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Probleme bei der Erforschung und Herstellung von Eiweißfuttermitteln

18. September 1970
Information Nr. 980/70 über die Gefährdung der planmäßigen Erforschung, Entwicklung und Produktion hochwertiger Eiweißfuttermittel

Nach den dem MfS vorliegenden Hinweisen ist die planmäßige Verwirklichung des volkswirtschaftlich strukturbestimmenden Vorhabens »Gewinnung hochwertiger Eiweißstoffe« – Komplex »Mikrobiologisch-biochemisch erzeugte Eiweißfuttermittel aus konventionellen Rohstoffen« (Futterhefe) – durch umfangreiche Pflicht- und Rechtsverletzungen am Vorhaben verantwortlich Beteiligter gefährdet.

Die volkswirtschaftliche Zielstellung, 1975 150 kt/a Futterhefe zu produzieren und die Abhängigkeit vom kapitalistischen Eiweißfuttermittelmarkt einzuschränken, ist demzufolge nicht gesichert.

Die zur Realisierung dieses strukturbestimmenden Vorhabens vorhandenen wissenschaftlichen und produktionsseitigen Potenzen wurden durch verantwortliche Wissenschaftler aus dem ehemaligen Institut für organische Chemie (IOC)1 der Deutschen Akademie der Wissenschaften (DAW), dem jetzigen Zentralinstitut für organische und makromolekulare Chemie und dem VEB Zellstoffwerke Pirna nicht in vorgesehener Weise genutzt, sondern teilweise sogar desorientiert, sodass ein erheblicher ökonomischer Schaden für die DDR zu verzeichnen ist.

Die in diesem Zusammenhang vom MfS eingeleiteten Untersuchungen wurden durch eine mit Unterstützung des Vorsitzenden des Rates für landwirtschaftliche Produktion und Nahrungsgüterwirtschaft der DDR, Genosse Minister Ewald,2 eingesetzte Expertenkommission unterstützt und erbrachten den Nachweis, dass die am Staatsplanvorhaben mit entscheidenden Aufgaben betrauten und als ausgewiesene Fachexperten einzuschätzenden Wissenschaftler Prof. Dr. Rieche, Alfred,3 68 Jahre, bis 1968 Direktor des Instituts für organische Chemie der DAW, jetzt im Ruhestand, Dr. Lorenz, Martin,4 39 Jahre, Kommissarischer Leiter des wissenschaftlichen Sekretariats des Zentralinstituts für organische und makromolekulare Chemie der DAW seit dem 1.1.1970, vorher wissenschaftlicher Arbeitsleiter im Institut für organische Chemie der DAW und Dr. Kretzschmar, Gerhard,5 59 Jahre, Direktor für Forschung und Entwicklung im VEB Vereinigte Zellstoffwerke Pirna die planmäßige Realisierung des Vorhabens sowohl durch Pflicht- als auch durch Rechtsverletzungen ernsthaft gefährdet haben.

Nach den vorliegenden Ergebnissen umfangreicher sachbezogener Untersuchungen kann es eingeschätzt werden, dass die vorgenannten Personen unter Missbrauch ihrer Vertrauensstellungen und der sich daraus ergebenden Verfügungs- und Entscheidungsbefugnis, entgegen ihren Rechtspflichten Maßnahmen und Entscheidungen getroffen bzw. unterlassen und dadurch ursächlich bedeutende wirtschaftliche Schäden herbeigeführt haben.

Darüber hinaus ist auch bewiesen, dass die genannten Personen Angehörigen westdeutscher kapitalistischer Wirtschaftsunternehmen vorsätzlich und unter ständiger Verletzung einer ihnen durch Gesetz bzw. ihnen aufgrund ihres Arbeitsvertrages obliegenden Pflicht geheim zu haltende wirtschaftliche, technische und wissenschaftliche Vorgänge und Tatsachen unbefugt offenbart und damit die Gefahr erheblicher wirtschaftlicher Nachteile für die DDR verursacht haben.

