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Probleme an der Akademie für Staat und Recht, Potsdam Babelsberg

8. Januar 1970
Information Nr. 28/70 über einige Probleme zur Situation an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften »Walter Ulbricht«, Potsdam-Babelsberg

Das MfS erhielt inoffiziell Hinweise über einige, die Situation an der DASR1 kennzeichnende Probleme.

Die Hinweise betreffen insbesondere die Leitungstätigkeit und das Verhalten des Rektors, Gen. Prof. Dr. Arlt,2 sowie politisch-ideologische Unklarheiten und Intrigen in der Abt. Auslandsinformationen der DASR und sind nach unserer Auffassung für eine Einschätzung der Situation an der DASR von Bedeutung.

Im Einzelnen handelt es sich um folgende Hinweise:

Auf der Grundlage der Festlegungen der Hochschulreform3 sei an der DASR die Neubildung der Sektionen abgeschlossen worden, ohne dass sich bereits entsprechend der neuen Struktur und Aufgabenstellung der DASR eine aufeinander abgestimmte und komplexe Arbeitsweise durchgesetzt habe.

Aufgrund einer nicht klaren Abgrenzung der Aufgabenstellung der einzelnen Sektionen und fehlenden Zusammenarbeit zwischen ihnen gebe es an der DASR keine zielgerichtete Forschungstätigkeit.

Infolge ungenügender Durchdenkung der neuen Aufgaben mussten entgegen den bisherigen Strukturfestlegungen vielfach Kaderveränderungen bzw. Umsetzungen vorgenommen werden.

Die Ursachen für diese Situation sollen entsprechend den dem MfS zugegangenen Hinweisen in der Leitungs- und Führungstätigkeit sowie in charakterlichen Schwächen des Rektors, Gen. Prof. Dr. Arlt, begründet sein.

Gen. Prof. Dr. Arlt dulde – bedingt durch solche charakterlichen Schwächen wie Selbstherrlichkeit, Egoismus, übersteigertem Ehrgeiz und ausgeprägtem Selbstbewusstsein – keinen Widerspruch gegen seine Entscheidungen und Festlegungen. Das führe unter den Mitarbeitern zu Tendenzen der Ängstlichkeit gegenüber der Leitung und zur Hemmung der Eigeninitiative.

Gen. Arlt lehne jede an ihm und an seinen Charakterschwächen geübte Kritik ab und nehme jede sich bietende Gelegenheit wahr, um gegen die ihn kritisierenden Genossen vorzugehen. In dieser Hinsicht trete Gen. Arlt besonders gegen die Genossen Prof. Schöneburg,4 Dr. Loose5 und Prof. Renneberg6 auf.

Entsprechend einer von Gen. Arlt Anfang 1968 herausgegebenen Anweisung dürfen sich Mitarbeiter der DARS ohne Genehmigung der Leitung der DARS weder schriftlich noch mündlich öffentlich äußern.

Gen. Arlt sei bestrebt, eine wissenschaftlich führende Position innerhalb der DDR einzunehmen und Einfluss auf die Politik unseres Staates auf dem Gebiet von Staat und Recht zu gewinnen.

In politischer Hinsicht fühle er sich als zentraler Führungskader und äußere sich aus dieser Einstellung heraus abfällig über führende Genossen unserer Partei. So vertrete er die Ansicht, dass es Gen. Walter Ulbricht7 verabsäumt habe, sich einen Nachfolger von Qualität heranzuziehen. Gen. Ulbricht sei von einer Gruppe Befehlsempfänger umgeben, die nicht die notwendigen Fähigkeiten besitzen würden.

Der Leiter der Kulturabteilung des ZK der SED, Gen. Hochmuth,8 verstehe nach Ansicht Arlts zwar etwas von Literatur, habe jedoch offensichtlich von einer richtigen Leitungstätigkeit und Kaderpolitik keine Ahnung.

Auffällig sei, dass Gen. Arlt seit einiger Zeit keine öffentlichen Stellungnahmen zu aktuellen politischen Fragen, wie z. B. zu den Notstandsgesetzen in Westdeutschland,9 gegeben habe.

Gegenüber der Entwicklung in der Sowjetunion besitze Gen. Arlt offensichtlich ideologische Vorbehalte. So habe er die Ansicht vertreten, dass der Lebensstandard in der Sowjetunion schlechter werde, da die Umstellung der sowjetischen Volkswirtschaft mit sehr großen Schwierigkeiten verbunden wäre. Die Ursachen dafür beständen nach Meinung des Gen. Arlt darin, dass die Sowjetunion die kapitalistische Entwicklungsstufe mit ihrer Effektivität, Arbeitsproduktivität und Disziplin nicht durchlief und dass alles nach wie vor auf Befehl erfolge und wenig Initiative zu spüren sei. Die Leitung von Staat und Wirtschaft erfolge ausschließlich durch den Parteiapparat, der mit dem Regierungsapparat fast identisch sei und ohne ernsthafte Beratungen lediglich mit Befehlen und Anweisungen regiere.

