitliche und straffe Durchsetzung des Grenzregimes führte – bedingt durch eine ungenügende politisch-ideologische Vorbereitung/Aufklärung der Grenzbevölkerung sowie durch teilweise dogmatische und willkürliche Auslegung bei der Durchsetzung – in nicht wenigen Grenzkreisen zu Verärgerungen und Protesten der Grenzbevölkerung.
6. Staatsfeindlicher Menschenhandel
In Richtung staatsfeindlicher Menschenhandel wurden 1969 insgesamt 56 Personen operativ bearbeitet.
Die Bearbeitung wurde in allen Fällen in OV bzw. VA-operativ durchgeführt.
Bei insgesamt 28 Personen wurde die Bearbeitung mit folgendem Ergebnis abgeschlossen:
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sechs Personen EV mit Haft
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zehn Personen EV ohne Haft
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drei Personen Werbung
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zwei Personen Übergabe an andere Diensteinheiten des MfS
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eine Person Übergabe VP
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fünf Personen Einstellung wegen Nichtbestätigung
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eine Person Einstellung aus sonstigen operativen Gründen
Im Zuge der Vorgangsbearbeitung wurden Hinweise auf die Mitwirkung von Schleuserorganisationen bekannt.
In einem Fall erfolgte die Ausschleusung einer 17-jährigen DDR-Bürgerin aus Eisenach durch Verstecken in einem Koffer mittels Pkw durch einen westdeutschen Bürger über die GÜST Gerstungen.
Hinsichtlich der Ausnutzung von Reisen in das sozialistische Ausland mit dem Ziel des ungesetzlichen Verlassens der DDR zeichnet sich eine steigende Tendenz ab.
So haben 1969 insgesamt
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13 DDR-Bürger aus dem Bezirk Erfurt die DDR über das sozialistische Ausland verlassen;
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63 DDR-Bürger den Versuch (Festnahme) unternommen;
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16 DDR-Bürger Vorbereitungshandlungen in dieser Richtung getroffen.
In den meisten Fällen erfolgten diese Handlungen bei Reisen in die ČSSR (85 %).
Der Anteil Jugendlicher an diesen Delikten liegt bei 75 %.
Hinweise:
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hier vorliegende Angaben lückenhaft;
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Ergänzung zu 1970 erforderlich.
7. Zur Situation im grenzüberschreitenden Reiseverkehr, auf den Transit- und Verbindungswegen
Im Zeitraum 1.1.1969 bis 31.12.1969 wurden eine Vielzahl von Kontakthandlungen im sozialistischen Ausland sowie auf den Transit- und Verbindungswegen bekannt.
Im Rahmen der operativen Tätigkeit konnten 1969 – mit Schwerpunkt zu den Zeiten der Leipziger Messe17 – insgesamt 129 Fälle der Kontaktaufnahme von Bürgern des Bezirkes Erfurt zu westdeutschen und Westberliner Bürgern bzw. Ausländern (in der Regel Zusammentreffen auf Autobahnen) im Bezirk Erfurt und 133 Fällen außerhalb des Bezirkes Erfurt erkannt werden.
Territoriale Schwerpunkte bildeten dabei die Städte Erfurt, Weimar, Gotha und Eisenach.
Insgesamt 328 Personen (DDR-Bürger aus Bezirk Erfurt) wurden beim Mitfahren in Kfz aus Westdeutschland/Westberlin bzw. dem nichtsozialistischen Ausland bekannt.
8. Verhalten von Personen während Reisen in das sozialistische Ausland
Im Jahre 1969 wurden 218 Hinweise auf Treffs, Zusammenkünfte bzw. Kontaktaufnahmen von DDR-Bürgern aus dem Bezirk Erfurt mit Bürgern Westdeutschlands/Westberlins und dem kapitalistischen Ausland während Touristen- oder Einzelreisen in das sozialistische Ausland bekannt.
Schwerpunkte:
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VR Bulgarien – 75 %
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VR Ungarn
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ČSSR
Im gleichen Zeitraum wurden 16 Hinweise auf die Vorbereitung derartiger Treffs bekannt.
Weitere 25 Hinweise beinhalten verdächtige Verhaltensweisen von DDR-Bürgern während Reisen in das sozialistische Ausland (Absondern von Reisegruppen, kurzfristige Entfernungen aus Unterkünften ohne Angaben des Grundes u. a.).
Hinweis:
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operative Erkenntnisse fehlen (Ergebnisse der Bearbeitung);
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Zahlenmaterial von 1970 fehlt.
Probleme ökonomischer Störtätigkeit – Bezirk Erfurt
Die Hauptform der gegnerischen Tätigkeit gegen die Volkswirtschaft ist die ökonomische Störtätigkeit. Die Mittel und Methoden sind sehr unterschiedlich und nehmen laufend neue Formen an.