Die bisherigen Untersuchungsergebnisse ergaben im Einzelnen Folgendes: Auf der Grundlage des Ministerratsbeschlusses vom 4.2.19546 über »Maßnahmen zur Entwicklung der Landwirtschaft«,7 in welchem u. a. die Nutzbarmachung aller in der Volkswirtschaft der DDR vorhandenen Reserven zur Versorgung der Landwirtschaft mit Eiweißfuttermitteln gefordert wurde, setzte unter maßgeblicher Beteiligung der Genannten (Dr. Lorenz seit 1955) die Bearbeitung der wissenschaftlich-technischen und ökonomischen Fragen des Komplexes der Eiweißversorgung für die Tierernährung ein. Ihre Meinungen über die einzuschlagenden Wege zur Lösung des Eiweißproblems durch mikrobielle Biomasseproduktion wurden stets von den verantwortlichen staatlichen Organen und Fachgremien beachtet und beeinflussten demzufolge deren Maßnahmen und Vorschläge.

Die genannten Personen kannten von Anbeginn die Bedeutung ihrer Aufgaben und Verantwortung. Ihnen wurde durch leitende Partei- und Staatsorgane ein hohes Maß an Vertrauen entgegengebracht und allseitige Unterstützung zuteil.

Prof. Rieche und Dr. Lorenz als leitende Wissenschaftler im IOC unterließen es jedoch, die von ihnen selbst gegenüber staatlichen und wirtschaftsleitenden Organen begründeten Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der mikrobiellen Eiweißsynthese – dem einzigen Staatsplanthema an diesem Institut seit Bestehen – den staatlichen Vorgaben und volkswirtschaftlichen Erfordernissen entsprechend zu planen, zu leiten und zu organisieren.

Die Konzipierung der Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Verhefung konventioneller Rohstoffe und der Fermentorentwicklung wurde durch Zersplitterung der Kräfte und Mittel desorientiert.

Die biologischen Kapazitäten des IOC wurden nicht auf solche Rohstoffvarianten konzentriert, die am erfolgversprechendsten waren.

Die notwendige und mögliche Erweiterung der biologischen Kapazitäten durch Umprofilierung des Institutes erfolgte nicht.

Die Möglichkeit der sozialistischen Gemeinschaftsarbeit mit anderen Instituten der DDR wurde nicht geprüft und genutzt.

Gleichfalls unterließ Prof. Rieche die sachgerechte Prüfung der Möglichkeiten einer engen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion.

Prof. Rieche wäre als Direktor des IOC und zeitweiliger Stellvertreter des Vorsitzenden des Fachbereiches für organische und biologische Chemie der DAW jederzeit in der Lage gewesen, größere wissenschaftsorganisatorische Maßnahmen zur Forcierung der wissenschaftlichen Arbeiten am Staatsplanthema vorzuschlagen und durchzusetzen.

Dr. Lorenz, als der engste Mitarbeiter von Prof. Rieche und unmittelbar verantwortlicher Bearbeiter des Forschungsthemas, hat dieses Verhalten und die dementsprechende Tätigkeit von Prof. Rieche unterstützt.

Beide Wissenschaftler sind auch dafür verantwortlich, dass die in den zentralen Plänen »Forschung und Technik«, »Neue Technik« und »Wissenschaft und Technik« festgelegten Zieleinstellungen und Termine nicht oder nur teilweise erfüllt, die Forschungsarbeiten nicht exakt abgerechnet, keine konkreten Aussagen zur praktischen Anwendbarkeit der Forschungsergebnisse getroffen und die Einleitung schutzrechtlicher Maßnahmen bei erfolgversprechenden Lösungen unterlassen wurden.

Diese Rechts- und Pflichtverletzungen hatten u. a. zur Folge, dass derzeitig keine ausgereiften und effektiven wissenschaftlich-technischen Lösungen für das Futterhefeprogramm zur Verwirklichung der Zielstellung – 1975 = 150 kt/a und 1980 = 210 kt/a Futterhefe zu produzieren – vorliegen.

Prof. Rieche und Dr. Lorenz war als verantwortlichen Leitern und berufenen Mitgliedern in staatlichen und wissenschaftlichen Gremien der DDR (Staatliche Plankommission, Ministerium für Wissenschaft und Technik, Forschungsrat) genau bekannt, dass die von ihnen erarbeiteten und ihnen zur Kenntnis gelangten wissenschaftlich-technischen Ergebnisse und Informationen zum ausschließlichen Nutzen der DDR zu verwenden sind.