Aufgrund des Verhaltens des Gen. Arlt sei gegenwärtig die Situation in der DARS dadurch gekennzeichnet, dass eine Reihe von Mitarbeitern immer seltener offen und ehrlich ihre Meinung, vor allem auch über den Gen. Arlt, darlegen, da persönliche Nachteile befürchtet werden.

Weitere Hinweise besagen, dass es bei einigen Mitarbeitern in der Abteilung Auslandsinformation der DARS politisch-ideologische Unklarheiten und zum Teil sogar negative politische Ansichten gebe. Diese Mitarbeiter seien, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität, bestrebt, die gesamte Arbeit der Abt. Auslandsinformation der DARS künftig losgelöst, eigenständig und ohne Einflussnahme staatlicher und parteilicher Organe (speziell der Abt. Auslandsinformation beim ZK der SED) zu gestalten.

Initiator und Wortführer dieses Personenkreises sei Dr. Amandus Wulf,10 dem es in gewissem Maße gelungen sei, die wissenschaftlichen Mitarbeiter Kubiczeck,11 [Name 1] und Oesterheld12 auf seine Seite zu ziehen, die Genossin Dr. Kelbert-Girard13 weitgehend zu isolieren und die Mitarbeiterin [Name 2] zu einer indifferenten Haltung zu veranlassen.

Aus den vorliegenden Hinweisen über Dr. Wulf geht hervor, dass er im Zusammenhang mit der Einschätzung der Ergebnisse des 2. Weltkrieges die Ansicht vertritt, dass das »Nationalkomitee Freies Deutschland«14 falsche Parolen herausgab, denen ein internationalistischer Standpunkt, der mehr deutsche Soldaten auf die Seite der Sowjetunion gezogen hätte, fehlte.

Auch nach 1945 sei die Politik der Sowjetunion wenig vom Geist des Internationalismus geleitet gewesen. Es wäre besser gewesen, die Deutschen in den Ostgebieten wohnen zu lassen, denn dann würde das sozialistische Lager heute über 30 Millionen Deutsche verfügen, stattdessen seien 15 Millionen Deutsche nach dem Westen gegangen und dienen jetzt dem Imperialismus.

Dr. Wulf vertrete weiterhin die Meinung, dass die Entwicklung in der DDR nur deshalb so erfolgreich gewesen sei, weil sie oftmals nicht mit dem Willen der Sowjetunion parallel gelaufen wäre. Das habe bereits Gen. Breschnew15 anerkennen müssen.

Gegenüber dem Grundmodell des Sozialismus in der Sowjetunion habe sich die in der DDR eingeschlagene Variante als die erfolgreichste erwiesen, weshalb die Sowjetunion auch die DDR als gleichberechtigten Partner anerkenne.

Dr. Wulf sei sehr am Empfang beider Westfernsehprogramme interessiert und gebe in Gesprächen offen zu, dass auch sein Sohn das Westfernsehen empfangen darf.

Wie bekannt wurde, hat Dr. Wulf den früheren Leiter der Abt. Auslandsinformation an der DARS, Lange,16 aufgefordert, beim Gen. Feist17 durchzusetzen, dass sich alle Mitarbeiter der Abt. Auslandsinformation offiziell das 2. Programm des Westfernsehens einbauen lassen können.

Im Zusammenhang mit der Überarbeitung einer Studie zur auslandspropagandistischen Rundfunkarbeit des deutschen Imperialismus18 habe Dr. Wulf erklärt, dass er dabei eine Reihe von Mitarbeitern des nazistischen Propagandaapparates »entnazifizieren« werde, so z. B. Hadamovsky19 (Reichssendeleiter des faschistischen Rundfunks) und Hans Fritzsche20 (Chefkommentator im faschistischen Rundfunk).

Diese Personen hätten es mit den sozialen Parolen der Naziführung ernst gemeint und wären deshalb den Nazis ideologisch zum Opfer gefallen. Deshalb seien sie eigentlich keine Nazis, sondern nur Werkzeuge der Monopolbourgeoisie gewesen.

Seit mehreren Monaten würden in der Abt. Auslandsinformation Diskussionen geführt mit dem Ziel, die vor etwa zwei Jahren vom ZK der SED festgelegte Richtung der Forschungs- und Lehrtätigkeit zu verändern.21

Forschungsschwerpunkte und Struktur der Abteilung sollen nach folgenden Gesichtspunkten neu gegliedert werden:

Je eine Arbeitsgruppe für kapitalistische Länder, sozialistische Länder und Entwicklungsländer sowie integriert in die Arbeitsgruppe kapitalistische Länder zwei Mitarbeiter als Grundsatzabteilung.

In diesem Zusammenhang soll die Genossin Kelbert-Girard auf Betreiben von Dr. Wulf aus der Abteilung ausscheiden.