Die ökonomische Störtätigkeit gegen den Bezirk Erfurt konzentriert sich im Wesentlichen auf Objekte der Strukturlinien
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Elektronische Datenverarbeitung
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Nachrichtentechnik
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Mikroelektronik
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Chemieanlagenbau
Das Wirken des Gegners erstreckt sich – soweit bisher mit politisch-operativen Mitteln erarbeitet – vor allem auf
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Versuche der zielgerichteten Informationsbeschaffung,
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Versuche der unmittelbaren Störung der Außenwirtschaftsbeziehungen von Betrieben des Bezirkes Erfurt,
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Eindringen in das sozialistische Wirtschaftssystem unter Ausnutzung der Wirtschaftsbeziehungen nach der DDR,
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Lieferung funktionsuntüchtiger und störanfälliger Maschinen und Geräte
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(z. B. Gründung eines »Büros für Osthandel« in Westberlin im Bereich der Strukturlinie Elektronische Datenverarbeitung;
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Versuche der Fa. Lindner GmbH, Bamberg,18 Einfluss auf Produktion und Profil der DDR-Elektroinstallation zu gewinnen;
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Versuche der Störung der sich günstig anbahnenden Wirtschaftsbeziehungen des Uhrenkombinates Ruhla nach Italien;
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Ausfall von Aggregaten vorwiegend folgender Firmen
Renk, Augsburg19
Sunvic/WD20
Seeberg/WD21
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Versuche der Abwerbung von Fachkräften aus Generalvertretungen und Kundendienststützpunkten im kapitalistischen Ausland;
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Versuche der Beeinflussung und Ausnutzung von Reisekadern, die sich im NSW aufhalten)
Schwerpunkte der politisch-operativen Arbeit sind dabei solche Kombinate wie
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Zentronik, Funkwerk Erfurt, Chemieanlagenbau Erfurt-Rudisleben, Umformtechnik Erfurt, Elektroinstallation Sondershausen sowie der
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VEB Starkstromanlagenbau Erfurt und Betriebe des Bauwesens.
Nachweislich strafbare Handlungen der Sabotage und Schädlingstätigkeit sowie der Diversion aus dem Berichtszeitraum liegen nicht vor.
Es sind Vorgänge in Bearbeitung, die in einigen Fällen diesen Nachweis erbringen sollen.
Darüber hinaus liegt eine Anzahl von Fällen vor, wo staatliche Aufgaben nicht bzw. unzulänglich durchgeführt werden (z. B. VEB Starkstromanlagen Bau, Optima Büromaschinenwerk Erfurt, Kombinat Umformtechnik).
Wie bereits angeführt, spielen gegnerische Kontaktversuche, die sich gegen Objekte der Volkswirtschaft des Bezirkes Erfurt richten, nach wie vor eine Rolle.
In erster Linie werden dazu Messen und Ausstellungen sowohl in der DDR als auch insbesondere im NSW genutzt.
Besonders in Erscheinung getreten sind dabei solche Firmen wie
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ICL-Konzern22
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Siemens
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Standard-Elektrik-Lorenz23
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Luwa-Konzern24
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Linde-Konzern25
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Torpedo-Büromaschinenwerk GmbH
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Träger, Lübeck26
Nach bisherigen Einschätzungen sollen die Versuche des Gegners offensichtlich benutzt werden, um
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in den Besitz wissenschaftlicher, technischer, kommerzieller und ökonomischer Informationen zu gelangen,
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den eigenen Vorteil zu erhöhen und
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in Einzelfällen Reisekader der DDR abzuwerben.
Insbesondere bei der Abschöpfungstätigkeit spielen auch westdeutsche Fachverlage eine gewisse Rolle.
Brände und Störungen im Bezirk Erfurt in der Zeit vom 1.1.1969 bis 31.3.1970
Brände insgesamt 144 mit 4,681 Mio. Mark Sachschaden.
Davon u. a.
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vorsätzliche Handlungen – sechs mit 28 800 Mark Schaden,
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vermutlich vorsätzliche Handlungen – vier mit 20 800 Mark Schaden,
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fahrlässige Handlungen – 51 mit 2,3 Mio. Mark Schaden,
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Ursache unbekannt – fünf mit 62 000 Mark Schaden,
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Ursache nicht restlos geklärt – fünf mit 545 000 Mark Schaden.
Bei den vorsätzlichen Handlungen lagen keine staatsfeindlichen Motive vor. (Motive meist Verärgerung, Arbeitsunlust, persönliche Differenzen)
Die größte Schadenssumme (900 TM) entstand am 13.3.1970 bei einem Brand in der GHG Möbel und Kunstwaren Erfurt. (Ursache: Fahrlässigkeit bei Schweißarbeiten)
Störungen insgesamt 22 mit 353 800 Mark Sachschaden.
Davon u. a.
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vorsätzliche Handlungen – zwei (kein Sachschaden),
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vermutlich vorsätzliche Handlungen – einmal mit 100 TM Schaden,
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Fahrlässigkeit – sieben mit 210 700 Mark Schaden,
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Ursache unbekannt – zwei mit unbekanntem Sachschaden.
Bei der vermutlich vorsätzlichen Handlung handelt es sich um Beschädigung von Exponaten des VEB Fernmeldewerk Arnstadt, die in die Sowjetunion geliefert wurden (Operativ-Vorlauf KD Arnstadt).
Staatsfeindliche Motive bei vorsätzlichen Handlungen liegen nicht vor.