Die staatlichen Normative zur Geheimhaltung und zum Schutz von Arbeitsergebnissen in der Veröffentlichungs- und die Patentpolitik wurden jedoch durch Prof. Rieche und Dr. Lorenz seit 1955 in grober Weise missachtet und verletzt. Sie haben entgegen den Bestimmungen für die Behandlung von Staatsplanthemen sowie für die Mitarbeit in Beratungsgremien staatlicher Organe wirtschaftlich wichtige Informationen, Forschungsergebnisse von aktuellem und potenziellem Nutzen für die DDR und Erfahrungen auf dem Gebiet der Futterhefeerzeugung der Öffentlichkeit im In- und Ausland zur Kenntnis gebracht.

Durch die gutachterlichen Untersuchungen und Einschätzungen wurde bestätigt, dass die wesentlichsten Ergebnisse der im Rahmen der staatlichen Pläne und der Vertragsforschung vom IOC durchgeführten wissenschaftlichen Untersuchungen einschließlich ihrer zielgerichteten technischen bzw. technologischen Anwendung für die mikrobielle Eiweißgewinnung veröffentlicht wurden.

Die Veröffentlichung erfolgte in den meisten Fällen nach Abschluss der jeweiligen Teiluntersuchungen und insofern kontinuierlich vor Abschluss der jeweils über mehrere Jahre gehenden Forschungsthemen.

Verstärkt seit 1964, als die Forschungsarbeiten am IOC konkret auf die Realisierung der staatlichen Vorgaben zur Errichtung von Futterhefewerken profiliert waren, wurde durch Prof. Rieche und Dr. Lorenz sowie anderen ihnen unterstellte Mitarbeiter des IOC in westdeutschen und Westberliner Fachzeitschriften zu diesen Problemen publiziert. Die Veröffentlichungen in ihrer Gesamtheit sind aussagekräftiger und umfangreicher als die von ihnen der Leitung der Deutschen Akademie der Wissenschaften und des Ministeriums für Wissenschaft und Technik vorgelegten Jahresberichte bzw. Themenabschlussberichte.

Hinzu kommt, dass die Autoren, die in die Vorbereitung und Durchführung der Ministerratsbeschlüsse vom 19.3.1964 »Plan zur Durchführung außerordentlicher Maßnahmen zur Versorgung der Volkswirtschaft und der Bevölkerung der DDR mit landwirtschaftlichen Produkten«8 und vom 4.9.1964 »Über den Aufbau von Hefefabriken«9 einbezogen waren, in diesem Zeitraum auch die wesentlichsten wirtschaftlichen Voraussetzungen und Gründe der DDR für die Realisierung des Futterhefeprogramms preisgaben.

Rechtswidrig handelten Prof. Rieche und Dr. Lorenz auch, als sie die für den Aufbau einer leistungsfähigen Futterhefeindustrie in der DDR erarbeiteten Forschungsergebnisse vor der Veröffentlichung im In- und Ausland nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, schutzrechtlich absicherten.

Forschungsergebnisse volkswirtschaftlich weniger bedeutsamer Vorhaben hingegen wurden schutzrechtlich gesichert. Prof. Rieche und Dr. Lorenz war bekannt, dass die veröffentlichten und schutzrechtlich nicht gesicherten Forschungsergebnisse ein Interessengebiet der westdeutschen Firma Voltz10 betrafen. (Zu dieser Firma hatten anfangs Prof. Rieche und später Dr. Lorenz im Zusammenhang mit Untersuchungen über die Verhefung von Kubarohzucker enge Verbindungen hergestellt.)

Dadurch ermöglichten Prof. Rieche und Dr. Lorenz interessierten kapitalistischen Unternehmen den Zugriff zu einer sehr umfangreichen und mit Forschungskapazitäten und Mitteln der DDR erarbeiteten Daten-, Parameter- und Erfahrungssammlung auf dem Gebiet der Verhefung konventioneller Rohstoffe, die in Europa einmalig ist und einen echten Vorlauf darstellt.

Im Ergebnis des Ministerratsbeschlusses vom 19.3.1964 wurde festgelegt, auf der Basis der Verarbeitung von Kubarohzucker Futterhefewerke in der DDR zu errichten.

Berücksichtigung fanden dabei bereits im IOC gelaufene Versuche zur Verhefung von Kubarohzucker.

Die Entscheidung des Staatlichen Komitees für Aufkauf und Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse, die erste von vier geplanten Anlagen zu importieren, wurde von Prof. Rieche, Dr. Lorenz und Dr. Kretzschmar in hohem Maße beeinflusst.

