Probleme bei der Verwirklichung eines Ministerratsbeschlusses
8. April 1970
Information Nr. 381/70 über einige Probleme, die sich bei der Verwirklichung des »Beschlusses zur Durchsetzung von Ordnung und Disziplin bei Leistung zusätzlicher Arbeit in Betrieben, staatlichen Organen und Einrichtungen« vom 4. Februar 1970 ergeben
Im Rahmen der Verwirklichung des oben genannten Ministerratsbeschlusses1 ergeben sich in einigen Zweigen der Volkswirtschaft hinsichtlich der Erfüllung der geplanten Aufgaben einige Probleme.
Dem MfS liegen dazu Hinweise vor, die zwar keine umfassende Einschätzung des Gesamtkomplexes ermöglichen, andererseits jedoch darauf hindeuten, mit welchen Schwierigkeiten bei der konsequenten Verwirklichung des Beschlusses in einigen Zweigen der Volkswirtschaft unter Umständen gerechnet werden muss.
So wurden im Verkehrswesen 1969 in erheblichem Umfange Leistungen in Feierabendarbeit erbracht, um die Erfüllung der Transportaufgaben zu gewährleisten (z. B. im Güterladedienst der DR 223 500 Stunden, im Seehafenumschlag 320 000 Stunden, auf dem Gebiet der Projektierung ca. 265 000 Stunden).
Aus dem Lohnfonds des Ministeriums für Verkehrswesen wurden für Feierabendarbeiten der Bereiche Eisenbahntransport, Fahrzeugausbesserung (außer RAW) und Reichsbahnbaudirektion ca. 11,5 Mio. Mark (0,57 % der Gesamtlohnsumme) gezahlt.
Zur Erfüllung der ökonomischen Aufgaben des Verkehrswesens im Jahre 1970 war ein Leistungsanteil analog der Feierabendarbeit 1969 vorgesehen. In Teilbereichen wurde eine nach Meinung von Fachleuten notwendige Erhöhung dieses Anteils einkalkuliert (z. B. im Entwurfs- und Vermessungsbüro der DR um 33 % gegenüber 1969).
Wie Äußerungen von Experten des Verkehrswesens zu entnehmen ist, sei die Erfüllung der ökonomischen Aufgaben des Verkehrswesens bei Durchsetzung des Beschlusses des Ministerrates nicht im geplanten Gesamtumfang gewährleistet.
Nach gegenwärtiger Einschätzung seien in erster Linie Auswirkungen bei
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Umschlagsleistungen im Güterverkehr der DR, in der Seehafenwirtschaft und in den Binnenhäfen,
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Projektierungsvorhaben in den Verkehrszweigen DR und Straßenwesen und
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Bauleistungen bei der DR und im Straßenwesen
zu erwarten.
Bisher vorliegenden Hinweisen zufolge ist insbesondere auch der Bereich des städtischen Nahverkehrs durch den Beschluss vom 4.2.1970 besonders betroffen.
Es bestehen in allen Nahverkehrsbetrieben – wenn auch in unterschiedlichem Umfang – zweite Arbeitsrechtsverhältnisse (z. B. VEB (K) Verkehrsbetriebe der Stadt Dresden 199: VEB (K) Magdeburger Verkehrsbetriebe 87; VE Verkehrsbetriebe Halle 41; VEB Kombinat der Verkehrsbetriebe der Stadt Leipzig 37).
Die zusätzlichen Arbeitskräfte werden fast ausschließlich im Fahrdienst (Straßenbahn, KOM, Obus,2 U-Bahn) eingesetzt. Die Schwerpunkte liegen in den Spitzenzeiten des Berufsverkehrs sowie an Wochenenden.
Bei den Arbeitskräften, die auf der Grundlage eines zweiten Arbeitsverhältnisses geworben wurden, handelt es sich um Werktätige aller Beschäftigungsgruppen (überwiegend Produktionsarbeiter).
Neben dem Einsatz zusätzlicher Arbeitskräfte auf der Grundlage eines 2. Arbeitsverhältnisses werden darüber hinaus Feierabendarbeiten durch Angehörige der Betriebe des städtischen Nahverkehrs sowie auch anderer Betriebe durchgeführt.