Eine im August 1969 vom Leiter der Abt. Auslandsinformation, Gen. Dr. Dengler,22 vorgelegte »Mustervorlesung« zu inhaltlichen Fragen der Auslandsinformation, die nicht in jeder Hinsicht den gestellten Anforderungen entsprach, wurde von Dr. Wulf, Kubiczeck, [Name] und Oesterheld zum Anlass für die genannten Diskussionen genommen.

Es sei in diesem Zusammenhang zu Auseinandersetzungen zwischen Dr. Wulf und Dr. Dengler gekommen.

Während einer Dienstbesprechung im September 1969 habe Dr. Dengler erklärt, dass er lange überlegt hätte, ob er überhaupt eine wissenschaftliche Institution wie die betreffende Abteilung leiten könne und ob nicht eine eventuelle Strukturveränderung notwendig sei.

Daraufhin sei von dem Personenkreis um Dr. Wulf die Bildung der genannten Arbeitsgruppen vorgeschlagen und festgelegt worden, dass die Arbeitsgruppen ihre Leiter selbst wählen. Entsprechend diesem Vorschlag seien schließlich die Mitarbeiter als Arbeitsgruppenleiter vorgeschlagen worden, die am engsten mit Dr. Wulf verbunden sind.

Nachdem Dr. Dengler in einer späteren Dienstbesprechung die Meinung der Abt. Auslandsinformation beim ZK der SED dargelegt hatte, dass die Umstrukturierung falsch sei und die Arbeitsaufgaben anders gestellt werden müssten, habe sich der Personenkreis um Dr. Wulf dagegen gewandt.

Dr. Wulf, Kubiczeck und [Name] seien zusammengekommen, um sich konzeptionell auf die angekündigte Beratung mit den Mitarbeitern der Abt. Auslandsinformation des ZK vorzubereiten, die mit administrativen Mitteln versuchen würden, ihre Meinung durchzusetzen.

Die vom Gen. Feist gegenüber Gen. Dengler gemachten Bemerkungen seien keine Argumente und Gen. Feist werde sich bei seinem Besuch in Babelsberg mit den Argumenten von Dr. Wulf und seinen Anhängern auseinandersetzen müssen. Gen. Feist habe selbst keine klare Konzeption, aber er (Dr. Wulf) werde dem ZK schon die strategische Konzeption erarbeiten.

Wie aus den vorliegenden Hinweisen weiter hervorgeht, wird von Dr. Wulf und anderen Mitarbeitern der Abt. Auslandsinformation das dialektische Wechselverhältnis zwischen Theorie und Praxis missachtet.

In überheblicher Art vertrete Dr. Wulf die Ansicht, dass die Wissenschaftler den Praktikern erst einmal klar machen müssen, was die Praktiker eigentlich tun müssen.

Die Praktiker in den auslandsinformatorischen Instituten der DDR seien nach seiner Meinung dumm und ungeschickt, besäßen keine Klassenposition und wären keine Internationalisten. Die Praktiker seien nicht in der Lage, die Theorie zu meistern und die Abt. Auslandsinformation könne sich daher nicht auf die Forderungen der Praxis einlassen. Die DARS müsse die Grundsatzfragen lösen, nach denen sich die Praxis zu richten habe.

Ähnliche Ansichten würden auch von Kubiczeck, [Name], Oesterheld und dem bisherigen stellvertretenden Abteilungsleiter, Manfred Hauck,23 vertreten.

Im Zusammenhang mit einer Untersuchung der Konzeption der Gesellschaft »Neue Heimat«24 durch Dr. Wulf habe sich dieser in sehr abfälliger und provokatorischer Art über die Tätigkeit der Gesellschaft geäußert.

Nach seiner Meinung arbeite die Gesellschaft völlig konzeptionslos. Die Gesellschaft wende sich nur an Persönlichkeiten deutscher Herkunft, die Einfluss auf die Regierungen ihrer Gast- bzw. Heimatländer, jedoch keinen Einfluss auf die werktätigen Massen haben. Ihm sei nicht klar, was Gen. Feist mit diesen Leuten erreichen will, mit denen wir grundsätzlich keine gemeinsame Sprache fänden.

Er stelle weiter die Frage, wie die DDR eine sozialistische Deutschtum-Propaganda begründen will. Die DDR würde damit eine Wettbewerbssituation mit Westdeutschland schaffen und verlieren, weil Westdeutschland der DDR finanziell überlegen sei.

Die Information ist nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.

  1. Zum nächsten Dokument Gesprächshinweise für Unterredung mit dem KGB

    [ohne Datum]
    Hinweise für ein Gespräch des Genossen Minister mit führenden Vertretern der sowjetischen Sicherheitsorgane am 9. Januar 1970 und am 14. Januar 1970 [K 1/6]

  2. Zum vorherigen Dokument Vorkommnis in einer Einheit der Streitkräfte der Sowjetarmee

    7. Januar 1970
    Information Nr. 8/70 über ein Vorkommnis in einer Einheit der Gruppe der zeitweilig in der DDR stationierten Streitkräfte der Sowjetarmee, Standort Borstel, Kreis Stendal, Bezirk Magdeburg, am 31. Dezember 1969