Am 31.7.1964 wurde in einem Gespräch beim Staatlichen Komitee für Aufkauf und Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse insbesondere von Prof. Rieche der Standpunkt vertreten, dass eine kurzfristige Errichtung funktionstüchtiger Anlagen nur durch einen Import gesichert werden kann, da in der DDR noch kein Betrieb mit der Funktion eines Hauptauftragnehmers beauftragt werden könne und wesentliche Aggregate erst entwickelt werden müssten.

Diese Einschätzung stand im völligen Widerspruch zu einer von Prof. Rieche bereits im Jahre 1960 zum Lefrancois-System (französisches Verfahren zur Futterhefegewinnung) abgegebenen Stellungnahme, die unabhängig vom Verhefungssystem und den verschiedenen Rohstoffen von grundsätzlicher Aussage war.

Prof. Rieche erklärte darin, dass es ein bedauerliches Zeichen eigener Unfähigkeit wäre, wenn man dieses französische Verfahren oder gar eine Anlage importiere.

Trotzdem empfahl Prof. Rieche gleichzeitig dem Staatlichen Komitee für Aufkauf und Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse, den Import von der westdeutschen Firma Voltz – einem angeblich auf dem Gebiet des Anlagenbaus für die Futterhefeproduktion führenden Betrieb – vorzunehmen.

Prof. Rieche wusste zu diesem Zeitpunkt, dass die Firma Voltz vor 1945 nur Einzelapparate für die Aschaffenburger Zellstoffwerke und die Zellstofffabrik »Waldhof«, Mannheim,11 und bis 1964 lediglich Fermentoren für das Futterhefewerk Torrelavega (Spanien) geliefert hatte.

Erkenntnisse über die Verhefung von Kubarohzucker besaß die westdeutsche Firma Voltz überhaupt nicht.

Trotz Kenntnis dieser Tatsache unterbreitete Prof. Rieche dem Staatlichen Komitee für Aufkauf und Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse im Ergebnis seines Besuches bei der Firma Voltz anlässlich der Achema-Tagung12 im Juli 1964 schließlich noch den Vorschlag, die Versuchsergebnisse mit den entsprechenden Substraten aus Labor- bzw. technischen Großversuchen in der DDR an die Firma Voltz zu übergeben.

Die angebliche Notwendigkeit einer solchen Maßnahme begründete Prof. Rieche damit, dass eine Anlage für die Verarbeitung von Kubarohzucker von noch niemand errichtet worden sei.

Die Empfehlungen Prof. Rieches zum Import des Futterhefewerkes Malchin stellten im Hinblick auf die in der DDR bereits vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse und Erfahrungen bei der Verhefung von kohlehydrathaltigen Rohstoffen und der dazu geeigneten Technologie schon zu diesem Zeitpunkt eine Desinformation und Desorientierung dar.

Diese Handlungsweise von Prof. Rieche und zunehmend auch die von Dr. Lorenz und Dr. Kretzschmar setzte sich bis zum Vertragsabschluss mit der Firma Voltz durch das DDR-Außenhandelsunternehmen Industrie-Anlagen-Import (AHU IAI) 1967 fort.

Auf wiederholte Bemühungen des Staatlichen Komitees für Aufkauf und Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse – letztmalig kurz vor Vertragsabschluss 1967 –, die Gesamtkonzeption Import zu prüfen, reagierten Prof. Rieche, Dr. Lorenz und Dr. Kretzschmar konstant in der gleichen Weise. Spätestens Ende 1965/Anfang 1966 kannten sie jedoch umfassend die Möglichkeit für die Eigenfertigung eines erprobten Systems in der DDR. Zu diesem Zeitpunkt lagen neben den wissenschaftlichen Ergebnissen des IOC auch die vom IOC bei den Rosenthaler Versuchen13 miterarbeiteten Kennziffern – ausreichend für Erarbeitung des Know-how, Auslegung des Verfahrens und der Projektierung der Anlage – und wertvolle praktische Erfahrungen des VEB Gärungschemie Dessau vor.

Ungeachtet dessen unterließen es Prof. Rieche, Dr. Lorenz und Dr. Kretzschmar weiterhin, die verantwortlichen staatlichen Organe über die tatsächlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten einer Eigenfertigung zu informieren.