Dabei handelt es sich in erster Linie um Arbeiten im Gleisbau, für die Stromversorgung, in Werkstätten und für Projektierungen. (Zum Beispiel werden in Betrieben, die Zuführungen von Straßenbahnen T4D3 erhalten, die notwendigen Baumaßnahmen zur Umstellung der Stromversorgung, die Kabelverlegungen, Aushubarbeiten usw. in Feierabendarbeit durchgeführt.)
Nach Auffassung von Fachleuten und auch von unmittelbar »Betroffenen« beinhalten die Festlegungen des Beschlusses kein ausreichendes Äquivalent für die Arbeit auf der Grundlage eines zweiten Arbeitsverhältnisses bzw. der Feierabendarbeit.
Die zu erwartenden Auswirkungen konzentrieren sich fast ausschließlich auf erhöhte Ausfälle im Verkehr, die durch zusätzliche Überstundenleistungen der Betriebsangehörigen nicht abgefangen werden können, da bereits in der Mehrzahl der Betriebe die Grenze der Zumutbarkeit bei Überstunden erreicht sei.
Neben den aufgezeigten Problemen im Bereich Verkehrswesen liegen dem MfS über zu erwartende Auswirkungen des Beschlusses vom 4.2.1970 aus anderen Zweigen der Volkswirtschaft lediglich Einzelhinweise vor, die keine Verallgemeinerung ermöglichen. Diese Hinweise beziehen sich z. B. – ähnlich wie im Bereich Verkehrswesen – auf den Sektor Projektierung in verschiedenen anderen Zweigen (u. a. in Wohnungsbaukombinaten, VEB EVK Böhlen). Die erforderlichen Projektierungsleistungen seien bei dem objektiv vorhandenen Kapazitätsmangel kaum zu bewältigen, wenn der Beschluss vom 4.2.1970 voll zur Anwendung gelange. Trotz des Auftretens einer Reihe von Spekulationen gerade hinsichtlich der Ausführung von Projektierungsaufträgen als Feierabendarbeiten sei der dadurch entstehende Nutzen für die Volkswirtschaft nicht zu ignorieren.
Aus diesem Sektor wurden bereits einige spekulative Absichten bekannt, wonach die in bisheriger Feierabendarbeit erzielten Ergebnisse zukünftig als sogenannte Neuerervorschläge eingereicht würden, um auch weiterhin die gleichen Einnahmen zu haben.
Auch im Reparaturbereich einiger Betriebe seien bestimmte Schwierigkeiten zu erwarten.
So wird in einzelnen Betrieben fast der gesamte Fahrzeugpark (z. B. Brauereien) ausschließlich durch Feierabendbrigaden instandgesetzt und betreut, wodurch defekte Fahrzeuge sehr schnell wieder einsatzbereit waren.
Die vorgesehene Neureglung würde diese Möglichkeit in Zukunft jedoch ausschließen.
Einzelne Hinweise in ähnlicher Richtung liegen aus Produktionsgenossenschaften des Handwerks vor.
Ein Teil deren Leistungen war bisher von Arbeitskräften aus VEB gebracht worden, die ein zweites Arbeitsverhältnis bei den PGH eingegangen waren und dadurch teilweise ganz erheblich zu Produktionssteigerungen beigetragen hatten.
Ein Einzelhinweis über starke Verärgerungen liegt von Ärzten aus dem Kreis Schwarzenberg und aus dem Bergarbeiterkrankenhaus Erlabrunn (Bezirk Karl-Marx-Stadt) vor.
Nach Meinung dieser Ärzte hätte es nachteilige Folgen für die medizinische Betreuung der Bevölkerung, wenn Angehörige der medizinischen Intelligenz kein zweites Arbeitsverhältnis mehr eingehen dürften.
Zusammenfassend zu diesem gesamten Problem ist jedoch einzuschätzen, dass die Erläuterung des Beschlusses vom 4.2.1970 offensichtlich teilweise sehr formal und nicht immer in erster Linie nach möglichen Lösungswegen zur Klärung zweifellos auftretender Schwierigkeiten gesucht wurde.