Synchron zu diesen Handlungen entfalteten Prof. Rieche und Dr. Lorenz ohne Genehmigung und Auftrag der staatlichen Organe der DDR und unter grober Missachtung und Verletzung der staatlichen Normative zur Geheimhaltung und zum Schutz von Arbeitsergebnissen unmittelbar nach ihrem Gespräch beim Staatlichen Komitee für Aufkauf und Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse am 31.7.1964, eine umfassende wissenschaftlich-technische Beratung der westdeutschen Firma Voltz zum Projekt Futterhefewerk Malchin.

Diese Beratertätigkeit begann bereits zu einem Zeitpunkt, zu dem das AHU IAI gerade erst die Einholung von Angeboten vorbereitete und noch keine Entscheidung über die infrage kommende Lieferfirma getroffen war und vertiefte sich während der laufenden Verhandlungen des AHU der DDR mit verschiedenen Partnern bis zum Vertragsabschluss mit der Firma Voltz im Jahre 1967.

Auf postalischem Weg und bei persönlichen Gesprächen brachten Prof. Rieche und Dr. Lorenz dem Teilhaber der Firma Voltz, Türk,14 alle Forschungsergebnisse und Erkenntnisse der DDR auf dem Gebiet der mikrobiellen Eiweißsynthese zur Kenntnis, die für die Firma Voltz, zunächst das Futterhefewerk Malchin betreffend, von Bedeutung waren.

In der gleichen Weise handelte Dr. Kretzschmar. Er begann mit der Beratertätigkeit für die Firma Voltz, ebenfalls in der Person des Teilhabers Türk, bereits im Jahre 1962.

Es konnte festgestellt werden, dass die Firma Voltz Prof. Rieche und Dr. Lorenz einerseits und Dr. Kretzschmar andererseits unabhängig voneinander als Quellen nutzte und sich somit zugleich Möglichkeiten des Vergleichs und der Überprüfung der erhaltenen Forschungsergebnisse und Informationen geschaffen hatte.

Prof. Rieche, Dr. Lorenz und Dr. Kretzschmar haben damit praktisch der Firma Voltz die Verfahrensführung, das Know-how, die Materialverbrauchsnormen und Energieziffern erarbeitet und das gesamte Angebot und Projekt der Firma Voltz, Futterhefewerk Malchin, qualifiziert.

Ohne diese Informationen aus der DDR wäre die Firma Voltz nicht in der Lage gewesen, dem AHU der DDR ein konkurrenzfähiges und risikofreies Angebot zu unterbreiten.

Durch diese Offenbarungen Prof. Rieches, Dr. Lorenz’ und Dr. Kretzschmars war es der Firma Voltz schließlich noch möglich, in ihrem Angebot an das AHU IAI der DDR für das in und mit Mitteln der DDR erarbeitete Know-how Gebühren in Höhe von ca. 600 000 VM zu fordern.

Da die staatlichen Organe und das AHU von den Handlungen der Prof. Rieche, Dr. Lorenz und Dr. Kretzschmar keine Kenntnis hatten, wurde die Bezahlung des Know-how der DDR schließlich Bestandteil des 1967 abgeschlossenen Importvertrages zwischen dem AHU der DDR und der Firma Voltz.

In ihrer wissenschaftlich-technischen Beratung der Firma Voltz beschränkten sich Prof. Rieche, Dr. Lorenz und Dr. Kretzschmar jedoch nicht nur auf das Projekt Futterhefewerk Malchin. Im Rahmen des sich seit 1964 immer enger gestaltenden Kontaktes dehnten sie diese Beratung und Unterstützung, unter missbräuchlicher Benutzung der ihnen anvertrauten Mittel und Kapazitäten, praktisch auf alle die Firma Voltz interessierenden Probleme auf dem Gebiet der Verhefung von Substraten aus konventionellen Rohstoffen aus.

In der gleichen Weise wie beim Futterhefewerk Malchin qualifizierten sie sechs Angebote und Projekte der Firma Voltz zur Produktion von Futterhefe in sozialistischen und kapitalistischen Ländern.

Dr. Kretzschmar übermittelte des Weiteren an Türk auch Vorschläge zur Verbesserung eines Verhefungssystems, das der sowjetische Hefespezialist Prof. Andrejew15 vom Allunioninstitut für die Hydrolyse und Sulfitspiritusindustrie Leningrad im Rahmen der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit zwischen diesem Institut und dem VEB Zellstoffwerke Pirna unterbreitet hatte. Wie im Falle des Futterhefewerkes Malchin nutzte Türk auch bei dieser Beratertätigkeit Prof. Rieche und Dr. Lorenz einerseits und Dr. Kretzschmar andererseits unabhängig voneinander für die Interessen der Firma Voltz aus.

Zu Dr. Kretzschmar wurde darüber hinaus festgestellt, dass er im Zusammenhang mit seinem Kontakt zum schwedischen Konzern Alfa Laval16 (führender Betrieb u. a. im Separatorbau für die Futterhefeindustrie; diesbezüglich starkes Interesse an kommerziellen Beziehungen zur DDR) ebenfalls die staatlichen Normative zur Geheimhaltung und zum Schutz von Arbeitsergebnissen gröblichst missachtet und verletzt hat.

Er hielt 1965 bei diesem Konzern einen Vortrag über die »Eiweißsituation und Perspektiven der Futterhefeerzeugung, insbesondere in den Ostblockstaaten«. In diesem Vortrag gab er sein Wissen über den Stand der verfahrenstechnischen Entwicklung und die Ökonomie der Futterhefeproduktion bekannt, machte detaillierte Angaben über Produktionsumfang und Bedarf an Futterhefe in den einzelnen RGW-Ländern 1963, 1965 und 1970, charakterisierte die wirtschaftspolitische Situation in der DDR zur Eiweißversorgung und teilte ökonomische Berechnungen aus der UdSSR mit.

Weiter wurde festgestellt, dass sowohl durch Vertreter der Firma Voltz als auch durch Prof. Rieche, Dr. Lorenz und Dr. Kretzschmar die Aktivitäten zum Informationsaustausch besonders dann forciert wurden, wenn offizielle Verhandlungen der Firma Voltz mit staatlichen Institutionen der DDR bevorstanden, stattgefunden hatten bzw. die genannten DDR-Wissenschaftler über die Firma Voltz interessierende neue Hinweise verfügten.

Zusammenfassend ist einzuschätzen, dass die genannten Personen in großem Umfang beigetragen haben, dass die Forschung, Fermentorenentwicklung und Entwicklung der Futterhefeindustrie auf dem Gebiet der Verhefung kohlenhydrathaltiger Rohstoffe nicht das volkswirtschaftlich notwendige und mögliche Tempo erreicht hat und keine ausgereiften und effektiven Lösungen für das Futterhefeprogramm der DDR zur Verwirklichung der volkswirtschaftlichen Zielstellungen der Jahre 1975 und 1980 und im konkreten Anwendungsfall des 15 kt/a Futterhefewerkes Malchin keine gesicherten optimalen Daten für den Fermentationsfall vorliegen.

Darüber hinaus haben die Handlungen von Prof. Rieche, Dr. Lorenz und Dr. Kretzschmar im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Realisierung des Anlagenimportes für das Futterhefewerk folgende Auswirkungen:

  • Die westdeutsche Firma Voltz konnte sich auf dem Gebiet der Futterhefeherstellung im gewissen Umfang eine Position in der DDR schaffen,

  • anstelle der vorgesehenen Lizenzverkäufe muss die DDR faktisch ihr eigenes Verfahren von der Firma Voltz zurückkaufen (ca. 600 000 VM),

  • das Futterhefewerk Malchin wird durch die Firma Voltz als Referenzanlage benutzt, mit deren Hilfe auch im übrigen sozialistischen Wirtschaftsgebiet Fuß gefasst werden soll,

  • die Firma Voltz tritt zukünftig auch im nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet als Exportkonkurrent der DDR auf.

Eine weitere Schädigung der Volkswirtschaft der DDR trat insbesondere dadurch ein, dass durch die ungerechtfertigte Veröffentlichung von wichtigen Informationen, Forschungsergebnissen und Erfahrungen auf dem Gebiet der mikrobiellen Eiweißsynthese kapitalistischen Ländern und Unternehmen der Zugriff zu diesen ermöglicht wurde, wodurch diese in die Lage versetzt wurden, die finanziell und zeitlich sehr aufwendigen Versuche auf Kosten der DDR einzusparen.

Darüber hinaus muss festgestellt werden, dass die Handlungen insbesondere von Prof. Rieche und Dr. Lorenz dem Vorhaben und Zielen der Durchsetzung der sozialistischen Wissenschaftsorganisation zur Meisterung der wissenschaftlich-technischen Revolution entgegenwirkten.

Durch eine straffe Leitung des volkswirtschaftlich strukturbestimmten Vorhabens »Gewinnung hochwertiger Eiweißstoffe« und exakte Kontrolle der Einhaltung der Bestimmung über Sicherheit und Ordnung seitens der zuständigen wissenschafts- und wirtschaftsleitenden Einrichtungen wie Deutsche Akademie der Wissenschaften, Forschungsbereich Chemie, Ministerium für Wissenschaft und Technik als koordinierendes und kontrollierendes Organ der Forschung und Entwicklung in der DDR, Staatliches Komitee für Aufkauf und Verarbeitung als langjähriges hauptverantwortliches Organ für das Futterhefeprogramm der DDR, Ministerium für chemische Industrie als verantwortliches Organ für die ausrüstungsseitige Realisierung, wäre es möglich gewesen, einen erheblichen Teil der Rechts- und Pflichtverletzungen frühzeitiger zu erkennen, zielgerichtete Maßnahmen zur Verhinderung ihrer weiteren Begehung einzuleiten und damit einen beträchtlichen Teil des Schadens abzuwenden.

Eine wesentliche Grundlage dazu hätten die auf Initiative und mit Unterstützung des MfS in den Jahren 1967 und 1968 über das System der Kontrollbeauftragten geführten Untersuchungen sowie der im August 1969 von der Inspektion der Arbeitsgruppe Staats- und Wirtschaftsführung beim Ministerrat der DDR vorgelegte »Information über die Situation auf dem Gebiet der mikrobiologisch-biochemisch erzeugten Eiweißfuttermittel« – Futterhefe –(VVS B 2 -229/69)17 sein können.

Durch letztere Feststellungen wird jedoch in keiner Weise die persönliche Verantwortung von Prof. Rieche, Dr. Lorenz und Dr. Kretzschmar hinsichtlich der durch die begangenen Rechts- und Pflichtverletzungen gemindert. (In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass Dr. Lorenz sowie Dr. Kretzschmar nach wie vor Verbindungen zum Teilhaber der Firma Voltz – Türk – unterhalten.)

Es wird empfohlen, vorliegende Information, in Verbindung mit den Genossen (siehe Verteiler), die diese Information ebenfalls erhalten, unter Einbeziehung des Leiters der Expertenkommission, Genossen Prof. Dr. Dickscheit,18 Direktor des Instituts für Gärungsindustrie, Enzymologie und technische Mikrobiologie, Berlin, sowie des Mitarbeiters der Expertenkommission, Genossen Prof. Dr. Ringpfeil,19 Direktor des Instituts für technische Chemie der Deutschen Akademie der Wissenschaften, Leipzig, auszuwerten.

Im Ergebnis dieser Auswertung sollten in den zuständigen Bereichen entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden, die die planmäßige Realisierung des Eiweißvorhabens gewährleisten.

Durch das zuständige Außenhandelsorgan der DDR sollte darüber hinaus geprüft werden, ob zum Vertrag »Futterhefewerk Malchin« eine solche Ergänzung erwirkt werden kann, die die Fa. Voltz zur Zahlung von Know-how-Gebühren gegenüber der DDR verpflichtet.

(Bei der Festlegung eines Termins für die vorgeschlagene Auswertung sollte beachtet werden, dass Prof. Rieche beabsichtigt, vom 11. November bis 9. Dezember 1970 eine Rentnerreise nach Westdeutschland durchzuführen.)

  1. Zum nächsten Dokument Diebstahl einer Aktentasche des DTSB Vizepräsidenten Rudi Reichert

    24. September 1970
    Information Nr. 1011/70 über den Diebstahl einer Aktentasche mit Unterlagen aus dem Dienstwagen des Vorsitzenden des DTSB-Bezirksvorstandes Karl-Marx-Stadt, Genossen Rudi Reichert, am 12. September 1970 in Berlin-Grünau, Regattastraße

  2. Zum vorherigen Dokument Versuchte Gruppenfahnenflucht von zwei Offizieren in Leipzig

    17. September 1970
    Information Nr. 988/70 über eine versuchte Gruppenfahnenflucht von zwei Offizieren der 5. VP Bereitschaft Leipzig am 16. September 1970